Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Ehe und Familie (Teil 5)

29. März 1992

Pflichten der Eltern gegen die Kinder

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben an den vergangenen Sonntagen über die Ehe, Gottes Gesetz in der Ehe, und über die Familie nachgedacht. Die naturgemäße Frucht der Ehe sind Kinder. Die Kirche hat sicher recht, wenn sie von Kindersegen spricht; denn Kinder sind ein Segen. Daß aus der Liebe der Gatten ein Kind entsteht, das ist etwas so Wunderbares, etwas so unbegreiflich Schönes und Erhabenes, daß nur ein Gott es ersinnen konnte. Kinder sind die Frucht und der Segen der Ehe. Sie sind den Eltern anvertraut; denn die Eltern haben ihnen das Leben geschenkt, und wer jemandem das Leben gibt, der bleibt sein ganzes Leben auch verantwortlich für das Lebendige. Es sind fünf Pflichten, die guten Eltern bezüglich ihrer Kinder obliegen. Wir wollen sie in fünf Sätze fassen, nämlich

1. Gute Eltern sorgen für ihre Kinder.

2. Gute Eltern erziehen ihre Kinder.

3. Gute Eltern wachen über ihre Kinder.

4. Gute Eltern beten für ihre Kinder.

5. Gute Eltern lieben ihre Kinder.

Gute Eltern sorgen für ihre Kinder. Die Kinder sind ja zunächst einmal hilflos und schutzlos und ganz und gar auf die Eltern angewiesen. Ich glaube, kein Lebewesen ist so ohnmächtig und so hilfsbedürftig wie ein neugeborenes Kindlein, und es ist daher den Eltern zur Sorge anvertraut. Die Eltern müssen für Nahrung und Kleidung, für Wohnung und Heim sorgen, und das sind gewichtige Sorgen. Sie nehmen manchmal ein enormes Ausmaß an, etwa in Notzeiten oder bei einer großen Kinderschar. Aber ich habe immer getroffen, daß gläubige Eltern mit einer großen Kinderschar mir gesagt haben: Wer die Zähne gibt, gibt auch das Brot für die Zähne. Die guten Eltern sorgen für ihre Kinder, indem sie den Kindern wahrlich ein Heim bieten. Das ist von ungeheurer Bedeutung, meine lieben Freunde, daß man nicht nur das Essen und das Trinken und die Kleidung bereitstellt, sondern daß man auch Atmosphäre schafft, eine Umgebung, in der die Kinder sich wohlfühlen, wo sie geborgen sind, wo wahrlich ihre Heimat ist. Das gehört zur pflichtmäßigen Sorge für die Kinder.

Gute Eltern erziehen ihre Kinder. Das ist der Hauptpunkt, über den wir heute nachdenken wollen. Erziehung ist das wichtigste Geschäft, das Eltern ihren Kindern widmen können. Erziehung geschieht durch Wort, Beispiel und Leben. Die Erziehung durch das Wort ist unentbehrlich. Eltern (und Großeltern) müssen ihren Kindern goldene Worte mitgeben, müssen sie aufmerksam machen auf das, was Gott und die Menschen zu Recht von ihnen verlangen, müssen ihnen Grundsätze beibringen, und diese Grundsätze müssen immer wiederholt werden. Es hat wenig Zweck, einmal etwas zu sagen. Es muß den Kindern in Fleisch und Blut übergehen; und mögen sie zeitweilig vergessen, was die Eltern ihnen gesagt haben, es wird eines Tages wieder aufleben. Das Wort ist unentbehrlich für eine gute Erziehung der Kinder. Ebenso wichtig aber ist das Beispiel. Denn Worte begeistern, Beispiele aber reißen mit. Die Kinder hören auf das, was die Eltern sagen, sie sehen aber auch das, was die Eltern durch ihr Beispiel bedeuten. Ein Vater und eine Mutter, die ihnen ein exemplarisches Leben vorleben, können gewiß sein: ein solches Beispiel wird nie mehr vergessen von den Kindern. Sie mögen zeitweilig falsche Wege gehen, sie werden sich eines Tages erinnern, was ihre Eltern ihnen vorgelebt haben. Das Beispiel ist die wichtigste Erziehungsmaßnahme, die man sich denken kann. Und das ganze Leben der Eltern muß predigen. Worte können leicht durch das Leben unschädlich gemacht werden. Wenn das Leben den Worten widerspricht, dann verlieren die Worte an Gewicht. In einer Familie sagte einmal ein Kind zum gemeinsamen Familiengebet: „Der Vater tut ja bloß so, der betet ja nicht!“ Das Kind hatte offenbar bemerkt, daß der Vater nicht dahinterstand hinter dem, was er da an Frömmigkeitsübungen absolvierte. „Der tut ja bloß so.“ Kinder sind scharfe Beobachter, und ihrem Blick entgeht nicht leicht etwas. Das Leben muß predigen. Wir müssen den Kindern Grundsätze für ihr Leben vermitteln. Diese Grundsätze sollen sie ablesen können an unserem Leben, z.B. den Grundsatz: Kein Sonntag ohne Messe. Das muß ein eherner Grundsatz sein in unserem Leben und im Leben unserer Kinder. Kein Sonntag ohne Messe! Das muß den Kindern so in Fleisch und Blut übergehen, daß sie es ihr Leben lang nicht vergessen und versäumen.

Die Erziehung ist eine mehrfache, eine intellektuelle, also geistige, eine sittliche, auf den Willen bezügliche, eine religiöse und eine staatsbürgerliche Erziehung. Kein Feld darf vernachlässigt werden. Die Erziehung muß eine intellektuelle sein, d.h. wir müssen den Geist der Kinder ausbilden. Wir sollen etwas aus ihnen machen, sollen ihnen die beste Schule aussuchen und sollen sie animieren, daß sie lernen und daß sie Fortschritte machen, daß sie sich nicht mit Leichtem zufrieden geben, mit Wenigem zufrieden geben. Genügsamkeit auf diesem Gebiete ist keine Tugend, sondern das Kind soll lernen, es soll vorankommen, es soll sich Wissen erwerben, es soll einen Beruf lernen, und dazu müssen wir alles aufbieten, was in unserer Macht liegt.

Sittliche Erziehung besagt, daß man den Kindern sittliche Grundsätze vermittelt. Es hat keinen Zweck, die Kinder durch bloß äußere Zucht zu sittlichem Verhalten zu bringen. Dressur ist etwas für Tiere. Was dem Menschen nottut, ist Erziehung, und Erziehung wird dann in einem Zögling ihre Frucht bringen, wenn in ihm Überzeugungen begründet werden. Wir müssen den Kindern Überzeugungen nahebringen. Sie müssen überzeugt sein, daß es richtig und gut ist, katholisch zu sein. Wir müssen ihnen die Überzeugung beibringen, daß es recht ist, sittlich sauber und einwandfrei zu leben, daß die Sünde ein Unheil ist. Das muß dem Kind zur Überzeugung werden. Wir müssen sittliche Überzeugungen aufbauen. Das Kind muß überwältigt sein von der Wahrheit der Moral, der christlichen Ethik, der Sittlichkeit, überwältigt, d.h. überführt sein. Es muß ihm einleuchten. So wie ein mathematischer Beweis einleuchtet, so muß ihm die Sittlichkeit unseres Glaubens einleuchtend sein. Dann hat es Überzeugungen, und die vermag kein Sturm aus dem Herzen zu reißen.

Wir dürfen dem Kinde auch nicht die religiöse Erziehung vorenthalten. Das Kind muß beten lernen, und zwar beten in dem Sinne, daß das große Gespräch mit Gott aufgenommen wird, daß man weiß, es ist ein Gott da, der hört auf das Gebet der Menschen, und daß man das Gebet in der gehörigen Weise dem Kinde beibringt, d.h. man muß ihm erklären, worum es geht. Man muß ihm den Sinn der Gebete nahebringen. Im Gebet muß natürlich wie in allem maßgehalten werden. Kinder können sich gewöhnlich noch schlechter konzentrieren als Erwachsene; deswegen kein Übermaß im Gebet, sondern ein rechtes Maß, ein dem Kind angemessenes Maß. Wir müssen den Kindern kindgemäße Gebete vermitteln, von denen es ja viele gibt. Es gibt kindgemäße Gebetbücher, in die man die Kinder einführen kann. Man soll sich nur die Zeit dazu nehmen. Eltern, die keine Zeit haben für ihre Kinder, sind arme Eltern.

Und weiter muß die Erziehung auch an die staatsbürgerlichen Pflichten denken. Wir sind Glieder eines Gemeinwesens und müssen also auch Verantwortlichkeit lernen für das Gemeinwesen. Ein Gymnasiallehrer sagte dieser Tage zu mir: „Wenn in meinem Klassenzimmer Papier auf dem Fußboden liegt, dann liegt es 8 Tage dort. Das hebt niemand auf.“ Das ist Mangel an Erziehung, Mangel an Gemeinsinn-Erziehung. Es muß auch eine Verantwortlichkeit in den Kindern erzogen werden für die Gemeinschaft, für die Gemeinde, für die Nachbarschaft. Nur so kann ein Gemeinwesen blühen, wenn sich jeder zu seinem Teil  verantwortlich weiß für die Blüte des Gemeinwesens.

Erziehung ist eine schwere Kunst, meine lieben Freunde. Erst muß man natürlich selbst erzogen sein, ehe man andere erziehen kann. Wer selbst nicht erzogen ist, wer sich fortwährend gehenläßt, wer ein unbeherrschter Mensch ist, der hat es schwer, andere zu erziehen. Man muß unermüdlich an sich selbst arbeiten, unermüdlich die eigenen Triebe und Leidenschaften bekämpfen, unermüdlich an der Überwindung der eigenen Fehler arbeiten. Diese Arbeit hört nicht auf bis zum Tode. Aber sie ist fruchtbar. Ein Mensch, der sich selbst geformt, der sich selbst besiegt hat, der ist auch fähig, anderen etwas zu vermitteln. Wer Sieger über sich selbst ist, der vermag auch auf andere diese sieghaften Kräfte zu übertragen.

Gute Eltern wachen über ihre Kinder. Man kann den Kindern nicht alles ersparen. Man kann sie auch nicht vor allen Gefahren bewahren. Man soll es gar nicht. Man soll den Kindern nicht alle Gefahren ersparen, aber man darf sie nur solchen Gefahren aussetzen, denen sie gewachsen sind. Man soll sie zur Freiheit erziehen, aber man darf sie natürlich auch nicht überfordern. Man muß die Gefahren abwägen, denen man die Kinder aussetzt. Es ist also hier genau eine Mittellinie einzuhalten zwischen ängstlicher Bewahrung und libertinistischer Freiheit. In der Mitte liegt das Bewähren, das durch die Tapferkeit in angemessenen Gefahren errungen wird. Im übrigen aber müssen wir wachsam sein über unsere Kinder, mit wem sie umgehen, was sie lesen, was sie hören. Diese Wachsamkeit fängt beim Kleinkind an und hört beim Erwachsenen auf. Denn schlechter Umgang verdirbt gute Sitten. Unsere Umsicht darf nicht in eine kleinliche Kontrolle ausarten. Die Kinder müssen spüren, hier ist jemand am Werk, der durch Erfahrung die Gefahren dieses Lebens kennengelernt hat; der Vater und die Mutter wollen mich nicht von etwas Wertvollem abhalten, sondern sie wollen mich vor Bösem schützen. Wenn die Kinder das begreifen, dann werden sie auch die notwendigen Überwachungsmaßnahmen in der richtigen Gesinnung hinnehmen. Aber wachen über die Kinder ist notwendig. Sie sind uns anvertraut, und wir dürfen sie nicht dem brüllenden Löwen, dem Teufel, preisgeben. Gute Eltern wachen über ihre Kinder.

Gute Eltern beten für ihre Kinder. Das Gebet darf überhaupt nicht aufhören, meine lieben Freunde, das Gebet für jedes einzelne Kind, an jedem einzelnen Tage, das Gebet, daß sie ihre Unschuld bewahren oder, wenn sie das Unglück hatten, sie zu verlieren, daß sie die Reinheit wiederfinden, das Gebet um die Bewahrung vor Gefahren, das Gebet für ihr Gedeihen, das Gebet, daß sie die rechten Wege gehen. Das Gebet darf niemals aufhören. In der Ewigkeit werden wir einmal erkennen, wie fruchtbar und segensreich unsere Gebete für die Kinder waren. In Bornhofen, dem Wallfahrtort am Rhein, existiert eine Chronik. In dieser Chronik sind Gebetserhörungen aufgeschrieben. Eine berichtet davon, daß eine Mutter ein Kind hatte, das besonders störrisch war, ungebärdig und sehr verlogen. Eines Tages beschloß die Mutter, mit dem Kind eine Wallfahrt nach Bornhofen zu machen. Als sie den Ort verließen, zog die Mutter die Schuhe und Strümpfe aus und ging barfuß. „Warum tust du das?“ fragte der Junge, den sie mitgenommen hatte. Die Mutter sagte nichts, sondern sah ihn nur mit einem langen Blick an. Nach einer Weile begann die Mutter zu hinken, weil sie das Barfußgehen nicht gewohnt war. „Mutter, zieh doch die Schuhe an“, sagte der Junge. Die Mutter gab keine Antwort. Als sie weitergegangen waren, fingen die Füße zu bluten an. Da stellte sich der Knabe vor die Mutter und sagte: „Mutter, ich bitte dich, zieh doch die Schuhe an!“ „Nein“, sagte sie, „ich habe der Muttergottes versprochen, daß ich barfuß um deinetwillen bis Bornhofen gehe.“ Dem Jungen kamen die Tränen, und sie mischten sich in das Blut von den Füßen der Mutter. Als sie in Bornhofen angekommen waren und dort vor dem Gnadenbild knieten, da suchte er verstohlen die Hand der Mutter und sagte: „Mutter, ich will mich bessern!“ Und er hat sich gebessert.

Das ist das Beispiel einer Mutter, die für ihr Kind gebetet, die ihm den Segen erbetet hat, die ihm vielleicht den Weg zum Himmel erbetet hat. Wir müssen beten für unsere Kinder, anhaltend und dauernd, und dürfen nicht aufhören. Vielleicht sagen Sie: Ist das nicht zuviel verlangt, was die Eltern alles tun sollen, sie sollen für die Kinder sorgen, sie sollen sie erziehen, sie sollen über sie wachen, sie sollen für sie beten. Ist das nicht zu viel? Meine lieben Freunde, die Ehe und die Familie sind von Gott eingerichtet, um uns zum Dienst zu erziehen. Wir sind nicht auf Erden, um zu genießen, wir sind auf Erden, um zu dienen. Es ist ganz falsch, was ich oft von Menschen höre: Ich will etwas von meinem Leben haben. Nein – ich will etwas aus meinem Leben machen! Ich will das aus ihm machen, was Gott aus ihm gemacht haben will. Ich will mein Leben verwenden, in seinem Dienste aufbrauchen und verzehren. Wie sagt Friedrich Nietzsche, in diesem Falle einmal ein zuverlässiger Gewährsmann: „Trachte ich denn nach meinem Glücke? Ich trachte nach meinem Werke!“ Jawohl, das ist es. Und die rumänische Königin Carmen Sylva hat einmal den schönen Satz geschrieben: „Wer sich für die Kinder nicht opfern will, der soll nicht heiraten!“ Jawohl, das ist es. Wir sind auf Erden, um Gott zu dienen, ihn zu lieben und dadurch in den Himmel zu kommen.

Und wenn wir, das ist das fünfte, die Liebe zu den Kindern haben, dann werden wir das alles vollbringen, was Gott für die Kinder von uns verlangt. Es muß nur die rechte Liebe sein, keine Affenliebe, keine versteckte Eigenliebe, die in den Kindern nur sich selbst bestätigt sehen möchte, sondern eine selbstlose Liebe, die die Kinder für Gott erziehen möchte und für den Himmel, eine Liebe, die wohlwollend und selbstvergessen ist, eine Liebe, die immer nur schenken will, ohne auf Dankbarkeit zu rechnen, eine Liebe, die nicht müde wird, und eine Liebe, die keinen Lohn erwartet. Eine solche Liebe vermag alles das zu leisten, was Gott von uns geleistet wissen will. Kinder sind ein Segen, meine lieben Freunde, und auch wenn die Sorgen um die Kinder uns zu überwältigen drohen – und das gilt für Sie genauso wie für mich –, bleiben sie ein Segen. Schlimme Umstände, schlechte Anlagen, Verführung in früher Zeit können Kinder zu Sorgenkindern machen. Aber deswegen bleiben sie ein Segen, und es ist unsere Aufgabe, alles zu tun, was an uns ist, um sie wieder auf den rechten Weg zurückzuführen. Und Gott wird die Gebete derer hören, die beharrlich, vertrauensvoll und demütig um seine Gnade für die ihnen Anvertrauten bitten.

Es soll ja einmal, wenn wir die Augen schließen, das Gebet des Herrn selbst auf unseren Lippen sein: „Ich habe sie (nämlich die Jünger) bewahrt, solange ich bei ihnen war. Keinen von ihnen habe ich verloren.“ O, wenn wir das nachsprechen könnten an dem Tage, an dem wir die Augen schließen. „Ich habe sie bewahrt in deinem Namen, und keinen von denen, die du mir gegeben hast, habe ich verloren.“

Amen.

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