Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. Mai 2010

Sünde, Gerechtigkeit, Gericht

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im heutigen Evangelium stehen sich Gegensätze gegenüber. Da hören wir scharfe, strenge Töne, aber auch gütige und versöhnende Worte. Es ist das ein Gegensatz, der der näheren Erklärung bedarf. Die ganze kommende Weltgeschichte, die ganze kommende Kirchengeschichte wird beherrscht sein von dem einen bedeutungsvollen und wahrhaft bangemachenden Wort: „Ihr werdet mich nicht mehr sehen, denn ich gehe zum Vater.“ Also das Licht der Welt, das sichtbar geworden ist, wird nicht mehr unter uns weilen, sondern zurücktreten in seine Unsichtbarkeit. Man wird Jesus nicht mehr sehen, dieses gütige Antlitz, diese Vertrauen ausstrahlenden Augen, diese wundertätigen Hände – man wird sie nicht mehr spüren. Es wird also dunkel sein in der kommenden Weltgeschichte, in der kommenden Kirchengeschichte, dunkel und still, sowie es war vor dem Kommen des Erlösers. Aber damals war es noch weniger still, denn es tönte immer noch an das Ohr der Menschen das Wort der Propheten. Jetzt aber, nachdem Gott sein ewiges Wort ausgesagt hat, spricht er keine sichtbaren Worte mehr, sondern er spricht nur durch den Geist. Der Geist aber spricht leise und tief drinnen. Auf den Geist also wird es ankommen und auf nichts anderes. Der Geist aber ist unsichtbar, geheimnisvoll.

Aber der Geist ist auch unerbittlich wie die Wahrheit. Er ist stürmisch wie der brausende Wind. Er ist lodernd wie das Feuer. Und so wird gerade der Geist die letzten und furchtbarsten Kämpfe erwecken, die auf dieser Welt denkbar sind. Gottes Geist und der Fürst dieser Welt werden zusammenstoßen und werden die schrecklichsten Zusammenstöße und Kämpfe hervorrufen, die man sich vorstellen kann. Und die Jünger werden in dieser Atmosphäre leben und bange sein, erschreckt und beklommen und gehetzt.

Der Geist wird die Sünde der Welt ans Licht bringen. Er wird also zeigen, dass es doch eine Sünde gibt. Es ist nicht bloß Mißverständnis, es ist nicht bloß Irrtum, es ist nicht bloß Schwäche, sondern es ist Schuld. Es gibt nicht bloß Natur und Naturgesetze, sondern es gibt etwas, was nicht sein sollte, was gegen Gottes Willen steht, etwas, was kein Recht hat und was gegen die Wirklichkeit streitet. Der Geist wird der Welt zeigen, dass es eine Sünde gibt. „Du weißt noch nichts von der Wucht der Sünde“, hat einmal der heilige Anselm von Canterbury geschrieben. Der Geist wird die Wucht der Sünde der Welt offenbaren.

Wir kennen ja die Reden und die Ausreden, welche die Feinde Gottes und der Kirche gebrauchen, um nicht zuzugeben, dass es Sünde gibt. „Homosexualität ist eben eine andere geschlechtliche Orientierung.“ So sagt man heute. Wenn ein Schwein am Kreuze aufgehängt wird, dann ist das „Kunst“. Wenn auf einem Bilde ein Priester sich den Genitalien des Gekreuzigten zuwendet, dann ist das „Kunst“. So sagt die Staatsanwaltschaft von Frankfurt. Nein, das ist Sünde! Das ist himmelschreiende Sünde. Das ist Gottes Zorn herausfordernde Sünde. Das lehrt der Geist.

Die Sünde wird zuerst und in ihrer Wurzel Unglaube sein. „Weil sie nicht an mich geglaubt haben“, sagt der Herr. Unglaube, der den Herrn verwirft oder wieder verwirft, Unglaube, der die Botschaft des Herrn nicht ernst nimmt, Unglaube einer Christenheit, die im Kern, die im Innersten nicht christlich sein will, Unglaube, der das Evangelium entschärft, der alles aus dem Glauben weginterpretiert, was den Menschen Furcht einjagen könnte, Sünde und Strafe, Gericht und Verdammnis. Der Unglaube, der die Person Jesu verfälscht, die aus dem Gottessohn, dem wesenhaften metaphysischen Gottessohn einen Propheten macht, einen Wanderprediger, einen idealen Menschen, einen charmanten Tischler. Der Unglaube, der Jesus die Wunder abspricht und seine Worte als Gemeindebildung ausgibt. Das wird die Sünde sein, die der Geist der Welt offenbar macht. Das wird er der Welt und den ungläubigen Theologen kundtun.

Diese Welt wird, weil sie keinen Glauben hat, auch keine Moral mehr haben. Mit den Glauben fällt auch immer die Moral. Es wird also keine Liebe mehr sein, keine Ehrfurcht, keine Bescheidenheit, keine Treue, keine Wahrhaftigkeit, kein Opferwille und keine Entsagungskraft. An ihre Stelle werden Habsucht, Selbstsucht, Genußsucht und Hochmut treten. Und das wird ihre Sünde sein. An dem schreienden Gegensatz zum Geist wird man die Sünde erkennen. Die großen Gräuel der Weltgeschichte werden immer dort sein, wo der Geist nicht ist. Alle werden es sehen und erfahren, dass es eine Sünde gibt.

Der Kampf des Geistes wird aber auch die Gerechtigkeit an den Tag bringen. Wieso? „Weil ich zum Vater gehe und ihr mich nicht mehr sehen werdet.“ Also weil der von uns geht, der am Kreuze gebetet hat: „Vater, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Weil der von uns geht, der zu den Scharen gesagt hat: „Mich erbarmt des Volkes.“ Weil der von uns geht, der über seine Stadt geweint hat. Das wird die Gerechtigkeit sein. Die Welt, die ihn nicht aufnehmen wollte, die Welt, die ihn des Bündnisses mit dem Satan verdächtigt hat, die Welt, die ihn am Schandpfahl aufgehängt hat, die erfährt jetzt, was Gerechtigkeit ist. Denn jetzt wird er erhöht, jetzt wird ihm der Lohn zuteil für seine Treue, für seinen Gehorsam und seine Sanftmut. Nach all den Schmähungen, Erniedrigungen und Leiden empfängt er den Lohn. Auferstehung und Himmelfahrt erhöhen ihn zur Rechten des Vaters. Jetzt sieht man, dass es nicht stimmt, wenn sie gesagt hatten: „Er hat einen bösen Geist.“ Denn jetzt hat sich der himmlische Vater unübersehbar zu ihm bekannt. Jetzt ist er in Sicherheit, in der sicheren Herrlichkeit des Vaters. Jetzt ist er allen Angriffen entzogen. Kein Mensch, keine Zeitung, kein Magazin aus Hamburg kann ihn mehr erreichen. Jetzt gilt wahrhaftig das Wort: „Die Feinde toben gegen Gott und seinen Christus, aber der im Himmel wohnt, der lacht ihrer.“

Gerechtigkeit wird der Geist bringen auch noch in anderer Weise, nämlich weil der von uns geht, der das Erbarmen selber war. Jetzt wird es scheinen, als ob das Erbarmen auf dieser Welt ausgelöscht wäre, als ob nur noch die Gerechtigkeit herrschte. Wie ein Riesenmeer wird die Sünde gegen Gott emporsteigen, aber über die Sünde steigt noch weiter und höher die Gerechtigkeit, der Zorn Gottes. Je mehr die Sünde auf die Spitze getrieben wird, je maßloser sie wird, um so mehr werden die Menschen unter ihr leiden, um so furchtbarer wird das Meer von Blut und Tränen anschwellen. Es wird sich zeigen, daß es nur einen großen Peiniger der Menschheit gibt, nämlich die Sünde, und dass sie diesem Peiniger preisgegeben ist nach dem Gesetze der Gerechtigkeit.

Die Weltgeschichte wird ein Kampf sein zwischen der Sünde und der Gerechtigkeit, zwischen der wachsenden Schuld und der anwachsenden Verdammnis, so dass  selbst die Glaubenden und die Liebenden irre werden und fragen möchten, ob noch ein Gott ist, ob Gott denn wirklich das Erbarmen ist, ob Gott tatsächlich uns erlöst hat. Das werden die Menschen fragen. Die Sünde wirkt sich aus an den Menschen, unerbittlich, wie es sein muss, und niemand scheint da zu sein, der ihr Einhalt gebietet. Die Gerechtigkeit, nach der jede Sünde ganz von selbst zu einer Hölle werden muss, diese Gerechtigkeit wird jetzt wahr.

Und das Gericht, das Gott über die Sünde und den Sünder fällt, wird vollstreckt. In den Tiefen der Ewigkeit ist es seit dem Engelsturz immer schon gesprochen worden: „Der Fürst dieser Welt ist schon gerichtet.“ Alles, was Sünde ist, alles, was nicht Geist Christi ist, das ist Torheit, Qual und Untergang, das ist Finsternis und Vernichtung. Und auf der anderen Seite: Nur die Liebe, die Reinheit, die Güte, die Wahrheit, nur Gott und sein Geist sind Licht und Leben. So heißt der Urteilsspruch Gottes. Aber die Welt in ihrer Sünde will dieses Urteil nicht wahrhaben. Sie lehnt sich dagegen auf. Sie wehrt sich, während sie zum Richtplatz geführt wird. Sie will zeigen, dass sie doch etwas ist, doch etwas kann. Der Fürst dieser Welt führt einen verzweifelten Kampf, damit das Urteil an ihm nicht sichtbar wird. Er setzt sich zur Wehr, er will zeigen, dass er einen Thron besitzt und dass er Gott Trotz bieten kann. Aber das Gericht wird doch vollstreckt. Der Fürst dieser Welt ist zum Untergang verurteilt und wird gestürzt; er wird in den Pfuhl der Hölle zurückgeworfen. Es gibt ein Gericht, und dieses Gericht ist bereits ergangen. Sein Spruch wird auch vollstreckt in den Katastrophen und Schlägen in Natur und Geschichte. Denn der Herr des Gerichtes ist auch der Herr der Natur und der Geschichte. Seine richterliche Gewalt geht über Land und Luft und Meer. Er ist der Herr der Vulkane und der Erdbeben. Gott richtet auch in den wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenbrüchen. Das ist sein Sprache. Er läßt die Menschen spüren, was sie angerichtet haben auf dieser Welt. Das ist sein Gericht.

So wird die Weltgeschichte eine steigende Flut von Sünde, Leid und Gewalt sein. Und je mehr der Geist Gottes eindringen und sich durchsetzen will, um so drohender steigt auch die Finsternis des Ungeistes gegen ihn an. Die Gegensätze werden sich emporschaukeln. Je gigantischer der Widerstreit der Sünde ist, um so deutlicher wird die Kraft des Geistes sich zeigen. Und inmitten dieser Wirrsale stehen die Jünger bangend, angstvoll. mutlos, verlassen. Sie sehen ihren Meister nicht mehr, sie hören seine Stimme nicht mehr, sie blicken nicht mehr in seine Augen. Sie werden beben unter den Donnerschlägen in Natur, Geschichte und Herzensgeschichte.

Sie stehen aber nicht allein, meine lieben Freunde. Sie stehen nicht allein. Sie sehen zwar den Meister nicht, sie spüren zwar seine Hände nicht und sie hören auch das Wort nicht mehr: „Fürchtet euch nicht!“ Aber der Geist, den der Vater zu ihnen sendet, der ist bei ihnen, und er ist ein Geist der Kraft. „Ich hätte euch noch vieles zu sagen, aber ihr könnt es jetzt noch nicht ertragen.“ Der Geist wird ihnen alles zur rechten Zeit sagen, nämlich dann, wenn sie es tragen können.

Dieses Wort ist abgrundtief, meine lieben Freunde. Unsere ganze Kraft, die wir brauchen, ist eine Tragkraft. Man muss tragen können. Das ist alles: tragen, tragen, ertragen. Wie ein Lasttier, das trägt, ohne seine Last abzuwerfen, ohne zu ermüden, ohne zu zerbrechen. Wir können nicht an jedem Tag und zu jeder Stunde alles ertragen. Jesus weiß, dass es Zeiten gibt, in denen eine Erkenntnis, ein Ereignis, eine Aufgabe über unsere Kraft geht. Das Wirken Gottes, die eigenen Taten, die Aufgabe, die uns gestellt ist, nicht zu jeder Zeit können wir sie bewältigen. Aber siehe da, es gibt eine göttliche Führung. Gott legt uns keine untragbaren Dinge auf. Was er uns auferlegt, das können wir tragen. Das weiß der göttliche Führer, und danach bemißt er die Last eines jeden Tages.

Auch die Kirche kann nicht zu jeder Zeit alles tragen. Es gibt äußere Hemmnisse, Heimsuchungen, Verfolgungen, die nur von einem Geschlecht von Katakombenchristen getragen werden können. Es gibt innere Ärgernisse, Abfall, Verrat, Erkaltung der Liebe, Abfall der Massen, Verfalls- und Zersetzungserscheinungen in der Kirche, die nur getragen werden können, wenn zu gleicher Zeit glühende Menschen aufstehen, Heilige von unerhörter Lauterkeit, Opferkraft und Tatkraft. Vielleicht gibt es einmal Zeiten, wo Zweifel und ein allgemeines Irrewerden wie eine Abenddämmerung vor ewiger Nacht über die Christen kommen, Zeiten, so furchtbar, dass wir sie uns auch nicht einmal ahnend vorstellen können, Zeiten, in denen auch die Auserwählten abfallen würden, wenn sie nicht getragen werden könnten von unerhörten Gnadengaben, die Gott eben denen gibt, die er mit Sicherheit zum Heil führen will.

Der Geist, den Christus verheißt, ist sodann ein Geist der Weisheit, ein Geist, der den Jüngern beisteht. „Er wird euch das Zukünftige verkünden.“ Das heißt, er wird ihren Blick über die Enge des Augenblicks hinausheben. Er wird ihnen eine große Weite des Glaubens und des Arbeitens geben; wenn sie auch für den Augenblick zu unterliegen scheinen, wissen sie doch, dass ihnen die Jahrtausende, ja dass ihnen die Ewigkeit gehört. Der Geist wird Menschen schaffen, die nicht kleinliche Opportunisten, Anpasser, Kopfnicker, schwankende Rohre sind, sondern Menschen, die nicht mehr bloß nach den Rücksichten des Tages denken, sondern mit dem Grundsatz leben: „Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit.“ Alles, was göttlich ist, was Gerechtigkeit ist, was Heiligkeit ist, alles, was Güte und Reinheit und Tapferkeit ist, das bleibt ewig, das siegt ewig, auch wenn es für den Augenblick verdreht wird.

Ich bin alles andere als ein Optimist, meine lieben Freunde. Aber ich vertraue auf Gottes Treue. Und deswegen sage ich: So, wie es heute in der Kirche aussieht, wird es nicht bleiben. Auf jeden Niedergang folgt ein Aufstieg, auf jeden Zusammenbruch ein neuer Aufbau. Daran ist kein Zweifel möglich. Freilich muss man dazu sagen: Das alles wird kommen, aber wann und nach welchen Verlusten? Wir wissen nicht, wann Gottes Stunde schlägt. Wir müssen nur aushalten, durchhalten, standhalten. Nicht aufgeben. Die Uhren Gottes schlagen anders als die der Menschen. Es ist das herrliche Los der Kirche, nur von Gott gestützt zu sein. Nero und Diokletian sind gestorben, Petrus stirbt nicht!

Amen.

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