Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Heilsbedeutung Mariens (Teil 7)

17. März 1996

Die Jungfräulichkeit Mariens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Durch die Geburt aus einer Frau ist Jesus in die Abfolge der menschlichen Geschlechter eingetreten. Er ist ein Glied in der Reihe der Generationen. Aber er ist nicht in die Abfolge der Geschlechter gebannt. Er überragt sie vielmehr durch seine jungfräuliche Geburt. Es ist ein Glaubenssatz unserer Kirche, daß die Mutter Jesu immerwährende Jungfrau ist; wir sprechen von ihrer Jungfräulichkeit vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt.

Die Jungfräulichkeit Mariens vor der Geburt besagt: Ihr Kind wurde nicht empfangen auf die gewöhnliche Weise, wie sonst eben neues menschliches Leben entsteht, sondern was im normalen Lauf der Dinge das männliche Prinzip tut, das wurde durch die Allmacht, durch die schöpferische Kraft Gottes bewirkt. Die Jungfräulichkeit in der Geburt besagt, daß Maria leiblich unversehrt blieb. Gleichzeitig war sie völlig Gott hingegeben und frei von jeder Sünde gegen die Keuschheit und von jeder Regung der ungeordneten Begierlichkeit. Die Jungfräulichkeit nach der Geburt beinhaltet, daß Maria auch nach dem Geborenwerden Jesu keine geschlechtliche Beziehung unterhielt.

Wir sind dieses Glaubensgeheimnisses gewiß durch die Verkündigung der Kirche. In den Glaubensbekenntnissen und in anderen Äußerungen von Konzilien und von Päpsten werden wir mit Gewißheit über die dreifache Jungfräulichkeit Mariens erfüllt. Das Konzil vom Lateran im Jahre 649 hat den Satz aufgestellt: „Wer nicht mit den heiligen Vätern im eigentlichen und wahren Sinne die heilige und immer jungfräuliche und unbefleckte Maria als Gottesgebärerin bekennt, da sie eigentlich und wahrhaft das göttliche Wort selbst, das vom Vater vor aller Zeit gezeugte, in den letzten Zeiten ohne Samen vom Heiligen Geist empfangen und unversehrt geboren hat, indem unverletzt blieb ihre Jungfrauschaft auch nach der Geburt, der sei verworfen.“ Wenig später hat das Elfte Konzil zu Toledo (Spanien) im Jahre 675 erklärt: „Von ihr (Maria) ist Christus in einer neuen Ordnung und in einer neuen Geburt geboren worden. In einer neuen Ordnung, weil der durch seine Gottheit Unsichtbare sichtbar im Fleische erschienen ist; in einer neuen Geburt aber ist er geboren worden, weil unberührte Jungfrauschaft, die das Beilager eines Mannes nicht kannte, ihm in ihrem durch die Überschattung des Heiligen Geistes fruchtbar gewordenen Schoß einen Leib bereitet hat. Diese Jungfrauengeburt kann mit natürlichem Verstand nicht begriffen werden und steht ohne Beispiel da. Könnte man sie natürlich begreifen, wäre sie nicht wunderbar; könnte man noch ein anderes Beispiel anführen, wäre sie nicht einzig dastehend.“ Und schließlich noch ein letztes Zeugnis von Papst Siricius aus dem Jahre 392. Es trat damals ein Bischof von Sardika (dem heutigen Sofia) auf, der sagte, Maria habe nach der Geburt Christi noch anderen Kindern das Leben geschenkt, den Brüdern Jesu. Dagegen wandten sich die illyrischen Bischöfe auf einer Versammlung in Thessalonich, aber um letzte Gewißheit zu erlangen, haben sie den Papst angerufen, der ihnen zurückgeschrieben hat: „Mit Recht ist Eure Heiligkeit davor zurückgeschreckt, daß aus dem gleichen jungfräulichen Schoß, aus dem Christus dem Fleische nach geboren wurde, noch eine andere Geburt hervorgegangen sein soll. Jesus hätte sich nicht die Geburt aus einer Jungfrau gewählt, wenn er sie als so wenig enthaltsam hätte betrachten müssen, daß sie jene Geburtsstätte des Leibes des Herrn, jene Halle des ewigen Königs, durch menschliche Begattung entweihte.“

Diese Lehräußerungen der Kirche sind der Widerhall der Heiligen Schrift. Die Evangelisten Matthäus und Lukas bezeugen eindeutig in ihren Schriften die jungfräuliche Geburt Jesu. Nach Lukas kommt schöpferischer Geist über Maria, überschattet sie die Kraft des Allerhöchsten. Die beiden Ausdrücke sind gleichbedeutend. Die Redewendungen: über Maria kommen und sie überschatten besagen wegen des Parallelismus der Glieder dasselbe. Deswegen muß das Wort „überschatten“ in demselben Sinne verstanden werden wie „über Maria kommen“. Es wird jede irgendwie geartete sexuelle Beziehung abgewiesen. Ähnlich wie der Geist Gottes in einer Wolke verhüllt über der Stiftshütte schwebte und sie überschattete, ähnlich wurde Maria vom Heiligen Geist überschattet, d.h. er war in ihr unmittelbar, ohne menschliche Beteiligung wirksam.

Die wunderbare Geburt Jesu war im Alten Testamente vorausverkündet. An der Schwelle zum Neuen Testament steht die Gestalt der Elisabeth. Sie, die alte Frau, hat noch in ihrem Alter ein Kind empfangen. Sie, die Unfruchtbare, wurde Mutter, und das sollte ein Zeichen sein, ein Zeichen für die Glaubwürdigkeit der Engelsbotschaft. Ähnlich wie ein Wunder an Elisabeth geschehen ist, ähnlich – freilich noch in viel größerem Maße – sollte ein Wunder in Maria geschehen. Wenn die Engelsbotschaft Maria sagte: „Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben“, dann wußte sie, die alttestamentlich Gläubige, sofort, daß hier auf das Buch des Propheten Isaias angespielt wurde. Denn im 7. Kapitel dieses Buches ist die Rede von einer Jungfrau. „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Emanuel, Gott mit uns, geben.“

Gegen diese Stelle der Heiligen Schrift läuft der Unglaube Sturm. Man sagt, hier sei gar nicht von einer Jungfrau die Rede, sondern von einer jungen Frau. Das hebräische Wort „Alma“ kommt im Alten Testament neunmal vor. An keiner dieser neun Stellen besagt „Alma“ die verheiratete Frau. Wohl aber ist an einigen Stellen eindeutig auszumachen, daß es das heiratsfähige Mädchen besagt. Die griechische Übersetzung des hebräischen Alten Testamentes, die sogenannte Septuaginta, gibt daher diese Stelle mit „parthenos“ wieder, d.h. Jungfrau. Die Übersetzer haben also in dem Worte „Alma“ die Jungfräulichkeit ausgesprochen gefunden. Und in der Tat, daß eine junge Frau gebiert, ist etwas Selbstverständliches, das kann kein Zeichen sein. Daß aber eine Jungfrau gebiert und den Namen gibt, weil kein Vater da ist, der den Namen geben könnte, das ist ein Zeichen. Diese Verheißung ist in Maria erfüllt. Die Hoffnungen des Alten Bundes sind in Maria zu ihrem Gipfel gekommen. Die jungfräuliche Empfängnis, die jungfräuliche Geburt Mariens wird von Lukas und Matthäus eindeutig ausgesagt.

Jetzt will ich aber die Einwände anführen, die gegen dieses Zeugnis vorgebracht werden. Man verweist auf die Stelle im Matthäusevangelium, wo es heißt: „Josef erkannte Maria nicht, bis sie ihren Sohn gebar.“ Da sagen manche: „Aha, nachher hat er sie also erkannt!“ Erkennen ist eine Bezeichnung für die Einung der Gatten. Darauf  hat schon der heilige Hieronymus die Antwort gegeben: „Die Schrift sagt nicht, was nachher geschehen ist; die Schrift sagt, was bis dahin geschehen ist.“ „Er erkannte sie nicht“, und mehr will die Schrift nicht sagen. Dann weist man darauf hin, daß von den beiden Evangelisten Josef als der Vater Jesu bezeichnet wird. Die Evangelisten geben wieder, daß das Volk, vor allem die Bewohner in Nazareth, Josef als den Vater Jesu ansahen. Ja, natürlich. Das ist ein verständlicher Irrtum. Wie sollten sie auch auf die jungfräuliche Geburt kommen, wenn Maria nicht davon gesprochen hat? Und sie hat das Geheimnis in sich bewahrt, und Josef desgleichen. Es ist auch kein Einwand, wenn man auf die Stammbäume hinweist. Lukas und Matthäus bieten Stammbäume. Da sagen die Ungläubigen: Diese Stammbäume haben nur dann einen Sinn, wenn das Blut dieser Vorfahren über Josef zu Jesus gekommen ist. Keineswegs. Dieselben Evangelisten, die die Stammbäume bieten, bezeugen die jungfräuliche Geburt Jesu. Sie sehen also keinen Widerspruch darin. Die Stammbäume behalten ihren Sinn, auch wenn Josef nur der gesetzliche Vater Jesu war.

Maria ist in einer Weise von Gott beansprucht worden, daß eine weitere eheliche Beziehung zu ihrem Gatten Josef undenkbar erscheint. Ihr öffentliches Amt war es, den Erlöser zur Welt zu bringen. Von dieser Aufgabe, von dieser heilsgeschichtlichen Aufgabe war sie ganz und gar beansprucht. Sie konnte nicht nur nebenbei und gewissermaßen im Vorübergehen erfüllt werden. Nein, diese Aufgabe war das Zentrum ihres Daseins, der Kern der Persönlichkeit Mariens. Von dieser Aufgabe war sie völlig und vorbehaltlos beansprucht, so daß eine weitere eheliche, geschlechtliche Beziehung für sie in keiner Weise in Frage kommen konnte.

Man weist dann darauf hin, daß Jesus der Erstgeborene genannt wird. Wenn ein Erstgeborener da ist, muß dann nicht auch ein Zweit- und Drittgeborener vorhanden sein? Keineswegs. Nach dem Alten Testament (im Buche Exodus) war der Erstgeborene Gott geweiht, er war Gott gehörig, und deswegen mußte er ausgelöst werden (Mariä Lichtmeß), d.h. es mußte die auf den Stamm Levi übergegangene Aussonderung zum Dienste Gottes gewissermaßen abgekauft werden. Die Tatsache, daß ein Erstgeborener da ist, besagt nur, daß sich an ihm die gesetzlichen Bestimmungen über die Erstgeburt erfüllten. Auch wenn kein weiteres Kind geboren wird, ist das einzige Kind, das einzige männliche Kind, der Erstgeborene. In Ägypten wurde eine Inschrift, eine jüdische Grabinschrift gefunden, sie geht auf eine Mutter, die bei der Geburt ihres ersten Kindes gestorben ist, namens Arsinoe. Die Grabinschrift lautet: „Das Schicksal führte mich an das Ende meines Lebens in den Wehen der Geburt meines Erstgeborenen.“ Das Schicksal führte mich an das Ende meines Lebens in den Wehen der Geburt meines Erstgeborenen. Das ist also ein klarer Beweis, daß der Erstgeborene auch dann diesen Namen trägt, wenn keine weiteren Kinder folgen.

Und noch ein letzter Einwand. Es ist von Brüdern und Schwestern Jesu die Rede in den Evangelien. Einmal wird ihm gesagt: Deine Brüder, deine Schwestern warten draußen mit der Mutter. Er soll herauskommen – wir haben uns diese Begebenheit am vorigen Sonntag vor Augen geführt. Zu diesem Einwand ist folgendes zu bemerken: Das Hebräische und das Aramäische, also die Sprachen, die in Palästina heimisch waren, kennen kein Wort für Vetter. Sie bezeichnen den Vetter, den Cousin, als Bruder. Und die griechische Übersetzung, die Septuaginta, gibt das Wort, das wir als Vetter bezeichnen würden, mit „adelphos“, mit „Bruder“ wieder, bezeichnet also den Vetter als Bruder. Zu diesem philologischen Argument kommt ein weiteres. Im 6. Kapitel des Markusevangeliums werden zwei „Brüder“ Jesu mit Namen genannt, Jakobus und Joseph. Im 15. Kapitel desselben Evangeliums wird gesagt, daß diese beiden angeblichen Brüder Jesu die Kinder einer anderen Maria sind, die nicht die Mutter Jesu ist. Nicht Maria, die Mutter Jesu, ist die Mutter dieser beiden, sondern eine andere Maria. Damit ist ganz eindeutig geklärt, daß dieser Sprachgebrauch, wie ihn die katholische Kirche immer verstanden hat, in dem Sinne verstanden werden muß, daß von den Angehörigen der Sippe, nicht aber von leiblichen Brüdern Jesu die Rede ist. Ein letztes Argument kann man daraus ziehen, daß Jesus am Kreuze seine Mutter einem Fremden, dem Johannes, anvertraut hat und nicht etwa einem von den angeblich vorhandenen anderen Söhnen.

Meine lieben Freunde, wie die Heilige Schrift auszulegen ist, das lehrt mit Gewißheit nicht die Philologie und auch nicht das im Einzelnen wirkende Zeugnis des Heiligen Geistes. Wie die Heilige Schrift auszulegen ist, das sagt in letzter Linie nur die verbindliche Auslegung der Kirche. Darin ist der Heilige Geist, der verborgene Hauptverfasser der Heiligen Schrift, selbst wirksam. Die verbindliche Auslegung der Kirche ist die Selbstinterpretation der Heiligen Schrift durch den Heiligen Geist.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt