Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. Oktober 1989

Die göttliche Vorsehung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im Jahre 1837 spielte sich in Köln ein denkwürdiges Ereignis ab. Der Oberpräsident der Rheinprovinz zog mit Polizisten vor das Haus des Erzbischofs und verhaftete ihn. Welches Verbrechen hatte denn der Erzbischof begangen? Er hatte sich dafür eingesetzt, daß die Kinder aus Mischehen katholisch erzogen werden, und das duldete der preußische Staat, der dem Protestantismus hörig war, nicht. So wurde also der Erzbischof verhaftet und auf die Festung Minden verbracht. Als er aus seinem Hause trat, sprach er, indem er sich emporreckte, die Worte: „Alle Haare des Hauptes sind gezählt.“ Damit hatte Erzbischof Droste-Vischering ein Wort aus der Heiligen Schrift aufgegriffen, wo der Herr die Jünger zu furchtlosem Bekenntnis mahnt. Da sagt er, daß Gott für die geringsten Wesen sorgt, für die Sperlinge, und daß er sogar die Haare des Hauptes gezählt hat. Wenn er also sich um so kleine Dinge kümmert, um wieviel mehr erst um größere!

Mit dem Satze: „Alle Haare des Hauptes sind gezählt“, hatte der Erzbischof auch auf ein kirchliches Dogma verwiesen, nämlich auf den Glaubenssatz von der göttlichen Vorsehung. Dieser Glaubenssatz lautet: „Gott schützt und lenkt alles Geschaffene mit seiner Vorsehung.“ Das I. Vatikanische Konzil hat diese Glaubenswahrheit deutlich ausgesprochen, indem es sagte: „Er waltet machtvoll von einem Ende der Erde bis zum anderen und ordnet alles wunderbar. Er schützt und leitet alles, was er geschaffen hat.“

Gott ist also nicht nur die Erstursache, wie wir am vergangenen Sonntag hörten, die überall mitwirkt, ja zuerst wirkt, sondern er ist auch mit seiner weisen Vorsehung am Lauf der Welt beteiligt. Gott hat einen Plan mit der Welt, einen Weltplan, und diesen Plan führt er durch. Den Weltplan und seine Durchführung nennt man die Vorsehung Gottes. Die Vorsehung Gottes ist im Alten und Neuen Testament mannigfach bezeugt. Die Psalmen sind erfüllt vom Vertrauen auf die Vorsehung Gottes, und in der Geschichte Israels zeigt sich die Vorsehung Gottes, wie er sein Volk aus Ägypten führt durch die Wüste, wie er sich seiner annimmt, indem er für Wasser und für Speise besorgt ist. Die Vorsehung Gottes zeigt sich auch an einzelnen Gestalten. Wie hat er den Moses behütet, der wunderbar gerettet wurde, als die Erstgeburt der Israeliten vernichtet werden sollte! Wie hat er den ägyptischen Josef beschützt, als er im Gefängnis saß und dann doch zur Höhe des Vizekönigtums erhoben wurde! Gott sorgt für die Geschöpfe. „Er sorgt für die Kleinen und für die Großen“, schreibt das Buch der Weisheit. Und im Neuen Testament wird diese Lehre aufgenommen, zuerst vom Heiland selbst. Er weist hin auf das Gras des Feldes, auf die Lilien: „Seht, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht, und doch war Salomon in seiner Herrlichkeit nicht so schön gekleidet wie sie. Und die Vögel des Himmels, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen, und der Vater im Himmel ernährt sie. Um wieviel mehr für euch Kleingläubigen!“

Die Apostel nehmen diese Lehre des Heilandes auf. Der Apostel Petrus schreibt: „Werft alle euere Sorgen auf den Herrn, denn er sorgt für euch!“ Und der Apostel Paulus sagt: „Gott gibt allem Leben und Atem und alles.“

Das theologische Denken hat sich der Vorsehung Gottes angenommen und sie unterschieden in verschiedene Arten. Es gibt eine allgemeine, eine besondere und eine ganz besondere. Die allgemeine Vorsehung gilt allen Geschöpfen, auch den vernunftlosen. Die besondere Vorsehung gilt den vernünftigen Geschöpfen, also zuerst den Menschen, und die ganz besondere Vorsehung gilt den Auserwählten, denjenigen, die Gott von vorneherein für den Himmel bestimmt hat und die er deswegen mit unfehlbarer Sicherheit zu diesem Ziel geleitet. Es gibt eine ordentliche und eine außerordentliche Vorsehung. Die ordentliche ist jene, die im gewöhnlichen Gang der Dinge sich betätigt. Die außerordentliche Vorsehung greift bei besonderen Anlässen ein, z.B. wenn ein Wunder geschieht oder wenn die Kirche einen Glaubenssatz feierlich als unfehlbares Dogma verkündet. Es gibt eine mittelbare und eine unmittelbare Vorsehung. Die mittelbare bedient sich der Zweitursache. Bei der unmittelbaren Vorsehung greift Gott selbst unmittelbar ein und wirkt mit seiner allmächtigen Hand.

Die Vorsehung Gottes ist für die Menschen ein großer Trost. Wenn wir die Ungläubigen anschauen, dann sehen wir, daß sie im besten Falle ein Fatum, ein augenloses Schicksal über sich walten sehen. Man spricht dann vom Fatalismus. Es kommt doch so, wie es kommen muß, weil eben das Schicksal über der Welt waltet. Diese Anschauung kommt aus dem griechischen Heidentum. Die Griechen nahmen eine Schicksalsgottheit an, Tyche genannt. Die Tyche ist eine Zufallsgöttin, eine Göttin, die über allen anderen Göttern steht und als blinder Zufall die Würfel in der Menschen- und in der Weltgeschichte wirft. Gegen diese Tyche, gegen die Schicksals- und Zufallsgottheit, haben sich schon damals fromme Männer erhoben und haben gesagt: Nein, es gibt auch eine Pronoia, es gibt auch eine Vorsehungsgottheit. Das haben schon die Heiden erkannt, die frommen Heiden, die es ja auch gab. Und die Pronoia, diese Vorsehungsgottheit, durchwaltet das All und steht über dem Leben des Menschen, und man muß sich ihr anpassen und ihr unterordnen und vertrauensvoll übergeben. Das haben schon die Heiden erkannt. Diese Ahnungen der Heiden wurden bestätigt durch die Offenbarung Gottes im Alten und im Neuen Testament. Die Vorsehung Gottes wirkt mit unfehlbarer Sicherheit. Was geschieht, ist im göttlichen Weltplan vorgesehen. Für Gott gibt es keinen Zufall. Es ist alles geplant, von Gott entweder gewollt oder wenigstens zugelassen. Gott kann nicht überrascht werden. Man kann Gott nicht vor unerwartete Lösungen stellen. Nichts, was geschieht, ist außerhalb des Weltplanes Gottes.

So auch nicht das Schicksal seines Sohnes Jesus Christus. Auch dieses Schicksal war in Gottes Plan vorgesehen. Im Neuen Testament wird die Vorherbestimmung des Schicksals Jesu immer mit dem Worte dei, dem griechischen Worte dei wiedergegeben. Das heißt: Es muß! Es mußte so kommen. So hat der Heiland selbst zu den Emmausjüngern gesagt: „Mußte nicht Jesus alles das leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“ Und so haben es auch die Apostel verkündigt in ihren Reden, etwa der Petrus bei der Pfingstpredigt: „Den Jesus habt ihr, da er nach Gottes bestimmtem Plan und Vorherwissen ausgeliefert war, durch Gesetzlose ans Kreuz genagelt und getötet.“ Also: Da er nach Gottes bestimmtem Plan und Vorherwissen ausgeliefert war. Kein Betriebsunfall, kein unverdientes Schicksal, keine unvorhergesehene Katastrophe hat sich zugetragen, sondern ein göttlicher Weltplan kam in dem Leiden und Sterben, natürlich auch in dem Auferstehen unseres Heilandes, zur Durchführung. Gottes Vorsehung ist unfehlbar. Sie kommt mit unfehlbarer Sicherheit an das Ziel.

Deswegen wird das Bittgebet nicht überflüssig, denn Gott tritt nicht in Konkurrenz zum Bittgebet, sondern er schafft die menschliche Freiheit, und er schafft auch das Bittgebet. Und das Bittgebet ist in seine Weltordnung und in seinen Weltplan eingebaut. Das Bittgebet hat seine volle Berechtigung. Auch wenn Gott es weiß, was geschehen wird, wird das Bittgebet keineswegs überflüssig.

Die Vorsehung Gottes ist nicht so geartet, daß sie dem Menschen alles Schwere erspart. Das sehen wir an seinem Christus. Ihm hat er viel zugemutet. Und so darf man sich nicht wundern, wenn Gottes Vorsehung auch dem Einzelmenschen oder einem ganzen Volk Schweres zu tragen gibt. Man muß sich auch dann unter die Vorsehung Gottes beugen, wenn sie Harsches und Leidvolles über den Menschen bringt.

Meine lieben Freunde, am 9. April 1241, ging die Herzogin Hedwig von Schlesien über die Walstatt bei Liegnitz, das Schlachtfeld des großen Abwehrkampfes gegen die Mongolen, und suchte ihren gefallenen Sohn. Sie fand ihn, den einzigen Sohn, der ihr von vier Söhnen verblieben war, getötet von den Mongolen. Und was hat sie gesagt, als sie bei ihrem Sohne war? „Es ist Gottes Wille so, und es muß uns gefallen, was ihm gefällt und was er will.“ Es muß uns gefallen, was ihm gefällt und was er will! So sprach eine Heilige, und so wollen wir uns bemühen, es ihr nachzusprechen, wollen auf die Vorsehung vertrauen, wollen aber auch gefaßt sein, daß die Vorsehung Gottes uns schweres Leid zumutet. Gottes Vorsehung täuscht sich nicht, Gottes Vorsehung kommt zu ihrem Ziele. Gott ist nicht nur die Allursache, sondern er ist auch der Gott der Vorsehung.

Vor einiger Zeit fuhr ein Schiff von Liverpool nach New York. Auf der Fahrt kam ein heftiger Sturm auf. Er schüttelte das Schiff, und die Passagiere gerieten in Angst und Unruhe. Auch das achtjährige Töchterchen des Kapitäns wurde wach und fragte, was es gebe. Man sagte ihm Bescheid. Da stellte das Kind die Frage: „Ist der Vater oben?“ „Ja.“ „Dann ist es gut,“ sagte das Kind und schlummerte wieder ein. Der Vater ist oben, der himmlische Vater, und wir können beruhigt sein und uns in seine Hände übergeben.

Amen.

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