Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. August 2005

Das Priestertum Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Jesus ist der große Lehrer und Wundertäter. Durch seine Lehre und seine Taten hat er uns erlöst. Aber Lehre und Taten sind zusammengefasst in einem Wort: Jesus Christus ist Priester. Er ist der vorbildliche, er ist letztlich der einzige gültige Priester. Er ist der Priester, von dem jedes Priestertum sich ableitet und seinen Namen hat. Wir wollen deswegen heute über das Priestertum Jesu nachdenken. Wir wollen fragen: Was ist ein Priester und welches ist die Priesteraufgabe Jesu? Was hat er für ein Opfer dargebracht, denn das ist ja das Wesenskennzeichen des Priesters, zu opfern. Welche Opferfrucht hat er uns durch sein priesterliches Leben und Leiden verdient?

Was ist ein Priester? Ein Priester ist ein Mittler. Priester sein heißt Mittler sein zwischen Gott und den Menschen. Er steht in der Mitte zwischen Gott und den Menschen, obwohl er selbst ein Mensch ist. Der Priester soll Gott und die Menschen miteinander verbinden. Dies geschieht in zweifacher Weise. Einmal bringt er im Namen der Menschen Opfer und Gebete dar, die er zu Gott emporträgt. Umgekehrt bringt er von Gott Gnade und Wahrheit den Menschen, damit sie den Weg des Heils finden und sich zu Gott wenden. Christus hat eine eigentliche Priesteraufgabe gehabt. Er war Priester, denn er sollte Gott ein würdiges Opfer darbringen und im Namen der Menschen dieses Opfer Gott anbieten: ein Anbetungsopfer, ein Sühnopfer, ein Dankopfer, ein Bittopfer, um die Sünden der Welt zu tilgen. Und er sollte umgekehrt den Menschen die verlorene Gnade zurückbringen, Gott selbst und den verlorenen Himmel. Christus ist also in einem erhabenen Sinne Priester, Mittler zwischen Gott und den Menschen.

Seine Priesteraufgabe hat er deswegen erfüllen können, weil er als Gottmensch von Natur aus der Mittler zwischen Gott und den Menschen war. Er trug ja die göttliche und die menschliche Natur vereint in einer Person in sich. So war er die lebendige Brücke zwischen Gott und den Menschen. Er konnte im Namen der Menschen als Mensch vor Gott hintreten und ihm das Opfer anbieten. Dieses Opfer konnte ein vollwertiges sein, weil er als Gottmensch eben ein solches unermesslich reiches Opfer darzubringen vermochte, ein unbeflecktes, ein reines, ein heiliges Opfer, wie wir in jeder heiligen Messe beten. Er konnte aber auch umgekehrt kraft seiner göttlichen Natur vor die Menschen hintreten und ihnen die Wahrheit und die Gnade Gottes, das überfließende göttliche Leben, bringen. So ist er die lebendige Verbindung zwischen Gott und den Menschen. Er konnte diese Verbindung neu knüpfen und den Menschen den Himmel erschließen. Er ist der wahre und eigentliche Priester, der Mittler zwischen Gott und den Menschen.

Dieses Priestertum hat er ausgeübt im Opfer. Denn das ist die Hauptaufgabe des Priesters, ein Opfer darzubringen. Ein Opfer besteht aus der Opfergabe und aus der Opfergesinnung. Jesu Leben war ein Opferleben. Schon an der Krippe steht das Wort: „Einen Leib hast du mir bereitet, siehe, ich komme, deinen Willen zu erfüllen.“ Dann hat er das arme Leben von der Krippe an geführt, in Nazareth die harte Arbeit geleistet; dann ist er gewandert, unermüdlich und rastlos, hat gepredigt, hat die Menschen angenommen, hat sie geheilt, wie wir eben hörten, die Aussätzigen. Dann hat er die zahllosen inneren Opfer dargebracht, die Schmähungen – „Er steht mit dem Teufel im Bunde.“ „Durch die Macht des Teufels verrichtet er seine Wundertaten“ – die Schmähungen, die Verkennung, die Treulosigkeit seiner Jünger, den Verrat des Judas, und immer stand ihm das blutige Kreuz vor Augen. Die Evangelien berichten, dass er wenigstens dreimal den Jüngern seinen Kreuzestod vorausgesagt hat. Und auch bei anderer Gelegenheit wies er auf dieses Ende hin, nämlich auf dem Berge Tabor: „Saget niemand etwas von dieser Erscheinung, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist!“ Und als die Söhne des Zebedäus ihn bitten, ihnen Ehrenplätze einzuräumen, da weist er sie darauf hin, dass sie erst den Leidensbecher trinken müssen mit ihm, bevor sie zur Ehre gelangen können.

Dann aber hat er das blutige Leiden vollbracht. Die Vollendung des Opferlebens geschah in seinem Todesleiden. Wir verfolgen dieses Leiden immer an der Hand des schmerzhaften Rosenkranzes. „Der für uns Blut geschwitzt hat.“ Da sehen wir ihn, wie er niederfällt und wie die Angst ihn überkommt und wie er den Tod vor Augen hat und wie er bangt und zittert in der Einsamkeit; denn die Jünger schlafen. Die Jünger schlafen immer! Dann wird er gefangen genommen. Er wird gebunden, er der Freieste von allen, er wird gebunden und fortgeführt und vor Gericht gestellt, erst das jüdische Gericht, dann das römische Gericht und zwischendurch noch die Spottepisode bei Herodes. Er wird gegeißelt; an einen Säulenstumpf angebunden, sausen die Rutenschläge auf ihn nieder. Striemen zeichnen sich ab, das Blut strömt heraus aus seinem heiligen Leibe. Rasende Schmerzen, so wie die Sünde kein Ende kennt und die Leidenschaft sich immer wieder neu austobt.

Aber nicht genug des körperlichen Leides, es kommt auch der seelische Schmerz hinzu. Sie verspotten ihn ob seiner Königswürde: „Heil dir, König der Juden!“ Sie ziehen ihm einen Spottmantel an, legen ihm einen Spottkrone auf das Haupt und geben ihm ein Spottzepter in die Hand. Dann der Weg zum Kreuze auf dem steinigen Pflaster Jerusalems. „Er trug sein Kreuz selbst“, schreibt der Apostel Johannes. „Er trug sein Kreuz selbst.“ Simon mag ihm geholfen haben, gewiß, aber das berührt nicht die Wahrheit: Er trug sein Kreuz selbst. Er trug es hinauf zu Golgotha, und wenn wir im Kreuzweg den dreimaligen Fall Jesu bedenken, so ist das durchaus wahrscheinlich. Wir haben zwar keine Kenntnis davon, aber es gibt eben Erkenntnisse, die nicht aus Büchern kommen, sondern die aus der Betrachtung der Persönlichkeit und des Lebensweges eines Menschen kommen. So ist es durchaus wahrscheinlich, dass der Herr auf seinem Kreuzweg niedergefallen ist und wieder aufgestanden ist, denn er musste ja das Kreuz hinauftragen nach Golgotha. Dort werden ihm die Kleider vom Leibe gerissen. Alle Wunden fangen wieder an zu bluten. Und dann wird er an das Kreuz genagelt. Anna Katharina Emmerich hat die Schläge gehört: zehnmal, zwanzigmal, und das Fleisch und die Knochen werden auf den Balken aufgenagelt. Wahnsinnige Schmerzen. Und dann wird das Kreuz aufgerichtet, dann reißt noch einmal alles an diesem Körper.

Das war das Opfer unseres Herrn Jesus. Auch andere Menschen haben gelitten, aber keiner hat gelitten wie er, denn keiner war so unschuldig wie er, und keiner war in der göttlichen Natur wie er. Und keiner besaß die göttliche Person wie er. Er war der Reinste und Heiligste, er war der Erhabenste und Würdigste, der je gelitten hat. Der Herr hat alles das ohne Klage getragen. Er hat für die, die höhnend das Kreuz umstehen, gebetet: „Vater, verzeih ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“

Auf unseren Kreuzbildern steht manchmal die Inschrift: „Das tat ich für dich. – Was tust du für mich?“ Auf einem Kreuz in Wörishofen habe ich einmal den schönen Spruch gelesen: „Allüberall in der Natur siehst du des großen Gottes Spur. Doch willst du ihn noch größer sehen, so bleib an einem Kreuze stehen.“ Bei den Leidensgeheimnissen des Kreuzweges und des schmerzhaften Rosenkranzes beten wir immer, dass der Herr all das für uns getan hat. Für uns ist er gekreuzigt worden; für uns hat er das Kreuz getragen; für uns ist er mit Dornen gekrönt, gegeißelt worden; für uns hat er Blut geschwitzt. Immer für uns. Alles, was er tat, geschah nicht um seinetwillen, sondern um unseretwillen. Hier hat er sein Opfer für uns dargebracht, ein stellvertretendes Sühnopfer. Ein Opfer besteht immer aus zwei Dingen, aus der äußeren Gabe, die dargebracht wird, und aus der inneren Opfergesinnung. Die äußere Gabe, die der Herr darbrachte, war er selbst, sein Leben, sein Leib. Die innere Opfergesinnung wird deutlich, wenn wir lesen, was beim Propheten Isaias steht: „Er ward geopfert, weil er selbst es wollte.“ Er wurde nicht gezwungen, sondern er hat sein Leben freiwillig hingegeben. Er konnte sein Leben hingeben, niemand vermochte ihn zu zwingen. „Niemand vermag das Leben zu nehmen“, sagt er einmal Johannesevangelium, „ich gebe es freiwillig hin.“

Und weil er eben als Priester dieses Opfer dargebracht hat, hat er uns damit die Opferfrucht verdient, die Opferfrucht, die qualitativ und quantitativ unermesslich ist. Er hat uns durch sein Opfer die Versöhnung mit Gott erwirkt. Die Sünde ist ein Umstürzen der Weltordnung. In der Sünde will der Mensch intentional Gott absetzen. Er setzt seinen Willen an die Stelle des Willens Gottes. Er behandelt Gott als Null. Und in dieser Sünde liegt Stolz, Ungehorsam und Undankbarkeit. Das alles hat Christus aufgewogen durch seine Verdemütigung, durch seinen Gehorsam und durch seine Liebe, mit der er das Leben dem Vater hingegeben hat. Durch diese dreifache Sühne wird alles wieder gutgemacht, und zwar überfließend, was der Mensch in der Sünde angerichtet hat. Es ist eine stellvertretende Genugtuung, denn er selbst brauchte für sich keine Genugtuung zu leisten, aber er hat es getan für uns und nur für uns und für uns alle. Die Sünde ist Knechtschaft, Knechtschaft unter dem Satan. Wir wissen doch, meine lieben Freunde, aus eigener Erfahrung, wie die Sünde den Menschen knechtet, wie sie ihn gefangen hält, wie sie seine Gedanken gefangen nimmt und seinen Willen fesselt. Wir wissen doch, dass die Sünde Knechtschaft und Sklaverei ist. „Wer die Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde“, heißt es im Johannesevangelium. Und aus dieser Knechtschaft hat uns Christus herausgerissen. Nun sind die Menschenseelen befreit durch seine Wahrheit und durch seine Gnade. Die helfende Gnade ist uns zur Seite und bewahrt uns davor, neu in die Knechtschaft Satans zu fallen. Sie gibt dem Verstande Licht und dem Willen Kraft. Und weiter hat er uns gebracht mit seiner Opferung die Gaben des Heiligen Geistes, die Gnaden, die heiligmachende Gnade, die göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, die Anlage zu den sittlichen Tugenden. Das alles hat er als Opferfrucht uns erwirkt. Er hat es der Intention nach getan für alle Menschen. Kein Mensch auf dieser Erde ist von dem Opfersegen des Herrn ausgenommen, wenn er nicht sich weigert, das Opfer Christi an sich auswirken zu lassen. Da kann selbst Gott nichts tun. Wenn der Mensch es ablehnt, sich erlösen zu lassen, dann schließt er sich selbst von der Opferfrucht des Herrn aus.

So ist Christus unser ewiger Hoherpriester. Durch sein Kreuz hat er die ganze Welt erlöst. „Wir preisen dich, Herr Jesus Christus und benedeien dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die ganze Welt erlöst.“ Wegen dieser Erlösung stellen wir überall die Kreuze auf, in den Krankenzimmern, in unseren Wohnhäusern, auf den Kirchen, auf den Fluren. Überall soll uns das Zeichen der Erlösung daran erinnern, was der Herr für uns getan hat. Aber es gibt eine andere, eine lebendige Erinnerung an das Kreuzesopfer Christi, und dies geschieht in der heiligen Messe. Meine lieben Freunde, das ist der größte Segen, der über diese Erde hingeht, wenn ein Priester das Kreuzesopfer unblutigerweise am Altare erneuert. Das ist unser größtes Glück und das ist die höchste Würde des Priesters, dass er an der Stelle Christi und in seinem Auftrag das Kreuzesopfer wieder lebendig werden lässt. Hier erneuert er unblutigerweise das Geschehen von Golgotha, uns zum Heile und der ganzen Welt zum Segen. Wenn wir also künftig das Kreuz vor uns sehen, dann wollen wir uns erinnern, dass an diesem Kreuze unser Heil gehangen hat. „O du hochheilig Kreuze, an dem mein Herr gehangen in Schmerz und Todesbangen.“ Und wenn wir dieses Kreuzesopfer in der heiligen Messe feiern, dann wollen wir uns erinnern, dass Christus unser Priester ist, der seine Diener, seine armen, schwachen, armseligen Diener bestellt, damit das Kreuzesopfer unter uns Gegenwart bleibt, damit wir uns an das Kreuzesopfer anschließen können, damit wir sagen können: „Mein Heiland, du gehst durch dein Kreuz zum Vater im Himmel – nimm mich mit! Nimm mich mit und laß mich nicht zurück.“

Amen.

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