Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Zehn Gebote (Teil 6)

4. August 2002

Die Sonntagsheiligung (3.)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am Sinai gab Gott dem Volk Israel das Gebot, den siebenten Tag zu heiligen. An diesem Tage sollte sich das Volk von der Arbeit enthalten und dem Gottesdienst obliegen. Das Sinai-Gebot war ein Gottesgebot, aber es war nach Geltung und Umfang beschränkt. Es galt nämlich nur für das israelitische Volk, und es galt nur für die Dauer der Vorbereitung bis zur Fülle der Zeit. Als die Fülle der Zeit gekommen war, ist dieses Gebot entfallen. Wenn die Adventisten heute darauf beharren, daß Gott am Sinai gesagt hat: „Du sollst den Sabbat heiligen“, so müssen wir ihnen antworten: Ja, das hat er gesagt, aber er hat es gesagt für ein bestimmtes Volk und für eine bestimmte Zeit. Nachdem diese Zeit abgelaufen war, ist dieses Gebot hinfällig geworden.

Das neue Gottesvolk, das christliche Gottesvolk, hat von Anfang an einen anderen Tag geheiligt, nämlich den ersten Tag der Woche, den Sonntag, den Tag der Auferstehung des Herrn. Damals ist der Alte Bund zu Ende gegangen und der Neue begründet worden in Christus, unserem Herrn, und die Kirche hat diesen Brauch, diese Gewohnheit als ein Gebot allen Gliedern der Kirche vorgeschrieben. Sie sollen am Sonntag, am ersten Tag der Woche, die Arbeit einstellen, die knechtliche Arbeit vermeiden und dem Gottesdienst, dem Gebet obliegen. Auch das ist ein zeitgebundenes Gebot. Es gilt eben, so lange die Zeit der Kirche dauert. Aber beide Gebote, das vom Sinai und das im Neuen Testament, sind nichts anderes als der Ausdruck eines Urgebotes, eines Naturgebotes, das Gott in die Menschenseele, in die menschlichen Naturanlagen hineingelegt hat. Und dieses Naturgebot lautet: Es müssen Zeiten herausgehoben werden von den anderen Zeiten, in denen sich der Mensch sammelt, in denen er bei Gott einkehrt, in denen er seine Seele erhebt, in denen er aufschaut zum Schöpfer aller Dinge. Solche Zeiten muß es geben, denn sonst verkommt der Mensch, sonst geht er seelisch, religiös zugrunde.

Dieses Urgebot, dieses Naturgebot ist von äußerster religiöser Wichtigkeit. Denn an diesen Tagen, die Gott sich vorbehalten hat, will er den Menschen näher sein als an anderen Tagen. Da ist seine Gnade mächtiger, da ist seine Wirksamkeit durchschlagender. Diese von Gott ausgezeichneten Tage, die Sonn- und Feiertage, sind besondere Gelegenheiten, bei denen Gott sich treffen lassen will. An diesen Tagen kann man Gott leichter finden. An den Sonn- und Feiertagen gibt er uns eine Audienz, trifft er eine Verabredung, will er sich Zutritt zu uns verschaffen, können wir Zutritt zu ihm finden, leichter als an anderen Tagen. Und so hat es sich immer gezeigt, meine lieben Freunde, und das ist die Erfahrung, die wir Seelsorger stets gemacht haben: Wer dauernd und leichtfertig das Sonntagsgebot vernachlässigt, der geht als katholischer Christ zugrunde. Ein katholischer Christ kann nicht überdauern, wenn er das Sonntagsgebot dauernd und leichtfertig vernachlässigt. Denn unser Gott verabredet sich ja mit uns, und wir mißachten diese Verabredung, wenn wir den Sonntag nicht heiligen. In einem Menschen, der diese Verabredung mißachtet, da kommt Gott zum Schweigen, da verstummt Gott, da entgleitet der Mensch Gott, da sinkt das religiöse Leben, und der Mensch verliert die Verbindung mit seinem Schöpfer. Die Mißachtung des Sonntagsgebotes kann deswegen nicht streng genug verurteilt werden und kann nicht heftig genug bekämpft werden. „Wie der Sonntag, so dein Sterbetag“, sagt der Volksmund, und das ist richtig.

Es ist ein allgemeines Gesetz, daß Gott Zeiten und Orte, Zeichen und Verrichtungen, Gemeinschaften und Menschen besonders herausgehoben hat aus der übrigen Schöpfung. Das ist ein allgemeines Gesetz. Es gibt nicht nur heilige Zeiten; es gibt auch heilige Orte; es gibt auch heilige Veranstaltungen; es gibt auch heilige Verrichtungen; es gibt auch heilige Gemeinschaften, und es gibt heilige Menschen. Sie sind herausgehoben aus der übrigen Schöpfung und von einer besonderen Gnade Gottes erfüllt. Es ist nicht so, wie man heute gerne in rationalistischer Auflösung sagt, daß die Kirche nur der Ort ist, wo sich die Gemeinde versammelt. Natürlich tut sie das, aber sie versammelt sich deswegen, weil Gott im Kirchenraum ihr näher ist als anderswo, weil dort eine besondere Wirksamkeit Gottes stattfindet. Solch hervorgehobenen Gemeinschaften sind zum Beispiel die Kirche insgesamt und ihre Orden und Kongregationen. Solche hervorgehobenen Orte sind Gotteshäuser, Kapellen, Wallfahrtsorte. Solche hervorgehobenen Veranstaltungen sind die sakramentalen Geschehnisse, die sakramentalen Zeichen, das Taufwasser, die Taufworte, die Krankensalbung, die Priesterweihe, die Ehe. Das alles sind hervorgehobene und ausgezeichnete Stätten der Wirksamkeit und der Begnadigung Gottes, sind Zeichen der Nähe und der Wirksamkeit Gottes. Gott will aus der Unsichtbarkeit heraustreten in die Sichtbarkeit, und das tut er in Gemeinschaften, in Veranstaltungen, in Verrichtungen, in Zeichen, auch im Wort. Auch das Wort ist ein Hervortreten Gottes in die Sichtbarkeit.

Da gibt es Menschen, die sagen: Die Religion ist etwas ganz Innerliches, etwas Geheimnisvolles, es ist das Höchste und Heiligste im Menschen, und das soll im Inneren des Menschen verschlossen bleiben, das soll nicht nach außen treten. Ja, warum denn nicht? Warum soll denn das Heiligste nicht auch das Mächtigste sein? Warum soll das Heiligste nicht auch das Siegreichste sein? Warum soll es nicht in die Sichtbarkeit hinaustreten? Das Heilige ist doch geschaffen, um alles zu heiligen, um alles zu weihen, um alles in sich hineinzuziehen und sich anzueignen. Da kann man es nicht im Inneren verschließen. Es muß nach außen treten, es muß sichtbar werden. Und so sind eben die Sakramente sichtbare Zeichen der Nähe und der Wirksamkeit Gottes. So ist die Kirche das aufgerichtete Zeichen des Heils und der Heilsveranstaltung Gottes.

Wenn die Kirche geschaffen ist, um zu bestehen, dann muß sie sich auch ausbreiten. Denn was nicht wächst, das geht zugrunde. Was nicht wächst, das schrumpft. Die Kirche ist also gehalten, zu dem Bau zu werden, in dem alle Völker und alle Zeiten wohnen. Der Missionsbefehl des Herrn: „Geht hin und macht alle Völker zu meinen Jüngern!“ ist nicht nur ein Befehlswort, das eben erfüllt werden muß, weil es gesprochen wurde. Das ist eine innere Notwendigkeit. Dieses Hinauswachsen in die ganze Welt, das ergibt sich notwendig aus der inneren Gesetzmäßigkeit des Heiligen und Göttlichen. Es muß sich ausbreiten, wenn es leben will. Es muß wachsen, wenn es Bestand haben soll.

Da ergeben sich für uns gewichtige Aufgaben. Wir sollen das, was Gott sichtbar werden läßt, annehmen, aufnehmen und weitertragen. Es soll von uns anerkannt und angeeignet werden. Wir sollen das, was Gott sichtbar werden läßt, erfüllen und tragen. Anders kommt ja Gott nicht zu den Menschen. Er kommt nur durch Menschen zu den Menschen. Das Wort muß ausgerichtet werden, die Zeichen müssen gesetzt werden, die Kirche muß geleitet werden von Menschen, organisiert werden von Menschen, erfüllt werden von Menschen. Menschen sind die Träger des Göttlichen, Menschen sind Werkzeuge der Gnade, Menschen sind Medien der Sichtbarkeit Gottes. Es ist unsere Aufgabe, diese Sichtbarkeit Gottes zu tragen und zu erfüllen, auch die Sonn- und Feiertage. Indem wir sie hochhalten, indem wir sie heilighalten, indem wir sie weihen, erfüllen wir den Auftrag, den Gott uns für die Feiertage gegeben hat. Und diese Feiertage sollen sich verbreiten, sie sollen sich in die Werktage hinein ergießen. Was am Sonntag in uns begründet wird, das soll sich an den Werktagen entfalten. Nicht nur der Sonntag soll ein Tag des Herrn sein, alle Tage unseres Lebens sollen Tage des Herrn werden. Jede Ehe, jede Familie soll ein Fest den Herrn werden, ein Fest der Freude und der Liebe. Und alle unsere Werktage sollen Tage werden, an denen es heißt: Das ist der Tag, den Gott gemacht hat. Die Feiertage sollen das Licht der Werktage sein.

Damit sie das können, damit das Äußere nicht versandet, damit die Sichtbarkeit nicht untergeht, hat Gott den Sonntag ausgezeichnet durch die Feier des eucharistischen Opfers. Hier bleiben wir in Verbindung mit dem Quellgrund Gottes. In der eucharistischen Opferfeier sind wir verbunden mit unserem Gott und Herrn, denn die eucharistische Opferfeier ist ja die Vergegenwärtigung der Heilstat Christi. In der Heilstat Christi wird die Menschheit zu Gott zurückgeführt, und wer sich in der Opferfeier der heiligen Messe an diese Heilstat Christi anschließt, den nimmt Christus mit zum Vater. Hier bleiben wir in Verbindung mit dem göttlichen Quellgrund. Die Opferfeier der heiligen Messe ist die Brücke, auf der Gott in unsere Nähe kommt und auf der wir in die lebensspendende Nähe Gottes schreiten. Die Opferfeier ist das Kommen Gottes zu uns, nämlich in seinem Sohn Jesus Christus auf unseren Altären, und sie ist unser Kommen zu Gott, indem wir uns mit Christus einschließen und zusammenschließen und von ihm zum Vater zurückgeführt werden. Die eucharistische Opferfeier ist die Strömung, die vom Herzen Gottes ausgeht, die sich auf die Menschheit gleichsam stürzt und die sich die Menschheit aneignet und sie zurückführt zu Gott. Wer sich von dieser Strömung ausschließt, indem er die Sonntagsmesse versäumt, der schließt sich vom Leben aus. Wer die Feiertage nicht einhält, der entfernt sich von dem Lebensstrom, der vom Herzen Gottes ausgeht und zum Herzen Gottes zurückführt. Wer die Feiertage mißachtet, wer das Sonntagsgebot übertritt, wer die heilige Messe dauernd und leichtfertig versäumt, dessen Seele stirbt den Tod, den Tod des Geistes, den Tod aller Schönheit, aller Freude und aller Liebe.

Amen.

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