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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das heilige Messopfer (Teil 1)

5. Februar 2017

Das Messopfer als anamnetische Repräsentation des Kreuzesopfers

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unsere evangelischen Mitbürger begehen in diesem Jahre den 500. Jahrestag des Beginns ihrer Ablösung von der katholischen Kirche. Der Urheber dieser Bewegung war der Augustinermönch Martin Luther. Als er begann mit seiner Loslösung von der wahren Kirche im Jahre 1517, war er seit zehn Jahren Priester. Er verwarf nach und nach viele Lehren und Einrichtungen der Kirche. Mit ungestümer Leidenschaft schritt er ein gegen die katholische Eucharistiefeier. Für Luther war die katholische Messe der größte und schrecklichste Greuel. Er sah darin den Versuch, den überragenden Wert des Kreuzesopfers zu bestreiten und an seine Stelle ein menschliches Werk zu setzen. Er behauptete von sich: „Von der Zeit der ersten Messe an (1507) habe ich mit großem Entsetzen Messe gelesen und danke Gott, dass er mich daraus erlöset hat.“ Keine Sünde der Unzucht, sagt er, ja Todschlag, Diebstahl, Mord, Ehebruch seien so schädlich und so schlimm wie die katholische Messe. Das lesen unsere evangelischen Mitbürger heute noch in ihren Bekenntnisschriften. Ich will versuchen, diese unerhörten Beschuldigungen zu widerlegen. Wir wollen prüfen, ob der Vorwurf Luthers, das katholische Messopfer beeinträchtige den Wert des Kreuzesopfers und richte ein Menschenwerk neben dem Gotteswerk auf, ob dieser Vorwurf berechtigt ist. Dies will ich dadurch tun, indem ich Ihnen die katholische Lehre vom Messopfer vorlege.

Nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift hat Christus durch seinen Tod ein Opfer vollzogen. Ein anderes als dieses Opfer gibt es im Christentum nicht. Christus ist das Sühnopfer für die Sünden. Der Vater im Himmel hat ihn für alle hingegeben, und der Sohn hat im Gehorsam den Willen des Vaters vollzogen und sich für unsere Sünden geopfert. Durch dieses Opfer ist er unser Hoherpriester geworden, denn das ist das Wesen des Priesters: zu opfern. Als Hoherpriester ist er durch den Tod hindurchgeschritten und in das Allerheiligste eingegangen. Kraft seines Blutes haben auch wir zuversichtliche Hoffnung auf den Eintritt in das Allerheiligste. Der Vater hat das Opfer angenommen. In der Auferstehung, in der Himmelfahrt, in der Geistsendung zeigt er seine Annahme des Opfers Christi. Christus hat sich einmal geopfert. Sein Todesopfer ist ein einmaliges geschichtliches, nicht wiederholbares Ereignis. Die heidnischen Kultfeiern des Mythos ereigneten sich jedes Jahr, nämlich beim Wiederaufblühen der Natur. Und durch die Opfer des Alten Testamentes musste immer neu versucht werden, Gott zu versöhnen. Nein, das vom menschlichen, vom menschgewordenen Gottessohn vollzogene Opfer ist ein für allemal gültig für die Aussöhnung der ganzen Menschheit. In seiner Vollkommenheit verträgt und braucht es keine Wiederholung; das Blut Christi wirkt für immer. Christus stirbt nicht mehr. Nachdem er in der vom Vater bezeichneten geschichtlichen Stunde vor den Toren Jerusalems gelitten hat, ging er ein in die Herrlichkeit des Vaters, und tritt jetzt am Throne des Vaters für uns ein. Er übt im Allerheiligsten des Himmels ein ewiges Priestertum aus. Er ist der eine Priester, der in Ewigkeit bleibt, und darum ein unvergängliches Priestertum hat. Dieser priesterliche Dienst ist Opferdienst. Christus stellt in der Herrlichkeit des Himmels dem Vater fortwährend sein Opfer vor. Er bringt ihm das Opfer des Lobes und des Dankes dar, das auf seinen Lippen nie mehr verstummen wird.

Nun ist das Kreuzesopfer Christi nicht ein isoliertes Ereignis. Christus opfert vielmehr als Haupt der Menschheit. Er opfert, um die Menschheit in sein Opfer hineinzuziehen, sie soll an seinem Opfer Anteil gewinnen. Diese Anteilnahme geschieht im Glauben und in der Liebe. Durch den Glauben und durch die Liebe gewinnt der Mensch Anteil am Opfer Christi. Der rechte Vollzug dieses Glaubens und dieser Liebe beginnt mit der Taufe. Durch die Taufe erlangt der Mensch heilsmächtigen Anteil am Sterben und an der Auferstehung des Herrn. Die Taufe zieht uns in das Sterben und Auferstehen des Herrn hinein, insofern die Taufe ein Sieg über Sünde und Tod war. Die Taufe ist kein Opfer, sie ist ein Sieg über Sünde und Tod. Aber die in der Taufe begründete Gemeinschaft mit Christus ist darauf hingeordnet, dass sie sich auswirkt in der Hingabe an den Vater im Himmel. Diese Hingabe hat Christus vollzogen in seinem Tode, und deswegen muss der Christ, der völlige Teilnahme an Christus gewinnen will, in seinen Opfertod hineingezogen werden. In der Zeit zwischen Geistsendung und Wiederkunft des Herrn nimmt die Kirche an der im Kreuzestode geschehenen Selbsthingabe Christi teil im wirklichkeitserfüllten Zeichen des eucharistischen Opfers. Das eucharistische Opfersakrament gehört untrennbar zu der pilgernden Kirche. Und damit lässt sich auch die Frage beantworten, ob die Existenz des eucharistischen Opfers nicht der Einmaligkeit des Kreuzesopfers widerspricht. Von einem solchen Widerspruch kann deswegen keine Rede sein, weil das eucharistische Opfersakrament nichts anderes ist als das Kreuzesopfer in sakramentaler Form. Die Eucharistie ist das Sakrament des Kreuzesopfers, nicht ein zweites Opfer neben dem Kreuzesopfer. Das Konzil von Trient hat gegen die reformatorischen Irrtümer diese Offenbarungstatsache bekannt: „Eucharistisches Opfersakrament und Kreuzesopfer fallen im wesentlichen zusammen.“ Die Dieselbigkeit, die Identität, zwischen Kreuzesopfer und eucharistischem Opfer sieht das Konzil dadurch verbürgt, dass beide Male die Opfergabe dieselbe ist und der Opferpriester derselbe ist: Christus. Christus opferte am Kreuze in blutiger Weise, er opfert im eucharistischen Opfer in unblutiger Weise. Aber es ist immer Christus, der opfert und der sich selbst zum Opfer darbringt. Wir gehen nur in seine Opferhingabe hinein. Und deswegen ist das eucharistische Opfer ein Gedächtnisopfer, eine Gedächtnisfeier. Das Konzil von Trient hat die unaufgebbaren Ausdrücke „memoria“ und „repraesentatio“ für dieses Opfer gewählt. „Wer sagt, in der Messe werde Gott nicht ein wirkliches und eigentliches Opfer dargebracht, oder die Opferhandlung bestehe in nichts anderem, als dass uns Christus zur Speise gereicht wird, der sei ausgeschlossen.“ „Wer sagt, durch jene Worte: ‚Tut dies zu meinem Andenken!‘ habe Christus seine Apostel nicht zu Priestern bestellt oder nicht angeordnet, dass sie selbst und die anderen Priester seinen Leib und sein Blut opferten, der sei ausgeschlossen.“ Weil in diesem göttlichen Opfer, das in der Messe gefeiert wird, derselbe Christus enthalten ist und unblutig geopfert wird, der sich einmal am Kreuzaltar blutig hingegeben hat, deswegen lehrt das Konzil: „Dieses Opfer ist ein wirkliches Sühneopfer, und es bewirkt, dass wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe.“ Ja, wie sollte es etwas anderes sein, wenn es das Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt ist? Natürlich muss es ein Sühneopfer sein, denn das Kreuzesopfer war ja auch ein Sühneopfer. Es ist ein und dieselbe Opfergabe und es ist ein und derselbe Opferpriester, und deswegen besteht die Identität zwischen Kreuzesopfer und Messopfer.

Wir können versuchen, die Begriffe Gedächtnis (memoria) und Darstellung (repraesentatio) uns näher zu verdeutlichen. Das Messopfer ist ohne Zweifel ein Gedächtnis des Kreuzestodes. Es ist ein solches Gedächtnis, weil es zunächst ein Gedächtnis des Abendmahles ist. Aber in dem Abendmahle wurde ja der Tod Jesu vorweggenommen: Mein Leib, der für euch hingegeben wird. Mein Blut, das für euch vergossen wird. Das Abendmahl hat das Kreuzesopfer schon in sich gehabt, weil es die Opferspeise den Jüngern darbot. Das Messopfer ist deswegen ein Gedächtnis des Kreuzesopfers. In seinem Vollzug denken wir an das Kreuzesopfer, zunächst psychologisch: wir denken daran. In jeder heiligen Messe, meine lieben Freunde, beten Sie mit mir nach der Wandlung: „Daher sind wir denn eingedenk (Gedächtnis – memores), Herr, wir, deine Diener, aber auch dein heiliges Volk, des heilbringenden Leidens.“ Und jetzt kommt das andere: weil wir eingedenk sind, weil wir uns psychologisch an das Opfer erinnern, deswegen bringen wir dar (jetzt kommt die Opferbeschreibung) deiner erhabenen Majestät von deinen Geschenken und Gaben ein reines Opfer, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer. Das eucharistische Opfer ist ein Gedächtnis, aber ein Gedächtnis durch den Vollzug, ein Gedächtnis nicht bloß intentionaler Art im Geiste, sondern in der Realität, in der Wirklichkeit. Das Messopfer ist – ich spreche mit meinem Lehrer Michael Schmaus – „eine sakramentale Epiphanie von Golgotha“ – eine sakramentale Epiphanie von Golgotha. Die Eucharistie ist ein wahres Opfer, weil der am Kreuze geopferte Leib und das am Kreuze geopferte Blut Christi als Opfergaben gegenwärtig werden, die wir, die Kirche, das Volk Gottes, dem Vater darbringen. Wir opfern Leib und Blut Christi, indem wir an jener Hingabebewegung teilnehmen, in der Christus selbst Leib und Blut dem Vater dargebracht hat. Diese Teilnahme wird durch die Eucharistie und nur durch die Eucharistie ermöglicht, insofern sie ein sakramentales Abbild des wirklichen Leidens Christi am Kreuze ist. Das Messopfer ist kein neues, kein zweites Opfer neben dem Kreuzesopfer, es ist das Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt. Christus setzt in der ununterbrochen anhaltenden Kraft seiner Liebe, die ihn auf Golgotha hinaufführte, sein Fleisch und sein Blut und so sich selbst im sakramentalen Symbol gegenwärtig. Christus aktualisiert seinen Opfertod im Messopfer. Christus setzt keinen neuen Akt der Liebe und des Gehorsams gegen den himmlischen Vater, das wäre ja ein neues Opfer, nein, der in geschichtlicher Stunde gefasste Opferwille, den Jesus nie aufgegeben hat, dieser Opferwille tritt in jedes Messopfer ein und verleiht ihm seinen unermesslichen Wert. In der Eucharistie aktualisiert sich das Kreuzesopfer in einer sakramentalen Vollzugsweise. Die Eucharistie ist das von der Kirche funktional gegenwärtig gesetzte Kreuzesopfer. Es ist ein Realgedächtnis, ein Realgedächtnis, das ganz auf das Kreuzesopfer zurückbezogen ist, und deswegen ist die Messe auch ein Opfer als vergegenwärtigende Gedächtnisfeier des Todes Jesu Christi, als anamnetische Repräsentation – das Wort müssen Sie sich merken: anamnetische Repräsentation. Anamnetisch heißt gedächtnismäßige, Repräsentation heißt Vergegenwärtigung. Das einmalige, unüberholbare und unüberbietbare Kreuzesopfer ist im Messopfer gegenwärtig; es wird dargestellt und es wird vergegenwärtigt. Das Messopfer ist eine wirklichkeitserfüllte Darstellung des Kreuzesopfers. Die Messe ist kein neues, kein anderes Opfer, wie Luther meinte, als das Kreuzesopfer, auch nicht dessen Wiederholung oder Ergänzung – denn das Kreuzesopfer braucht keine Wiederholung und Ergänzung –, sondern nur dessen sakramentale Vergegenwärtigung unter verhüllend andeutenden Zeichen.

Das gläubig personale Mitopfern mit Christus ist nicht versuchte Aufrichtung eigener Gerechtigkeit, sondern das Ergreifen und Aktualisieren der Erlösung Jesu heute und hier. Jesus übergibt seine Opfertat und sich selbst als Opfergabe der Kirche, damit sie die zunächst ohne sie vollbrachte Versöhnung sich innerlich zu eigen machen kann. Grund und Zweck der Gegenwärtigsetzung des Geschehens von Golgotha liegen darin, dass die räumlich und zeitlich von dem damaligen Geschehen Entfernten unmittelbar im Hier und Jetzt Zugang zu diesem Opfer gewinnen können. Weit davon entfernt, ein Menschenwerk neben dem Gotteswerk aufzurichten, ist die heilige Messe die Gegenwärtigsetzung des Gotteswerkes. Das Messopfer bezieht seinen ganzen Inhalt, seine Kraft und seine Wirkung aus dem Kreuzesopfer. Es ist ein Bild des Kreuzesopfers, ja, aber ein wirklichkeitserfülltes Bild. Es ist eine Nachahmung des Kreuzesopfers, jawohl, aber eine von seiner Kraft erfüllte Nachahmung. Es ist die im Kultsymbol erfolgende Aktualisierung des Kreuzesopfers. Für diese Opfer, meine lieben Freunde, kündigen wir jede Freundschaft! Für diese Opfer wagen wir jede Schlacht!

Amen.

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