Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Februar 2004

Menschenangst und Gottesfurcht

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In Nürnberg steht das Denkmal des Philosophen Ludwig Feuerbach, und auf diesem Denkmal ist eine Inschrift angebracht, die lautet: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Ich habe mich nicht versprochen, nicht: Gott schuf den Menschen, sondern: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Das ist nämlich der Kernsatz der Religionsphilosophie Ludwig Feuerbachs. Nicht Gott hat den Menschen geschaffen, sondern der Mensch hat Gott geschaffen, d.h. er hat sich ein Phantasieprodukt gedacht, eine Einbildung, eine Illusion. Und wie ist er dazu gekommen? Er ist dazu gekommen aus Angst. Die Angst hat die Gottesvorstellung hervorgetrieben. Der Mensch hat erlebt, wie er angesichts der Naturerscheinungen, der Katastrophen, der Seuchen, der Epidemien ohnmächtig war, unterlegen. Er konnte diese Naturerscheinungen nicht deuten, schon gar nicht beherrschen oder überwinden. In seiner Angst und Not nahm er seine Zuflucht zu einem Wesen, das mächtiger sein sollte als all die Naturerscheinungen. Das heißt: Er schuf sich in seiner Phantasie einen Gott, der über den Naturerscheinungen stand und sie beherrschen konnte, den er angehen konnte, um ihn zu bitten, ihn vor den Unheilsmächten zu schützen.

Was ist zu diesem Gemälde Ludwig Feuerbachs zu sagen? Ist es tatsächlich so, daß die Angst die Religion erschaffen hat? Daß die Angst im Menschen sitzt, ist keine Frage. „Angst ist eine Grundbefindlichkeit des Menschen“, hat einmal Martin Heidegger, der Freiburger Philosoph, geschrieben. Eine Grundbefindlichkeit des Menschen, d. h. sie ist in jedem Menschen vorhanden. Angst ist ein meist quälender, immer bedrückender und beunruhigender Gemütszustand angesichts vermeintlicher oder drohender Gefahren. Der Mensch ist tatsächlich von Angst gepeinigt. Die Angst ist nun allgemein. Wenn die Angst der Auslöser der Gottesvorstellung ist, dann müßte auch bei jedem Menschen die Gottesvorstellung vorhanden sein, dann müßte auch jeder Mensch religiös sein, dann könnte es keine religionslosen Menschen geben. Tatsächlich gibt es aber solche religionslose Menschen.

Im Jahre 1948 hatte ich ein merkwürdiges Erlebnis. Ich arbeitete bei einer Baufirma in München beim Abriß von Gebäuden. Neben mir arbeitete ein junger Russe, ein schöner, hochgewachsener junger Mann, blond und in der Waffen-SS aufgenommen, der nach dem Kriege in Deutschland geblieben war. Er stand auf der Mauer oben mit der Spitzhacke und schlug die morschen Steine ab. Auf einmal stürzte er herunter. Wir besuchten ihn dann im Krankenhaus und fragten ihn, was er denn empfunden habe, als er den Absturz erlebte. Er antwortete: „Wie ich merk, ich falle, denk ich: Scheißegal.“ Das war ein Mann, der sicher auch die Furcht gekannt hat, aber, ungläubig wie er war, hat die Gottesvorstellung in ihm keine Wurzel gefaßt. „Wie ich merk, ich falle, denk ich: Scheißegal.“ Kein Gedanke an Gott, keine Reue, kein Ruf um Rettung.

Die Religion entsteht nicht zwangsläufig aus der Angst. Wenn auch alle Menschen Angst haben, sind doch nicht alle Menschen religiös. Man kann nämlich versuchen, sich aus der Angst auch auf andere Weise zu befreien, z. B. indem man flieht von einem Ort zu einem anderen, indem man sich mit Drogen zu betäuben versucht, indem man Beruhigungsmittel nimmt oder schließlich indem man die Ausflucht im Selbstmord sieht. Nein, so allgemein, wie die Angst ist, sie führt nicht zwangsläufig zur Religion. Wenn die Religion auf der Angst vor den Naturgesetzen, vor den Naturgewalten beruht, dann müßte sie ja verschwinden, sobald die Naturgewalten beherrscht sind und die Naturgesetze bekannt sind. Nun ist in den vergangenen dreihundert Jahren ein gewaltiger Wissensfortschritt erzielt worden. Die Menschen haben tatsächlich die Geheimnisse der Natur weitgehend entschlüsselt, und sie sind auch in einem erheblichen Maße Herr geworden über die Naturerscheinungen. Wir brauchen vor vielen Naturerscheinungen (wie Gewittern) keine Bange mehr zu haben, weil der Mensch gelernt hat, sie zu beherrschen. Wiederum die Frage: Wenn nun die Angst vor den Naturerscheinungen schwindet, wenn die Kenntnis der Naturgesetze wächst, müßte da nicht die Religion verschwinden? Tatsache ist, daß gerade die größten Naturforscher religiös waren. Es gibt ein Buch: „Gottbekenntnisse großer Naturforscher“, in dem Dutzende, nein Hunderte von solchen Bekenntnissen angeführt sind. Diese Männer kannten die Natur, sie kannten ihre Geheimnisse, sie kannten ihre Gefahren, und trotzdem hielten sie an der Gottesvorstellung fest. Man sieht, die Unkenntnis der Naturgesetze muß nicht die Gottesvorstellung  hervortreiben, und die Kenntnis muß nicht die Gottesvorstellung beseitigen. Ich gebe gerne zu, daß die Furcht ein Weg zu Gott sein kann. Der Mensch sucht Hilfe und Trost bei Gott, und das ist richtig; denn Gott ist ein Gott der Allmacht und der Liebe. Die Furcht kann ein Weg zu Gott sein. Aber sie schafft damit nicht Gott, sondern sie führt nur zu ihm. Gott ist schon vorher da, bevor der Mensch den Weg zu ihm nimmt. Gewiß, er kann sich an Gott anlehnen, denn schließlich hat Gott zu Moses gesprochen: „Fürchte dich nicht, ich bin ja bei dir.“ Aber die Furcht ist nichts das Seinsprinzip Gottes, sondern das Erkenntnisprinzip. Sie bringt nicht Gott oder die Gottesvorstellung hervor, sondern sie führt zu Gott. So wie der Rauch nicht das Seinsprinzip des Feuers ist, sondern nur das Erkenntnisprinzip des Feuers. Wo Rauch ist, muß Feuer sein, weil das Feuer den Rauch erzeugt, aber nicht umgekehrt, der Rauch erzeugt nicht das Feuer. Es ist so: Das Erkenntnisprinzip und das Seinsprinzip lassen sich nicht austauschen. Die Furcht vor Gott, die Furcht vor den Naturgewalten schafft nicht die religiöse Anlage, sondern deckt sie nur auf. Die religiöse Anlage ist mit dem Menschen, mit seinem Geschaffensein gegeben. Weil der Mensch von Gott herkommt, ist er auch auf Gott verwiesen. Er hat eine Anlage zur Religion, sowie er eine Anlage zur Sprache, zur Kultur, zur Sittlichkeit und zum Recht hat. Und die Furcht kann diese Anlage in Bewegung setzen und aufwecken.

Gegen die Behauptung, der Mensch mache gewissermaßen ein Geschäft mit Gott: Ich bete dich an, und du sorgst für mich, du schützest mich, spricht die Erfahrung. Diese Behauptung ist falsch. Die Religion ist kein Geschäft. Der religiöse Mensch weiß, daß Anbetung von Gott gefordert ist, weil Gott der Schöpfer ist, daß die Anbetung nicht notwendig und zwangsläufig vor Gefahren und Katastrophen bewahrt. Der religiöse Mensch ist genauso den Gefahren ausgesetzt wie der nichtreligiöse. Auch ihm kann der Frost die Saaten zerschlagen und der Hagel das Getreide zerstören, und oft und oft hat er dies erfahren. Aber die Religion hat er deswegen nicht aufgegeben, denn er weiß: Die Religion ist kein Geschäft. Wenn man mit einem Rosenkranz eine Hypothek abstoßen könnte und mit einer Wallfahrt eine Krankheit besiegen könnte, dann wäre die ganze Welt religiös, scheinreligiös, geschäftsreligiös. Und das darf nicht sein. Gott muß seine Souveränität, seine Freiheit auch gegenüber dem religiösen Menschen bewahren. Wir wenden uns bei unseren Bittgebeten an Gott und bitten um Erhörung. Aber Gott läßt sich nicht zwingen. Er bleibt der souveräne Herr. Er kann töten und lebendig machen, wie es ihm gefällt. Im Buche des Job steht der schöne Satz: „Wenn er mich auch tötete, ich würde nicht aufhören, auf ihn zu hoffen.“ Das ist Religion, das ist echte Religion, das ist Religion, die vom Geschäft nichts weiß. Wenn er mich auch tötete, ich würde nicht aufhören, auf ihn zu hoffen.

Auch die religiösen Menschen sind nicht frei von Furcht. Sie sind vor allen Dingen nicht frei von Furcht vor Gott. Die Gottesfurcht ist eine Gabe des Heiligen Geistes. „Es ist schrecklich“, so heißt es in der Schrift, „in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ Gott ist ein fordernder Gott, Gott ist ein eifernder Gott, Gott stellt Ansprüche, hohe Ansprüche. Es besteht nach katholischem Glauben auch Ungewißheit über die Gnade, über den Gnadenstand und über das Heil, ganz anders, als Luther in seinen Verstiegenheiten behauptet. Es besteht Heils- und Gnadenungewißheit. Der Mensch kann nicht mit absoluter Gewißheit sagen und wissen, ob er in der Gnade steht und ob er das Heil erlangen wird. Und deswegen mahnt der Apostel: „Wirke dein Heil mit Furcht und Zittern!“ Wirke dein Heil mit Furcht und Zittern!

Nicht die Furcht erschafft Gott, aber Gott ruft Furcht hervor. Wir wissen, er ist der Rächer, und er ist der Richter, und deswegen kann man nicht unbesorgt sein. Im Spanischen Bürgerkrieg war ein Domherr, Riocha, von den Roten eingesperrt und wartete auf seine Hinrichtung. Am Abend vor der Hinrichtung besuchte ihn ein abgefallener Priester, der zu den Roten übergegangen war. Er begrüßte ihn, indem er sagte: „Ich will kein Mißverständnis aufkommen lassen: Ich habe meinen Glauben verloren und stehe außerhalb der Kirche.“ Da antwortete der Domherr Riocha: „Sie Glücklicher! Sie Glücklicher! Ich wünschte, ich könnte meinen Glauben los werden. Morgen früh erschossen zu werden, fiele mir viel leichter, wenn ich der Meinung wäre, ich versänke danach in einen ewigen Schlaf.“ Wahrhaftig, meine lieben Freunde, es ist so, wie der Herr sagt: „Fürchtet nicht die, die den Leib töten können, fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele im Feuer der Hölle verderben kann. Ja, sage ich, den sollt ihr fürchten!“

Nicht die Religion verdankt der Furcht ihre Entstehung, wohl aber die Religionslosigkeit. Die Atheisten wissen, Gott wird verkündet als Gesetzgeber und Richter. Gott ist Gesetzgeber. Er verlangt, daß sein Wille geschehe. Aber sie wollen den Willen Gottes nicht tun; sie wollen nicht nach den Geboten Gottes leben. Sie wollen tun, was ihnen paßt, was ihnen gefällt; und deswegen leugnen sie Gott. Weil sie den Gesetzgeber fürchten, deswegen suchen sie ihn vergessen zu machen. Wiederum hat Friedrich Nietzsche in seiner Ehrlichkeit die Wahrheit ausgesprochen: „Daß ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich’s aus, kein Gott zu sein? Also gibt es keine Götter.“ Weil er also nicht selbst Gesetzgeber sein kann, sondern das Gesetz von Gott annehmen muß, deswegen leugnet er Gott. „Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich’s aus, kein Gott zu sein? Also gibt es keine Götter.“

Und ähnlich ist es mit Gott, dem Richter und Rächer. Gott kennt den Menschen, er sieht den Menschen, und er fordert ihn auf, einmal Rechenschaft über sein Leben zu geben. Die Heilige Schrift schildert das Gericht mit dem Bilde eines Buches, in dem alles eingetragen ist, was in Erdentagen geschehen ist. Und das ängstigt den Religionslosen. Und um dieser Angst zu entgehen, leugnet er den, der einmal Richter und Rächer sein kann. Wiederum hat es Friedrich Nietzsche treffend ausgesprochen: „Gott ist tot. Wir haben ihn getötet, ihr und ich. Nie gab es eine größere Tat. Aber er mußte sterben. Er sah mit Augen, welche alles sehen. Er sah des Menschen Tiefen und Gründe, alle seine verhehlte Schmach und Häßlichkeit. Er sah immer mich. An einem solchen Zeugen wollte ich Rache haben oder selber nicht leben. Der Gott, der alles sah, auch den Menschen, dieser Gott mußte sterben. Der Mensch erträgt nicht, daß ein solcher Zeuge lebt.“ Hier ist deutlich ausgesprochen, was den Atheisten bewegt, seinen Atheismus vor sich herzutragen wie eine Monstranz. Gott als Gesetzgeber und Richter ist verhaßt, deswegen muß er geleugnet werden.

Meine lieben Freunde, es ist nicht wahr, daß die Religion aus der Angst stammt. Die Religion stammt vom Schöpfer, der in den Menschen die Anlage hineingelegt hat, anzubeten. Der Mensch muß sich angesichts der Oberherrlichkeit und Souveränitat Gottes als anbetendes Wesen verstehen. Und es bleibt deswegen das Wort der Heiligen Schrift in Kraft: „Nur der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott.“ Und auch das andere Wort von Roger Bacon bleibt in Kraft: „Die Religion ist das Aroma, das die Welt daran hindert, in Fäulnis überzugehen.“

Amen.

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