Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
19. Juni 2005

Die Erhaltung der Welt durch Gott

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gott hat die Welt aus Nichts geschaffen. Sie wird auch von ihm über dem Nichts gehalten. Die Welt würde in das Nichts zurücksinken, wenn Gott sie nicht hielte. Wir haben also am heutigen Tage zu reden über die Welterhaltung, die Weltregierung und die Vorsehung Gottes. Die Welterhaltung wird in der Heiligen Schrift beschrieben  mit dem Satze: „Am siebenten Tage aber ruhte Gott,“ Das ist nicht so zu verstehen, dass er gewissermaßen müde geworden sei oder vor Erschöpfung seine Tätigkeit einstellen musste, sondern wenn die Heilige Schrift vom Ruhen Gottes spricht, dann will sie damit ausdrücken, dass in einem gewissen Sinne die Schöpfung abgeschlossen ist. Es erfolgt in einem bestimmten Sinne keine Neuschöpfung mehr. Nun geht die Welt ihren Lauf nach den Gesetzen, die Gott in sie hineingelegt hat. Nach seinem Plan und Auftrag wird die Welt künftig ihren Lauf nehmen. Gott stört sie gewissermaßen nicht durch ein neues oder andersgeartetes Schaffen. In diesem Sinne kann man davon reden, dass ein Feiertag Gottes ist.

Aber diese Sabbatruhe ist kein Untätigsein. Es ist kein interesseloses Schweigen des Schöpfers. Gott wirkt weiter, denn er ist der immer Tätige; er rastet nie. Der Herr drückt dies im Johannesevangelium aus, wenn er sagt: „Mein Vater wirkt bis zu dieser Stunde.“ Wahrhaftig, die Allmacht Gottes wird nicht müde. Er lässt die Sonne aufgehen über Gute und Böse, er lässt Regen fallen über Gerechte und Ungerechte. Er nährt die Vögel des Himmels und kleidet die Lilien des Feldes. Wenn seine Kraft nicht in den Geschöpfen wirkte, würden sie in das Nichts zurückfallen. Gott erhält seine Geschöpfe in ihrem Dasein und ist mittätig mit ihnen.

Die Theologie drückt das mit zwei lateinischen Ausdrücken aus, nämlich mit der creatio continua und dem concursus generalis. Dass die Welt weiter besteht, ist eine fortgesetzte Schöpfung, eine creatio continua. Und dass wir unser Arm heben können, dass das Sandkorn lebt und besteht, das wird durch den concursus generalis, durch die allgemeine Mitwirkung, durch Gottes ständigen Kraftimpuls bewirkt. Es ist also ein gewaltiger und ergreifender Gedanke: Gott wirkt mit allen Geschöpfen. Ob ich atme oder ruhe, ob ich schreibe oder lese, immer ist Gottes Wirken bei mir und mit mir. Gott wirkt alles, aber er wirkt es nicht allein, sondern er bedient sich der Geschöpfe als der Zweitursachen. Wir sind also Mitarbeiter Gottes.

Eigentlich müsste eine große Ehrfurcht uns bei allem Tun begleiten, denn wir wissen, wir stehen in Gottes Dienst. Er wirkt mit uns, wenn wir beten, wenn wir arbeiten, wenn wir nur die Hände erheben oder die Gedanken sammeln: Gott wirkt mit uns und in uns. Wir sind seine Mitarbeiter. Und Gott gab der Menschheit einen Auftrag: „Macht euch die Erde untertan!“ Das heißt, der Mensch soll alles, was unter ihm ist, benutzen und gebrauchen, freilich nicht nach Willkür und Laune, sondern nach den Gesetzen, die Gott in seine eigene Seele und in die Dinge, in die Natur hineingelegt hat. Der Befehl „Macht euch die Erde untertan!“ besagt nicht ein grenzenloses und normenloses Schalten mit der Erde, sondern fordert ein Eingehen auf Gottes Pläne, Programme, Normen und Gesetze. Alles, was wir tun in der Wissenschaft, in der Kunst, im Handwerk, in der Industrie, alles das ist Erfüllung des Gottesauftrages: „Macht euch die Erde untertan!“ Deswegen denke ich manchmal, wenn ich die Beratungen der Minister oder der Parlamentarier lese: Warum fragen diese Männer und Frauen niemals nach Gottes Willen? Warum fragen sie immer nur, wie das bei den Menschen ankommt? Viel wichtiger ist doch, wie es bei Gott ankommt. Sie wollen, dass sie vor dem Urteil der Menschen bestehen können, aber ganz entscheidend wäre es doch, dass sie vor dem Urteil Gottes bestehen können. In den Parlamenten und in den Ministersitzungen müsste dies die erste Frage sein: Was müssen wir tun, um auf die Pläne Gottes einzugehen, um die Gesetze Gottes zu beachten? Ein typisches Beispiel für die Weise, wie bei uns Politik betrieben wird: Als die damalige Abtreibungsregelung beschlossen wurde, sagte der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herbert Wehner: „Die Frauen können sich auf die SPD verlassen.“ Ja natürlich! Sie können sich darauf verlassen, dass sie straflos abtreiben können. Das heißt verlassen. Aber nach Gottes Willen hat weder Wehner noch seine Fraktion gefragt. Gott erhält die Welt, und der Mensch muss auf die Absichten Gottes bei der Erhaltung, bei der Mitwirkung mit Gottes Wirken achten.

Gott regiert auch die Welt. Er erhält sie nicht nur, er regiert sie, d.h. er bleibt ihr Herr. Er hat gewissermaßen das Zepter in der Hand, und alle anderen, die eine Herrschaft ausüben, unterstehen ihm. Sie sind in seinem Dienste. Weil er will, wie er will und solange er will, stehen sie in seinem Dienste. „Gleich Wasserläufen ist das Herz des Königs“, heißt es in der Heiligen Schrift, „in der Hand des Herrn.“ Gleich Wasserläufen ist das Herz des Königs in der Hand des Herrn. Er leitet es, wohin er will. Im 18. Jahrhundert kam eine philosophische Strömung auf, die man den Deismus nennt. Der Deismus ist wohl der Meinung, dass Gott die Welt geschaffen hat, aber er hat sich dann von der Weltregierung verabsentiert. Er kümmert sich nicht mehr um die Welt, er überlässt sie jetzt teilnahmslos dem Schicksal, dem blinden Schicksal oder dem Zufall, dem blinden Zufall. Diese Philosophen stellen sich Gott wie einen müden Greis vor, der mehr oder weniger alles laufen und gehen lässt, wie es mag. Wer so denkt, verkennt Gottes Wesen und Gottes Wirken. Das Wesen Gottes fordert es, und die Heilige Schrift sagt es uns: Gott regiert die Welt, und alles, was geschaffen ist, untersteht seinem Willen. „Die göttliche Weisheit reicht von einem Ende zum anderen und lenkt alles mit Kraft und Milde.“ So steht es im Buche der Weisheit.

Freilich ist es nicht so leicht, zu sagen, wie Gott die Welt regiert. Er tut dies natürlich zuerst durch die Gesetze, die er in die Natur eingebaut hat. Diese Naturgesetze, diese ehernen Naturgesetze sind seine Weise der Regierung. Wenn wir uns aufhalten über Katastrophen, über einen Vulkanausbruch oder ein Seebeben, meine lieben Freunde, dann sollten wir bedenken, das ist die Auswirkung der Naturgesetze. Die Naturgesetze machen die Natur für uns berechenbar. Es ist unsere Aufgabe, sie zu erkennen und möglichst auch ihre Wirkungen vorauszuberechnen. Aber an sich dürften wir uns nicht aufhalten, wenn die Naturgesetze sich auswirken. Das ist die Weise, wie Gott die Welt regiert.

Bei den Tieren regiert er die Welt durch die Instinkte, durch die Triebe, dass die Vögel eben wissen, wenn der Winter kommt, dann ziehen sie nach Süden in die Weiten von Afrika. Und wenn in unseren Breiten der Frühling einkehrt, dann fliegen sie zurück. Diese Triebe und Instinkte in den Tieren sind die Weisen, wie Gott die unvernünftige, aber belebte Natur regiert. Und den Menschen hat er seine Gebote gegeben. Diese Gebote sind die Weise, wie er die Welt regiert. Der Mensch ist aufgerufen, diese Gebote zu halten, sie in seine Entscheidungen aufzunehmen, sich daran zu orientieren und ihnen zu folgen. Dazu hat er die Vernunft bekommen. Mich fragte einmal eine Dame: „Warum hat denn Gott den Geschlechtstrieb so stark im Menschen gemacht? Warum ist der Geschlechtstrieb so stark?“ Ich gab ihr zur Antwort: „Weil Gott uns gleichzeitig die Vernunft gegeben hat, mit der wir diesen Treib beherrschen und zügeln können.“ Gott regiert die Welt. Er hat einen Plan, und nach diesem Plan wird die Welt von ihm beherrscht. Er bleibt der Herr. Er lässt die freien Geschöpfe frei wirken und hält doch in seiner Allwissenheit die Fäden in der Hand. Er kann Pläne der Menschen durchkreuzen, wie es ihm beliebt. Als Napoleon im Jahre 1812 den Marsch nach Russland unternahm, da warnte ihn ein Offizier: „Majestät“, sagte er zu ihm, „der Mensch denkt, und Gott lenkt.“ Napoleon gab ihm die stolze Antwort: „Ich lenke auch.“ Aber wohin seine Lenkung geführt hat, das wissen wir. Das war die Katastrophe von Moskau, von der Geresina und von Wilna. Nein, Gott regiert die Welt; er bleibt der Herr, der diese Welt in seiner Hand hat. Und wir können noch mehr sagen: Diese Weltregierung trägt zu Recht den Namen Vorsehung.

Gott sorgt für seine Geschöpfe. Er ist in seiner Kraft und Weisheit und Güte besorgt, die Geschicke aller Geschöpfe, vor allem der Menschen, zu lenken in väterlicher Vorsorge und Fürsorge. Die Weisheit und Vorsehung Gottes erstreckt sich auf alle Geschöpfe. Das Kleine und das Große hat er gemacht, und er sorgt sich um alles in gleicher Weise. Die Vorsehung Gottes steht auf drei festen Säulen: auf seiner Allmacht, auf seiner Weisheit und auf seiner Güte. Er kann alles, er weiß alles, und er liebt alles. Es fällt kein Haar von unserem Haupte ohne den Willen Gottes. Und die Kirche ist in seiner Hand. „Fürchte dich nicht, du kleine Herde“, so heißt es im Evangelium, „denn es hat Gott gefallen, euch das Reich zu geben.“ Wir erinnern uns ja in unseren Gebeten oft an die Vorsehung, etwa beim Tischgebet: „Aller Augen warten auf dich, o Herr, und du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit. Du tust deine milde Hand auf und erfüllest alles, was da lebt, mit Segen.“ Oder wenn wir den ergreifenden Psalm 22 beten: „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir mangeln. Er weidet mich auf grüner Au. Er führt mich zu erquickenden Gewässern und labt dort meine Seele. Er leitet mich auf rechten Wegen um seines Namens willen. Auch wenn ich wandern müsste in Todesschatten, ich fürcht’ kein Unheil, du bist ja bei mir. Dein Stock wie auch dein Stab gereichen mir zum Trost. Du rüstest mir ein Mahl jenen zum Trotz, die mich bedrängen. Du salbst mein Haupt mit Öl. Mein übervoller Becher, wie köstlich ist er doch!“

Diese Vorsehung Gottes können wir in der Heiligen Schrift, in der Geschichte und in unserem eigenen Leben erkennen. Wenn wir die Heilige Schrift lesen, dann sehen wir immer wieder die Führung und Fügung Gottes. Denken wir etwa an Noe, der vor der Sintflut gerettet wurde, weil er gerecht war. Denken wir an das Schicksal des ägyptischen Joseph, der als Sklave verkauft wurde und in Ägypten zum Vizekönig aufstieg! Denken wir auch an das Leben unseres Heilandes, der von seinem Vater geführt wurde, gewiß nicht ohne Schmerzen und ohne Qualen, aber doch zum endlichen Triumph. Auch in der Geschichte können wir die Fügungen und Führungen Gottes beobachten. Man muss nur die Augen öffnen. Man muss sich nur bemühen, die Wege Gottes zu erkennen. Dann sehen wir, dass die Vorsehung Gottes über der Menschheit wacht. Sie wacht auch über die Kirche. Die Vorsehung Gottes schließt nicht aus, dass Verfolgungen kommen, aber diese Verfolgungen sind eben die Zuchtrute Gottes. Wenn die Kirche schlaff geworden ist, wenn sie selbst sich nicht die nötigen Leiden und Entbehrungen auferlegt, zum Beispiel in der Fastenzeit, dann kann es sein, dass Gott äußere Verfolgungen kommen lässt. Das ist die Geißel Gottes. Ohne Verfolgungen gäbe es keine Martyrer. Ähnlich ist es mit den inneren Schwierigkeiten in der Kirche. Da stehen Irrlehrer auf. Diese Irrlehrer zwingen die Kirche, zwingen das Lehramt der Kirche, sich tiefer in die Wahrheit zu versenken und bessere Argumente für die Glaubenssätze zu finden. Ohne Irrlehrer gäbe es auch keine Kirchenlehrer und keine Bekenner.

Und so ist es auch in unserem eigenen Leben. Meine lieben Freunde, wenn wir zurückschauen auf die Jahrzehnte unseres Lebens, dann, glaube ich, kann man nur in den ergreifenden Ruf des Psalmisten ausbrechen: „Misericordias domini in aeternum cantabo“ – Ich will die Erbarmungen Gottes in alle Ewigkeit preisen. Was ist alles über uns gekommen in diesen Jahrzehnten! Was haben wir alles durchmachen müssen. Und doch hat es zum Schluß wieder gelangt, hat es wieder gereicht, haben wir durchgefunden, konnten wir es ertragen, mussten wir am Schluß die Erbarmungen Gottes anbeten. Freilich gibt es schwierige Fragen, nämlich die Fragen des Leidens und der Sünde. Die Leiden sind mit der Vorsehung Gottes nicht unvereinbar. Die Leiden haben nach Gottes Plan einen bestimmten Sinn. „Trifft dich ein Schmerz, so halte still und frag dich, was er von dir will. Der liebe Gott, der schickt dir keinen nur darum, dass du solltest weinen.“ Nein, meine lieben Freunde, die Leiden haben zwei Ursprünge, nämlich einmal die Begrenztheit und die Unvollkommenheit der Dinge. Hitze und Kälte setzen uns zu. Die Kräfte des menschlichen Körpers verbrauchen sich. Das ist der Gang der Dinge. Man kann nicht als alter Mann dieselbe Arbeitsleistung vollbringen wie als junger. Und die Werkzeuge nutzen sich ab, sie zersplittern, sie zerbrechen, sie gehen verloren. Also es ist in der Unvollkommenheit und Begrenztheit der Dinge begründet, dass sie uns Leiden verursachen. Man muss sie nur recht verstehen. Ich hatte als Schüler einen Freund, mit dem ich bis zu seinem allzu frühen Tode verbunden war. Seine Ehefrau lebt noch heute. Aber wie lebt sie? Seit 30 Jahren leidet sie an multipler Sklerose. Fortwährend stirbt ein Organ und eine Fähigkeit immer mehr ab. Aber ich habe nie eine Klage aus dem Munde dieser Frau gehört. Sie weiß um die Begrenztheit des Menschen und den Sinn der Leiden.

Das Leiden ist also einmal durch die Unvollkommenheit und Begrenztheit der menschlichen Natur begründet, zum andern aber auch durch die Sünde. Wir wissen ja, und jede Zeitung bestätigt es uns aufs neue, wie die Sünde zum Leiden führt. Wenn man sich beklagt über die Verheerungen, die durch das Virus, das man mit Aids bezeichnet, angerichtet werden, ja, meine lieben Freunde, dann muss man feststellen: Aids ist Folge von Sünden; die Aids-Krankheit ist beherrschbar, sie ist vermeidbar. Aber man muss halt die Gesetze der geschlechtlichen Sittlichkeit beobachten. Da hilft es nicht, zu sagen, man soll Kondome nehmen. Man soll sich enthalten. Man soll die Promiskuität im geschlechtlichen Verkehr nicht üben. Das ist die Aufgabe, die wir haben. Und so werden sich viele, viele Leiden auf Sünden zurückführen lassen. Was haben die Habsucht, die Herrschsucht schon für Leiden angerichtet!  Der Zorn, die Wut, die Erbitterung, die Unversöhnlichkeit, welche Leiden richten sie an!

Das Leiden hat einen Sinn, nämlich es soll den Sünder dazu veranlassen, seine Schuld wieder gutzumachen. Wir sollen durch Leiden das sühnen, was wir gegen Gott gesündigt haben. Es ist ein Segen, wenn wir das auf Erden leisten dürfen und nicht in der Ewigkeit. Das Leiden hat auch den Zweck, dass der Sünder sich bessert. Wenn die Leiden ihn treffen, soll er in sich gehen und soll sich bekehren. Es ist also die Liebe Gottes, die ihn ruft. Der König David hatte einst die Frau seines Offiziers Urias begehrt und geschwängert. Als er dessen gewahr wurde, gab er Befehl, den Gatten dieser Frau an der Front an eine Stelle zu setzen, wo er dem Feinde ausgeliefert wäre. Er hat also auch den Tod dieses Mannes verursacht. Aber der Schmerz über seine Untat ging dann in ihm sehr tief. Der Sohn, den er gezeugt hatte mit der Frau des Urias, starb. Gott hat ihn also gezüchtigt, damit er in sich gehen könne. Auch gute Menschen trifft das Leid. Für sie ist das Leid eine Segensquelle der Erlösung. Sie werden dadurch dem Heiland ähnlich. Das unverschuldete Leiden ist ein Meißel in der Hand Gottes. Es will das Christusbild in uns formen. Wir sollen so geartet sein wie Jesus. Der Schmerz ist der große Lehrer der Menschen. Unter seinem Hauch entfalten sich die Seelen.

Die Sünde ist nicht von Gott gewollt, wie das Leiden gewollt sein kann. Die Sünde ist nicht gewollt, denn sie greift in die Ewigkeit. Gott will die Sünde nicht, er billigt sie nicht, aber er verhindert sie auch nicht. Warum nicht? Weil er Ehrfurcht hat vor der menschlichen Freiheit. Er hat Achtung vor der Persönlichkeit des Menschen. Er erträgt lieber die eigene Verachtung und Beleidigung, als dass er dem Menschen die Freiheit nimmt.

Hier stehen wir vor einem Geheimnis göttlicher Größe. Und doch ergreift die Vorsehung auch die Sünde, einmal weil sie mit Sicherheit ihre Strafe findet. Die Sünde findet immer ihre Strafe, sei es in diesem Leben oder im jenseitigen. „Du hast es befohlen, o Gott, und so ist es“, schreibt Augustinus, „dass seine Strafe sich selbst ist jeder ungeordnete Geist.“ Jawohl, die Sünde trägt ihre Strafe in sich selbst. Und wenn nicht gleich, dann später. „Ich sah den Gottlosen hoch erhaben wie eine Zeder. Ich ging vorüber, und er war nicht mehr.“ Einmal ist Zahltag für jeden Sünder. Die Sünde wird bestraft. Aber die Sünde kann auch eine heilsame Wirkung auf den Sünder ausüben. Er kann sie benutzen, dass sie ihm zum Besten dient, denn durch den Fall in die Sünde ist mancher starke Tugendbold, der auf andere herabschaute, in sich gegangen, demütig geworden und hat sich bekehrt. Der heilige Augustinus hat zu dem Satze „Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Besten“ hinzugefügt: „Auch die Sünde.“ Denen, die Gott lieben, gereicht auch die Sünde zum Besten, wenn er sie recht benutzt, nämlich dazu, in sich zu gehen, demütig zu werden, sich zu bekehren und auf Gottes Gnade zu vertrauen.

Wir werden, meine lieben Freunde, die Rätsel dieses Lebens in dieser Weltzeit nicht lösen können. Wir werden immer wieder fragen wie jene Angehörigen, die auf dem Mombacher Friedhof auf einen Grabstein das Wort gesetzt haben: „Warum?“ Und ein Fragezeichen dahinter. Aber wir können uns klarmachen, dass erst in der Ewigkeit die Schatten von unseren Augen genommen werden können. Wir dürfen auf Erden nicht alles durchschauen, denn Gott muss der Herr auch der Erkenntnis bleiben. Auf Erden geht es uns wie mit einem Teppich. Wenn man die untere Seite betrachtet, da sieht man wirre Fäden, die scheinbar zusammenhanglos sich fügen. Aber wenn man die Schauseite anblickt, da sieht man das wunderbare Muster, das der Teppichknüpfer in diesen Teppich hineingelegt hat. So wird es uns einmal gehen in der Ewigkeit. Dann werden die Rätsel gelöst werden. Dann wird der Glaube, der sich nicht hat irremachen lassen, belohnt werden durch das Schauen.

Amen.

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