Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. August 1996

Mit Leib und Seele aufgenommen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel Versammelte!

Seit dem 1. November 1950 bekennt ein jeder, der den stolzen Namen eines katholischen Christen trägt, die Glaubenswahrheit: Ich glaube, daß Maria nach ihrem seligen Heimgang mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden ist. Das Geheimnis des heutigen Festes vermittelt uns eine Wahrheit, eine Botschaft und eine Mahnung.

An erster Stelle wird uns heute eine Wahrheit verkündet. Wahrheit ist die Übereinstimmung einer Aussage mit der Wirklichkeit. Wenn wir also bekennen: Maria ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden, dann ist das kein bloßer Schall von Worten, sondern eine Wiedergabe der Wirklichkeit. Die Wahrheit von der Aufnahme Mariens in den Himmel ist nicht von geringerer Wirklichkeitsmächtigkeit als die Wahrheit, daß Jesus geboren wurde, gelitten hat, gestorben ist, auferstanden ist und in die Herrlichkeit des himmlischen Vaters aus eigener Kraft aufgefahren ist. Die Wahrheit von der Aufnahme Mariens in den Himmel ist genauso von Gott geoffenbart wie die zwölf Glaubensartikel unseres Credos. In der Wahrheit gibt es keinen Unterschied. Was wahr ist, kann nicht mehr oder weniger wahr sein. Es kann eine Wahrheit bedeutsamer sein als die andere, aber innerhalb der Wahrheit gibt es keinen Unterschied als den, geschieden zu sein vom Irrtum.

Wenn Protestanten davon sprechen, hier sei ein Mythos dogmatisiert worden, dann verwahren wir uns gegen diese unglaubliche Invektive. Hier ist nicht ein Mythos dogmatisiert worden, sondern hier ist etwas entfaltet worden, was von Anfang an in der Offenbarung Gottes angelegt war. Es ist nicht zu verwundern, daß diese Wahrheit erst im 20. Jahrhundert mit voller Gewißheit in das Bewußtsein der Kirche getreten ist. In den ersten Jahrhunderten war die Kirche damit beschäftigt, die Wirklichkeit Jesu zu klären. Es hat Jahrhunderte gebraucht, bis klar war, daß drei Personen in Gott sind mit gleicher Majestät, mit gleicher Fülle, mit gleicher Anbetungswürdigkeit. Es hat wiederum lange gedauert, bis die eine Person Jesu, die in zwei Naturen wirkt, von der Kirche mit aller Klarheit erkannt worden ist. Erst mußten die grundlegenden Wahrheiten gesichert sein, bis sich die Kirche in andere Wahrheitskeime versenken konnte und sie zur Entfaltung bringen konnte. Erst im Jahre 1439, im Decretum für die Armenier, hat die Kirche die Siebenzahl der Sakramente endgültig festgesetzt. So ist also die Wahrheit von der Aufnahme Mariens in den Himmel nicht deswegen geringerwertig, weil sie in späterer Zeit ins Bewußtsein der Kirche getreten ist; für die Wahrheit ist nicht das Alter, sondern ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit maßgebend. Wir können erst seit etwa hundert Jahren uns in die Lüfte erheben und Länder und Kontinente mit unseren Flugapparaten überbrücken. Aber deswegen ist die Wahrheit des Fliegenkönnens und sind die Wahrheiten der Auftriebskräfte, wie sie uns die Physik übermittelt, nicht weniger wahr, auch wenn sie erst in später Zeit erkannt worden sind.

Die Wahrheit ist auch kein Handelsobjekt. Man kann nicht sagen: Um mit den Protestanten zu einer Einigung zu kommen, müssen wir halt auf diese Wahrheit verzichten oder sie hintanstellen. Nein, meine lieben Freunde, die Wahrheit ist eine strenge Herrin: Entweder man beugt sich ihr, oder man lehnt sich gegen sie auf; verschweigen kann man sie nicht. Es ist deswegen gefährlich und verräterisch, wenn in den sogenannten ökumenischen Gesprächen die Wahrheiten über Maria völlig ausgeklammert werden. Kann man Maria, die Mutter des Herrn, in dieser Weise zurückstellen, um über andere Fragen eine angebliche Übereinstimmung zu finden? Wer die Wahrheit an einer Stelle preisgibt, der lehnt sich gegen den Gott der Wahrheit überhaupt auf.

Das heutige Fest vermittelt uns auch eine Botschaft. „Die Verkündigung über das ewige Leben in unserer Kirche ist matt geworden“, hat ganz richtig der Kardinal Ratzinger gesagt. Über das ewige Leben wird wenig gesprochen; über die ewige Verdammnis gar nicht und über die ewige Seligkeit wenig. Man richtet sich auf dieser Erde häuslich ein. Der nachkonziliare Katholik will das Leben genießen, hier auf Erden, und denkt wenig an die ewige Freude im Himmel. Wenn man vom ewigen Leben spricht, dann vielleicht noch von dem Weiterleben der Seele, aber kaum oder gar nicht von der Teilnahme des Leibes an der Herrlichkeit des Himmels. Da vermittelt uns das heutige Festgeheimnis eine Botschaft. Das Letzte ist nicht der Tod, das Letzte ist das Leben. Man hat ein gewisses Verständnis dafür, daß die Menschen von Lebensangst und Lebensverzweiflung erfüllt sind. Die Älteren von uns haben schließlich einen gewaltigen Krieg mit vielfältigem Tod und einer furchtbaren Niederlage erlebt, und wenn wir um uns schauen, sehen wir, wie da und dort, an vielen Stellen dieser Erde Bürgerkriege oder Auseinandersetzungen zwischen den Völkern toben. Lebensangst ergreift unsere jungen Menschen. No future, sagen sie, es gibt keine Zukunft; wir haben keine Aussicht; die Umwelt wird zerstört, die Arbeitslosigkeit breitet sich aus, sie ist kaum zu beheben. No future. Auf dieser Erde ist es schlimm, und ich bin überzeugt, daß es immer schlimmer wird. Aber das ist nicht das letzte Wort über die Menschheit. Solange diese Erde besteht, wird es Kampf und Krieg und Tod und Untergang geben; aber jenseits dieses Lebens, in einer anderen Welt, in einer Wirklichkeit, die Gott vorbehalten ist, da triumphiert das Leben, und diese Wahrheit kündet uns die Aufnahme Mariens in den Himmel. Es geht weiter nach dem Tode, zunächst für uns gewöhnliche Sterbliche nur mit der Seele, einst aber auch mit dem Leibe. Auch der Leib ist bestimmt, in die Herrlichkeit Gottes einzugehen. Maria ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden. Wir wissen nicht, an welchem Orte sich der Leib Mariens befindet. Irgendwo muß er ja sein, denn er kann nicht überall sein. Aber das ist kein Hindernis, an diese Wahrheit zu glauben. Gott wird wissen, wo er den Leib seiner seligen Mutter aufbewahren muß und wo ihn die Heere der Engel umstehen und die Seligen des Himmels. Maria kündet uns die Botschaft: Es gibt ein ewiges Leben, ein ewiges Leben nicht nur der Seele, sondern auch des verklärten Leibes. Des verklärten Leibes! Deswegen haben wir heute die Lesung aus dem Ersten Korintherbrief gehört. Denn dort versucht der Apostel Paulus den Unterschied zwischen dem irdischen und dem himmlischen Leibe den Menschen auseinanderzusetzen. „Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt wird in Unvergänglichkeit.“ Und er verweist darauf, daß es schon auf Erden verschiedenes Fleisch gibt; das Fleisch von den Fischen ist verschieden vom Fleisch der Vögel. Damit deutet er an: Das Irdische wird nicht zerstört, sondern verwandelt, und in der verwandelten, in der verklärten Form nimmt es am ewigen Leben der Seele teil.

Die heutige Festfeier ist schließlich eine Mahnung. Der heutige Mensch pendelt zwischen Leibesvergötzung und Leibesvernichtung hin und her. Die Leibesvergötzung ist uns allen offenkundig. Der menschliche Leib, das Genießen des Leibes, das Ausleben des Leibeslebens wird uns angepriesen von allen Kiosken und von allen Fernsehanstalten. Genuß des Fleisches innerhalb und außerhalb der Ehe, vor der Ehe, Genuß des leiblichen Lebens in den raffiniertesten Genüssen der Speisen und der Getränke, aufreizende Kleidung, die den Leib ungebührlich betont, das alles sind Zeichen der Leibesvergötzung. Der Leib soll zum Lustobjekt dienen, mit dem eigenen Geschlecht oder mit dem anderen Geschlecht. Soeben hat der Nobelpreisträger und anglikanische Erzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu, dazu aufgefordert, alle Ausgrenzungen von Homosexuellen und Lesben zu beenden. In der Schweiz ist Aids die Krankheit derer, die sich auf geschlechtlichem Gebiete naturwidrig verhalten, zur ersten Todesursache unter der Gruppe der 25- bis 44-Jährigen geworden. Der Genuß, der da gesucht wird, schlägt um in Zerstörung. Lebens- und Leibesvergötzung, Lebens- und Leibesvernichtung, das sind die beiden Pole, zwischen denen der Mensch hin und her pendelt. Wir lesen, daß in England Tausende von Embryonen, also kleinen, unentwickelten Menschen , vernichtet werden. Wir hören, daß eine Frau, die Zwillinge empfangen hat, eines von ihnen töten läßt mit einer Nadel. Wir hören, daß kleine Körper von Embryonen benutzt werden, um Kosmetikartikel herzustellen. Das ist die Leibesvernichtung; und der australische Professor Singer sagt: Ein Lebensrecht hat nur derjenige, der Bewußtsein hat und nicht behindert ist. Ja, was machen wir mit den anderen, die kein Bewußtsein haben und behindert sind? Man bringt sie um! Lebensvernichtung auf der ganzen Welt. Man rühmt sich in Deutschland, daß die Zahl der Abtreibungen um 6000 zurückgegangen sei. In Wirklichkeit ist die Dunkelziffer viel, viel höher, als die offizielle Statistik zeigt. Man muß nicht mit 110.000, sondern mit etwa 400.000 Abtreibungen in Deutschland rechnen.

In dieser Situation ruft uns die mit dem Leibe in den Himmel aufgenommene Jungfrau zu: Wehret der Lebens- und Leibesvergötzung, wehret der Lebens- und Leibesvernichtung! Nehmt euren Leib als eine Gabe Gottes an, schützt ihn und hütet ihn, benutzt ihn als ein Werkzeug der Seligen! Treibt eine gesunde, eine von Gott geordnete Leibespflege! Denkt daran, daß euer Leib bestimmt ist, einmal in die Seligkeit des Himmels aufgenommen zu werden! Das fromme Mittelalter, aber auch die Neuzeit hat eine Fülle von Bildern geschaffen, auf denen zu sehen ist, wie die Apostel das Mariengrab umstehen und Maria in den Himmel emporgehoben wird. Der Sohn nimmt sie auf in die himmlische Herrlichkeit. Das mag eine Legende sein, so wie es dort geschildert wird; es ist aber gar keine Frage, daß zu irgendeiner Zeit Maria in den Himmel aufgenommen worden ist, daß unsere Sehnsucht und unsere Bitten sie begleiten. Wir können sie in die Worte fassen, die der heilige Bernhard von Clairvaux einmal so ergreifend formuliert hat:

„Siehe, so gut wir konnten, haben wir Dich, Maria, mit unseren Wünschen bei Deiner Auffahrt zu Deinem Sohne begleitet und sind Dir wenigstens von ferne gefolgt, Du gebenedeite Jungfrau. Möge Deine Güte es bewirken, die Gnade, die Du bei Gott gefunden hast, aller Welt zu offenbaren. Erwirke durch Dein heiliges Gebet den Schuldigen Verzeihung, den Kranken Heilung, den Kleinmütigen Kraft, den Betrübten Trost, den Gefährdeten Hilfe und Rettung. Möge auch heute, an diesem Tage der Feier und Freude, Dein Sohn Jesus Christus, unser Herr, allen seinen Dienern, die den süßen Namen Mariens mit Lobpreis anrufen, durch Dich, milde Königin, seine Gnadengaben reichlich spenden, er, der als Gott gepriesen sei in alle Ewigkeit.“

Amen.

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