Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das Leiden Jesu Christi (Teil 6)

3. März 2013

Jesus vor Pilatus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag hatten wir Jesus vor Herodes erlebt. Herodes schickte Jesus zu Pilatus zurück. Dieser nahm die Verhandlung von neuem auf. Er gab zunächst einen Überblick über das bisherige Geschehen: „Ihr habt mir diesen Mann als Aufwiegler des Volkes vorgeführt. Seht, ich habe ihn in eurer Gegenwart verhört, habe an ihm keine Schuld gefunden in dem, dessen ihr ihn anklagt. Aber auch Herodes nicht, denn er hat ihn zurückgeschickt und nichts Todeswürdiges an ihm gefunden. Ich will ihn also züchtigen und dann freigeben lassen.“ Sie spüren alle die Inkonsequenz. Wenn er nichts Todeswürdiges begangen hat, dann muss er freigesprochen werden. Aber dann muss er nicht gezüchtigt werden. Pilatus begibt sich von hier an auf eine schiefe Ebene. Er will Jesus retten, er will ihn vor dem Äußersten bewahren, ja er will ihn sogar freilassen, aber er soll wenigstens eine Strafe, zugegeben eine harte Strafe, empfangen: Er soll gegeißelt werden. Dieser Vorschlag war ungerecht und verhängnisvoll. Und es nimmt nicht wunder, dass die Juden, die eben auf den Tod Jesu drängten, diesen Vorschlag abwiesen. Der erste Rettungsversuch des Pilatus war gescheitert. Ein zweiter schließt sich an. Den ersten hatte er vor den Synhedristen vorgenommen, also vor den Angehörigen des Hohen Rates, den zweiten nimmt er vor dem Volke vor. Es bestand ein Brauch in Judäa, dass eine Osteramnestie erfolgte. Zu Ostern gab man einen Verurteilten dem Volke frei. Das Volk konnte ihn sich ausbitten, konnte wählen. Diese Osteramnestie nach jüdischem Recht traf zusammen mit der Möglichkeit des Statthalters, eine Begnadigung auszusprechen, lat. „Venia“. Und von diesem Recht will jetzt Pilatus Gebrauch machen. Er lässt dem Volke die Wahl. „Wen soll ich euch freigeben, Barabbas oder Jesus, der Christus genannt wird?“ Wer war Barabbas? Er war ein Aufrührer, der im Gefängnis lag mit seinen Genossen. Er hatte einen Mord begangen bei dem Aufstand. Er war nicht ein gewöhnlicher Straßenräuber, sondern ein Anhänger der jüdischen Freiheitspartei, die mit Gewalt das römische Joch abschütteln wollte. Man hatte damals römische Soldaten angegriffen, es gab Tote und Verwundete. Deswegen lag Barabbas im Gefängnis. Pilatus drängte das Volk in seine Richtung. Er meinte, die Massen würden seinem Vorschlag folgen. Er wusste, dass die Priesterkaste Jesus aus Neid überwiesen und angeklagt hatte, aus Neid, weil sie eifersüchtig auf ihn waren, weil er ihnen die Massen entfremdete. Er dachte, dass das Volk aus anderen Motiven handeln könnte. Er meinte, die Anhänglichkeit des Volkes an Jesus, die er ja auch beobachtet hatte, von der er gehört hatte, die Anhänglichkeit des Volkes könnte dazu führen, dass es sich Jesus ausbat. Aber das war eine Fehlrechnung. Pilatus bedachte nicht, dass die anti-römisch eingestellte Menge, wenn sie wählen konnte, nicht seiner Lösung zustimmen würde, sondern der Lösung der Hohenpriester, und die ging eben auf Barabbas, den Anführer der anti-römischen Freiheitspartei. Indem Pilatus die Sache Jesu mit der Amnestieaktion des Volkes verknüpft, beginnt das Verhängnis. Die Hohenpriester beantworten diese Ausweichversuche des Prokurators damit, dass sie das Volk gegen Jesus aufhetzten. Sie machen Stimmung für Barabbas.

Da tritt eine Pause ein im Prozess. Wodurch? Es kommt eine Warnung von der Frau des Pilatus. Die Statthalter durften ihre Frauen in die Provinzen mitnehmen, und so hatte auch Pilatus seine Frau bei sich. Diese Frau hatte in der Nacht einen Traum. Und dieser Traum bestimmte sie jetzt, eine Botschaft an ihren Mann zu senden. „Habe nichts zu schaffen mit diesem Gerechten. Ich habe seinetwegen im Traum viel gelitten!“ Die Frau des Pilatus muss eine fromme Frau gewesen sein. Sie muss von Jesus gehört haben. Sie wusste, dass er ein Gerechter ist. Und so setzt sie sich für ihn ein. Sie, die Heidin, verwendet sich für Jesus, und die Juden, die Stammesgenossen, klagen ihn an! Dieser Traum steht nicht vereinzelt. Wir wissen, dass auch die Frau des Cäsar einen Traum hatte, einen Traum, in dem sie ihren Mann im Blute liegen sah. Calpurnia hieß die Frau. Und Calpurnia ließ ihrem Manne Cäsar eine Botschaft zugehen: „Gehe nicht in den Iden des März in den Senat, dort steht dir Schlimmes bevor!“ Und dieser Traum ging in Erfüllung. Cäsar wurde ermordet im Senat.

Der Traum der Frau des Pilatus vermochte an dem Schicksal Jesu nichts zu ändern. Pilatus hatte dieses Schicksal in die Hände des Volkes gelegt, aber das Volk ließ ihn fallen. Es stellte sich freiwillig, wenn auch nicht unbeeinflußt, auf die Seite der Todfeinde Jesu: „Nimm diesen und gib Barabbas frei!“ Jetzt erweiterte sich der Kreis der Schuldigen von der kleinen Führerschicht auf einen großen Teil des Jerusalemer Volkes. Es ist begreiflich, dass diese entscheidende Prozessphase den Christen lange in schmerzlicher Erinnerung blieb. In bitteren Worten hat Petrus später den Einwohnern von Jerusalem ihre unselige Entscheidung vorgehalten: „Der Gott unserer Väter hat seinen Knecht verherrlicht, Jesus, den ihr ausgeliefert und vor Pilatus verleugnet habt, während er urteilte, er sei freizugeben. Den Heiligen und Gerechten habt ihr verleugnet, aber habt gefordert, dass man euch den Mörder freigebe.“ Das war die Erinnerung, welche die Christen an dieses unselige Ereignis aufbewahrten. Wir wissen, meine lieben Freunde, wie man Massen bearbeitet. Wir erfahren es jeden Tag, wie man mit Unterstellungen, Verdächtigungen, Gerüchten Stimmung gegen missliebige Persönlichkeiten macht. Was haben die Hetzer gegen Joseph Ratzinger, den Kardinal und Papst, alles vorgebracht. Wer es wagt, für die sittlichen Grundsätze des Christentums einzutreten, wird madig gemacht. Presse, Rundfunk und Fernsehen vereinigen sich gegen jeden, der sich dem Abbau der Gebote Gottes widersetzt.

Und doch kann man fragen: Ja warum hat sich denn keine Stimme für Jesus erhoben? Es waren doch auch so viele Galiläer zum Osterfest in Jerusalem. Also seine Stammesgenossen, seine Mitbewohner. Warum haben sie sich nicht für Jesus verwendet? Die Antwort ist leicht: aus Furcht! Sie hatten Angst, die Masse, die blutrünstige Masse war für den Tod Jesu, und so wagten sie nicht, ihre Stimme für ihn zu erheben. Der Hauptgrund, weswegen das Volk Jesus zum Tode führen wollte, war die Verurteilung durch das einheimische Gericht. Wir haben ja von dem Religionsprozess gehört, den die Hohenpriester gegen Jesus veranstaltet haben. Und weil das Volk am Gesetze hing, weil es ein Urteil, das im Namen des Gesetzes ausgesprochen wurde, immer noch hochachtete, deswegen hat sich die ursprünglich Jesus günstige Stimmung umgewandelt in Missstimmung, ja in Hass. So war es dem Hohen Rat gelungen, das Volk gegen Jesus einzunehmen.

Der Prokurator war über die Ablehnung seines Vorschlages nicht nur überrascht, sondern förmlich aus der Fassung gebracht. Und so stellte er der Forderung nach Auslieferung Jesu und nach Freigabe des Barabbas die hilflose Frage entgegen: „Was soll ich nun mit dem machen, den ihr den König der Juden nennt?“ Er hoffte anscheinend, die Masse werde nicht, wie die Führerschicht, auf den Tod Jesu drängen, sondern mit einer milderen Bestrafung einverstanden sein. Aber er täuschte sich. Seine unvorsichtige Frage wurde augenblicklich durch ein gellendes „Kreuzige ihn“ beantwortet. Was Führung und Volk fordern, ist der Tod Jesu, und zwar der grausame Tod am Kreuze, der römische Tod. Denn die Juden kannten die Todesstrafe am Kreuze nicht. Das ist eine römische Strafe. Und jetzt sollte sich also die „Lex julia majestatis“, das ist das Gesetz, nach dem Jesus verurteilte wurde, jetzt sollte sich die „Lex julia majestatis“ an ihm auswirken. Hochverrat! Hochverrat galt als Kapitalverbrechen, war also mit dem Tode zu sühnen. Und der Tod wurde auf verschiedene Weise über den Delinquenten gebracht. Entweder am Kreuze oder durch Auslieferung an die wilden Tiere im Zirkus oder bei Römern durch Verbannung auf eine Insel. Für Provinziale, und Jesus war ein Provinziale, für Provinziale ohne römisches Bürgerrecht waren Hinrichtungen am Kreuze üblich. Sie kennen alle, meine lieben Freunde, aus Ihrer Schulzeit, die Schlacht im Teutoburger Wald, 9 n. Chr. Da wurde der Legat Varus mit seinen Legionen von den Germanen besiegt, aufgerieben. Dieser Varus vom Teutoburger Wald war vorher Statthalter in Syrien gewesen und hatte dort einen Aufstand der Juden blutig niedergeschlagen und zweitausend Juden kreuzigen lassen. Die Juden wussten also, was für ein Schicksal Jesus erleiden würde.

Dem Prokurator war ein solches Verhalten unfassbar. Er hatte sich ein Rechtsempfinden bewahrt, und er wusste, eine Strafe muss in gerechtem Verhältnis zur Schuld stehen. Er erkannte, dass das hier nicht der Fall war. Und deswegen war er unwillig gegen die Juden. „Was soll ich denn mit Jesus tun?“ Der Mob ist des Verhandelns müde. Sicher gemacht durch die offenkundige Unsicherheit des Richters geht er über diese Frage mit kalter Verachtung hinweg, um nur noch die eine Forderung zu wiederholen: „Kreuzige ihn!“ Jetzt rächt sich, dass Pilatus sich auf Verhandlungen mit dem Volke überhaupt eingelassen hat. Dieser unverzeihliche Fehler hat ihn in eine Lage hineinmanövriert, der er nicht gewachsen ist. Jetzt konnte er über die Forderung der überhitzten Masse nicht hinweggehen. Jetzt wurde auch die politische Seite dieses Prozesses für ihn sichtbar. Als er erkennt, dass Jesus verloren ist, greift er zu einer sinnbildlichen Handlung. Er nahm Wasser, wusch seine Hände vor dem Volk und sprach: „Ich bin unschuldig am Blut dieses Gerechten. Seht ihr zu!“ Das Volk antwortet darauf: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“

Das Volk übernimmt die Verantwortung. Und diese Verantwortung hat es bitter, bitter bezahlen müssen. Wenige Jahrzehnte später wird Jerusalem umzingelt, belagert, eingenommen. Die römischen Legionen richten ein Blutbad in der Stadt an. Die Juden werden gegeißelt, gekreuzigt, zu Tode gehetzt. An einem Tage fünfhundert. „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“

Pilatus gab ihnen Barabbas frei, Jesus aber ließ er geißeln. Die Geißelung, meine lieben Freunde, war eine außerordentlich harte Strafe. Man unterscheidet verschiedene Arten der Geißelung. Die Geißelung als Folter, um Geständnisse zu erpressen. Die Geißelung als Todesstrafe; man konnte einen zu Tode geißeln. Und die Geißelung als selbständige polizeiliche Züchtigung. Schließlich als vierte Art die Geißelung als Auftakt zur Hinrichtung nach ergangenem Todesurteil. Das jüdische Recht kannte die Geißelung auch als Strafe, aber immer nur vierzig weniger einen Hieb, also neununddreißig Hiebe, wie sie Paulus selbst empfangen hat. Die römische Geißelung kannte kein Höchstmaß. Man wundert sich nicht zu hören, dass manche Gegeißelte unter den Hieben tot zusammen gebrochen sind. Im Falle Jesu wurde die Geißelung von Pilatus als selbständige Strafe angeordnet. Die Verurteilung zum Tode erfolgte erst später. Pilatus war zur Erkenntnis gelangt, dass er ganz ohne Bestrafung Jesu nicht durchkommen würde. Gegen die Kreuzigung sträubte er sich immer noch. Also entschied er sich für die Geißelung. Er hoffte, die Juden würden sich mit dieser drakonischen Strafe zufrieden geben und von einer weitergehenden Forderung absehen. Wie er die Strafe verstand und verstanden wissen wollte, zeigen die Worte: „Ich will ihn züchtigen lassen und dann freigeben!“ Die beabsichtigte Freigabe war die Entlassung wegen eines nicht-kapitalen Vergehens. Jesus sollte eine Strafe bekommen, aber diese Strafe sollte nur die Geißelung sein. Natürlich hat sich Pilatus, indem er auch diese Strafe verhängte, in unentschuldbarer Weise gegen seine richterliche Pflicht vergangen. Pilatus versuchte mit Kompromissen durchzukommen. Es mißlang ihm! Es ist immer bedenklich, meine lieben Freunde, dem Bösen in scheinbar harmloser Gestalt sich zu nähern. Das Böse entfaltet eine eigene Dynamik. Man kann es nicht nach Belieben anhalten. Taktik zahlt sich nicht aus. Wer statt Gerechtigkeit auf Finassieren setzt, wie Pilatus, der unterliegt einem Gegner, der zu allem entschlossen ist. Auch die Geschichte kann uns dessen belehren. Die Engländer haben von 1933 bis 1939 die Politik des Appeasement, betrieben. Appeasement heißt Beschwichtigung. Das heißt, sie haben den Forderungen Hitlers nachgegeben, immer wieder nachgegeben. Ein Flottenabkommen mit ihm geschlossen, wonach er ein Drittel der englischen Flotte haben durfte. Das letzte Nachgeben war in München, 1938, als sie das Sudetenland an Hitler abtraten. Die britische Regierung schätzte diesen Mann falsch ein. Sie meinte, er sei mit Zugeständnissen zu befriedigen. Sie begriffen nicht, dass er völlig amoralisch war und dass er einen zügellosen Machtwillen hatte, der nach immer neuen Objekten griff. Ähnliche Erfahrungen machen wir in der Kirche. Seit Jahrzehnten werden von aufmüpfigen Theologen Erklärungen, Appelle, Memoranden in das Volk geworfen, in denen gefordert wird, die Kirche dem Protestantismus anzunähern. Die Menschen werden verführt, gegen den Papst aufgehetzt, zum Ungehorsam verleitet. Die Bischöfe haben niemals etwas Energisches dagegen unternommen, sind vielmehr zurückgewichen, haben Zugeständnisse gemacht oder versprochen. Ruhe haben sie damit nicht gefunden. Dieser Gegner gibt keine Ruhe, denn der Feind, der hinter den Aktionen der missvergnügten Theologen steht, ist der Satan. Er ist mit Konzessionen nicht zufrieden zu stellen, denn er ist unersättlich. Der Satan gibt keine Ruhe, bis er die Kirche als das Bollwerk der Wahrheit zerstört hat. Der Apostel Paulus schrieb einmal an die Gemeinde in Ephesus: „Wir führen unsern Kampf nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Weltherrscher der Finsternis.“ Ja, so ist es. Gegen die Weltherrscher der Finsternis geht auch unser Kampf heute. Gegen sie darf es kein Entgegenkommen, keine Nachsicht, keine Zugeständnisse geben, sondern nur entschiedene und bedingungslose Ablehnung!

Amen.                  

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