Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das Leiden Jesu Christi (Teil 2)

18. Februar 2018

Die Leidensweissagungen Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Evangelien sind sich einig in der Berichterstattung, dass Jesus wissentlich und willentlich in sein Leiden hineingegangen ist. Er hat um sein kommendes Leiden gewusst und er hat es bewusst auf sich genommen. Sie berichten von drei großen Leidensweissagungen, in denen mit steigender Deutlichkeit die Stationen der Passion prophetisch vorherverkündet werden. Der Unglaube, der sich mit Theologie tarnt, behauptet, die Vorhersagen des Leidens durch Jesus seien unhistorisch, sie seien ihm vielmehr nachträglich durch die Gemeinde oder durch die Redaktoren der Evangelien in den Mund gelegt worden, obwohl er sie gar nicht gesprochen hat. Die Erfinder dieser Ankündigungen sind also nach der Meinung dieser ungläubigen Theologen Fälscher, sie haben ihre Hörer und Leser betrogen. Dazu ist einiges zu sagen. Zunächst einmal war Jesus seines Leidens aus mehreren Gründen gewiss. Zuerst ist an die natürlichen Erwägungen und Erfahrungen zu denken; er erlebte ja die zunehmende Feindschaft der jüdischen Führerschicht. Er kannte das Schicksal seines Vorläufers Johannes und er wusste um das Schicksal der Propheten: sie waren alle mit Tod erledigt worden. Er konnte sich ausrechnen, dass es ihm nicht anders ergehen würde. Das waren rein natürliche Erwägungen. Aber vor allem sagte ihm sein Selbstbewusstsein, was ihm bevorstand. Er wusste sich als den Gottesknecht, den der Prophet Isaias vorherverkündet hatte, der leiden musste, um sein Volk zu erlösen. Er musste für sein Volk sterben, damit das Volk leben konnte. In seinem Selbstbewusstsein verschmilzt diese Gestalt des Gottesknechtes mit der anderen aus dem Buche Daniel, des Menschensohnes, sodass er in seiner Leidensankündigung immer vom Menschensohn spricht, der leiden muss.

Die Leidensweissagungen erfolgten zunächst in verhüllter Form. Aber seit dem Messiasbekenntnis des Petrus geschahen sie offen. Die erste Leidensweissagung steht im 8. Kapitel des Evangeliums nach Markus. Jesus hatte aus den Jüngern durch eine Frage: Für wen haltet ihr den Menschensohn? das Bekenntnis zu seiner Messiaswürde herausgelockt. Im gleichen Augenblick begann er, ihren noch unvollkommenen jüdischen Glauben an seine Messianität zu korrigieren. „Und er hob an, sie zu belehren, der Menschensohn müsse viel leiden und von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten verworfen und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“ Das Neue, das Jesus jetzt ganz offen und geradeheraus den Jüngern mitteilt, ist die notwendige Zugehörigkeit des Leidens, Sterbens und Auferstehens zu seiner Aufgabe als Messias. Der Weg zur Herrlichkeit geht durch den Tod, und zwar werden ihn die berufenen Führer des Volkes verwerfen. Es werden die drei Gruppen genannt, die im Synedrium, im Hohen Rat vertreten waren: die Ältesten, die Hohenpriester und die Schriftgelehrten. Dieses Schicksal ist ein göttliches Muss. Es entspricht dem in der Schrift ausgesprochenen Willen Gottes. Die Jünger sind auf die Kunde, die sie soeben von ihrem Meister vernommen haben, nicht gefasst. Die erste Mitteilung des wahren Charakters von Jesu Messianität wird für sie zum Ärgernis, zum Anstoß. Die Gegenwehr des natürlichen Menschen gegen das göttliche Geheimnis vom leidenden Messias beginnt im selben Augenblick, da Gott es offenbart. Bis zur Stunde ist dieser Widerstand nicht zu Ende gekommen. Petrus aber macht sich wieder zum Sprecher für alle. Er kann das Leidensgeheimnis nicht fassen – die Auferstehung überhört er – und wagt aus seinem ungestümen Temperament, und damit auch den Unterschied zwischen dem Meister und den Jüngern verkennend, dem Messias das Sterbenmüssen auszureden: „Das sei ferne von dir, Herr, das darf dir nicht widerfahren.“ Er muss dafür eine überaus scharfe Zurückweisung vor den Augen der ebenso denkenden Jünger hinnehmen: „Weg von mir, du Satan, denn du denkst nicht die Gedanken Gottes, sondern die der Menschen.“ Was Petrus will, das macht ihn für Jesus zum Versucher, zum Satan, weil er sich dadurch in direkten Gegensatz zu dem stellt, was Gott will. Deshalb schleudert ihm Jesus das nämliche Wort entgegen, das er dem teuflischen Versucher, der ihn zum Abfall von dem Auftrag seines Vaters hatte verleiten wollen, entgegengeschleudert hatte. Was Petrus über die Aufgabe des Messias denkt, ist natürlich, ist menschlich. Im Grunde kommen alle Einwände gegen das Christentum aus dieser jüdisch menschlichen, irdischen Haltung. Der Vorfall mit Petrus macht die Geschichtlichkeit der Leidensweissagung vor jedem Einwand sicher. Es ist undenkbar, dass die Gemeinde das Wort des Petrus und die scharfe Zurechtweisung durch Jesus erfunden haben könnte. Die Urgemeinde konnte doch unmöglich daran interessiert sein, ihren wichtigsten Mann, den Petrus, den ersten der Apostel, des Unverständnisses für das Leiden des Herrn zu zeihen. Der Urgemeinde konnte ebenso wenig daran gelegen sein, ihn als vom Herrn zurechtgewiesenen Satan hinzustellen. Hier ist der Unglaube in die von ihm selbst aufgestellte Falle hineingetappt.

Die zweite Leidensweissagung steht im 9. Kapitel nach Markus. Jesus machte sich auf seine letzte Reise nach Jerusalem. Er zog noch einmal durch Galiläa, aber nur, um hindurchzugehen. Eine öffentliche Lehrtätigkeit findet nicht mehr statt. Er will vielmehr unbeachtet bleiben, um allen Zulauf des Volkes auszuschließen. „Er wollte, dass es niemand erfahre.“ Sein Ziel ist Jerusalem, wo der Tod auf ihn wartet. Zum zweiten Mal belehrt er seine Jünger: „Der Menschensohn wird in die Hände der Menschen überliefert, und sie werden ihn töten; aber nach drei Tagen wird er wieder auferstehen.“ Im Unterschied von der ersten Leidensweissagung wird diesmal nicht vom Leidenmüssen gesprochen, sondern nur davon, dass er leiden wird. Aber Jesus spricht auch vom Überliefertwerden, und damit meint er nicht die Tat des Judas, sondern er denkt an Gottes Ratschluss, der sich an ihm erfüllen muss. Die Jünger zeigen noch keinen Fortschritt im Verständnis dieser Weissagung. „Sie aber verstanden das Wort nicht, scheuten sich aber, ihn zu fragen.“ Warum scheuten sie sich? Naja, sie dachten wohl an die Zurückweisung, die Petrus erfahren hatte. Sie wagten deswegen nicht, Jesus Fragen zu stellen über dieses Thema.

Im 10. Kapitel nach Markus steht die dritte Leidensweissagung. Sie waren auf den Weg hinauf nach Jerusalem – Jerusalem liegt ja hoch, deswegen: hinauf nach Jerusalem. Sein klares und bestimmtes Wissen, dass die entscheidende Stunde naht, beschleunigt die Schritte Jesu. Die Entschlossenheit, mit der er seinem Ziel entgegengeht, versetzt die Jünger in betroffenes Erstaunen. „Sie fürchteten sich“, so steht es im Markusevangelium, sie fürchteten sich. Da nahm Jesus wiederum die Zwölf beiseite und begann ihnen zu sagen, was ihm bevorstünde. „Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem, und der Menschensohn wird den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten übergeben werden, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und ihn den Heiden ausliefern. Und diese werden ihn verspotten, anspucken, ihn geißeln und töten; und nach drei Tagen wird er auferstehen.“ Die dritte Leidensweissagung geht über die erste und die zweite durch ihre ins Einzelne gehende Genauigkeit hinaus und ist insofern eine Steigerung. Sie nennt Jerusalem als den Schauplatz der Passion und die sechs wichtigsten Züge aus ihrem Verlauf in genauer geschichtlicher Reihenfolge. Das benutzen die ungläubigen Theologen: Da habt ihr es ja, das ist erfunden, das ist eingetragen. Das hat man Jesus in den Mund gelegt. Meine lieben Freunde, Jesus war bekannt, wie die jüdische Obrigkeit mit ihren Feinden umging. Er kannte die Kompetenzen der jüdischen und römischen Obrigkeit. Er konnte sich ausrechnen, wie sie es anstellen würden, um ihn zu beseitigen. Das war eine durchaus verständliche Kombination.

Außer den drei großen Leidensweissagungen hat Jesus noch bei vielen anderen Gelegenheiten von seinem bevorstehenden Leiden gesprochen. „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen, und wie wünsche ich, dass es bereits emporflamme. Mit einer Taufe muss ich getauft werden, und wie drängt es mich, bis es vollbracht ist.“ Das Feuer, von dem er hier spricht, ist der Gegensatz, die Zwietracht zwischen den Menschen, zwischen denen, die sich ihm anschließen, und denen, die ihn verwerfen. Und dieses Feuer, dieser Kampf ist – nach seiner Meinung – noch bevorstehend, ist noch nicht entbrannt. Er ist dabei, den Brand in die Welt hineinzutragen, und das entspricht Gottes Willen. Jesus selbst steht ein schweres Geschick bevor, vor dem seine Seele bangt, nämlich die Taufe des Leidens. Wie Wasserwogen wird das Leiden über ihn herabstürzen und ihn begraben. Mit seinem Kommen ist Leiden für ihn selbst und für seine Anhänger verbunden. Hier wird also mit deutlicher Symbolik das Leiden des Herrn angekündigt. Bei anderer Gelegenheit hat er es wiederum getan. Die Jünger des Johannes und die Pharisäer hielten ein Fasten. Die Anhänger Jesu beteiligten sich nicht daran. Da kamen Leute, die Jesus fragten, weshalb sich seine Jünger nicht dem Fasten anschließen. Er entgegnete: „Die Hochzeitsgäste können doch nicht fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist. Es werden aber Tage kommen, da der Bräutigam ihnen genommen wird, und dann werden sie fasten.“ Ein deutlicher Hinweis auf das kommende Leiden. Er ist ja der Bräutigam, aber er wird den Hochzeitsgästen entrissen werden. Dann traten die Söhne des Zebedäus an ihn heran und baten darum, in seiner Herrlichkeit einer zu seiner Rechten und einer zu seiner Linken sitzen zu dürfen. Jesus antwortete: „Ihr wisst nicht, was ihr verlangt. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde, oder mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde?“ Der Kelch, von dem hier die Rede ist, ist der Leidenskelch, die Taufe, von der hier gesprochen wird, ist die Bluttaufe. Wiederum eine eindeutige Verkündigung seines Leidensschicksals. Und die Jünger müssen sich damit vertraut machen, dass auch sie leiden werden. Die beiden Jünger meinen, die Kraft zu besitzen: „Wir können es.“ Sie sind der Meinung, sie seien imstande, ein solches Schicksal, das sie ihrem Meister gleichgestaltet, auf sich zu nehmen. Petrus, Jakobus und Johannes waren Zeugen der Verklärung Jesu auf dem Berge Tabor. Beim Herabsteigen gebot ihnen Jesus, sie sollten niemand etwas davon sagen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten aufgestanden ist. Das war wiederum ein eindeutiger Hinweis auf sein Sterben; denn auferstehen kann man ja nur, wenn man vorher gestorben ist. Das war eine Ankündigung seines Leidens. Dann unterbreitete der Herr den Jüngern das Gleichnis von den bösen Weinbergpächtern. Diese fielen über die Knechte des Weinbergbesitzers her, misshandelten sie und entehrten sie. Und als sie das getan hatten, da fielen sie auch über den einzigen geliebten Sohn her und töteten ihn. Das war wieder eine Ankündigung seines Leidens, denn er ist der einzige geliebte Sohn. Die Pharisäer forderten ein Zeichen von ihm, um sich auszuweisen. Da entgegnete Jesus, es werde ihnen kein Zeichen gegeben werde, außer dem des Jonas. „Wie Jonas drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird auch der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Inneren der Erde sein.“ Das ist nichts anderes als der Verweis auf sein Todesschicksal – wiederum eine Ankündigung seines Leidens und Sterbens. Und je näher er dem Leiden kommt, umso deutlicher spricht er. Am Mittwoch in der Karwoche sagt er zu seinen Jüngern: „In zwei Tagen ist Ostern. Dann wird der Menschensohn zur Kreuzigung ausgeliefert werden.“ Jetzt ist auch die Weise der Hinrichtung genannt. Wohlgesinnte Pharisäer warnten ihn: „Geh fort und entferne dich von hier, denn Herodes will dich töten.“ Jesus entgegnete: „Geht und sagt diesem Fuchs, ich treibe Geister aus und vollbringe Heilungen heute und morgen, und erst am dritten Tage bin ich fertig. Aber heute, morgen und am folgenden Tag muss ich wandern, denn es geht nicht an, dass ein Prophet außerhalb Jerusalems umkommt.“ Wiederum sprach er von seinem Schicksal. Am Abend des Gründonnerstags sagte er vor dem letzten Mahle: „Mit großer Sehnsucht habe ich danach verlangt, dieses Ostermahl mit euch zu halten, bevor ich leide.“ Der Verräter ist ja schon unterwegs. Das Tun der Frau, die den Herrn gesalbt hat, nahm er gegen den Vorwurf der Verschwendung in Schutz. „Sie hat im Voraus meinen Leib zum Begräbnis gesalbt“ – eine erneute Leidensankündigung. Beim letzten Abendmahl bezeichnet er den Verräter. „Einer von euch, der mit mir isst, wird mich verraten.“ Nach dem letzten Mahle erklärt Jesus, es müsse sich an ihm das Schriftwort erfüllen: „Er ist unter die Übertäter gezählt worden.“ „Denn was von mir handelt, hat jetzt ein Ende.“ Auf dem Weg zum Ölberg kündigt er die Flucht seiner Jünger an: „Ihr alle werdet an mir irre werden, Ärgernis nehmen, wie es geschrieben steht: ‚Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden sich zerstreuen.‘“ Dem Petrus sagt er seine dreimalige Verleugnung voraus.

Meine lieben Freunde, Jesus hat die Tatsache und die Einzelheiten seines gewaltsamen Todes vorhergesehen und vorhergesagt. Damit steht er nicht allein. Auch andere wussten durch vernünftige Überlegung oder göttliche Mitteilung um ihr bevorstehendes irdisches Ende. Als der Apostel Paulus seine letzte Reise nach Jerusalem antrat, da ließ er in Milet den Klerus zu sich kommen, um Abschied zu nehmen. Dabei sagte er, durch den Heiligen Geist habe er erfahren, dass in Jerusalem Fesseln und Trübsal seiner warten und dass sie sein Antlitz nicht mehr sehen werden. Eine klare Ankündigung des Schicksals, das ihn tatsächlich in Jerusalem getroffen hat. Er wurde verhaftet, er wurde in Haft gehalten, er kam nach Rom und wurde in Rom hingerichtet. Die Urgemeinde, meine lieben Freunde, hat nichts erfunden, sondern sie hat die Leidensweissagungen vorgefunden. Es ist ihre feste und allgemeine Überzeugung, dass Jesus seinen Tod vorausgesagt hat. Wenn die Urgemeinde die Leidensweissagungen hervorgebracht, erfunden hätte, dann wären sie anders ausgefallen. Dann hätte sie Jesus wohl deutlich das Kreuz nehmen und statt vom Menschensohn vom Knecht Gottes sprechen lassen. Wie schwer es den Jüngern wurde, mit dem Ärgernis des Kreuzes fertigzuwerden, zeigt ihr Verhalten beim Leiden Jesu selbst. Trotz der dreimaligen Voraussage warf es ihren Glauben fast völlig zu Boden. Die Leidensweissagungen müssen, wie die Fülle der Texte beweist, in der Urkirche eine wichtige Rolle gespielt haben. Sie hatten verschiedene Zwecke. Sie hoben die Schuld der Juden am Geschick Jesu hervor; sie lieferten den Nachweis, dass Jesus von seinem Ende nicht überrascht wurde; sie bestärkten den Glauben an sein göttliches Wissen; sie beseitigten das Ärgernis des Kreuzes. Die Leidensweissagungen beweisen, dass Jesus bewusst und willentlich den Weg des Leidens geht, weil dieser gottgewollt ist. Das Muss in den Leidensankündigungen zeigt den apokalyptischen Weltplan Gottes an, den Jesus offenbart und gleichzeitig vollzieht, und zwar als Lösegeld anstelle vieler. So erscheint Jesu Leidensweg nicht als tragische Katastrophe, sondern als notwendiger Durchgang zur Verherrlichung und als heilschaffende Tat. Dazu stimmt, dass die drei großen Leidensweissagungen zugleich Auferstehungsweissagungen sind. Der Messias musste leiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen. Angesichts des vorliegenden Sachverhalts, nämlich der wiederholten, unwiderleglichen Ankündigung des Herrenleidens, zeigt der Versuch, sie zu eliminieren, Torheit und Verhärtung und Unglauben. Nichts kann unsere wissenschaftlich begründete Überzeugung erschüttern: Jesus ist wissentlich und willentlich in den Tod gegangen.

Amen.

    

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