Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Wer ist dieser Jesus (Teil 4)

29. Oktober 2000

Das Zeugnis des Apostels Johannes (Teil 1)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Johannes beantwortet die Frage, die wir uns gestellt haben, mit großem Engagement und mit tiefem Verständnis. Diese Frage lautet: Was dünkt euch von Jesus? Wessen Sohn ist er? Johannes beantwortet diese Frage, indem er zunächst einmal darauf hinweist, daß er nicht Märchen erzählt, sondern daß er berichtet, was er gesehen und gehört hat. „Was wir gesehen und gehört haben, was wir mit unseren Händen betastet haben, das berichten wir euch.“ Er schreibt also ein Bekenntnisbuch. Er bekennt, was er erfahren hat. Er gibt Zeugnis von dem, was er erlebt und ergriffen hat. Er ist einer von denen, die durch Christus vom Tode zum Leben, von der Finsternis zum Licht gekommen sind, und er will seinen Lesern dieses selbe Erlebnis vermitteln. So schreibt er: „Jesus hat noch viele andere Wunder getan, die nicht in diesem Buche aufgezeichnet sind. Diese aber sind aufgezeichnet, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist und daß ihr in diesem Glauben das Leben habt.“ Er will also seinen Lesern dasselbe vermitteln, das er erfahren hat, nämlich die Rettung von Finsternis und Tod in Licht und in Leben.

Im Mittelpunkt des Zeugnisses des Apostels Johannes steht das Selbstzeugnis Jesu. Er führt das an, was Jesus von sich selbst sagt, und dazu gehört an erster Stelle, daß Jesus sagt: „Ich bin nicht von mir gekommen, sondern ich bin vom Vater gesandt worden.“ In immer neuen Wendungen hebt er hervor, daß er nicht aus eigenem Entschluß auftritt, sondern aufgrund der Sendung durch den Vater. Er ist vom Himmel gekommen, um den Willen des Vaters zu tun. Er vollbringt das Werk des Vaters, er redet das Wort des Vaters und dabei kommt es zu dem Paradox: „Meine Rede ist nicht meine Rede.“ Sie ist deswegen nicht „meine Rede“, weil sie die Rede des Vaters ist. Der Vater vom Himmel hat ihn gesandt, und als der Gesandte des Vaters tritt er auf. In seine Hände hat der Vater das Heil der Menschen gelegt. Wer sich ihm in Glauben und Liebe anschließt, der gewinnt das Heil.

Auch bei Johannes kommt die Selbstbezeichnung Jesu als Menschensohn vor, also der Rückgriff auf jene messianische Gestalt, die im Buche Daniel angekündigt war, jene Gestalt, der Gott Macht und Herrschaft und Herrlichkeit verleiht. Dieser Menschensohn ist Jesus von Nazareth. Aber bei Johannes liegt der Ton vor allem auf der Präexistenz. Präexistenz besagt, daß der Menschensohn sein Leben nicht begonnen hat, als er auf Erden erschien, sondern daß er von Ewigkeit her, vor aller Schöpfung, vor alles Geschichte schon sein Leben in Gott hatte. Der präexistente Menschensohn, das ist die Verkündigung des Johannes. Dieser Menschensohn stammt aus dem Himmel und steht in ständiger Verbindung mit dem Himmel. Engel sind seine Boten, tragen seine Befehle und Weisungen zum Himmel empor. Er ist der Menschensohn, dem der Vater das Gericht übergeben hat. Aber bevor das Gericht endgültig sich vollzieht, geschieht schon die Scheidung während seiner irdischen Wirksamkeit. Wer sich zu ihm bekennt, findet Rettung; wer ihn ablehnt, verfällt dem Untergang. An ihm entscheidet sich das Schicksal der Menschen. Er ist vom Himmel herabgestiegen, um das Todesschicksal auf sich zu nehmen, aber durch den Tod hindurch als Auferweckter sich zur Rechten des Vaters zu setzen, um dort auf den Zeitpunkt zu warten, wo das Gericht über die ganze Welt erfolgen soll.

Johannes schildert Jesus dann als den Sohn, wie ja die drei übrigen Evangelisten und Paulus es auch tun. Aber es liegt wiederum eine besondere Betonung auf diesem Wort „Sohn“. Er ist der einzige Sohn, er ist der unvergleichliche Sohn. Er ist der Sohn, der keinen Konkurrenten hat. Er ist der Sohn des himmlischen Vaters von Ewigkeit her, weil er eben der präexistente Sohn ist. „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“, so setzt er feierlich ein in seinem Prolog. Er ist der Sohn von Ewigkeit her; er hat ebensowenig einen Anfang genommen wie der Vater. Einen Anfang nimmt nur seine irdische Existenz, sein Erscheinen auf dieser Erde. Und deswegen, weil er der einzige Sohn des Vaters ist, unterscheidet sich sein Verhältnis zum himmlischen Vater von dem der Jünger. In harter Unterscheidung stellt der Auferstandene nebeneinander: „Ich fahre hinauf zu meinem Gott und zu eurem Gott, zu meinem Vater und zu eurem Vater.“ So ist Gott niemand Vater wie diesem himmlischen, gottentstammten Sohne.

An diesem Sohne entscheidet sich das Schicksal der Menschen. Er ist der große Trenner zwischen Guten und Bösen, zwischen denen, die gerettet werden, und jenen, die verloren gehen. Dieser himmlische Sohn schreibt sich alles zu, was wertvoll ist auf Erden und spricht dieses ebenso allen anderen ab. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben; er ist die Auferstehung. Von diesen Aussagen, die Jesus von sich macht, wollen wir heute nur jene betrachten, wo er sagt, er sei die Wahrheit. Das ist deswegen so angemessen, weil wir ja eben sein Zeugnis im Evangelium gehört haben, er sei ein König, aber ein König im Reich der Wahrheit.

Daß Jesus sich als die Wahrheit bezeichnet, besagt folgendes:

1. Er bietet die zuverlässige Interpretation der Menschen, der Geschichte, der Welt und Gottes. Er hat die letzte Wahrheit. Die Menschen haben auch Wahrheiten, aber das sind vorletzte Wahrheiten. Sie sind immer ungesichert, sie werden überholt, sie sind wandelbar, sie bieten keine letzte Gewißheit. Er bietet die letzte Wahrheit, über die hinaus es keine gibt, die untrügliche Wahrheit, die Wahrheit, auf die der Mensch sich im Leben und im Sterben absolut verlassen kann. Er ist die personhafte Wahrheit, die durch nichts zunichte gemacht und durch nichts überboten werden kann.

2. Er ist die existentielle Wahrheit. Das besagt: An dieser Wahrheit entscheidet sich das Schicksal des Menschen. Ob es gelingt oder ob es zerschellt, das entscheidet sich an der Stellung zu Christus. Seine Wahrheit ist nicht unverbindlich, sie ist verbindlich. Der Mensch ist aufgefordert, sie anzunehmen. Er erhält einen Befehl, sich diese Wahrheit anzueignen. Es ist dies ein Appell, und dieser Appell ist verbindlich. Wer sich dieser Wahrheit nicht beugt, der ist verloren.

3. Jesus ist nicht nur der Verkünder der Wahrheit, er ist die Erscheinung der Wahrheit. In ihm ist nämlich Gottes verborgene Wirklichkeit offenbar geworden. Er redet nicht nur die Worte Gottes, er ist der in Menschengestalt erschienene Gott. Der Gott, der unzugänglich war wegen der Sünde der Menschen, ist durch ihn zugänglich geworden. Man kann Gott in Jesus begegnen. Wenn man ihm die Hand gibt, dann gibt man Gott die Hand; wenn man in sein Antlitz schaut, dann sieht man den Vater. Jesus ist der auf Erden erschienene Gott. Er ist die unverhüllte Wirklichkeit, die offenbare Wirklichkeit Gottes in Menschengestalt.

4. Zu dieser Wahrheit gelangt man durch Glauben und Lieben. Man muß sich ihm im Glauben beugen und ihn in Liebe umfangen, dann wird man mit diesem Wahrheitskünder, mit dieser offenbaren Wirklichkeit Gottes verbunden. Wenn Gott sich durch Glaube und Liebe ergreifen läßt, dann bedeutet das für den Menschen das Heil, und dieses Heil verkündet Jesus als die Wahrheit. Er geht hin, sagt er, eine Wohnung zu bereiten. „Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen.“ Da ist reiche Wohnmöglichkeit; dahin gehe ich, um euch eine Wohnung zu bereiten. Damit gibt er den Menschen einen letzten Trost. Auf Erden kann der Mensch scheitern. Es kann dem Menschen so ergehen, wie es dem Gottessohn selber ergangen ist, daß er zerschmettert wird vom Haß der Menschen, aber dieser irdische Untergang ist belanglos gegenüber der himmlischen Rettung. Wer sich mit ihm vereinigt hat, der kann gewiß sein, daß er wie er den Weg zur Erhöhung in der Herrlichkeit des Vaters gehen wird. Er geht hin, im Hause seines Vaters eine Wohnung zu bereiten; da kann der Mensch zu sich selbst kommen, da kann der Mensch zu Gott finden, da kann er die höchste Erfüllung und die größte Seligkeit erfahren.

5. Wenn Gott als die offenbare Wirklichkeit auf Erden erschienen ist, dann besagt das, daß die Liebe auf Erden erschienen ist, denn Gott ist die Liebe. Also durch alles Brüllen und Toben des Hasses und der Ablehnung hindurch ist auf Erden die Liebe gegenwärtig geworden. Wer sich an Jesus hält, der findet die Liebe, und damit findet er die Erfüllung seines eigenen Wesens. Jesus ist die Wahrheit, d. h. die offenbare Wirklichkeit Gottes. Wer zu Gott kommen will, muß den Weg über Jesus nehmen.

Wir, meine lieben Freunde, haben den Weg zu Jesus gefunden. Angeleitet durch gläubige Priester und Lehrer, durch Eltern und Verwandte sind wir bei Jesus angekommen. Wir wollen bei dieser Wahrheit bleiben, wir wollen ausharren in der Wahrheit, wir wollen diesen König der Wahrheit auch zum König unseres Herzens machen. Wir haben vorhin gehört, wie Pilatus Jesus fragte, ob er ein König sei. Der Heide dachte natürlich an einen irdischen König, an einen Thronprätendenten, der der Römerherrschaft gefährlich werden konnte. Jesus hat ihm diese Ansicht verwiesen. Er ist ein König, aber nicht ein König, der irdische Machtmittel gebraucht, sondern ein König im Reiche der Wahrheit. In diesem Reiche der Wahrheit finden wir uns, und in diesem Reiche der Wahrheit wollen wir bleiben bis zum Ende unseres Lebens.

Amen.

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