Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. November 1992

Teufel und Dämonen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Eine der größten deutschen Dichtungen ist die Tragödie „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe. Viele von uns haben diese Dichtung in der Schule gelesen, und wir haben uns aus diesem Werk manches Zitat gemerkt. Goethe hat den Stoff seiner Dichtung vorgefunden. Die Faust-Sage ist jahrhundertealt. Ihr Kern besteht darin: Ein Mensch, der von seinem bisherigen Dasein unbefriedigt ist, sucht ein höheres Dasein zu gewinnen. Er schließt einen Pakt, einen Vertrag mit dem Teufel. Der Teufel verheißt ihm übermenschliche Kraft, ein Leben in Genuß und Macht. Aber dafür verkauft Faust seine Seele an den Teufel, und nach Ablauf der festgesetzten Frist muß er sich dem Teufel überantworten.

Dieser Teufelspakt, dieser Bund mit dem Bösen ist das Kernstück jener Personen, die der Volksmund seit vielen hundert Jahren Hexen nennt. Hexen sind Menschen, die durch ein Bündnis mit den Dämonen übermenschliche Kräfte erstreben, um dadurch den Mitmenschen an Leib und Leben zu schaden. Die Hexen werden nach dem Volksaberglauben in einer „Sekte“ gesammelt. Die Hexen besitzen übermenschliche Fähigkeiten, sie können durch die Luft reiten, sie vermögen Bäumen, Pflanzen, Tieren und Menschen zu schaden. Sie können Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit beim Menschen bewirken. Sie leben in einem geschlechtlichen Verhältnis mit den Dämonen. Sie haben durch den Pakt mit den Dämonen eine Stellung gewonnen, die sie über andere Menschen erhebt, und sie versammeln sich zu gewissen Zeiten (Hexensabbat) an bestimmten Orten (etwa auf dem Harz, dem Blocksberg), um sich auszutauschen und eine wüste Orgie zu feiern.

Der Hexenaberglaube hat verschiedene Wurzeln. Er kommt sowohl im Osten vor, bei den orientalischen Völkern, als auch bei den Kelten und Germanen. Es scheint, daß der Hexenaberglaube so weit verbreitet ist, wie es überhaupt Menschen gibt. Die Kirche hat ihn jahrhundertelang bekämpft. Der heilige Chrysostomus zum Beispiel, Cäsarius von Arles, der heilige Papst Gregor VII. Er schrieb Ende des 11. Jahrhunderts an den König von Dänemark, man solle nicht glauben, daß Frauen der Natur befehlen, ihr Schaden zufügen können. Aber der Hexenaberglaube war nicht auszurotten.

In unserer Nähe hat der Bischof Burchard von Worms im Jahre 1022 in einem Buche gegen diesen Aberglauben Stellung genommen. Es sei unmöglich, so erklärte er, daß Menschen durch eigene Kraft in der Luft umherfahren könnten, es sei ausgeschlossen, daß es Geschlechtsverkehr mit den Dämonen gebe. Ebenso hat der Abt Regino von Prüm im Jahre 906 dagegen Stellung genommen. Aber noch einmal: Der Aberglaube war nicht auszurotten.

Nun wäre diese Verirrung Erscheinung des Hexenglaubens zu ertragen gewesen, wenn nicht zu dem Aberglauben die Hexenprozesse getreten wären. Etwa seit dem 13. bis 14. Jahrhundert hat man die Hexen – die angeblichen Hexen – vor Gericht gezogen.

Schon im Alten Testament wurden Zauberer, Totenbeschwörer und Wahrsager mit der Todesstrafe belegt, mit der Strafe der Steinigung. Und auch das römische Recht, also das Recht der römischen Republik, hat strenge Strafen – den Feuertod – gegen Zauberer angedroht, wenn dieser Zauber zum Schaden für Menschen führt. Deutsche Rechtsbücher haben das gleiche festgesetzt, wie der „Sachsenspiegel“ aus dem Jahre 1225 und der „Schwabenspiegel“ aus dem Jahre 1275. Diese beiden deutschen Rechtsbücher haben die Zauberei mit der Todesstrafe belegt, entweder deswegen, weil hier ein Delikt gegen den Glauben vorliegt – so der Sachsenspiegel –, oder darum, weil ein Teufelsbündnis eingegangen wurde –, so der Schwabenspiegel. Jetzt kam es zu der Verfolgung von angeblichen Hexen. Man hat sie vor Gericht gezogen, und da sie – verstockt, wie es schien – nichts gestanden, hat man sie der Folter unterworfen, und unter den Qualen der Folter haben diese Menschen Vergehen gestanden, die sie niemals verübt hatten. Sie haben das ausgesagt, was man von ihnen erwartete, was der Aberglaube erfunden hatte und wovon die Richter selbst überzeugt waren.

So kam es durch mehrere Jahrhunderte – natürlich immer wieder abschwellend und anschwellend, nachlassend oder zunehmend – zu Hexenprozessen. Sie wurden auch im Kurfürstentum Mainz geführt. Im allgemeinen muß man sagen, daß es bei den Hexenprozessen keinen Unterschied zwischen katholischen und protestantischen Gebieten gab. Luther war von der Existenz der Hexen genau so überzeugt wie viele Katholiken. Auch seine Mitreformatoren, z.B. Calvin, waren der Tatsache des Bündnisses mit Dämonen gewiß und haben dafür plädiert, daß solche Menschen dem „Brand“, also dem Feuertod, zu überliefern seien. So haben die Scheiterhaufen geflammt von Savoyen angefangen bis nach Skandinavien, auch in England und in Nordamerika. Es sind auf diese Weise viele Menschen umgekommen, Männer wie Frauen, allerdings mehr Frauen als Männer. Man rechnet mit etwa 80 % Frauen und nur 20 % Männern, die wegen Hexerei dem Tode überliefert wurden.

Kein Stand war ausgenommen. Es wurden nicht nur Personen aus niederen Ständen, nein, es wurden auch Angehörige höherer Stände vor Gericht gezogen; selbst Geistliche sind als angebliche Hexer zu Tode gekommen.

Ein besonders tragischer Fall spielte sich in Frankreich ab. Wir verehren heute die Jeanne d'Arc als Heilige, aber sie wurde als Hexe verbrannt, und zwar hat man sie vor Gericht gezogen, weil sie das französische Heer zum Siege gegen die Engländer geführt hat, die damals einen großen Teil von Frankreich besetzt hielten. Es war ein politischer Prozeß. Man wollte die Krönung des französischen Königs Karls VII. in Reims als von Dämonen bewirkt darstellen, und so hat man die Jungfrau in Rouen vor ein Gericht gestellt. Der oberste Richter war ein Bischof. Im Solde der Engländer hat er dieses Mädchen zu einer Hexe gestempelt. Sie hat zwar widerrufen, wurde aber zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt. Doch dann hat sie wieder Mut gefaßt, hat ihre Stimmen, die sie auf göttliche Eingebung zurückführte, als Tatsachen behauptet, darum wurde sie zum „Brand“ verurteilt und ist mit dem Worte „Jesus“ auf den Lippen gestorben. Wenige Jahre später wurde der Prozeß neu aufgerollt, es wurde ihre Unschuld bewiesen, und sie ist in unserem Jahrhundert zur Ehre der Altäre erhoben worden.

Die Hexenprozesse haben ihre Wurzel im Aberglauben. Aber dazu kamen sehr massive Interessen. Ich sagte eben: Das Verfahren gegen Jeanne d' Arc war ein politischer Prozeß. Es kamen auch Neid, Mißgunst, Haß gegen bestimmte Menschen hinzu, und sie führten zur Anzeige. Man war nur allzu leicht geneigt, in den Aufregungen des 16. und 17. Jahrhunderts anzunehmen, daß Schäden, Epidemien, Pech von Menschen angezettelt seien, und das waren eben dann die Hexen. So hat man diese Menschen vor Gericht gezogen. Viele waren unschuldig. Allerdings muß man zugeben, daß manche von jenen, die da bestraft wurden, selbst der Meinung waren, sie hätten ein solches Bündnis mit den Dämonen geschlossen und besäßen die Gabe, anderen Schaden zuzufügen. Es wurden auch – und gar nicht selten – andere Vergehen unter dem Verdacht der Hexerei vor Gericht gezogen und verurteilt: Sadismus, Sodomie, Abtreibung, Leichenschändung, Totenbeschwörung. Solche Vergehen wurden nicht selten unter dem Titel „Hexenvergehen“ vor Gericht gebracht und dann entsprechend abgeurteilt. Aber auch die Menschen, die wegen derartiger Verfehlungen belangt wurden, hatten häufig eine so harte Strafe nicht verdient.

Leider, muß man sagen, haben auch kirchliche Kreise, katholische wie protestantische, den Hexenwahn gefördert oder jedenfalls geduldet. Ein Theologe wie der heilige Thomas von Aquin war davon überzeugt, daß es Geschlechtsverkehr mit Dämonen geben könnte. Besonders verhängnisvoll war, daß auch Päpste sich dem Wahn nicht energisch genug entgegengestellt haben. Bekannt ist die Bulle „Summis desiderantes“ von Papst Innozenz VIII. Dieser Papst hat im Jahre 1584 die sogenannte Hexenbulle erlassen. Darin steht, er habe gehört, daß in Deutschland viele vom Glauben abgefallen seien und daß sie Unzucht trieben mit Dämonen, und er erwarte deswegen, daß gegen diese Leute vorgegangen werde. Die Bekämpfung lag in den Händen von zwei Männern, die zu trauriger Berühmtheit gelangt sind, nämlich zwei Dominikanern, Heinrich Institoris und Jakob Sprenger. Sie haben den sogenannten „Hexenhammer“ verfaßt. Das Werk ist in jeder öffentlichen Bibliothek heute greifbar. In diesem „Hexenhammer“ wird angegeben, an welchen Merkmalen man angeblich die Hexen erkennt, und dann wird das Verfahren beschrieben, das gegen sie anzuwenden sei. In leichteren Fällen wurden sie etwa ihres Vermögens beraubt oder aus dem Lande vertrieben, in schwereren Fällen aber wurden sie zu Tode gebracht, manchmal, nachdem man eine „Hexenprobe“ vorgenommen hatte; man band sie an ein Seil und hielt sie ins Wasser, und wenn sie untergingen, dann waren sie schuldig, und wenn sie nicht untergingen, dann waren sie unschuldig. Mit solchen primitiven Methoden versuchte man der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

Es haben auch freilich immer und zu jeder Zeit Priester und Laien gegen den Hexenaberglauben Stellung genommen. Sowohl auf katholischer wie auf protestantischer Seite gab es einsichtige Männer, Gelehrte, die diesen Aberglauben als das gebrandmarkt haben, was er ist. Auf katholischer Seite sind besonders bekannt die beiden Jesuiten Adam Tanner und Friedrich von Spee. Der letztere hat als Beichtvater zweihundert angebliche Hexen auf den Tod vorbereitet; und durch das, was er da erlebt hat, erschüttert, hat er seine „Cautio criminalis“ geschrieben, die gegen die Hexenprozesse Stellung nahm, und die Wirkung zeigte sich bald. Der Kurfürst von Mainz, Johann Philipp von Schönborn, hat in der Mitte des 17. Jahrhunderts den Hexenprozessen Einhalt geboten. Auf protestantischer Seite waren es der Arzt J. Weyer und der Gelehrte B. Bekker, die sich gegen den Hexenaberglauben wandten. So sind dann im Laufe des 18. Jahrhunderts die Hexenprozesse erloschen. In ihrer Blüte, etwa von 1590 bis 1630, wurden z. B. in Wolfenbüttel an einem Tag zehn bis zwölf „Hexen“ verbrannt.

Es ist eine erschütternde Verwirrung auch in der christlichen Welt gewesen, an die wir heute nur mit Beschämung denken können. Wir müssen aus diesen Vorfällen Folgerungen ziehen, nämlich erstens: Glaube und Aberglaube sind durch eine nicht überbrückbare Kluft geschieden. Wer sich auch nur ein wenig von der Welt des Glaubens entfernt, ist leicht in Gefahr, in den Aberglauben zu fallen. Nach einer Repräsentativbefragung sind in der heutigen Bundesrepublik Deutschland 11 % der Bevölkerung überzeugt, daß es Hexen gibt oder geben kann. 11 % der Bevölkerung! In Norddeutschland wurden von 1958 bis 1968 etwa 160 Prozesse geführt, in denen Hexen eine Rolle spielten. In den Dörfern von Holstein hat man Stichproben gemacht und gefunden, daß fast in jedem zweiten Haus eine „Hexenfibel“ sich findet. In Hamburg sind 2000 Menschen, die mit okkulten Dingen ihren Lebensunterhalt bestreiten, Wahrsager, Wunderheiler, Gesundbeter.

Ich sage noch einmal: Glaube und Aberglaube sind durch eine Kluft geschieden. Wer sich nur ein wenig vom rechten Wege entfernt, der gerät unweigerlich auf einen falschen Weg.

Zweitens: Wir sollen darauf achten, daß in unserem Glauben und in unserer Frömmigkeit nichts eine Stelle hat, was irgendwie nach Aberglauben aussieht. Wir vertrauen auf Gott, und wir rufen die Hilfe seiner Heiligen an. Das ist recht und das ist gut. Aber wer meint, ein Amulett könne ihn todsicher vor einem Unfall bewahren, der ist schon im Aberglauben gelandet. Wer meint, er könne unweigerlich mit einer bestimmten Anzahl von Gebeten Gott zwingen, der ist unter die Zauberer geraten.

Wir müssen in jedem Falle unser Glaubens- und unser Frömmigkeitsleben vom Aberglauben freihalten. Denn der Aberglaube macht den Glauben zum Gespött. Er dient den Feinden der Religion dazu, auch den Glauben verächtlich zu machen.

Deswegen, meine lieben Freunde: Glauben mit der ganzen Kraft des Herzens, aber mit dem kühlen Verstande den Aberglauben abwehren! Es gibt Dämonen! Wir wissen, daß es gefallene Engel gibt, aber diese Dämonen vermögen uns nicht zu schaden, es sei denn, wir liefern uns durch unseren Willen ihnen aus.

Die Kirchenväter beschreiben den Teufel als gefesselt an seine Ketten. Er kann niemandem schaden außer dem, der sich in seine Nähe begibt, aus eigenem Entschluß. Die Dämonen vermögen uns nichts anzuhaben, wenn wir uns nicht durch Abfall von Gott in der Sünde ihnen ausliefern. Die Dämonenherrschaft ist durch Christus gebrochen. Christus ist zu uns gekommen nicht nur als Bußprediger und als Gleichniserzähler; Christus ist auch gekommen, um die Macht des Bösen zu brechen. Und wer die Dämonenaustreibungen, die Jesus vorgenommen hat, als Märchen erklärt, der unterschlägt einen wesentlichen Teil seiner Sendung. Er ist gekommen, die Bollwerke des Teufels zu zerstören. Es gibt Dämonen, und es gibt den Versuch der Dämonen, über Menschen Herrschaft zu gewinnen.Wenn wir uns an unseren Heiland halten, den Dämonenbesieger, dann vermögen sie uns nicht zu schaden. Denn er ist stärker als der Böse.

Amen.

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