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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das Leiden Jesu Christi (Teil 8)

17. März 2013

Jesus stirbt am Kreuze

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten den Herrn auf seinem Leidensweg begleitet und waren angekommen, als er zum Tode verurteilt wurde, im Prätorium, also in der Burg Antonia, wie wir wohl annehmen dürfen, und wie er dann mit zwei anderen Verurteilten durch die Exekutionsmannschaft zur Richtstätte geführt wurde. Nach jüdischer und römischer Sitte erfolgten Hinrichtungen außerhalb der bewohnten Stadtgebiete. Man wollte die Wohngebiete nicht durch Hinrichtungen verunreinigen lassen. Die Richtstätten befanden sich gewöhnlich an einer ausgezeichneten Stätte außerhalb der Stadt, und zwar an einem vielbegangenen Wege, denn die Hinrichtungen sollten ja zur Abschreckung dienen, und so mussten viele Menschen in die Lage versetzt werden, die Hingerichteten zu schauen. Durch die größtmögliche Öffentlichkeit sollten die Menschen vom Tun des Bösen abgehalten werden. Der Weg von der Burg Antonia bis zur Richtstätte beträgt etwa 1 km. Das ist der Kreuzweg, den die Pilger in Jerusalem heute noch beschreiten. Die Franziskaner haben ihn mit großer Treue erforscht und aufbewahrt. Die Ausführung der Hinrichtung oblag einem Kommando von vier Soldaten. Es ist anzunehmen, dass diese Soldaten die gleichen waren, die auch seine Geißelung vorgenommen hatten. Die zum Kreuzestod verurteilten Missetäter mussten ihr Kreuz selbst tragen. Johannes berichtet ausdrücklich: „Jesus trug sich sein Kreuz.“ Es fragt sich nur, was mit diesem Ausdruck gemeint ist. Hat der Heiland das ganze Kreuz getragen oder nur den Querbalken? Nach den gründlichen Forschungen der Althistoriker dürfen wir annehmen, dass Jesus, der auf römische Art gekreuzigt wurde, nicht das ganze Kreuz getragen hat, sondern nur den Querbalken. Der Längsbalken war schon an der Richtstätte in den Boden eingelassen. Jesus trug also den Querbalken, an den er wahrscheinlich mit Stricken befestigt war, oder auch ohne Stricke, denn er konnte ja, wie wir sehen, ohne Schwierigkeiten das Kreuz einem anderen abtreten, dem Simon von Cyrene. Der traurige Zug ordnete sich wahrscheinlich in folgender Weise: Voran schritt der Zenturio, also der Offizier, mit einer Abteilung Soldaten, wohl auch Vertreter des Hohen Rates. Darauf folgte Jesus. Vor ihm ging ein Herold, der die Tafel trug, auf der die Schuld des Verurteilten angegeben war. Nach ihm gingen die zwei Übeltäter, die mit ihm gekreuzigt wurden. Die vier Soldaten, die die Kreuzigung zu besorgen hatten, gingen rechts und links von den Verurteilten. Es folgte dann noch einmal eine Abteilung Soldaten, und dann erst der Zug der mitleidigen Menschen, die die Kreuzigung begleiten sollten. Der Weg war an sich nicht sehr lang. Aber er wurde zu einem schrecklichen Marterweg durch die Rücksichtlosigkeit der Behandlung vonseiten der Soldaten. Jesus war durch die Geißelung entsetzlich zugerichtet, er hatte klaffende Wunden. Und nun musste er das schwere Kreuzesholz schleppen. Es erscheint durchaus begreiflich, wenn unsere Kreuzwege von einem dreimaligen Fall Jesu sprechen. Es wird das zwar nicht berichtet in den Evangelien, aber es ist wahrscheinlich. Es war sogar die Gefahr, dass Jesus auf dem Kreuzeswege erliegen würde. Und da griffen die Henker zu einem probaten Mittel: Sie zwangen einen Vorübergehenden, den Kreuzesbalken zu tragen. Wir wissen seinen Namen. Er hieß Simon, das ist ein typisch jüdischer Name, und stammte aus der Cyrenaika, also dem heutigen Libyen. Dort befand sich eine starke jüdische Kolonie, die sogar eine Synagoge in Jerusalem hatte. Diesen Simon von Cyrene, der von seinem Landgut auf dem Felde kam, zwangen sie, das Kreuz nachzutragen. Es ist wahrscheinlich, dass Simon zunächst unwillig war, von seinem Heimgang aufgehalten zu werden. Er war müde, er wollte jetzt essen und trinken und sich ausruhen. Jetzt musste er einem Verbrecher das Kreuz tragen. Aber er hat sich offensichtlich auf diesem Wege bekehrt. Er sah diesen Verurteilten und erkannte, dass er unschuldig war. Und er hat durch sein Kreuztragen den Weg zu dem Gekreuzigten gefunden. Simon von Cyrene wurde Christ, wurde Bischof von Bosra in Arabien. Seine beiden Söhne, Rufus und Alexander, waren Mitglieder der römischen Christengemeinde. Sie werden im Markusevangelium erwähnt und Rufus sogar noch im Römerbrief. Das Kreuztragen des Simon hat sich also wahrlich gelohnt.

Es waren in dem traurigen Zuge auch eine Menge Volkes und vor allem viele Frauen, die Jesus beklagten und beweinten. Jesus spricht sie an als die Frauen von Jerusalem. Das schließt nicht aus, es ist vielmehr wahrscheinlich, dass unter diesen Frauen sich auch seine Mutter befand, die wir dann unter dem Kreuze finden. Manche Erklärer behaupten, die Frauen seien aus Neugier mitgegangen. Nein, aus der Art und Weise, wie sie Jesus beklagen und beweinen, erkennen wir, dass ihre Trauer einen höheren Beweggrund hatte als Neugierde und bloßes Mitleid. Sie klagten, weil sie Jesu Unschuld kannten, weil er ihnen vielleicht Gutes getan hatte, weil sie seine Predigten gehört hatten, weil er ihre Kinder gesegnet hatte, weil sie Wohltaten von ihm empfangen hatten. Und zu diesen Frauen wendet sich Jesus in all seinem Leid, in seinem Jammer und in seinen Schmerzen. „Ihr Frauen von Jerusalem, weinet nicht über mich.“ Wann sagt das jemals ein so schwer Leidender wie Jesus? Er will nicht beklagt, er will nicht bemitleidet sein. „Weinet vielmehr über euch und über eure Kinder.“ Warum? Weil er das furchtbare Strafgericht sieht, das über Jerusalem kommen wird. Die Feinde werden kommen und Jerusalem mit einem Wall umgeben. Sie werden es erstürmen, sie werden die Einwohner niedermetzeln. Und deswegen werden die Menschen einen schnellen Tod wünschen. Sie werden zu den Bergen sagen: „Fallet über uns“ und zu den Hügeln: „Bedecket uns!“ „Wenn das am grünen Holz geschieht, was wird dann am dürren geschehen?“ Mit dem grünen Holz meint er sich und seine eigene Unschuld. Mit dem dürren Holz meint er diejenigen, die ihn dem Tode überliefert haben.

Die Hinrichtungsstätte Jesu heißt „Golgotha“, das bedeutet Schädel, Schädelstätte. Warum? Weil offenbar ein kleiner Hügel die Gestalt eines Schädels hatte. Dorthin wird Jesus gebracht. Es war jüdische Sitte, den zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung einen leicht betäubenden Trank zu reichen, damit sie die Schmerzen der Todesstrafe weniger spürten. Und so war es auch bei Jesus. Vornehme, fromme jüdische Frauen reichten Jesus einen Betäubungstrank, Wein gemischt mit Myrrhe. Jesus kostete ihn, aber er nahm ihn nicht. Er wollte ohne Betäubung in den Tod gehen.

Die Kreuzigungsstrafe, also das Anbringen eines Menschen an das Kreuz, damit er eines langsamen und schmerzhaften Todes sterbe, war eine heidnische und keine jüdische Strafart. Sie wurde beobachtet in Persien, in Phönizien, bei den Ägyptern bei den Indern, bei den Karthagern, und von da kam sie nach Rom. Sie war somit auch eine römische Todesart und wurde über gemeine Menschen verhängt, zum Beispiel bei Überläufern im Kriege, über Räuber, über besiegte Aufständische. Diese Kreuzigungsart musste Jesus erleiden. Die Form des Kreuzes konnte zweifach sein: Entweder dreiarmig oder vierarmig. Wenn Sie sich diesen obersten Teil wegdenken, dann ist das Kreuz dreiarmig. Wenn wir uns den obersten Teil dazudenken, ist es vierarmig. Wir wissen nicht, ob Jesus an einem dreiarmigen oder an einem vierarmigen Kreuz aufgehängt wurde. Die ältesten Nachrichten sprechen von einem vierarmigen Kreuz, also so, wie wir es heute machen, wenn wir uns bekreuzigen und wie auch unsere Kreuze in der Regel gestaltet sind. Unmöglich ist das dreiarmige Kreuz aber nicht. Eine weitere Frage bezieht sich auf die Höhe des Kreuzes. Im allgemeinen waren bei den Römern die Kreuze niedrig. Die am Kreuze Hängenden berührten fast den Boden in der Absicht, dass die wilden Tiere über sie herfallen konnten. Es wird uns aber auch berichtet, dass es höhere Kreuze gab. Und nach den Berichten der Evangelien muss der Kreuzesstamm Jesu eine etwas größere Höhe gehabt haben. Warum? Der Soldat reicht Jesus den Schwamm mit Essig nicht mit der bloßen Hand, sondern mit einem Ysopstengel, und der wird 1 m lang. Es ist also anzunehmen, dass die Füße Jesu etwa einen Meter über dem Erdboden hingen. Auch aus anderen Anzeichen können wir eine etwas höhere Lage des Kreuzes annehmen. Wenn die Hohenpriester dem Gekreuzigten zurufen: „Er steige herab“, dann muss er ja irgendwie erhöht gewesen sein.

Die Zeremonie der Kreuzigung vollzog sich in folgender Weise: Der Verurteilte wurde entkleidet. Er wurde nach vollzogener Entkleidung noch einmal gegeißelt. Jesus nicht, weil die Geißelung vorweggenommen worden war. Dann wurde er am Boden mit ausgestreckten Armen an das Querholz angenagelt. Das Querholz wurde dann mit dem Körper hochgehoben und an dem senkrecht in der Erde steckenden Pfahl befestigt. Darauf wurden die Füße angenagelt. Etwa in der Mitte des Kreuzes wurde ein Holzpflock angebracht, das sogenannte cornu. Dieser Holzpflock hatte den Zweck zu verhüten, dass die Hände aus den Nägeln rissen. Der Gekreuzigte kam also etwa zu sitzen auf dem Holzpflock. Die Qual dauerte damit länger. Dann wurden die Füße angenagelt, entweder jeder Fuß mit einem eigenen Nagel oder beide Füße mit einem Nagel. Auch das wissen wir nicht. Manche Verbrecher wurden nicht angenagelt, sondern mit Stricken am Kreuz befestigt. Das ist mit Jesus ganz sicher nicht geschehen, denn der Herr zeigt als Auferstandener dem Thomas die Nägelwunden an den Händen und an den Füßen. „Seht meine Hände und meine Füße, dass ich es bin!“ Und andere Evangelisten berichten: „Er zeigte ihnen seine Hände und seine Füße.“ Nachdem Jesus am Kreuze angenagelt war, wurde über seinem Haupte der so genannte Titulus befestigt. Das war eine weiße Tafel, auf der mit schwarzen Buchstaben der Grund der Verurteilung angegeben war. Nach römischer Sitte wurde die Verurteilung dem Volke öffentlich kundgemacht. Palästina war damals dreisprachig: Aramäisch war die Sprache des Volkes, lateinisch die Sprache der Besatzungsmacht, griechisch die Umgangssprache im römischen Imperium. Und so wurde auch der Titulus in dreifacher Sprache über dem Haupte Jesu angebracht. Er hatte den Wortlaut: „Jesus der Nazaräer, der König der Juden.“ Mit dieser Inschrift nahm Pilatus noch einmal Rache an den Juden, die ihn zu dem ungerechten Urteil bewogen hatten. Er wollte sie verhöhnen, indem er zeigte: „Euren König habe ich gekreuzigt.“ Und die Hohenpriester wurden deswegen bei ihm vorstellig. Sie sagten: Schreibe nicht, „der König der Juden“, sondern, „er hat gesagt, er sei der König der Juden“. Aber Pilatus wies sie höhnisch ab: „Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben“, das heißt, das nehme ich nicht zurück. Nachdem die Kreuzigung vollzogen war, blieb das Hinrichtungskommando an Ort und Stelle. Sie mussten ja warten, bis der Tod eingetreten war. Nach alter Sitte stand den Henkern der Nachlass des Exekutierten zu. Und so geschah es auch hier. Die vier Soldaten teilten Jesu Kleider unter sich: Obergewand, Untergewand, Gürtel, Sandalen, vielleicht eine Kopfbinde. Gewöhnlich wurden die Verurteilten nackt gekreuzigt. Aber es ist durchaus denkbar, dass die Römer Rücksicht nahmen auf die Scheu der Juden vor dem Unbekleidetsein und dass sie deswegen Jesus einen Lendenschurz umhingen. Im Zusammenhang damit steht die Frage, ob Jesus am Kreuze die Dornenkrone getragen hat. Wir wissen es nicht, aber ich halte es für wahrscheinlicher, dass ihm die Dornenkrone genauso vor dem Kreuzweg abgenommen wurde wie der Purpurmantel. Sie hatten ja nur dazu gedient, ihn als König zu verhöhnen. Purpurmantel, Rohr in der Hand, Dornenkranz, das waren die Spottinsignien für den König Und da man ihm den Mantel abgenommen hat, wie im Evangelium berichtet wird, so vermute ich, ohne es genau zu wissen, dass man ihm auch die Dornenkrone abgenommen hat.

In der neunten Stunde, also bald nach fünfzehn Uhr, ist Jesus verschieden. Über die Todesursache berichten die Evangelien nichts. In der Regel ging dem Sterben der Gekreuzigten ein sich lange hinziehender Zustand völliger Entkräftung und Bewusstlosigkeit voraus. Nach medizinischer Ansicht ist die Todesursache Jesu ein Kollapsgeschehen oder eine vegetative Fehlregulation, so der letzte mir zugängliche medizinische Bericht. Ein Kollapsgeschehen oder eine vegetative Fehlregulation. Was Kreuzigungen so grauenhaft machte, das waren die Wut- und Schmerzensschreie der unglücklichen Opfer während des Vollzugs der Strafe, ihre wilden Verwünschungen und Ausbrüche namenloser Verzweiflung. All das fehlt beim Sterben unseres Heilandes völlig. Statt seinen Henkern zu fluchen, fleht Jesus für sie den Himmel um Vergebung: „Vater verzeih ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“ Statt sich der Verzweiflung zu übergeben, flüchtet er sich in die Arme des Vaters und betet den 21. Psalm: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ So lauten die ersten Verse. Aber dieser Psalm, meine lieben Freunde, geht aus in Zuversicht. Wir hören immer nur die ersten Verse, aber wenn wir den Psalm zu Ende beten, und wir beten ihn jede Woche, wir Priester, da sehen wir, dass es ein Psalm ist, an dessen Ende die Zuversicht auf Gottes Rettung steht. Dieses beispiellose Sterben machte auf den Zenturio, der beaufsichtigend an der Hinrichtung teilgenommen hatte, einen überwältigenden Eindruck, sodass er ausrief: „Dieser Mensch ist wahrhaftig Gottes Sohn gewesen!“ Er hatte vom Prozess gehört, er hatte auch vom Anspruch Jesu erfahren, und jetzt war er überzeugt, dass dieser Anspruch berechtigt ist. „Dieser Mensch ist wahrhaftig Gottes Sohn!“ Der heidnische Offizier erkennt, in Jesu außerordentlichem Sterben die Bestätigung gefunden zu haben, dass sein außergewöhnliches Selbstbewusstsein glaubwürdig ist. Dieses Wort des Hauptmanns, meine lieben Freunde, bildet das erste unparteiische Urteil über den doppelten Prozess gegen Jesus. Es ist eine Anklage gegen diejenigen, die ihn zum Tode verurteilten, und es ist ein Freispruch für den, der verurteilt wurde.

Meine lieben Freunde, wir haben an den vergangenen acht Sonntagen uns das Leiden unseres Heilandes zu vergegenwärtigen versucht. Zu dem Hören auf Jesu letzte Worte sind wir nicht gekommen. Wenn mir Gott das Leben schenkt und die Gesundheit, möchte ich in der Fastenzeit des kommenden Jahres die letzten Worte Jesu zum Gegenstand der Predigt machen. Für heute bleibt uns nur mitleidige Reue und aufrichtiger Dank für Jesu Leiden. Wir katholischen Christen haben ergreifende Kirchenlieder, die uns zum leidenden Heiland führen:

„Ist dies, o Herr, dein Todesbett?

O, dass ich nie gesündigt hätt’!

Weh‘ mir, mein sündig Leben -

o Jesus, welche Schmerzen, auf felsenharte Herzen -

hat dir den Tod gegeben.“

„Ich danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund,

für deine Todesschmerzen, da du's so gut gemeint.

Ach, gib, dass ich mich halte zu dir und deiner Treu’,

und wenn ich einst erkalte, in dir mein Ende sei.“

Amen.

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