Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Heilige Maria, Mutter Gottes (Teil 3)

7. Februar 1993

Die jungfräuliche Empfängnis

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

 

Geliebte im Herrn!

An den vergangenen Sonntagen haben wir uns klargemacht, was es bedeutet, wenn wir bekennen: Maria ist die immerwährende Jungfrau. Wir haben gesehen, daß ihre Jungfrauschaft drei Elemente in sich faßt, nämlich die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit von jeder Sünde gegen die Keuschheit und die Freiheit von der ungeordneten Begierlichkeit. Es bleiben einige Fragen und Einwände zu beantworten.

Zunächst: Welches ist das Wesen der leiblichen Unversehrtheit Mariens? Diese Frage können wir nur mit einem „non liquet“ beantworten – wir wissen es nicht. Gott hat es uns nicht geoffenbart. Sie ist ein Geheimnis, die leibliche Unversehrtheit, so wie es die ganze Offenbarung ist. Sie ist ein Wunder der göttlichen Allmacht, und man kann versuchen, sachte versuchen, durch Vergleiche in das Geheimnis einzudringen. Die Kirchenväter sagen: Die leibliche Unversehrtheit Mariens kann man vergleichen mit dem Durchgang eines Lichtstrahles durch ein Prisma, durch ein Glas. Man kann die leibliche Unversehrtheit vergleichen mit dem Auferstehungsvorgang, als der Herr durch Felsen und Fesseln hindurchbrach. Man kann die leibliche Unversehrtheit auch vergleichen mit seinem Gehen durch verschlossene Türen. Und letztlich noch kann man einen Vergleich wählen mit dem Entstehen eines Gedankens im Geiste. Aber das alles sind ferne Hinweise, und wenn wir sie überziehen würden, dann würden wir die Wirklichkeit der Empfängnis und die Wirklichkeit der Geburt Christi gefährden.

Eine zweite Frage ist: Warum ist der Logos, die zweite Person Gottes, nicht in einer Familie wie andere geboren worden? Warum hat er nicht einen irdischen Vater, wie andere einen irdischen Vater haben? Darauf gibt es zwei falsche und vier richtige Antworten. Die erste falsche Antwort lautet, es sei mit der Würde des Gottessohnes unverträglich gewesen, daß er ins Leben trat, wie andere Menschen ins Leben treten. Eine solche Meinung verkennt die Würde der Ehe. Die Ehe ist eine Einrichtung Gottes. Die Ehe ist in das Heilsmysterium Gottes hineingenommen. Sie ist zur Würde eines Sakramentes erhoben, und deswegen ist es ausgeschlossen, daß eine Empfängnis Jesu in der Weise, wie andere Menschen empfangen werden, wegen der Würde des Empfangenen ausgeschlossen gewesen wäre.

Die zweite falsche Antwort lautet, es wäre ein irdischer Vater in Konkurrenz mit dem himmlischen Vater getreten. Nein, das ist ausgeschlossen. Eine solche Konkurrenz wäre nur möglich, wenn der himmlische Vater bei dem Entstehen Jesu so mitgewirkt hätte, wie es die Götterlegenden, wie es die Mythen verkünden. Dort naht sich in phantastischer Weise der Gott einer irdischen Frau und tritt mit ihr in geschlechtlichen Verkehr. Solche Vorstellungen sind vom Gott des Neuen Testamentes völlig fernzuhalten. Er ist über jede Geschlechtlichkeit erhaben. Seine Einwirkung auf Maria ist in keiner Weise zu vergleichen mit dem Tun eines irdischen Vaters in einer normalen, irdischen Ehe. Das sind falsche Antworten, die müssen wir abweisen. Sie sind mit der Würde des Schöpfergottes und mit der Würde des Erlösergottes unvereinbar.

Aber welches sind denn dann die Gründe, warum Maria jungfräulich empfing, warum Jesus also ohne irdischen Vater entstanden ist, warum er keinen biologischen Vater, wie man heute sagt, hat? Der erste Grund ist darin gelegen, daß die völlige Gnadenhaftigkeit der Erlösung dadurch angedeutet werden soll. Die Erlösung ist allein dem Erbarmen Gottes zu verdanken. Der Mensch kann nichts anderes tun als sie aufnehmen, die Hände ausbreiten und das Herz öffnen. Die Erlösung ist nicht dem Tatwillen eines Mannes zu verdanken. Sie ist nicht aus der Initiative eines Menschen entsprungen, sondern die Erlösung ist allein Gott zu verdanken. Das ist angedeutet in der jungfräulichen Empfängnis Mariens. „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten.“ Die Erlösung ist ein Vorgang von jenseits und nicht von diesseits.

Der zweite Grund wird darin gelegen sein, daß durch diese Weise der Empfängnis die Einzigartigkeit des Empfangenen angedeutet werden soll. Jesus geht nicht auf im menschlichen Bereich. Er ist nicht zu fassen allein mit irdischen Kategorien. Er kommt aus einem jenseits-menschlichen Bereich, aus einem überirdischen Bereich. Er kommt aus der überweltlichen Wirklichkeit Gottes. Und diese Einzigartigkeit seines Wesens wird angedeutet durch die Einzigartigkeit seiner Entstehung. Es ist also die Jungfräulichkeit, die jungfräuliche Empfängnis Mariens ein Hinweise auf die überragende Würde des Empfangenen.

Ein dritter Grund kann darin gelegen sein, daß in dieser Weise der Empfängnis der Endzustand abgebildet wird. Welches ist der Endzustand, dem die Welt entgegengeht? Der Endzustand ist der neue Himmel und die neue Erde. Und wie ist er beschaffen? Er ist so beschaffen, daß der Herr sagt: „Das ist ein Zustand, wo sie nicht mehr heiraten und nicht verheiratet werden“, wo also die irdischen Geschlechtsverhältnisse aufgehoben sind. Und diesen Zustand scheint die jungfräuliche Empfängnis Mariens abzubilden. Das ist sehr sinnvoll, denn es ist ja der in ihrem Schoße entstanden, der den Endzustand heraufführt. Es ist ja der Keim des Erlösers auf Erden erschienen, der den neuen Himmel und die neue Erde herbeiführen wird. Deswegen ist es höchst geziemend und angemessen, daß er in einer Weise empfangen wurde, die ein Hinweis auf diesen Endzustand ist.

Der vierte Grund wird darin gelegen sein, daß in der jungfräulichen Empfängnis die Vorbehaltlosigkeit der Hingabe angedeutet ist. Maria war ein Mensch wie kein anderer unter den Sterblichen, der in einer unbedingten Weise sich Gott überantwortet hat. Sie war gewissermaßen ein leeres Blatt, auf das Gott hineinschreiben konnte, was er wollte. „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte.“ Das ist die vorbehaltlose Hingabe, und diese vorbehaltlose Hingabe wird in diesem Vorgang der jungfräulichen Geburt angedeutet, weil jetzt Gott sich auf eine ganz andere Weise mit den Menschen einläßt wie vorher, indem er selbst auf Erden erscheint.

Nun werden aber,  meine lieben Freunde, eine Reihe von Einwänden vorgebracht, Einwände, die sich teilweise auf die Bibel stützen. Sie wissen, daß es Bibelchristen gibt, die mit der Bibel in der Hand als Kampfbuch gegen die katholische Kirche arbeiten. Und so sagt man: Ja, aber in den Evangelien ist doch die Rede von Brüdern Jesu; also scheint doch Maria noch weitere Kinder gehabt zu haben. Es ist auch von Schwestern die Rede. Er scheint also in einer kinderreichen Familie aufgewachsen zu sein. Das ist tatsächlich die Meinung vieler Protestanten. Diese Meinung ist falsch, und diese Falschheit läßt sich beweisen. Im Markusevangelium ist im 7. Kapitel, 3. Vers die Rede von Brüdern Jesu: „Ist das nicht des Zimmermanns Sohn, ein Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simon?“ Hier werden also Brüder, angebliche Brüder Jesu genannt, Jakobus und Joses, aber diese selben Brüder werden ein paar Kapitel weiter (15.40) als Söhne einer anderen Maria bezeichnet, als nicht der Maria, der Muttergottes, sondern einer zweiten Maria. „Unter dem Kreuze standen Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus und des Joses.“ Also sind Jakobus und Joses, obwohl sie als Brüder des Herrn bezeichnet werden, Söhne einer anderen Mutter. Und das Johannesevangelium sagt sogar, wer der Vater ist, nämlich in Joh 19.25 wird gesagt, daß unter dem Kreuze stand seine Mutter, die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Cleophas. Die Frau des Cleophas. Sie ist also von der Muttergottes verschieden, sie hat einen Mann, und der heißt Cleophas. Da sehen wir, daß es also bei den Brüdern sich nicht um Söhne derselben Mutter und desselben Vaters handeln kann, sondern um Verwandte, um nahe Verwandte. Ein solcher Sprachgebrauch ist schon im Alten Testament bezeugt. Das Alte Testament ist ja ursprünglich in hebräischer Sprache geschrieben, und die hebräische Sprache hat hat kein Wort für Vettern. Wenn wir das Wort Vetter gebrauchen, sagt das Alte Testament „Bruder“. Es gibt kein hebräisches, es gibt kein aramäisches Wort für Vetter oder für Cousin.

Ein Beispiel: Es wird berichtet, daß Abraham aus Ägypten kam, und auch Loth war bei ihm. Sie besaßen viele Herden, und das Weideland war knapp. Da sagte der Abraham zu Loth: „Es soll keine Zwietracht geben zwischen mir und dir, zwischen meinen und deinen Hirten. Wir sind ja Brüder.“ Aber Loth ist gar nicht der Bruder Abrahams. Ein paar Zeilen vorher wird nämlich gesagt, daß er der Brudersohn Abrahams ist, also sein Neffe. Er wird aber als Bruder bezeichnet. Das ist ein Beispiel dafür, daß die Bibel nahe Verwandte, die nicht vom selben Vater oder von derselben Mutter abstammen, als Brüder oder auch als Schwestern bezeichnet.

Außerdem wäre es ja ganz rätselhaft, wenn Jesus Brüder gehabt hätte, leibliche Brüder gehabt hätte, warum er sterbend am Kreuze seine Mutter einem Fremden anvertraut hat. Es ist doch ganz normal, daß er gesagt hätte: Meine Brüder werden sich um dich kümmern, Mutter. Nein, er bestellt den Johannes zum Pfleger und zum Hüter seiner Mutter. „Siehe da deinen Sohn – siehe da deine Mutter!“

Aber es wird noch ein anderer Einwand gemacht. Im Matthäusevangelium heißt es: „Sie gebar ihren Erstgeborenen.“ Ja, wenn ein Erstgeborener da ist, so argumentiert man, dann werden woh auch Zweit- und Drittgeborene vorhanden sein. Auch diese Argumentation geht fehl. Immer und in jedem Falle heißt der erste Sohn einer Familie der Erstgeborene, ohne Rücksicht darauf, ob noch zweite und dritte Söhne folgen. Wenn jemand als Erstgeborener bezeichnet wird, dann ist damit in keiner Weise ausgesagt, daß er Geschwister hat, sondern es wird damit nur betont, alle Rechte – alle Rechte! –, die dem Erstgeborenen zukommen, liegen auf ihm. Und so ist also auch mit dieser Redeweise nichts gegen die Jungfräulichkeit, gegen die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens gewonnen.

Dann steht die Frage auf: Ja, warum hat denn Maria dann überhaupt geheiratet, wenn sie nicht mit ihrem Manne in Gemeinschaft leben wollte, wie das sonst der Fall ist? Die Antwort darauf muß lauten: Sie hat geheiratet, damit das göttliche Kind vor Elend und Schande bewahrt blieb. Wäre das Kind nämlich in einem nichtehelichen Verhältnis zur Welt gekommen, oder wäre Maria nicht verehelicht gewesen, dann wäre Elend und Schande die Folge gewesen. Um vor Elend und Schande bewahrt zu bleiben, hat Gott die Anordnung getroffen, daß sein Sohn in einer normalen Familie zur Welkt kommen sollte.

Man fragt, was die Worte bedeuten: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Sie können in zweifacher Weise gedeutet werden. Sie können zunächst einmal bedeuten: Jetzt stehe ich nicht in ehelicher Gemeinschaft mit einem Manne. Ich bin zwar verlobt – was eben damals besagte: verheiratet, nur noch nicht heimgeführt – ich bin zwar verlobt mit Josef, aber wir stehen nicht in Verbindung miteinander. Wir haben noch keine Gemeinschaft, weil die Heimführung in das Haus des Josef noch nicht erfolgt ist. Die zweite Deutung sagt: Die Worte „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne“ bedeuten, daß Maria überhaupt nicht, niemals und zu keinem Zeitpunkt einem Manne angehören wollte. So sagt Augustinus, sie habe ein Gelübde der Jungfräulichkeit gemacht. Augustinus ist kein Träger der Offenbarung, aber er ist ein großer Theologe, und deswegen sollte man seinen Äußerungen Gewicht beilegen. Wie immer es sein mag, eines ist sicher: Maria hat das getan, was Gott von ihr verlangt hat, und er hat von ihr verlangt, daß sie selige Pforte dem himmlischen Worte sein sollte, daß sie den gebären sollte, der zwar einen himmlischen Vater hat, aber keinen irdischen Vater, und daß Josef sich auch in diese Verhältnisse gefügt hat. Es ist ihm durch göttliche Offenbarung gewiß geworden, daß er Maria hüten und schützen, aber nicht besitzen sollte, und daß er der Pfleger und der Hüter des in ihr entstandenen Sohnes sein sollte. Das alles liegt in dem Worte: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Worte.“ Die Kraft der Liebe und die Kraft der Hingabe ist entscheidend. Und als Maria erkannt hat, was Gott von ihr wollte, da hat sie nichts anderes getan als sich gefügt und untergeordnet: „Ich bin eine Magd des Herrn.“ Schreibe auf dieses Blatt Papier, was du willst, ich bin ergeben, ich bin dir vorbehaltlos ausgeliefert. Mir geschehe nach deinem Worte.

Amen.

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