Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das hohe Gut des wahren Glaubens (Teil 5)

5. Dezember 2004

Der Atheismus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Viele von Ihnen kennen die „Alpensymphonie“ von Richard Strauß. In diesem Tonwerk hat der bayerische Komponist seine Heimat beschrieben, die gewaltigen Berge und die Naturerscheinungen, die mit diesen Bergen verknüpft sind, vom Sonnenaufgang bis zum Gewitter – eine Alpensymphonie. Aber viele von Ihnen werden nicht wissen, dass diese Alpensymphonie zuerst den Titel trug „Der Antichrist“. Der Antichrist. Ja, warum denn? Weil Richard Strauß ein vom Glauben abgefallener Nichtchrist war. Er sagte selbst, er sei ein leidenschaftlicher Antichrist, und er schrieb an Hugo von Hoffmannsthal, er hoffe noch auf bessere Zeiten, vielleicht „wenn einmal das Christentum von der Erde verschwunden ist“. Das ist der ehemals katholische bayerische Komponist Richard Strauß, ein Atheist. Wir wollen heute über den Atheismus sprechen. Atheismus ist die Unwissenheit oder die Leugnung Gottes. Er tritt also in zwei Formen auf, entweder als Unwissenheit Gottes oder als Leugnung Gottes.

Zunächst: Atheismus als Unwissenheit, als Unkenntnis Gottes. Kann es so etwas geben? Ich meine ja. Wer nie etwas von Gott gehört hat, wer keine religiöse Erziehung empfangen hat, wem in der Öffentlichkeit niemals die Augen für Gott geöffnet worden sind, der kann in totaler Unwissenheit von Gott leben. Zwar ist der Mensch gottverwandt, und diese Gottverwandtschaft wird sich auch unweigerlich im Menschen bemerkbar machen. Es gibt Hinweise auf Gott, ja es gibt sogar Beweise für Gott, und wer sich damit beschäftigt, der kann von seiner Unkenntnis geheilt werden. Die Heilige Schrift zeigt uns eindeutig, wie Gott aus der Natur erkannt werden kann. Im Buch der Weisheit heißt es: „Töricht waren von Natur alle Menschen, denen die Gotteserkenntnis fehlte. Sie hatten die Welt in ihrer Vollkommenheit vor Augen, ohne den wahrhaft Seienden erkennen zu können. Beim Anblick der Werke erkannten sie den Meister nicht, sondern hielten das Feuer, den Wind, die Luft, den Kreis der Gestirne, die gewaltige Flut oder die Himmelsleuchten für weltbeherrschende Götter. Wenn sie diese, entzückt über ihre Schönheit, als Götter ansahen, dann hätten sie auch erkennen sollen, wieviel besser ihr Gebieter ist, denn der Urheber der Schönheit hat sie geschaffen. Und wenn sie über ihre Macht und ihre Kraft in Staunen gerieten, dann hätten sie auch erkennen sollen, wieviel mächtiger jener ist, der sie geschaffen hat. Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen.“  Das Buch der Weisheit zeigt also, wie man durch schlussfolgerndes Denken von der Welt auf den Weltenherrscher, von der Schöpfung auf den Schöpfer schließen kann. „Wenn sie durch ihren Verstand schon fähig waren, die Welt zu erforschen, warum fanden sie dann nicht eher den Herrn der Welt?“ fragt das Buch der Weisheit.

Der Apostel Paulus hat diese Lehre des Alten Testamentes aufgenommen und in seinem Römerbrief geschrieben: „Denn was man von Gott erkennen kann, das ist ihnen offenbar. Gott hat es ihnen geoffenbart. Seit der Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen: seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar.“ Paulus meint also, ohne Schuld kann man nicht Gott verkennen. Ohne Schuld ist es unmöglich, ohne Gotteserkenntnis zu leben. Die Schöpfung, das Gewissen, die Vernunft verweisen auf Gott. Der Mensch, der von Gott kommt und gottverwandt ist, ist in sich ein Hinweis auf Gott. In dem Tagebuch eines gefallenen Soldaten stehen die Sätze: „Gedenke, o Gott, dass wir über dich nicht hinwegkommen können, denn in jeder Menschenseele ist eine Stelle, aus der du nicht vertrieben werden kannst.“ In jeder Menschenseele ist eine Stelle, aus der du nicht vertrieben werden kannst.

Dennoch muss man zugeben, dass es Menschen gibt, die Gott nicht kennen. Zwar spricht die Religionsgeschichte dafür, dass alle Völker irgendeine Kenntnis von Gott haben. Der Grieche Plutarch schreibt einmal: „Du kannst Städte finden ohne Mauern, ohne Münzen, aber du kannst keine Stadt finden ohne Altar und ohne Opfer.“ Ich weiß nicht, ob er das heute noch schreiben könnte, denn es gibt ja ganze Völkerschaften, die entchristlicht sind und wo die Rede von Gott verstummt ist. Dazu kommt, dass die Menschen allzu sehr beschäftigt sind. Sie sind beschäftigt mit den Plagen und mit den Freuden dieses Lebens. Sie denken nur an das Hier und Heute und geben sich damit zufrieden. Sie haben jedes Suchen nach einem jenseitigen Du aufgegeben, und so ist es denkbar, dass es in ihnen eine Leerstelle gibt, nämlich die Stelle, die Gott vorbehalten wäre. Die Unwissenheit und die Gleichgültigkeit in religiösen Dingen sind riesengroß. Vor einiger Zeit reiste ein Priester mit der Eisenbahn, und ihm gegenüber saß eine Dame. Diese Dame erklärte: „Ich bin ungläubig.“ Da fragte sie der Priester: „Haben Sie jemals Karl Adam gelesen?“ „Nein.“ „Haben Sie Romano Guardini gelesen?“ „Nein.“ „Haben Sie Leo Scheffczyk gelesen?“ „Nein.“ „Ja“, sagte er, „dann sind Sie nicht ungläubig, dann sind Sie unwissend.“ So ist es. Die Unwissenheit, die Unkenntnis Gottes ist horrende, weil die Menschen sich nicht um seine Kenntnis bemühen. Dazu kommt, dass die Verderbtheit der Menschen auch ein Hindernis ist, um zu Gott zu finden. Sie sind nicht daran interessiert, den kennen zu lernen, der ihnen Vorschriften macht, wie sie sich im sittlichen Leben verhalten sollen. Und so meiden sie jede Berührung mit Gott, jede Suche nach dem Schöpfer und Herrn der Welt. Die religiöse Unwissenheit, die Unkenntnis Gottes ist also durchaus denkbar. Und sogar das Zweite Vatikanische Konzil scheint mit einer schuldlosen, oder besser mit einer unschuldigen Unkenntnis Gottes zu rechnen; denn in der Konstitution über die Kirche heißt es, dass Gott denen das Heil nicht versagt, die ohne Schuld nicht zur Erkenntnis seines Namens gelangt sind.

Von der Unkenntnis Gottes verschieden ist die Leugnung Gottes. Die Leugnung Gottes – als einen Vertreter habe ich Ihnen Richard Strauß vorgestellt – hat viele philosophische Gedankengebäude entwickelt. Es gibt eine Menge philosophischer Systeme. in denen Gott nicht vorkommt, in denen sogar für Gott kein Raum ist. Es ist denkbar, dass jemand in den Methoden seiner Wissenschaft völlig aufgeht, dass er sich ein in sich geschlossenes Weltbild zurechtgemacht hat, in dem für Gott kein Platz ist. Als Laplace Napoleon seine Weltentstehungtheorie vorlegte, da fragte ihn Napoleon: „Wo haben Sie Gott?“ Laplace entgegnete: „Diese Hypothese brauche ich nicht.“ Es gibt Menschen, die eben nur die Methoden ihrer Wissenschaft gelten lassen und ihre für die Erkenntnis Gottes ungenügende Denkmethode für die einzig denkbare halten und dass sie so zur Leugnung Gottes gelangen.

Vor allem das 18. und 19. Jahrhundert sind voll von philosophischen Gedankengebäuden, die Gott leugnen. In Frankreich erinnere ich an Männer wie Voltaire, Holbach, Lamettrie, Maréshall, die an Frivolität nicht leicht zu übertreffen sind. In Deutschland waren es die Materialisten Büchner, Vogt, Moleschott, Häckel, unter deren Einfluß wahrscheinlich Richard Strauß seinen Glauben verloren hat. Aber dazu kamen dann auch die Links-Hegelianer, nämlich Anselm Feuerbach und Bruno Bauer sowie schließlich Karl Marx. Für Bruno Bauer, ursprünglich evangelischer Theologe, begreift der Mensch im Gottesgedanken sein eigenes Selbstbewusstsein. Der Gottesgedanke ist nichts anderes als das Selbstbewusstsein des Menschen. David Friedrich Strauß sieht im Gottesgedanken die Gattung Mensch ausgedrückt. Jeder Mensch ist in diesem Sinne Gott. Feuerbach findet im Gottesbegriff das Wesen des Menschen ausgedrückt und meint damit die Entfremdung, die der Mensch von sich selbst begeht. Sigmund Freud sieht im Gottesbegriff die Illusionen ausgedrückt, die sich der Mensch macht, den Vaterkomplex, den Ödipuskomplex, indem er sich ein Wesen, ein allmächtiges Wesen schafft, um von ihm geborgen zu sein. Und schließlich Karl Marx ist der Schöpfer des dialektischen und historischen Materialismus, der jahrzehntelang ganze Länder beherrscht hat. Die Gottlosen-Bewegung in Russland ist erst vor wenigen Jahren zusammengebrochen. Die Gottlosen begrüßten sich: „Es gibt keinen Gott!“ Die Antwort lautete: „Es hat keinen gegeben, und es wird keinen geben!“

Es gibt also ohne Zweifel philosophische Gedankengebäude, die Gott leugnen. Ob auch alle Anhänger dieser Gedankengebäude Gottesleugner sind, lässt sich nicht ohne weiteres ausmachen. Warum nicht? Wenn jemand, meine lieben Freunde, eine unwürdige, eine zurechtgeschneiderte Gottesvorstellung ablehnt, ist er damit noch nicht Atheist; denn es kann dieses Nein zu einer unwürdigen Gottesvorstellung mit einem Ja, mit einem heimlichen Ja zu einem würdigen Gottesbegriff verbunden sein. Der Heide, der heidnische Rhetor Symmachus beklagte sich einmal bei dem Bischof Ambrosius, dass die christlichen Kaiser die Götter schlecht behandeln. Darauf gab ihm Ambrosius zur Antwort: „Die Victoria – also die Siegesgöttin, der Sieg – die Victoria ist keine Göttin, sondern die Frucht der Tapferkeit der Legionen.“ Wie richtig! Wenn jemand meinte, die Vorstellung, Gott Vater sei ein alter Mann mit einem weißen Bart, diese Vorstellung sei nicht nur ein aufschlußreiches Bild, sondern eine Wiedergabe der Wirklichkeit Gottes, und wer diesen Gottesbegriff ablehnt, dem ist ohne weiteres zuzustimmen, denn das ist eine unwürdige Gottesvorstellung. Wenn wir Gott als alten Mann mit einem weißen Bart darstellen, wollen wir etwas ausdrücken, nämlich dass er Macht, Ursprung und Autorität besitzt. Aber mehr ist damit nicht verbunden. Man darf nicht etwa das Bild mit der Wirklichkeit gleichsetzen. Macht, Ursprung und Autorität soll dieses Bild von Gott als einem alten Mann mit weißem Bart ausdrücken.

Wir können innerhalb der Geschichte schlecht ausmachen, ob jemand schuldhaft sich von Gott entfernt hat oder ob er durch ungenügende Erziehung, durch ungenügende religiöse Erziehung vom Gottesglauben abgekommen ist. Wir wissen zum Beispiel von Richard Strauß, dass er in seinem Abiturzeugnis keine Note in Religion hatte. Er muss also sehr früh vom Glauben abgefallen sein; im Abiturzeugnis keine Religionsnote. Wie immer es sein mag, die Leugnung Gottes dürfte in den meisten Fällen aus einem bestimmten Interesse hervorgehen. Man kann sagen: Niemand leugnet Gott außer dem, der daran interessiert ist, dass es keinen Gott gibt. Und es gibt eben Menschen, die daran interessiert sind, dass er keinen Gott gibt. Eine Kategorie dieser Menschen hat Augustinus benannt, nämlich: Die Welt wäre nicht ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre. Die Welt wäre nicht ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre. Also der Aufstand gegen die Gebote der geschlechtlichen Sittlichkeit, die Gott dem Menschen auferlegt, kann ein Grund für die Leugnung Gottes sein. In dem Film „Himmel ohne Sterne“ sagt der Großvater zu Anna Kaminski: „Mein Gott ist tot.“ Mein Gott ist tot. Am 26. März 1993 weilte ich in Erfurt, und da sah ich das Auto eines Kaufmanns. Auf dem Auto war eine Aufschrift, und die lautete: „Wenn dein Gott tot ist – meiner lebt: Jesus!

Amen.

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