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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das Geheimnis der menschlichen Seele (Teil 4)

6. Februar 2005

Die Unsterblichkeit der Seele

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Wenn es einen Himmel gibt, dann sind wir alle die Gelackmeierten“, hat der Gründer der deutschen Sozialdemokratie, August Bebel, einmal gesagt. „Wenn es einen Himmel gibt, dann sind wir alle die Gelackmeierten“, die wir eben nicht daran glauben, so meinte er. Tatsächlich hängt von der Unsterblichkeit des Menschen fast unsere ganze Religion ab. Wenn wir für die Armen Seelen beten, dann muss es ja Arme Seelen geben. Wenn es keine Armen Seelen gäbe, wie könnten wir für sie beten? Wenn wir die Heiligen anrufen, dann müssen ja doch Heilige vorhanden sein in der Herrlichkeit des Himmels. Wie könnten wir sie sonst anrufen? Aber sie sind doch gestorben; ihr Leib ist in die Erde gesenkt worden. Wir haben ihre Reliquien, ihre Überbleibsel vom Leibe. Nur was unsterblich war an ihnen, ist geblieben, und das nennen wir Seele.

Wir kommen deswegen heute, meine lieben Freunde, zum vierten Punkte unserer Überlegungen über die menschliche Seele, nämlich zu der Frage der Unsterblichkeit. Diese Frage ist die große Frage der Menschheit überhaupt. Gibt es eine Unsterblichkeit? Ist die Seele unvergänglich? Ist sie unzerstörbar? Das ist nicht dasselbe. Unvergänglich ist etwas, was aus sich selbst nicht aufhören kann, was also in sich selbst den Keim der Unsterblichkeit besitzt, was in sich selbst keinen Grund zur Auflösung hat. Das ist unvergänglich. Unzerstörbar ist mehr. Unzerstörbar ist etwas, was auch von außen nicht ins Nichts zurückgestoßen werden kann. Die Unzerstörbarkeit besagt, dass es auch von äußeren Einflüssen her nicht vernichtet werden kann.

Noch etwas Besonderes ist mit der Seele gegeben, denn die Seele ist in dem Sinne unsterblich, dass die ganze Persönlichkeit fortbesteht, also nicht nur irgend etwas am menschlichen Geiste, sondern der Geist als Träger der Persönlichkeit, dasjenige, was die Person ausmacht, die Bewußtsein hat, die Verantwortung trägt und die deswegen auch nach dem Zerfall des Leibes belohnt oder bestraft werden kann. In diesem prägnanten Sinne besagt Unsterblichkeit das Erhaltenbleiben und das Fortbestehen der individuellen Persönlichkeit.

Man kann nicht eigentlich sagen, dass die Seele ewig ist, denn sie hat ja einen Anfang. Ewig ist nur das, was keinen Anfang hat, und das ist nur eine einzige Wirklichkeit, nämlich Gott. Er hat weder einen Anfang noch ein Ende, sondern er ist im Besitz des unendlichen Lebens zu gleicher Zeit. So hat Boethius die Ewigkeit bestimmt, und so ist es: der Besitz eines unendlichen Lebens in Gleichzeitigkeit, ohne Anfang und ohne Ende. Wir haben also die Frage zu überlegen: Trägt die Seele den Keim, die Möglichkeit der Vergänglichkeit in sich und wird sie durch ihre Trennung vom Leibe ebenfalls in den Tod hineingerissen?

Dass die menschliche Seele einen Anfang hat, ist klar. Gott erschafft die Seele, wenn durch den Zeugungsakt der Eltern ein Menschlein im Schoß der Mutter entsteht. Die Seele ist also nicht anfanglos. Absolut unsterblich ist in diesem Sinne eben nur Gott, der keinen Anfang und kein Ende hat, der zeitlos ist, absolut, ewig. Und an sich stünde nichts entgegen, dass die Seele, da sie einen Anfang hat, auch ein Ende haben könnte. Es wäre denkbar, dass Gott sie in das Nichts, aus dem er sie gerufen hat, wieder zurückfallen lässt. Es lässt sich für die Seele ein Ursprung auf Erden nicht nachweisen. Es zeigt sich, dass die Seele nichts von Mischung und Zusammensetzung hat, was auf eine Entstehung aus der Erde hinweisen würde. Man kann keine Zellen und keine Keime angeben, aus denen die Seele entstehen könnte. Es gibt nichts Feuriges oder Hauchbares oder Flüssiges, aus dem die Seele hervorgehen könnte. Es gibt nichts von den irdischen Stoffen, aus denen sich die Kraft des Denkens, der Vorstellung und der Phantasie erklären ließe. Es gibt nichts, was das Gedächtnis, das das Vergangene aufbewahrt, erschaffen oder aus sich hervortreiben könnte. Und weil es so ist, deswegen ist die Seele nicht aus irdischen Stoffen erklärbar. Es ist nicht möglich, dass durch die Zeugung der Eltern auch die Seele entstünde; sie sind dazu unfähig. Erschaffen in diesem Sinne, erschaffen eines geistigen Wesens ist allein Gott vorbehalten. Und deswegen, weil die Seele getrennt ist von den gewöhnlichen Grundstoffen, den Elementen, deswegen ist sie himmlisch und göttlich.

Dennoch ist die Seele, wenn sie einmal ins Leben getreten ist, unsterblich. Dass sie zu Ende gehen könnte, ist dadurch ausgeschlossen, dass die Natur der Seele einfach und geistig ist. Wir haben an den vergangenen Sonntagen uns das Wesen der Seele vor Augen geführt, wie es sich aus der Tätigkeit des Menschen ergibt. Man kann nämlich aus der Tätigkeit auf die Eigenart schließen. Und da ergab sich: Die Seele ist eine Substanz, ein selbständiges, für sich bestehendes Sein. Sie ist eine geistige Wirklichkeit. Sie ist nicht ausgedehnt, sie ist nicht mit einem bestimmten Gewicht versehen, sie ist schwerelos, wie eben ein Geist es ist: von allem Materiellen im Letzten unabhängig. Und deswegen ist die Seele unsterblich. Denn aus der Erfahrung ergibt sich, dass ein jedes Wesen dadurch zerfällt, dass es sich in seine Einzelteile, in seine Elemente, aus denen es gemacht ist, auflöst. Die Zusammensetzung zerfällt – etwa der menschliche Körper – und so geht ein Wesen zugrunde. Das Aufhören des Wirkzusammenhanges der einzelnen Teile, das ist die Weise, wie in unserer Erfahrung etwas zugrunde geht. Überall da, aber auch nur da, wo Zusammengesetztes vorhanden ist, besteht eine Zerfallsmöglichkeit und ein Vergehen und Aufhören der Dinge. Das Geistige aber ist nicht zusammengesetzt. Das Geistige ist weder aus quantitativen noch aus konstitutiven Teilen zusammengesetzt. Nicht aus quantitativen Teilen, da solche im Raum ausgedehnt sind und körperlich sind. Die Seele aber ist weder ausgedehnt noch körperlich. Und auch nicht aus konstitutiven Teilen, weil die Eigenart des Geistigen gerade darin besteht, unabhängig zu sein von einem anderen Mitprinzip. Die tatsächliche Natur und die Wesenheit der Seele ist also so geartet, dass sie nicht zerfallen und nicht untergehen kann. Aus ihrem faktischen Wesen folgt ihre Inkorruptibilität. Die Menschenseele ist an sich unvergänglich und unsterblich.

Ich möchte Ihnen für diesen Zusammenhang ein Wort zweier Großer im Reiche des Geistes zitieren. Der große Leibniz, der ja auch eine Beziehung zu Mainz hat, schreibt in seinem „Systema Theologicum“: „Die gesunde Philosophie und die Offenbarung lehren übereinstimmend die Wahrheit, dass die Seele ohne Teile, geistig und einfach sei und deshalb nicht vergehe. In der Tat, die Seele ist eine Substanz. Keine Substanz kann aber ganz zugrunde gehen ohne eine vollständige Vernichtung, was ein Wunder wäre. Da nun die Seele keine Teile hat, so könnte sie nicht einmal in mehrere Substanzen zerlegt werden. Also ist die Seele natürlicherweise unsterblich.“ So hat Leibniz in seinem „Systema Theologicum“ geschrieben, und er hat damit nur wiederholt, was die edlen Heiden schon erkannt hatten. Ich zitiere Ihnen ein Wort des großen Cicero. Er schreibt: „Was aber die Erkenntnis der Seele betrifft, so können wir nicht zweifeln, dass in den Seelen nichts Beigemischtes, nichts Zusammengesetztes, nichts Verbundenes, nichts Zusammengefügtes, nichts Zwiefältiges ist. Verhält es sich aber so, dann kann sie auch nicht getrennt, nichts zerteilt, nicht zerrissen, nicht aufgelöst werden und folglich auch nicht untergehen. Denn Untergang ist Scheidung, Trennung, Auflösung derjenigen Teile, welche vor dem Untergang durch Verbindung zusammengehalten werden.“

Das einfache, ungeteilte Wesen der Seele ist also der Grund dafür, dass sie nicht zerfallen kann. Der heilige Augustinus hat noch einen anderen Beweis vorgelegt für die Unsterblichkeit der Seele, nämlich er geht von der Wahrheit aus. Die Wahrheit, sagt er, hat ihren Sitz im Menschen. Das Subjekt aber, in dem die Wahrheit wohnt, muss dem Wesen, dem geistigen Wesen der Wahrheit entsprechen. Darum kann nicht der menschliche Leib, sondern nur die menschliche Seele Träger und Sitz der Wahrheit sein. Diese Verbindung der Wahrheit mit der Seele ist keine zufällige und wechselnde, sondern eine denkbar innige, unzertrennliche, unablösliche. Nun ist aber die Wahrheit selbst ontologisch unvergänglich, unveränderlich, ewig. Also muss auch das Subjekt, mit dem die Wahrheit verbunden ist, die geistige Menschenseele, unvergänglich und unzerstörbar und unsterblich sein. Die ewige Wahrheit, so fügt er hinzu, verlangt einen ewigen Träger, eine unsterbliche, ewige Geistseele.

Meine lieben Freunde, ich sagte schon, wir wollen uns, wenn wir an die Unsterblichkeit der Seele glauben, nicht mit dem Zeugnis der Offenbarung begnügen. Es ist gewiß genügend. Aber da der Mensch das Bedürfnis hat, was er glaubt, auch nach Möglichkeit einzusehen, haben wir uns aufgemacht, durch rationale Überlegungen das Wesen der Seele und ihre Eigenart zu ergründen. Nun sind wir so weit gekommen, dass wir sagen: Das ontologische Sein der Seele, also ihre Geistigkeit und Einfachheit, macht den Untergang unmöglich. Sie kann nicht aus sich selbst zerfallen. Aus ihrer ontologischen Bestimmtheit und aus ihrer ontologischen Eigenart ergibt sich die Forderung, ja die Tatsache ihres ewigen Fortbestandes.

Der heilige Augustinus, der sich viel mit diesen Fragen beschäftigt und sogar ein Büchlein darüber geschrieben hat, hat einmal die Äußerung getan: „Gott hätte niemals so Großes für den Menschen getan, wenn die Seele nicht unsterblich wäre.“ Weil die Seele einmal von Gott angesprochen wird in der Offenbarung und in der Heilsordnung, deswegen kann sie nur unsterblich sein. Wen Gott einmal als seinen Partner wählt, der kann nicht mehr vergehen.

Amen.

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