Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Oktober 1995

Im Kreuz ist Heil

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Erkennungs- und Bekenntniszeichen des Christen ist das Kreuz. Mit dem Kreuz wurde der Täufling bezeichnet, als er das göttliche Leben der Gnade und die Gliedschaft in der Kirche empfing, im Zeichen des Kreuzes werden alle Sakramente gespendet, jedes Sakramentale wird mit Kreuzzeichen gefeiert, mit dem Zeichen des Kreuzes bezeichnen wir uns bei unseren Gebeten, das Zeichen des Kreuzes stellen wir in unsere Räume – das Zeichen des Kreuzes begleitet uns durch das ganze Leben.

Wir meinen mit dem Kreuze ein Dreifaches; einmal den Gegenstand, der aus einem Längs- und einem Querbalken besteht; dann aber und vor allem denjenigen, der an diesem Kreuz gehangen hat, den Gekreuzigten, unseren Herrn und Heiland Jesus Christus; und darüber hinaus sein heilbringendes Leiden, das am Kreuze seine Vollendung empfing. Also nicht nur der hölzerne Gegenstand, sondern vor allem der Gekreuzigte und sein fruchtbringendes Kreuzesleiden ist gemeint, wenn wir vom Kreuz sprechen.

Auf einem Feldkreuz habe ich vor wenigen Tagen den schönen Spruch gelesen: „Allüberall in der Natur siehst du des großen Gottes Spur. Doch willst du ihn noch größer sehn, so bleib an einem Kreuze stehn!“ Wahrhaftig, Gott ist groß und gewaltig in seiner Schöpfung, aber womöglich noch größer und gewaltiger ist er in dem Kreuzesgeschehen, im Opfertod seines Sohnes am Kreuze. Das Kreuz ist nämlich

1. Werkzeug des Heiles,

2. Lehrbuch des Lebens und

3. Unterpfand unserer Hoffnung.

Das Kreuz ist Werkzeug des Heiles. Wahrhaftig, Gott hat sich, um das Heil der Menschen zu bewirken, des Kreuzes, des Schand- und Marterpfahles der alten Welt, bedient. Wir knien vor dem Kreuze, oder besser vor dem, der am Kreuze gehangen hat, nieder und beten: Wir beten dich an, Herr, Jesus Christus, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die ganze Welt erlöst. Das gesamte Leben Jesu war von erlöserischer Qualität. Sein Reden, sein Wirken, seine Wunder, seine Ermüdung, sein Leiden, sein Heilen, alles war von erlöserischer Bedeutung; aber den Gipfel hat das erlöserische Wirken Jesu bestiegen nicht im Handeln, sondern im Leiden, im Leiden am Kreuze. Da hat er den Schuldschein, der gegen uns lautete, ans Kreuz geheftet und zerrissen. Da hat er, dem Willen des Vaters gehorsam, seinen heiligen Leib den Martern hingegeben. Am Kreuze und durch das Kreuz, durch das Leiden am Kreuze, sind wir erlöst worden. Das Kreuz ist das Werkzeug des Heiles, und deswegen ist es uns so lieb und so teuer. Wir wissen, um welchen teuren Preis wir erlöst worden sind, nämlich um den Preis des am Kreuze geopferten Christus. Wenn wir seine zerrissenen Glieder sehen, wenn wir aus der Seitenwunde Blut und Wasser herausströmen sehen, dann wissen wir, das war der Preis, den Christus für uns, das heißt an unserer Stelle und zu unseren Gunsten, bezahlt hat, damit wir nicht in unseren Sünden zugrundegehen. Das Kreuz ist das Werkzeug des Heiles. Nach Gottes unerforschlichem Willen sollte Christus nicht nur durch Predigen und durch Austreiben von bösen Geistern und auch nicht bloß durch gewaltige Wunder in der Natur und in den Seelen seine Tätigkeit durchführen, sondern er sollte durch sein heilbringendes Leiden uns den Himmel verdienen.

Das Kreuz ist aber auch zweitens Lehrbuch des Lebens. Wieso kann das Kreuz ein Lehrbuch sein? Über der Kirche des heiligen Konrad von Parzham in Altötting steht der Spruch, der Konrad zugeschrieben wird: „Das Kreuz ist mein Buch!“ Während andere in papierenen Schriften lesen, blickt Konrad auf das Kreuz, und da liest er. Wenn Sie einmal, meine lieben Freunde, in die Benediktinerabtei Metten kommen, dann empfehle ich Ihnen, gehen Sie in den Bibliothekssaal. An der Decke des Bibliothekssaales ist der Gekreuzigte zu sehen, umgeben von einer großen Schar von Heiligen. Jeder Heilige hat eine Schrift neben sich, die angibt, was er aus dem Kreuze herausgelesen hat. „Lego misericordiam“ – Ich lese aus dem Kreuze Erbarmen heraus. „Lego mansuetudinem“ – Ich lese aus dem Kreuz Sanftmut heraus. „Lego paupertatem“, sagt der heilige Franziskus – Ich lese aus dem Kreuze die Armut heraus. Die Heiligen haben verstanden, was das Kreuz uns sagen will, nämlich wie Gott ist und wie Christus ist. Wie Gott ist, nämlich er ist gerecht. Er verlangt Sühne für die Sünden. Er sieht nicht durch die Finger, wie die Menschen es tun, um sich beliebt zu machen, nein, er verlangt Sühne für die Sünden. Und weil der Mensch zu klein und zu erbärmlich ist, um sie zu leisten, läßt er die Sühne von seinem eigenen Sohne vollbringen. Gott ist aber gleichzeitig barmherzig. Er läßt den Menschen, der sich von ihm getrennt hat, der den Aufstand gegen ihn geprobt hat, nicht zugrunde gehen. Er sendet einen Erlöser, angekündigt im Proto-Evangelium schon in uralter Zeit und weiter durch alle Propheten, bis diese Prophezeiungen erfüllt wurden in Christus Jesus, unserem Herrn.

Alles das kann man aus dem Kreuz herauslesen: wie Gott ist und wie Christus ist. Und wie ist denn Christus? „Er ist gehorsam geworden bis zum Tode.“ Deswegen „lego oboedientiam“ – Ich lese aus dem Kreuze den Gehorsam heraus, Gehorsam gegen den Willen des Vaters, auch wenn er mich in die Nacht des Todes und der Schmerzen hineinführt. Wir lesen aus dem Kreuze heraus, wie Christus ist; daß er sich der Menschen angenommen hat, daß er ihnen gedient hat, daß er sich für sie aufgeopfert hat bis zum letzten Atemzug und bis zum letzten Blutstropfen. Warum sagt denn der Evangelist: „Es floß Blut und Wasser heraus“ aus der Seitenwunde? Natürlich deswegen, um zu erklären: Es war nichts mehr drin. Es war alles aufgezehrt, es war alles ausgegeben, es war alles hingeopfert. Wahrhaftig, das Kreuz ist ein Lehrbuch des Lebens, und deswegen, meine lieben Freunde, müssen wir uns mit dem Kreuze beschäftigen, müssen wir es anschauen, müssen wir es lieben, müssen wir es befragen: Was sagt das Kreuz zu mir? Was predigt es mir? Was lese ich aus dem Kreuz heraus? Das Kreuz, Werkzeug des Heiles, Lehrbuch des Lebens und Unterpfand unserer Hoffnung.

„Ave crux, spes unica“ – Sei gegrüßt, heiliges Kreuz, einzige Hoffnung. Einzige Hoffnung! Dürfen wir auch auf anderes hoffen als auf das Kreuz, vielleicht auf unsere guten Werke, auf unsere reumütigen Beichten, auf unsere Verdienste, die wir gesammelt haben? Das alles muß sein, meine lieben Freunde, Wir sollen Verdienste sammeln für den Himmel, wir müssen Verdienste sammeln für den Himmel. Wir sollen gute Werke tun, wir müssen gute Werke tun. Wir sollen und müssen reumütig bekennen und beichten. Aber nicht darauf dürfen wir unsere Hoffnung auf Rettung im Gerichte setzen, sondern allein auf das Kreuz; allein auf das, was Gott in Christus Jesus am Kreuze zu unserem Heile getan hat. Das Kreuz ist das Unterpfand unserer Hoffnung.

Deswegen richten wir das Kreuz auf unseren Feldern, in unseren Gärten, an öffentlichen Wegen auf, damit Menschen erinnert werden, was Gott für uns getan hat, damit sie nicht verzweifeln. In den Krankenhäusern wird das Kreuz zu Füßen der Kranken aufgehängt; nicht am Kopfende, sondern zu Füßen, damit der Kranke es anschauen kann, damit er in seinen Leiden und Qualen, in seiner Not und in seiner Angst sich an das Kreuz klammern kann als Unterpfand der Hoffnung. Und wir geben das Kreuz den Sterbenden in die Hand, damit sie wissen: Das Kreuz verläßt uns nicht, der Gekreuzigte verläßt uns nicht. Der am Kreuz verblich, wird uns heimholen, wenn wir uns nur so fest wie möglich an ihn klammern.

Vor vielen Jahren habe ich einmal einen relativ jungen Priester versehen, ihm die Sterbesakramente gespendet. Die alte Mutter betreute ihn, war aber unverzagt. Sie stand – ähnlich wie Maria – mit Mut zu ihrem in Monaten dahinsiechenden Sohn, und sie hat ein Wort zu mir gesprochen, das ich nie vergessen habe: „Die durchbohrten Hände des Heilandes lassen meinen Sohn nicht fallen.“ Dieser Sohn, der an Krebs verbrannte, wurde von den durchbohrten Händen des Heilandes gehalten. Wahrhaftig, meine lieben Freunde, das Kreuz ist das Unterpfand unserer Hoffnung! Wenn der Feind uns bedrängt, wenn von allen Seiten die Versuchungen gegen uns anstürmen, wenn die Hoffnungslosigkeit uns überfallen will und Verzweiflung an uns zehrt, dann wollen wir uns an das Kreuz halten und sagen: „Die durchbohrten Hände des Heilandes lassen uns nicht fallen!“

Das Kreuz, Werkzeug des Heiles; das Kreuz, Lehrbuch des Lebens; das Kreuz, Unterpfand unserer Hoffnung. Wir wollen von neuem die Kreuzesliebe entdecken, die Liebe zum Kreuz und die Kraft vom Kreuze. Wir wollen dem Herrn sagen: „Gekreuzigter Herr Jesus Christus, erbarme dich unser und aller, die uns anvertraut sind, erbarme dich über unser armes, verirrtes Volk, erbarme dich über die Regenten und über die Richter, erbarme dich auch unser vor allem in unserer letzten Stunde!“

Amen.

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