Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Der Beginn des Wirkens Jesu (Teil 7)

20. Januar 2019

Die Hochzeit zu Kana

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es war eine Hochzeit zu Kana. Johannes fügt hinzu: in Galiläa, damit die Leser wissen, dass Kana in dem Teil Palästinas lag, wohin Jesus abzureisen sich entschlossen hatte. In Galiläa gab es mehrere Orte mit dem Namen Kana; der eine lag 10 Kilometer von Nazareth, der andere 5 Kilometer. Wahrscheinlich ist jenes Kana gemeint, das 5 Kilometer nordwestlich von Nazareth lag, ein Bauerndorf, und dort wurde eine Bauernhochzeit gehalten. Die dauerte im antiken Palästina acht Tage. Sie war eine aufwendige Angelegenheit, denn das ganze oder halbe Dorf wurde eingeladen. Die Mutter Maria ist aus Nazareth herübergekommen und hilft beim Tischdienst. Nun kommt Jesus zurück aus dem Süden, wo er die Taufe empfangen hatte, und er wird eingeladen. Er kommt geradewegs vom Täufer, dem Wüstenprediger, der einen Prophetenmantel aus Kamelhaaren trägt, der das Strafgericht Gottes verkündet und die Bußtaufe, der sich von Heuschrecken und wildem Honig nährt und sein Leben lang keinen Wein trinkt. Die Apostel kommen mit ihm, etwa fünf oder sechs. Sie waren vermutlich vom Nathanael über die Hochzeit unterrichtet und vielleicht auch über ihn eingeladen worden, denn Nathanael stammte aus Kana. Jesus kommt nicht allein, er bringt einige seiner Jünger mit. Er hat sich einladen lassen, nicht zu einer Familienfeier im kleinen Kreise, sondern zu einer Bauernhochzeit, die so großartig wie eine Dorfkirmes ist. Die Festwoche ist im Gange, vermutlich ist sie schon weiter fortgeschritten, als Jesus ankommt mit seinen fünf oder sechs Jüngern; fünf oder sechs Esser mehr, das spielt keine Rolle bei einer solchen Hochzeit. Wie wird sich Jesus in dieser feuchtfröhlichen Gesellschaft verhalten? Die Kumranmönche, von denen wir seit einigen Jahrzehnten wissen, waren Frauenfeinde. Johannes der Täufer hat nie eine Frau berührt. Jesus selbst ist ehelos geblieben. Wird Jesus Enthaltsamkeit predigen in dieser lebenslustigen Gesellschaft? Nichts davon. Jesus sitzt mitten unter dem singenden Bauernvolk und tafelt und trinkt. Die Lieder, die gesungen werden, stammen vermutlich aus dem Buch Hoheslied im Alten Testament. Er bleibt fröhlich sitzen, genauso unbefangen wie die Sänger um ihn herum.

Maria sitzt nicht am Ehrentisch. Sie ist nicht als Ehrengast, sondern als hilfsbereite Nachbarin eingeladen. Sie hilft beim Tischdienst. Darum wird sie beizeiten aufmerksam, sie spürt, der Wein geht zur Neige. Auch der reichhaltigste Alkoholvorrat ist einmal zu Ende, wo so großartig gezecht wird wie bei einer Bauernhochzeit. Maria empfindet die Verlegenheit der Gastgeber umso lebhafter, als sie sich sagen muss, dass die unerwartete Ankunft, welche die Festgesellschaft bereichert um sechs oder sieben Personen, die Verlegenheit mit verursacht hat. Maria streift unauffällig an ihrem Sohn vorbei und sagt dann schnell drei Worte ins Ohr. Drei Worte sind es im hebräischen und im griechischen Text: Haben keinen Wein. Und nun wartet sie klopfenden Herzens der Dinge, die da kommen werden. Es gibt nur eine Erklärung für Marias Verhalten: Sie will ihren Freunden und Nachbarn Hilfe schaffen in der Verlegenheit, in die sie durch ihre verschwenderische Gastfreundschaft gekommen sind. Wie aber soll Jesus helfen? Es gibt nur eine einzige brauchbare Erklärung: Maria weiß, dass es um ihren Sohn eine besondere Bewandtnis hat. Sie weiß etwas vom geheimnisvollen Ursprung ihres Sohnes. Sie ahnt etwas von seiner Wundermacht. Und was entgegnet ihr Jesus? „Frau, was habe ich mit dir zu schaffen?“ „Frau“ sagt er zu seiner Mutter; das ist eine kühle Anrede im Munde eines Sohnes, und in diesem Augenblick zumal. Diese Anrede klingt in der Muttersprache Jesu genauso schroff und abweisend wie im Griechischen und im Deutschen. Das Wort „Frau“ macht deutlich, dass das Verhältnis des Sohnes zur Mutter fortan nicht mehr die Beziehungen zwischen Jesus und Maria bestimmen sollen. Alle anderen Beziehungen und Verbindungen und Verpflichtungen sind zurückgetreten hinter dem Berufswerk, dessen Ausführung bereits angefangen hat. Jesus ist sich des Fremdartigen offensichtlich bewusst und hat es beabsichtigt. Er will zum Ausdruck bringen, dass er in der Ausübung seines Berufes unter einem anderen Gesetz steht als unter dem eines Sohnes zu seiner Mutter. Die schroffe Abweisung der Mutter wird noch verschärft durch die Weiterführung: „Was habe ich mit dir zu schaffen?“ Diese Formel kommt im Alten Testament wiederholt vor. Sie bringt die Verschiedenheit der Ansichten und Interessen zum Ausdruck. Sie bedeutet eine mehr oder weniger scharfe Ablehnung der Bitte, und sie will etwa sagen: Was liegt für ein Grund vor, dass du dich an mich wendest? Was geht das mich an? Lass mich in Ruhe! Das entscheidende Wort aber ist das letzte: „Noch ist meine Stunde nicht gekommen.“ Jesus enthüllt den Grund des befremdlichen ersten Wortes an seine Mutter: Noch ist meine Stunde nicht gekommen. In der Verlegenheit des Hauses, in der Teilnahme an dem Anliegen seiner Mutter, in dem natürlichen Wunsch, den Freunden die peinliche Störung des frohen Festes zu ersparen, liegt für ihn ein Anreiz, jetzt ohne Aufschub von der Macht, deren er sich bewusst ist, Gebrauch zu machen. Aber nicht von Menschen und nicht von menschlichen Empfindungen darf die Aufforderung dazu ausgehen. Ehe er nicht innerlich des göttlichen Willens gewiss geworden ist, dass jetzt Neues und Größeres durch ihn geschehen soll, kann und darf Jesus im einzelnen Fall nicht handeln. Er wartet auf den göttlichen Stundenschlag. Er wartet auf den Schlag, der durch die ganze Geschichte Jesu hindurchgeht. Es handelt sich an dieser Stelle ganz konkret um die Stunde des ersten Wunders. Diese Stunde weiß und bestimmt nicht die Mutter, aber auch nicht Jesus selbst, sondern der Vater im Himmel. Jesus ist ganz der Sohn des himmlischen Vaters. „Stunde“ bedeutet hier die Zeit für die Vollbringung des ersten Wunders, wodurch seine Herrlichkeit offenbar wird. Jesus weist die versteckte Bitte seiner Mutter ab, weil der Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, mit dem der himmlische Vater für den Beginn seines Wunderwirkens eintritt. „Muss ich nicht im Hause meines Vaters sein?“, so sagt der Zwölfjährige, wie wir am vergangenen Sonntag gehört haben, im Tempel zur Mutter Maria. Muss ich nicht auf die Stunde warten, die der Vater mir anzeigen wird? So ist die Antwort Jesu an die Mutter Maria gemeint. Noch hat der Vater das Signal nicht gegeben. Noch ist die Stunde nicht gekommen, da der Sohn sein gottgewiesenes Werk eröffnen soll.

Maria freilich kümmert sich nicht um die Abweisung, die sie erfährt, sondern rechnet mit Bestimmtheit darauf, dass ihre Bitte erfüllt wird. Darum spricht sie zu den Dienern: „Was er euch sagen wird, das tuet.“ Maria lässt sich durch keine Zurückweisung entmutigen. Sie hat das „noch nicht“ ihres Sohnes vernommen und weiß, dass darauf ein „später“ erfolgen wird. Sie hält sich mit beiden Händen an die Verheißung dieses „noch nicht“. Es waren sechs Steinkrüge aufgestellt, entsprechend der jüdischen Reinigung. Man musste sich vor dem Essen die Hände waschen, auch die Füße wurden gereinigt. Die Essgefäße und Trinkgefäße wurden mit diesem Wasser aus den Krügen gesäubert. Und jeder dieser Krüge fasste 2 oder 3 Metren. Diese anspruchslose Notiz ist ein Hinweis darauf, dass hier ein Augenzeuge spricht, wahrscheinlich Johannes selbst. Ein Metron fasst etwa 40 Liter. Wenn wir das umrechnen, kommen wir auf 475-720 Liter. Noch einmal empfangen wir einen überwältigenden Eindruck von dem großen Stil dieser Dorfhochzeit. Auf wie viele Gäste hat man gerechnet? Das ist eine patriarchalische Gastfreundschaft; in einem solchen Hause fühlen sich Jesus und Maria wohl. Wir wissen nicht, wie lange Jesus gezögert hat, bis er das Wunder wirkte, jedenfalls spricht er zu den Dienern: „Füllt die Krüge mit Wasser.“ Die Diener gehorchen ohne Widerrede dem Befehl, der doch für sie unbegreiflich sein musste. Sie füllen die Krüge randvoll. Eine Überraschung: Was eben noch völlig im Ungewissen stand, jetzt ist es geschehen: Der himmlische Vater hat die Stundenglocke angerührt. Sofort geht der Sohn ans Werk, und wo der Sohn seine Hand auftut, da darf nichts leer bleiben und niemand leer ausgehen. Ein Mensch unter Menschen, so erscheint Jesus in den ersten Sätzen dieses Ereignisses. Der Sohn Marias, der so viel menschlicher ist als der Täufer und seine Jünger, menschlicher als die Kumranmönche, menschlicher als die Pharisäer, menschlicher als jeder Mensch. Maria sieht die Verlegenheit, die diesem Hause droht, die Katastrophe, die auf dieses großartige Hochzeitsfest zukommt: keinen Wein mehr. Der Wein ist ausgetrunken, noch ohne dass die Hochzeit zu Ende ist. Bis an sein Lebensende wird der Brautvater die Blamage nicht vergessen, bis ans Lebensende werden die Braut und Bräutigam die peinliche Situation nicht verwinden; das weiß Maria und das nimmt sie ernst, so ernst, dass sie den Sohn ins Vertrauen zieht. Und der Sohn hilft, denn er nimmt diese scheinbar kleine Verlegenheit so ernst, dass er zur Hilfe entschlossen ist, wenn der Vater und wann der Vater es will. Das wissen alle Evangelisten. Markus zum Beispiel erzählt gleich am Anfang die Geschichte, wie Jesus nach dem Synagogenbesuch in Karpharnaum mit den Brüdern, Simon Petrus und Andreas, und noch zwei anderen Jüngern aus dem Nachbardorf das Haus des Petrus betritt. Ein richtiger Gottesdienst in der Synagoge dauert lange, 2-3 Stunden. Die Teilnehmer sind ermüdet und durstig und hungrig. Aber die Schwiegermutter des Petrus ist krank. Sie liegt mit Fieber und kann den hohen Gast nicht gebührend empfangen – welch ein Unglück. Die Schwiegermutter scheint an diesem Sabbat die einzige Frau im Hause gewesen zu sein. Welch ein unbeschreibliches Unglück, zumal im antiken, im gastfreundlichen Orient. Petrus stammelt ein paar Worte der Erklärung und der Entschuldigung. Aber Jesus tritt zu der Kranken, fasst sie bei der Hand, richtet sie auf, und das Fieber verlässt sie und sie übernimmt den Tischdienst. Das ist Jesus, derselbe Jesus, der dem Hausherrn in Kana aus der Verlegenheit hilft.

Und wie sieht die Hilfe in Kana aus? Nun, ein bisschen anders als in Karpharnaum. 475-720 Liter Wein; wir denken in Fudern. Ein Fuder, das sind je nach Landschaft und Sprachgebrauch rund 800-1800 Liter. Rechnen wir um, so ergibt sich: Jesus schafft in Kana ein halbes Fuder Wein; das reicht, und was für einen Wein! Der Speisemeister konstatiert es mit Kopfschütteln: der beste Wein bei dieser Hochzeit, der Spitzenwein. Und was für Gäste, die sich nun den Wein einschenken lassen! Die wissen ja gar nicht, was sie trinken, denkt der Speisemeister, die sind ja schon halb betrunken. Er ist empört, er schüttelt den Kopf: Verschwendung, Verschwendung. Ein halbes Fuder Spitzenwein für Leute, die nicht mehr aufrecht sitzen können. Der Speisemeister bezeichnet den Bräutigam als den Spender, der jetzt den aufgetragenen, auch den bisher getrunkenen Wein herbeigeschafft hat. Der Evangelist sagt nichts von dem Eindruck, den die Tat Jesu auf den Speisemeister, die Diener und Maria gemacht hat. Er berichtet nur von dem Eindruck, den diese Tat auf die Jünger gemacht hat. Hier hat Jesus von Nazareth zum ersten Mal seine geheime Herrlichkeit geoffenbart. Welche Herrlichkeit? Die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater. Hier offenbart sich die Herrlichkeit Gottes im Menschlichsten aller Menschen. Gott liebt die Fülle, die Schönheit, den Reichtum, und er offenbart diese Vorliebe hier durch seinen Sohn, der auch wie er die Fülle, den Reichtum, die Opulenz liebt. Das ist Jesus von Nazareth, der menschlichste aller Menschen, der immer da am Menschlichsten ist, wo er am Göttlichsten ist. Es ist dem Evangelisten wichtig, daran zu erinnern, dass dieses erste Zeichen Jesu nicht in Judäa, sondern in einer galiläischen Ortschaft getan wurde. Zuerst Galiläa, dann erst Judäa, das ist die Ordnung der Schauplätze von Jesu Großtaten. Sie sind Zeichen, die über sich hinausweisen und auf etwas anderes hinweisen, was sie bezeugen und beglaubigen. Zunächst weisen sie hin auf die Person, die dieses Wunder gewirkt hat, und auf deren Bedeutung. Aber damit auch auf die neue Zeit, die Jesus herbeiführt. Sie sind gleichsam sprechende Tatbeweise, Glaube und Gehorsam fordernde Zeugnisse. Die Wundertaten Jesu sind deutliche Wegweiser zu Jesus, handgreifliche Zeugnisse, die das Nichtglauben zur unverzeihlichen Sünde machen. Das Wunder von Kana ist das erste der Werke, von denen Jesus später selbst sagen wird, dass kein anderer sie vor ihm getan hat. Es konnte sie kein anderer vor ihm tun, denn nur ein einziges Mal ist Gott auf diese Erde niedergestiegen. Der Glaube und das Erkennen der Jünger erfuhren durch diese erste Wundertat Jesu, die sie erlebten, eine mächtige Förderung. Sie erkannten: Der Schöpfer Himmels und der Erde ist unter uns. Derselbe, der gesprochen hat: „‚Es werde Licht!‘ Und es ward Licht“, derselbe hat durch einen einfachen Willensakt das Wunder von Kana gewirkt. Die Jünger erfuhren jetzt, dass sie, als sie von Johannes dem Täufer zu Jesus übergingen, nicht einen Rabbi mit einem anderen vertauscht haben, sondern dass sie von dem Bußprediger und Wassertäufer zu dem Erkorenen Gottes, zu dem Messias und Gottessohn gekommen sind. Sie konnten wahrhaftig mit dem Evangelisten Johannes sagen: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater.“

Amen.

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