Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
8. November 2009

Die Prägung des Lebens durch die Religion

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Ein Mensch, der religiös ist, ist es am Morgen, am Mittag, am Abend und in der Nacht; denn seine Religion ist ein Charakteristikum seiner Persönlichkeit, eine Form, die ihn prägt, die ihn innerlich durchseelt. Man sieht Gott in allem, und alles wird in Gott geschaut. Religion und Leben stehen nicht unverbunden nebeneinander. Die Religion will das Leben gestalten, sie will das Leben prägen, sie will das Leben durchseelen. Der Mensch ist erst vollendet, wenn er religiös ist, und die Religion ist erst vollendet, wenn sie das Leben durchherrscht.

Andere Weltsichten vermögen das Leben nicht zu bestimmen. Die Lebensmittelchemie oder die Radiotechnik bleiben äußerlich, sie beschäftigen den Verstand. Die Religion nimmt nicht nur den Verstand in Besitz, sondern auch den Willen und das Gemüt. Sie schlägt den ganzen Menschen in ihren Bann. Und sie hat keine Ruhe, bis sie nicht alle seine Äußerungen durchwirkt hat. Ich meine, es sind vier Eigenschaften, die wir als religiöse Menschen an uns tragen müssen: Wir müssen ganz gläubig, ganz treu, ganz froh und ganz gütig werden.

Ganz gläubig. Nicht halbgläubig, nicht viertelgläubig, nicht gläubig mit Auslassungen, kein Auswahlchristentum, ganz gläubig müssen wir sein, d.h. Gott muss der Zentralgedanke unseres Lebens und unseres Denkens sein. Und die ganze Wahrheit, die er seiner Kirche anvertraut hat, muss uns zum Besitz geworden sein. Es gibt unter den Glaubenslehren, welche die Kirche vorlegt, keine, die überflüssig, die unnütz wäre, die man von sich fernhalten könnte. Alle haben ihre Stelle in unserem Leben, alle dienen dazu, unser Leben zu durchwirken. Ganz gläubig sein heißt Gott als den Herrn anerkennen. Alle Götzen müssen von uns fernbleiben. Gewiß, in unserem Land stehen keine Götzentempel mehr wie bei den alten Germanen. Aber es stehen noch viele Götzentempel in den Herzen der Menschen. Wer einen Gegenstand, einen Menschen, eine Leidenschaft so verehrt, wie man nur Gott verehren kann, ist ein Götzendiener. Der heilige Paulus sagt, dass die Habsucht ein Götzendienst ist. Um wie viel mehr noch andere Leidenschaften. Wir müssen also prüfen, ob wir in unserem Herzen noch Götzenaltäre aufgerichtet haben, und zwar ist der häufigste Götzenaltar derjenige, den man der eigenen Person errichtet. Daneben aber stehen viele andere Götzenaltäre unter den Menschen. „Tötet das irdische Gelüste eurer Glieder“, sagt der heilige Paulus im Kolosserbrief, „Unzucht, Unkeuschheit, Leidenschaft, böses Begehren und Habsucht, die Götzendienst ist. Um solcher Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams.“ Ganz gläubig müssen wir sein, wenn die Religion der innerste Besitz unseres Herzens geworden ist.

Ganz treu müssen wir sein. Es gibt so viele Verführungen zur Untreue. Satan ruht nicht, bis er uns von Gott abgebracht hat. Erst wird der Mensch lau, und dann fällt er ganz ab. Heute heißt untreu werden sich mit dem falschen Ökumenismus einlassen. Meine lieben Freunde, wir haben Ehrfurcht vor allen, die einen anderen Glauben haben, aber wir dürfen unseren Glauben nicht auf dem Altare einer scheinbaren Gemeinschaft opfern. Ich fürchte, dass der Ökumenismus die Schmierseife ist auf der Rutschbahn des Abfalls von unserer Kirche! Wir müssen an manchen Wegkreuzungen vorbei, und hier ruft uns jedesmal Gott zur Entscheidung, dass wir treu sind unserem Herrn und Heiland, der ja nicht nur der „liebe Jesus“ ist, sondern auch der Weltenherrscher und der Weltenrichter, der Christuskönig; ein solcher gewaltiger Herrscher verlangt unbedingte und unentwegte Gefolgschaft.

Die Älteren von uns können sich vielleicht noch erinnern, wie in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Mexiko eine riesige Christenverfolgung tobte. Der Staat, der von Freimaurern, Sozialisten und Liberalen beherrscht war, verfolgte die katholische Kirche grausam. Da wurden eines Tages zwei Brüder festgenommen. Man suchte sie zu erpressen. Sie sollten angeben, wo sich ihre beiden Priesterbrüder versteckt hielten. Sie weigerten sich, das Versteck anzugeben. Sie sagten kein Wort. Um Mittenacht führte man sie zur Hinrichtung. Einer von ihnen erbat sich eine Kerze. Da nahm er die Kerze, riß sich das Hemd auf und wies auf sein Herz und sagte: „Hier ist das Herz, das bereit ist, für seinen Gott und Heiland zu sterben.“ Um 2 Uhr nachts wurden sie erschossen. Das ist Treue. Wir beweisen, dass wir an Gott glauben, wenn wir ihm treu sind, treu sind bis zum Ende. In der Offenbarung des Johannes heißt es: „Sei getreu bis in den Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben.“ Ganz treu müssen wir sein.

Ganz froh müssen wir sein, denn das Christentum ist eine Religion der Freude. Suangelion heißt ja Frohbotschaft, Freudenbotschaft, Heilsbotschaft. Die Verkündigung des Glaubens will uns froh machen, froh machen, dass ein Vater im Himmel über uns wacht. „Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“, heißt es in der Ode an die Freude von Friedrich Schiller, die Beethoven vertont hat. „Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“ Das ist ein Grund, der tiefste Grund unserer Freude, dass wir Kinder des himmlischen Vaters sind, dass er unser Geschick in seinen Händen hält und dass wir ihm vertrauen dürfen. Vor allem müssen wir auch daran denken, dass dieser Vater uns eine Heimstatt bereitet hat. Er will uns bei sich haben, doch in einer ganz anderen Weise als hier auf Erden, wo Gott mit der Gnade und mit der heiligen Kommunion bei uns ist. Er hat uns eine Heimstatt bereitet. Es geht weiter, das Leben hört nicht auf, wenn der Leib zerfällt. Wir kehren heim, wir kehren heim zu Gott, und dieser Gedanke soll uns tröstlich sein. Wir sind ja keine Verbannten, die nach Sibirien geführt werden, sondern wir gehen ins Vaterhaus.

Im Amphitheater von Pergamon wurde der Bischof Carpus an einen Pfahl gebunden und zum Feuertode verurteilt. Als er an dem Pfahle festgebunden war, da lächelte er. Da lächelte er! Die Umstehenden fragten ihn: „Warum lächelst du?“ Carlus antwortete: „Ich sah die Herrlichkeit des Herrn und freute mich.“ Auch wir müssen diese Freude in uns tragen. Eine Frömmigkeit, die niemals heiter sein kann, ist keine rechte Frömmigkeit. Wir wissen, welche Gefahren, welche Bedrohungen uns jeden Tag begegnen. Wir wissen, wie viel Unglück über uns kommen kann oder vielleicht schon gekommen ist. Und nicht jeder Mensch ist von Natur aus heiter. Mancher neigt zum Pessimismus, zur Depression, zu Ängsten. Man kann eine solche Naturanlage schlecht überwinden, aber man kann sich mit Gleichmut und Gefaßtheit darüber hinwegsetzen. Gleichmütig bleiben auch im Unglück, gefaßt sein auch in Gefahr! És ist schon viel, wenn man durch Beherrschung zu einer gewissen Gelassenheit gelangt ist und so den Menschen ein Beispiel gibt, dass sie in Unglück und Gefahren nicht zu verzweifeln brauchen. „Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“

Ganz gütig müssen wir sein. Die Religion muss ausstrahlen auf die Menschen. Es ist ganz falsch, wenn jemand meint: Ich will nur Gott gefallen. Nein, wir müssen auch nach Möglichkeit den Menschen sympathisch sein. Die Religion soll uns Gott angenehm machen, aber möglichst auch, soweit es an uns liegt, den Menschen. Der Dienst am Nebenmenschen ist der Religion wesentlich. Religion ohne Menschenliebe ist keine Religion. Diejenigen, die ernst machen mit dieser Güte, werden frohe Menschen, denn das Gute, das wir anderen tun, strahlt auf uns zurück. Das Wohlwollen, das wir anderen erweisen, wird uns in irgendeiner Weise erwidert. Je mehr ein Mensch sich verschenkt, um so reicher wird er von Gott belohnt. „Wenn die Gottlosen euch fragen: Wo ist Gott?, dann sagt ihnen: Hier, und tut eine gute Tat“, hat Franz Herweg einmal geschrieben. Die meisten Menschen zerbrechen erst dann an Gott, wenn sie an den Mitmenschen zerbrochen sind. Und wenn sie an Gott wieder glauben sollen, müssen sie erst an die Menschen wieder glauben lernen. Viele müssen zuerst den Glauben an die Menschen wiederfinden, bevor sie den Heimweg zu Gott wieder finden. Also, ganz gütig müssen wir sein, barmherzige Liebe erweisen, Wohlwollen auch gegenüber denen, die uns nicht wohl wollen, geduldig auch mit denen, die nicht geduldig mit uns sind. Unser Herz muss offen sein für das Leid und den Kummer der Mitmenschen. Soviel wir auch zu tragen haben, wir dürfen nicht gleichgültig sein gegen das Unglück und die Not von Angehörigen, Nachbarn und Bekannten. Wir können sie trösten und aufrichten. Schon wenn wir sie anhören, ist es für viele Menschen ein Trost. Wir können ihnen ein Zeichen der Zuneigung und der Liebe schenken.

Wie können wir das alles erreichen, ganz gläubig, ganz treu, ganz froh und ganz gütig zu sein? Wie können wir das erreichen? Indem wir uns erinnern, dass Christus uns gegenwärtig ist. Seine übermenschliche Persönlichkeit, seine überirdische Größe, sein unendlicher Reichtum sind uns nahe. Wenn wir wahren Glauben besitzen, erinnern wir uns daran, dass wir Jesus in uns haben. Wir sind Christusträger geworden durch die heiligmachende Gnade, durch die heilige Kommunion. Wenn unsere Religion wirksam werden will, dann muss sie den Alltag durchdringen, unser Denken, unser Wollen, unser Handeln beherrschen. Der treu durchlebte Alltag ist die Probe auf die Echtheit der Religion. Ein Mensch kann nicht in Wahrheit eine Stunde religiös und die andere nicht religiös sein. Wir könnten ebensogut sagen. Er ist eine Stunde gesund und die andere Stunde krank. Nein. Gott mit der Zunge verherrlichen kann man nicht immer, aber mit dem Leben verherrlichen, das kann man immer. Des Katholiken charakteristisches Zeichen soll sein, dass er die Religion lebt, nicht dass er von ihr spricht. Wenn wir Gott in das Leben tragen, dann trägt uns das Leben zu Gott. Darum erinnern wir uns an die Mahnung der Apokalypse: „Halte fest, was du hast, damit niemand dir deine Krone raube!“

Amen.

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