Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Mai 2019

Der Gott der Weissagungen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit je her haben Menschen versucht, die Zukunft zu entschlüsseln, herauszufinden, was ihnen, dem Volk und der Menschheit bevorsteht. Zu diesem Zweck wenden sie verschiedene Mittel an. Frühe Religiosität suchte den göttlichen Willen aus dem Vogelflug oder durch Eingeweide und Opferschau zu ermitteln oder durch Orakel zu erhalten. Von den Orakeln holten sich die großen Welteroberer von Assur und Babel Auskunft und Weisung für ihre Regierungshandlungen und für ihre Feldzüge. Die Pythia in Delphi (in Griechenland) gab dem ratsuchenden König Krösus den Rat (das Orakel), wenn Krösus den Halys (einen Fluss in Kleinasien) überschreitet, wird er ein großes Reich zerstören. Das Orakel trat ein. Krösus meinte, er würde das Reich des Kyros zerstören, in Wirklichkeit hat er sein eigenes Reich zerstört. Er unterlag und wurde abgesetzt. Zur Erkenntnis der Zukunft dienten – auch heute noch – Sterndeutungen. Sterndeuterei ist die angebliche Kunst, aus der Stellung der Gestirne menschliche Schicksale zu berechnen, aber auch Ereignisse wie Kriege und Frieden, Katastrophen oder glückverheißende Tage zu deuten und vorherzusagen. Die Astrologen suchen aus den Stellungen der Planeten, aus Finsternissen und atmosphärischen Erscheinungen den Willen der Götter zu erfahren. In der heutigen Zeit halten sich viele Menschen an Wahrsager. Wahrsagen ist die angebliche Aufdeckung zukünftiger, gelegentlich auch gegenwärtiger Ereignisse, Zusammenhänge und Lebensumstände mittels hellseherischer oder magischer Praktiken, vor allem durch Handlesen und Kartenlegen. Alle diese Mittel, Verborgenes oder Zukünftiges aufzudecken, sind verfehlt. Es gibt Zufallstreffer, und Dank der Kombinationsfähigkeit kann mancher Mensch etwas voraussagen, aber das sind keine Beweise für die Echtheit der behaupteten Erkenntnis der Zukunft. Diese Instanzen können das Frühere nicht deuten, das Künftige nicht künden und das Gegenwärtige nicht wirken. Gott allein ist es, der die Zukunft kennt. Er kündet die Zukunft und er wirkt die Zukunft. Dennoch – das muss zugegeben werden – gibt es ein natürliches Vorherwissen künftiger Geschehnisse. Manche Ereignisse kündigen sich selbst an durch Vorzeichen. Der Vulkan Mount St. Helens in den USA erwachte nach 123 Jahren wieder zum Leben. Am 27. März 1980 äußerte er sich durch leichte Ascheeruption. Alle Fachleute waren sich einig, dass ein großer Ausbruch bevorstand. Er trat ein am 18. Mai 1980 mit verheerenden Auswirkungen. Naturereignisse können aus Beobachtung, Erfahrungen und Berechnung vorhergesagt werden. Denken Sie an die Wettervorhersagen. Auch Ereignisse, die von Menschen abhängen, können aus natürlicher Einsicht vorhergesagt werden. Es gibt ja eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die man anrufen kann, und die Statistik. Sie gestatten recht sichere Vorhersagen bestimmter Ereignisse. Karl Marx hat bereits 1871 das militärische Zusammengehen von Frankreich und Russland vorhergesagt, um Elsass-Lothringen wieder zurückzuholen. Friedrich Engels sagte einen Weltkrieg von bisher nicht geahnter Ausdehnung und Heftigkeit voraus. Am 30. Januar 1933 ernannte der Reichspräsident Hindenburg einen gewissen Adolf Hitler zum Reichskanzler. Zwei Tage später, am 2. Februar 1933, schrieb der General Ludendorff Hindenburg einen Brief. In diesem Brief steht wörtlich: „Ich prophezeie Ihnen feierlich, dass dieser unselige Mann unser Reich in den Abgrund stürzen und unsere Nation in unfassbares Elend bringen wird!“ Wir wissen, wie diese Vorhersage eingetroffen ist. Im Jahre 1937 sagte der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Eduard Mosler, zu dem Bankier Hermann Josef Abs: „Sie werden einmal die Aufgabe bekommen, die Auslandsschulden Deutschlands zu regeln.“ 1951-53 war Abs der Leiter der deutschen Delegation bei den Londoner Schuldenverhandlungen. So bewahrheitete sich die Prophezeiung Moslers aus dem Jahre 1937. Es hat immer Menschen gegeben, welche die Fähigkeit haben, in Visionen von räumlich entfernten und zeitlich bevorstehenden Ereignissen Kenntnis zu erhalten. Man nennt diese Gabe das Zweite Gesicht. Es gibt Seher, die über die rational nicht erklärbare Fähigkeit verfügen, Zukünftiges vorherzusagen. Im Jahre 1571 unterbrach Papst Pius V. ein Gespräch mit seinem Schatzmeister. Nach einer Weile der Geistesabwesenheit berichtete er, dass in diesem Augenblick die türkische Flotte vernichtet worden sei. Er hatte das Ereignis, den Seesieg von Lepanto, vorhergesehen.

Alle genannten Vorgänge und Erscheinungen sind natürlich zu erklären. Es sind keine Weissagungen. Echte Weissagung ist die Verkündigung von Ereignissen, die nicht aufgrund natürlicher Einsicht oder Berechnung erkennbar sind. Sie beruht auf übernatürlicher Erleuchtung, auf einer geheimnisvollen Mitteilung Gottes, und sie hat das ewige Ziel des Menschen im Auge. Gott weiß alles, auch alles Zukünftige. Seine Allwissenheit umfasst die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Er kann sein Wissen über Zukünftiges Menschen auf geheimnisvolle Weise mitteilen. Er lässt Menschen gelegentlich einen Blick in die Zukunft tun. Die göttlichen Weissagungen sind hoch über allen menschlichen Berechnungen. Sie wollen nicht menschliche Neugier befriedigen, sondern Gottes Offenbarungswort bestätigen und sein Heilswerk beglaubigen. Träger der Verheißungen ist der Prophet. Die Übermittlung des göttlichen Auftrags an ihn erfolgt durch Eingebung, Inspiration, Erleuchtung. Sie gibt ihm Gewissheit über den göttlichen Ursprung seiner Erkenntnis. Gott rückt den Trägern der Weissagung für einen Augenblick die Zukunft nahe, dass sie wie die Gegenwart erscheint. Sie unterliegen dem Gesetz der prophetischen Perspektive. Gegenstand der Weissagungen ist das Eingreifen Gottes in den Lauf der Welt und die freien Willenshandlungen des Menschen. Die Weissagungen erstrecken sich auf die Vergangenheit, Gegenwart und vor allem auf die Zukunft, die nähere und die weitere, auf das Schicksal einzelner Menschen sowie Israels und der Völker. Angekündigt werden das Gericht über Israel und die Rettung eines heiligen Restes aus der Katastrophe, die Person des Messias, die Bekehrung der Heiden. Ziel der Weissagungen ist die Ehre Gottes und das Heil der Menschen. Sie offenbaren Gottes Allwissenheit. Sie sollen das sündige Israel zur Umkehr bewegen, die Frommen trösten und die Guten bestärken. Die Erfüllung der Weissagungen, auch gegen menschliches Widerstreben, beglaubigt den Sprecher als von Gott gesandt. Jesus hat den Untergang des Tempels in Jerusalem geweissagt. Diese Weissagung wurde zur Tatsache, obwohl Titus, der Feldherr der Römer, befohlen hatte, den Tempel zu schonen. Je klarer eine Weissagung ist, umso leichter ist sie als von Gott eingegeben zu erkennen. Es ist ein häufiges Merkmal von Weissagungen, dass sie ihren menschlichen Träger belasten und bedrücken. Die Propheten verkündeten die Unheilsweissagungen zu ihrem eigenen Schmerz. Sie nahmen um ihretwillen Leiden und Verfolgungen auf sich. Auch suchten sie nicht persönlichen Vorteil aus den Weissagungen. Die Drohungen lehrten Gottes Gerechtigkeit, die selbst im Untergang seines Volkes triumphierte. Kein heidnischer Seher hätte solche Gedanken vortragen können.

Der Christ ist weniger an Weissagungen über die Weltgeschichte oder über Naturereignisse interessiert als an solchen über das Heil der Menschen, über die Heilsveranstaltungen Gottes, über den Weg der von Gott gestifteten Kirche. Die größte Aufmerksamkeit richtet sich auf Weissagungen über den Retter, den Erlöser, den Messias. Der Messias wird im Alten Testament verheißen, erstens, als wahrer Mensch, als Weibessame, welcher der Schlange, dem Satan, das Haupt zertritt, als Nachkomme Abrahams und Davids. Er wird von der Jungfrau zu Bethlehem geboren und einen Vorläufer haben. Er wird erscheinen, wenn das Zepter von Juda gewichen ist (also Israel keinen König mehr hat). Zweitens wird er als Gott, als Menschensohn, der auf den Wolken des Himmels kommt, vorhergesagt, als Sohn Gottes; er heißt Immanuel, Gott mit uns, Wunderrat, Gottheld, Vater der Zukunft, Friedensfürst, Herrscher von Ewigkeit. Die ganze Heilige Schrift, soweit sie vor Christus geschrieben ist, ist nur geschrieben worden zur Vorbereitung auf die Ankunft des Herrn. Jesus und die Apostel haben sich zahllose Male auf die Weissagungen der Propheten berufen. Vor allem der Evangelist Matthäus ist bestrebt, im Leben Jesu die Erfüllung alttestamentlicher Weissagungen aufzuzeigen. Für die jungfräuliche Geburt beruft er sich auf den Propheten Isaias. Für den bethlehemitischen Kindermord beruft er sich auf den Propheten Jeremias. Wo Jesus davon spricht, dass er gekommen sei, das Schwert zu bringen, da beruft er sich auf ein Wort des Propheten Michäas. Als Jesus die Abgesandten des Täufers auf seine Tätigkeit als Messias verweist, da geschieht es mit dem Hinweis auf Stellen des Propheten Isaias. Jesus selbst weissagte sein Leben und Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung, das Schicksal seiner Jünger, die Bekehrung der Heiden, das Strafgericht über Jerusalem und das Endgericht. Beim Erscheinen des Messias lebten die Weissagungen wieder auf. Es war eine echte Weissagung, als Maria im Hause Elisabeths ausrief: „Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter.“ Sie wird wohl das Ausmaß, in dem diese Weissagung in Erfüllung geht, nicht geahnt haben. Es war eine echte Weissagung, als der greise Simeon im Tempel zu Jerusalem den Jesusknaben in seine Arme nahm und verkündete: „Dieser ist bestimmt zum Falle und zur Auferstehung vieler in Israel, zu einem Zeichen, dem widersprochen wird.“

Es gibt auch heute noch Weissagungen in Gestalt der so genannten Privatoffenbarungen. Sie werden dem Einzelnen gegeben, ohne dass eine direkte Glaubenspflicht aller daraus erwächst. Privatoffenbarungen können gottgewirktes Wissen um gottgewollte Entscheidungen in einer bestimmten Situation enthalten. Privatoffenbarungen können Bedeutung für das Leben der Kirche haben. Der Geist hat nicht abgedankt zugunsten der allgemeinen Prinzipien und Institutionen. Die Kirche bedarf der Privatoffenbarungen. Sie können der charismatische Impuls für die je richtige Entscheidung sein. Privatoffenbarungen müssen, um als echt zu gelten, mit der allgemeinen Offenbarung und der kirchlichen Lehre übereinstimmen. Schwärmertum und Sektierertum geben oft Einbildungen, subjektive, ja krankhafte Manifestationen des Unterbewusstseins fälschlich als Privatoffenbarungen aus. Hier ist Unterscheidung der Geister notwendig. Im Jahre 1917 vernahmen drei Kinder in dem portugiesischen Ort Fatima Botschaften Mariens zur Buße, zum Rosenkranzgebet und zur Weihe der Welt an ihr unbeflecktes Herz. Die Autorität der Kirche hat diese Aussagen geprüft und für echt befunden. Papst Pius XII. war der Botschaft gehorsam und nahm 1942 diese Weihe vor. Noch steht die Erfüllung mancher Weissagungen unseres Herrn aus. „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.“ Als Jesus nach seiner letzten Erscheinung in den Himmel zurückkehrte, versicherten die Engel den Aposteln: „Dieser Jesus, der von euch fort in den Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen.“ Noch harren wir der Erfüllung dieser Weissagung. Aber sie wird sich erfüllen, weil Gott der treue, der wahrhaftige Gott ist. Jesus wird wiederkommen. Sehen wird ihn jedes Auge, auch die, die ihn durchbohrt haben. Er wird kommen wie das Schicksal, denn er ist das Schicksal der Welt.

Amen.        

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