Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 2002

Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Weihnachtsfreude Versammelte!

„Erschienen ist die Güte und Menschenfreund-lichkeit Gottes, unseres Heilandes.“ In diese Worte faßt der Apostel Paulus den Inhalt des Weihnachtsfestes. Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes.

Zunächst ging bei dieser Erscheinung alles recht menschlich zu. Eine hochschwangere Frau muß sich auf den Weg machen, weil der Kaiser eine Volkszählung und Steuererhebung angesetzt hatte. Wir wissen nicht, ob sie zu Fuß gegangen ist oder ob sie auf einem Esel geritten ist oder ob sie auf einem Karren gefahren ist, der freilich damals nicht mit Gummireifen versehen war und auf einer Asphaltstraße dahinglitt. Das römische Reich, der römische Staat kannte keine soziale Verpflichtung. Wer aufgeboten war, sich zu melden, der mußte erscheinen ohne Rücksicht auf seinen Zustand. Und so mag diese Reise, dieser beschwerliche Weg die Stunde der Frau beschleunigt haben. Als sie und ihr Mann am Ziele sind, da setzen die Wehen ein, und sie suchen nach einer Unterkunft. Aber sie finden keine Unterkunft. Die Gaststätten sind alle besetzt, oder wenn sie nicht besetzt sind, so will man nichts zu tun haben mit einer Frau, die ihrer Stunde entgegensieht. Die Menschen sind so hartherzig. Sie lassen sich in ihrer Gewohnheit, in ihrem geordneten Leben nicht durch solche Vorfälle stören. Und Joseph, mit der hilflosen Eile, die Männern in solchen Stunden zu eigen ist, sucht nach einer Bleibe, und er findet keine andere als einen Stall, einen Schuppen oder eine Höhle, in der Maria ihr Kind zur Welt bringt. Sie hat kein Bettchen, sondern legt es in die Futterkrippe der Tiere. In dieser Stunde geschah das, was Paulus in die Worte faßt: „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes.“ Wir wissen es, daß dieses arme Geschehen, diese dürftige Stätte von himmlischem Glanz erfüllt ist. Wir wissen es aus der Botschaft der Engel. Der Himmel hat sich geöffnet, und seine Boten sind erschienen und haben den Zeugen der Geburt mitgeteilt, um was es sich hier handelt. Sie haben nicht gesagt: „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes.“ Aber sie haben gesagt: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Darin ist alles gesagt. Hier sind die drei entscheidenden Merkmale dieses neugeborenen Kindes festgelegt: Heiland, Christus, Herr.

Er ist der Heiland. Das ist eine deutsche Übersetzung für das griechische Wort „soter“; man könnte auch sagen: Erlöser. Das Wort Heiland ist schwer wiederzugeben. Als die ersten Missionare nach Grönland kamen, fanden sie in der grönländischen Sprache keinen Ausdruck für das Wort Heiland. Sie versuchten also den Männern zu erklären, worum es sich handelt. Endlich schien es einem der Männer zu dämmern. Da sagte er: „Meinst du mit Heiland vielleicht einen, der, wenn das Boot umkippt, ins Wasser springt und den Ertrinkenden rettet?“ „Ja, das ist es“, sagten die Missionare, „das ist gemeint mit dem Wort Heiland. Einer, der ins Wasser springt und den Ertrinkenden rettet.“

Christus, das ist eine griechische und lateinische Form für das hebräische Wort Messias. Er ist der Messias, auf den Generationen gewartet hatten. Er ist derjenige, nach dem man jahrhundertelang die grauen Horizonte abgespäht hatte. Er ist jener, den die Propheten verheißen hatten. Er ist jetzt da, der Messias, und wie blind ist das jüdische Volk, das heute noch – heute noch! – auf den Messias wartet! Er ist ja da, er ist ja erschienen auf den Fluren von Bethlehem. „Ich verkünde euch eine große Freude: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, der Messias, der Herr.“

Das Wort Herr, Kyrios, ist nichts anderes als eine Umschreibung des Gottesnamens. Der Herr, der hier gemeint ist, ist keiner von den irdischen Herren, keiner von den Mächtigen der Erde, keiner von den Potentaten auf den Thronen. Nein, der Herr, der hier erschien, ist Gott selbst. Wahrhaftig, Paulus hat recht, wenn er sagt: „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes.“

Was in der Weihnachtsnacht geschehen ist, meine lieben Freunde, ist konkurrenzlos, hat kein Äquivalent in irgendeiner Religion, ist erhaben über alles, was sich Menschen von Gott ausgedacht haben; denn hier hat Gott selbst gehandelt. Hier geht es nicht um ein Gemächte von Menschen, sondern hier geht es um eine Tat Gottes. „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes.“ Ja, warum denn? Er ist ein Mensch geworden „für uns und um unseres Heiles willen“, so heißt es im Glaubensbekenntnis. Er ist also ein Mensch geworden für die Menschen, und deswegen sagt Paulus: „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes.“ Er will zeigen, daß er die Menschen liebt, und darum geht er ungewöhnliche Wege.

Niemand hätte eine Erlösung dieser Art für möglich gehalten, sofern die Menschen überhaupt an eine Erlösung denken. Das Christentum ist eine Erlösungsreligion. Der Islam ist keine Erlösungsreligion; er weiß nichts von Erlösung. Wir aber wissen: Er ist erschienen für uns und um unseres Heiles willen. Er ist erschienen, uns von unseren Sünden zu erlösen. Denn so hat ihn der Engel schon genannt, als er den Namen bekam: Er soll Jesus heißen. Warum denn? „Denn er wird sein Volk erlösen von seinen Sünden.“ Und das ist die tiefste Last, die der Mensch zu tragen hat, das ist der größte Schmerz, den er empfinden kann, wenn er im Unfrieden mit Gott ist, wenn er in der Schuld lebt, wenn die Sünde ihn begleitet. Die Sünde ist eine Last, meine lieben Freunde, und es kann nur einer sie wegheben, nämlich der, der in der Weihnachtsnacht erschienen ist als die Güte und die Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes.

Gewiß, die Schäden in dieser Welt sind geblieben. Die Unordnung ist nicht gewichen, aber es ist einer dazugekommen. Das Dunkel herrscht vielfach noch auf dieser Welt, aber es ist ein Licht aufgegangen. Wir sind jetzt nicht mehr alleine. Wenn wir in Not sind und in Verzweiflung, so haben wir einen, an den wir uns wenden können. „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes.“ Wir brauchen nicht mehr zu verzagen. Wir wissen, er sieht uns, er hält uns, er ist für uns ein Mensch geworden.

Als die Mandschurei noch zu Rußland gehörte, also vor dem Ersten Weltkrieg, bauten die Russen die mandschurische Eisenbahnlinie. In der Hauptstadt der Mandschurei, in Charbin, errichteten sie ein repräsentatives Bahnhofsgebäude, und in die Bahnhofshalle stellten sie eine überlebensgroße Christusfigur hinein. Die Mandschurei kam nach dem Ersten Weltkrieg zu China, also zu Menschen, die keine Christen sind. Zunächst ließ man die Statue des Heilands stehen. Aber dann rührte sich Widerstand. Man forderte den Bahnhofsvorsteher auf, die Statue zu entfernen. Der Bahnhofsvorsteher betrat wiederholt die Bahnhofshalle, um nachzuschauen, wie es um diese Statue stand. Und was sah er da? Da sah er Frauen mit ihren Kindern, geflohene Russen, die vor der Statue knieten; da sah er Männer mit ihren Sorgen; da sah er arme Auswanderer und gehetzte Flüchtlinge, und er beobachtete genau. Wenn sie sich erhoben von ihren Gebeten, so sah er, dann waren sie zuversichtlicher, dann waren sie hoffnungsvoller, dann waren sie getröstet. Und so entschied der heidnische Bahnhofsvorsteher: „Die Christusstatue bleibt stehen!“

Unser Leben, meine lieben Freunde, ist eine Reise. Wir sind auch in einem Wartesaal, und in diesem Wartesaal sollte Christus stehen bleiben. Laßt die Christusstatue, laßt das Christusbild, laßt die Christuswirklichkeit in dem Wartesaal unseres Lebens stehen!

Heute ist Weihnachten. Heute ist eine geweihte Nacht. in der die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes, erschienen ist. Weil dieser Christus gekommen ist, deswegen ist die Barmherzigkeit und die Liebe auf dieser Erde angesiedelt worden. Weil dieser Christus gekommen ist, deswegen gibt es einen Tabernakel und eine Kommunionbank. Weil dieser Christus gekommen ist, deswegen gibt es eine Zuversicht auch in verzweifelten Situationen. Laßt Christus im Wartesaal dieses Lebens stehen! Heute verkünde ich euch eine große Freude: Heute ist euch der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr. Und deswegen ist Gott Ehre in der Höhe, und deswegen ist den Menschen Frieden auf Erden.

Amen.

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