Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
3. Dezember 2006

Opfer und Leid im Leben des Christen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unser Herr Jesus Christus hat mit Arbeit und Gebet, mit der Arbeit im Haus von Nazareth und mit der öffentlichen Tätigkeit sein Leben verbracht. Er ist das große Vorbild treuer Pflichterfüllung in Gebet und in Arbeit. Aber sein höchstes Werk vollbrachte er in dem Kreuzestod. Auf Golgotha hat er die Welt erlöst. „Wir preisen dich, Herr Jesus Christus, und benedeien dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.“ Unser Vorbild Christus zeigt uns, wie wir ihm nachgehen sollen in Gebet und Arbeit, in treuem Gebet und in treuer Arbeit, aber auch im Opfer.

So wie Christus am meisten sich vollendet hat in der Zeit des Opfers, so ist es auch beim Christen. Im frei gewählten Opfer oder in dem uns von Gott auferlegten Opfer werden wir Christus am ähnlichsten. Zum rechten Christenleben gehört der Opfergeist und das Opferbringen, also die Überwindung. Der Mensch ist von Jugend an zum Bösen geneigt. Das Gute kostet Gewaltanstrengung und Überwindung. Nur in dauerndem Kampf kann die Tugend bestehen und wachsen. Im Buch von der Nachfolge Christi steht der gewichtige Satz: „Soviel wirst du im Guten voranschreiten, als du dir selbst Gewalt antust.“ Wir sprechen von Überwindung, Selbstverleugnung, Entsagung, Abtötung. Diese Worte wollen alle dasselbe sagen. Wir müssen immer wieder  an uns selbst arbeiten; wir müssen uns unter die Zügel des Geistes beugen. Wir müssen das Gefährliche in uns zurückdrängen, und das nennt man eben Abtötung, Überwindung, Entsagung.

Das gilt zuerst für die äußeren Sinne. Auge und Ohr, Geschmack und Gefühl müssen ständig überwacht und beherrscht werden. Für so manchen ist das Auge zum Einfallstor der Sünde geworden. Als der König David auf einem Nachbarhause die Frau des Urias im Bade beobachtete, da erwachte seine Leidenschaft, und er nahm sich die Frau und ließ ihren Mann an einer gefährlichen Stelle der Front umbringen. Auge und Ohr, Geschmack und Gefühl müssen beherrscht werden.

Dazu aber muss auch das Innere gezügelt werden, die Phantasie; denn die Phantasie ist die Einbruchsstelle der Sünde in unsere Seele. Jede Sünde beginnt mit der Vorstellung, zur Vorstellung kommt das Wohlgefallen, zum Wohlgefallen das Begehren, zum Begehren der Entschluß, und der Entschluß mündet in die Tat. Deswegen muss der Christ zu den Opfern, die ihm sein Beruf und seine Lebensverhältnisse aufzwingen, auch freiwillige Opfer, freiwillige Entsagungen bringen, damit er Herr im Hause seiner Seele bleibt und an sittlicher Kraft wächst. Der Apostel Paulus sagt von sich: „Ich züchtige meinen Leib und mache ihn untertan, damit ich nicht, nachdem ich anderen Herold geworden bin, selbst verworfen werde.“

Die Kirche weiß, dass der Mensch ohne Entsagung nicht bestehen und auf dem Wege des Guten bleiben kann. Deswegen hat sie ein regelmäßiges Opfergebot eingesetzt, nämlich das Fastengebot. In Zeiten, in denen die Kirche weniger nachgiebig war als heute, hat das Fastengebot einen großen Umfang gehabt. Da war zunächst einmal die große Fastenzeit von Aschermittwoch bis Karsamstag. Vierzig Tage lang durfte der Christ sich nur einmal täglich sättigen. Zu der großen Fastenzeit kamen die vier kleinen Fastenzeiten, nämlich an den Quatembertagen. Viermal im Jahre waren der Mittwoch, der Freitag und der Samstag Fasttage. Zu diesen beiden Zeiten kamen die Vigiltage. Fünf Tage, die als Vortage von großen Festen gehalten wurden, waren Fasttage. Vigil – Vortag – von Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt und Allerheiligen.

Beim Fasten unterscheidet die Kirche zwei Arten, das Abbruchsfasten und das Enthaltungsfasten. Das Enthaltungsfasten besteht darin, dass man auf Fleisch verzichtet, nicht weil das Fleisch böse ist, sondern weil wir die Enthaltung brauchen, um uns zu zügeln, um der Esslust eine Schranke zu setzen. Wer sich im Essen nicht beherrschen kann, der kann sich gewöhnlich auch auf anderen Gebieten nicht beherrschen. Deswegen hat die Kirche das Freitagsgebot eingeführt, Freitag deswegen, weil dieser Tag der Sterbetag unseres Herrn ist. Wir sollen da nicht nur an sein Leiden denken, wir sollen auch sein Leiden üben, und das geschieht eben durch die Enthaltung von Fleisch. Das ist ein wichtiges Kennzeichen des katholischen Christen.

Dazu kommt das Abbruchsfasten. Ich hatte eben die Zeiten genannt, die als Abbruchs-Fastenzeiten galten. Sie sind eine Erinnerung. Es ist fast unverständlich, dass die kirchlichen Autoritäten so nachgiebig sind, dass sie all diese gewichtigen und unerlässlichen Übungen haben fallen lassen. Wir haben heute nur noch zwei volle Fasttage, nämlich Aschermittwoch und Karfreitag. Das Freitagsfasten ist entfallen, jeder kann es halten, wie er will. Er kann Fleisch essen oder nicht. Er soll irgend ein Opfer bringen. Ja, was bringt er denn für ein Opfer, wenn er nicht einmal vom Fleisch sich enthalten kann? Ich halte diese Entwicklung für bedenklich. Wir sollten in dieser Lage das, was uns an Führung fehlt, durch eigene Überlegung und durch eigene Anstrengung wettzumachen versuchen. Abbruchsfasten und Enthaltungsfasten sollten uns stetige und liebe Gewohnheiten sein, denn wir können nicht anders bestehen, als dass wir uns durch Überwindung im Guten üben. „Durch das Fasten des Leibes“, so heißt es in der Präfation, „unterdrückst du die Sünde, erhebst du den Geist, spendest Tugendkraft und Lohn.“ Das sind die Wirkungen des Fastens: Unterdrückung der Sünde, Erhebung des Geistes, Gewinn an Tugendkraft und an Verdienst.

Jeder weiß es aus eigener Erfahrung, wenn man sich selbst weh tun muss, macht man es gnädig. Der Mensch schont sich. Er will sich nicht weh tun, er wehrt sich dagegen wegen seiner schwachen Natur. Und deswegen muss Gott eingreifen. Er muss den Meißel und den Hammer in die Hand nehmen, um das Bild, das er an uns sehen will, herauszuarbeiten. Er muss uns Leid und Kreuz schicken. Jawohl, meine lieben Freunde, die Leiden unseres Lebens haben nicht nur in der Unvollkommenheit der Dinge, in der Begrenztheit der Geschöpfe ihre Ursache, nein, sie kommen von Gott. „Trifft dich ein Schmerz, so halte still und frag dich, was er von dir will. Der liebe Gott, er schickt dir keinen nur darum, dass du solltest weinen.“ Das Leid hat einen Sinn.

Der erste ist darin gelegen, dass es uns läutern soll. Wir sollen durch das Leid von unseren Schwächen gereinigt werden. Vielleicht sind wir lange Zeit irre gegangen, haben uns in Sünde und Stolz von Gott entfernt, dann trifft uns ein Schmerz und führt uns mit starker Hand zu ihm zurück. Oder wir haben uns leichtsinnig an gefährliche Dinge hingegeben, wir waren am Rande eines Abgrundes, da lässt Gott ein Unglück, eine Trauer, einen Schmerz über uns kommen und reißt uns zurück vom Abgrund. Oder wir haben zu sehr auf unsere eigene Kraft gebaut, auf unser Können, auf unsere Leistungen, da legt uns eine Krankheit aufs Schmerzenslager und zeigt uns, es geht auch ohne uns, und wir finden so in Demut die rechte Einschätzung wieder. Oder schließlich wir meinten, ganz auf Gott zu stehen und waren doch auf irgendeinen Menschen oder auf irdische Dinge gestützt. Jetzt entzieht uns Gott diesen Menschen und diese Dinge und wirft uns ganz auf sich zurück. So wird im Feuerofen des Leides die Seele von den Schlacken gereinigt und geläutert.

Der zweite Sinn des Leides ist die Prüfung. Gott will, dass der Mensch sich bewährt, dass er zeigt: Ich halte zu meinem Gott, auch wenn er mich schlägt. Im Buche Tobias steht der nachdenklich machende Satz: „Weil du angenehm warst vor Gott, musste die Prüfung dich bewähren.“ Wir hören ganz richtig. Nicht weil er unangenehm war, sondern weil er angenehm war vor Gott, weil er Gott gefiel, musste die Prüfung ihn bewähren. Und das gilt auch für uns. Wen Gott lieb hat, den züchtigt er. Nicht umsonst haben die großen Heiligen allesamt und ohne Ausnahme unter Leiden sich beugen müssen. Sie sollten eben einen Glauben haben, der auch in Heimsuchungen nicht wankt, eine Hoffnung, die trotz Enttäuschungen nicht verzagt, und eine Liebe, die die Hand Gottes küsst, auch wenn diese Hand schlägt. Weil du angenehm warst vor Gott, musste die Prüfung dich bewähren.

Der dritte Grund für das Leid ist Sühne. In der Sünde verfallen wir ja der Lust, geben uns der verbotenen Lust hin, und dafür muss ein Ersatz geleistet werden, ein Gegengewicht, und das ist eben der Schmerz, die Sühne, das Leid, das über uns kommt. Für die Sünde hat Christus sich zermartern lassen, er hat unsere Sünden getragen an seinem heiligen Leibe, und seine Seele war zerrissen in Angst und Bangen wegen unserer Missetaten. Um unserer Schuld willen liegt die Züchtigung Gottes auf ihm. Und so ist auch unser Leiden Sühne, Sühne für unsere Sünden, für die zahllosen Sünden unseres Lebens. Wir müssen durch die Leiden, die wir ertragen, Sühne leisten für das, was wir angestellt haben in unserem Leben.

Der vierte Sinn des Leides liegt darin, dass er zur Heiligung der Welt beiträgt. Durch sein Leiden hat Christus die Welt erlöst. Und wer sein Leiden mit dem Leiden Christi verbindet, der trägt bei zur Erlösung der Welt. Der Herr hat es so bestimmt, dass wir durch Leiden mithelfen dürfen, die Welt zu erlösen. Mein kleines Leiden darf mithelfen an der Rettung der Welt. Kein anderer als Paulus bestätigt diese Sicht des Leides, wenn er sagt: „Ich ergänze an meinem Fleische, was von den Leiden Christi noch aussteht.“ Es stehen also Leiden Christi noch aus, nämlich die Leiden, die er uns schickt, die er über uns verhängt und die wir mit ihm tragen sollen. „Mit Christus bin ich ans Kreuz geheftet“, sagt Paulus. Und das soll auch der Sinn unseres Leides sein: mit Christus am Kreuze die Welt erlösen.

Der fünfte Sinn des Leides liegt darin, dass es die Liebe Gottes uns zeigen will und die Liebe in uns wecken soll. Jawohl, Gott zeigt seine Liebe, indem er uns leiden lässt. Diejenigen, die er aufgegeben hat, brauchen nicht zu leiden. Aber diejenigen, die er heimholen will, die er gewinnen will, an denen ihm etwas liegt, die lässt er mit Leiden zu ihm hingerufen werden. Sie sollen diese Leiden so aufnehmen, dass die Liebe in ihrem Herzen aufsteht. Hier kann die Seele tatsächlich bis zum höchsten Gipfel emporsteigen und sich als Ganzopfer der Liebe darbringen.

Das ist der fünffache Sinn des Leidens, meine lieben Freunde, den wir uns, zumal in dieser Adventszeit, vor Augen führen sollen. Der heilige Konrad von Parzham wird oft dargestellt mit einem Kreuz in der Hand, denn er hat oft das Kreuz als sein Buch bezeichnet. Aus dem Kreuze hat er gelesen, was Gott von ihm will, was Gott von ihm erwartet. Und das Kreuz sollte auch für uns die Leidensschule und die Leidenslehre sein. Es sollte uns vor allem lehren, das Leiden geduldig zu tragen. Eine schöne Legende erzählt, wie einem Christen das Kreuz, das er seinem Heiland nachtragen sollte, zu schwer wurde. Er bat den Heiland, er möge doch gestatten, dass er es absäge, dass er es kürzer mache, um nicht so schwer tragen zu müssen. Der Heiland riet ihm ab. Aber der Leidträger sägte ein Stück ab, und als es immer noch zu schwer war, noch ein weiteres Stück. Dann kamen er und der Heiland an eine Felsspalte. Der Herr legte sein Kreuz darüber und schritt über die Felsspalte. Aber der Leidträger erkannte, dass sein Kreuz zu kurz war. Es reichte nicht, die Felsspalte zu überbrücken. Aus dieser Legende – es ist eine Legende, aber eine richtige und schöne Legende – können wir lernen: Das Kreuz, das Gott uns zugerichtet hat, ist so recht für uns. Es passt für uns. Es ist das, was er für uns ausgedacht hat in seiner Liebe. Und deswegen sollen wir es geduldig hinnehmen und tragen. Wir dürfen mit dem Herrn bitten: Laß den Kelch vorübergehen, aber wir sollen hinzufügen: wenn es möglich ist. Laß den Kelch vorübergehen, aber nicht mein Wille geschehe, sondern der deine.

Eine noch höhere Stufe erreicht, wer das Kreuz nicht nur geduldig, sondern auch freudig trägt. Die Heiligen haben das vermocht. Als die Apostel vom Hohen Rat gegeißelt wurden, da gingen sie mit Freude hinweg, mit Freude, weil sie gewürdigt worden waren, für Jesus Schmach zu leiden. Und der Apostel Paulus schreibt im 2. Korintherbrief: „Ich bin übervoll mit Freude bei all unserer Trübsal.“

Meine lieben Freunde, keinem von uns wird das Leid, wird das Kreuz erspart bleiben. Jeder von uns muss den Weg des Kreuzes gehen. Aber denken wir immer daran, was dieser Weg wert ist. „Im Kreuz“, so sagt das Buch von der Nachfolge Christi, das ich jeden Tag in die Hand nehme, „ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Schutz vor dem Feinde. Im Kreuz ist Einströmen himmlischer Süßigkeit, im Kreuz Kraft des Herzens, im Kreuz Freude des Geistes, im Kreuz der Höhepunkt der Tugend, im Kreuz die Vollendung der Heiligkeit. Nimm also dein Kreuz und folge Jesus, und du bist auf dem Weg zum ewigen Leben.“

Amen.

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