Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Tod, Fegefeuer, Hölle und Himmel (Teil 4)

28. Oktober 1990

Das Fegfeuer (Teil 1)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es gibt ein Fegfeuer, d.h. einen Zustand der Strafe und der Läuterung, in dem die Seelen gereinigt werden, die noch mit läßlichen Sünden oder Sündenstrafen behaftet sind. Die Kirche hat diese Wahrheit häufig ausgesprochen. Als die Griechen – die getrennten Griechen – die Vereinigung mit der katholischen Kirche suchten, da legte ihr Kaiser Michael Paleologus im Jahre 1274 ein Glaubensbekenntnis ab, in dem es heißt: „Alle, die nach der Taufe in Sünde fallen, dürfen nicht wiedergetauft werden, sondern sie erlangen Vergebung ihrer Sünden durch wahre Buße. Sind sie aber in wahrer Bußgesinnung in der Liebe aus dem Leben geschieden, bevor sie durch würdige Früchte der Buße genuggetan haben für Begangenes und Unterlassenes, so werden ihre Seelen nach dem Tode durch Reinigungs- und Läuterungsstrafen gereinigt. Zur Milderung dieser Strafen nützen ihnen die Fürbitten der lebenden Gläubigen, nämlich Meßopfer, Gebete, Almosen und andere fromme Werke, die die Gläubigen füreinander im Einklang mit den Einrichtungen der Kirche zu verrichten pflegen.“ So lautet das Glaubensbekenntnis des Kaisers Michael Paleologus. Als dann die Glaubensneuerer im 16. Jahrhundert, Calvin, Luther, das Fegfeuer bestritten, hat sich das Konzil von Trient feierlich zu dieser Wahrheit bekannt. „Erleuchtet vom Heiligen Geist, schöpfend aus der Heiligen Schrift und der alten Überlieferung der Väter hat die katholische Kirche auf den heiligen Konzilien und zuletzt auf dieser allgemeinen Versammlung gelehrt: Es gibt einen Reinigungsort, und die dort festgehaltenen Seelen finden eine Hilfe in den Fürbitten der Gläubigen, vor allem aber in dem Gott wohlgefälligen Opfer des Altares.“ – Die kirchliche Lehräußerung ist also eindeutig. Das Dogma umfaßt zwei Bestandteile:

1. Es gibt einen Reinigungszustand.

2. Es besteht die Möglichkeit, denen, die sich im Reinigungszustand befinden, zu Hilfe zu kommen.

Alles andere ist Einkleidung und gehört nicht zum Glaubenssatz. Wir werden gleich sagen, was Einkleidung ist und was nicht zum Glaubenssatz gehört.

Der lateinische Ausdruck heißt purgatorium, d.h. Reinigungs- oder Läuterungszustand, Reinigungs- oder Läuterungsvorgang. Der deutsche Ausdruck „Fegfeuer“ ist also nicht quellenmäßig. Er hat sich eingebürgert, er wird gebraucht, er ist üblich, aber eine Übersetzung des lateinischen Ausdrucks, der von der Kirche festgesetzt ist, ist „Fegfeuer“ nicht. Die Heilige Schrift spricht zwar nicht ausdrücklich und formell vom Reinigungszustand, aber in eingewickelter Weise. Es gibt eine ganze Reihe von Stellen, die die Kirche als Hinweise, als Andeutungen des Reinigungszustandes ansieht, und zwar schon im Alten Testament. Da waren im Kampfe der Makkabäer gegen den Statthalter Gorgias Juden gefallen, und als man sie bestatten wollte, entdeckte man unter ihren Kleidern Amulette, also irgendwelche Zaubergegenstände, die sie als abergläubisch nicht tragen durften. Das versetzte die überlebenden Soldaten in große Sorge. Es war allen klar, daß jene deswegen gefallen waren, weil sie Amulette bei sich trugen, die das Gesetz den Juden verbietet. Sie priesen den Herrn, den gerechten Richter, der das Verborgene ans Licht bringt. „Alsdann wandten sie sich zum Gebete und flehten, daß die begangene Sünde gänzlich vergeben werden möge. Dann veranstaltete Judas eine Sammlung; er brachte 2000 Drachmen Silber zusammen. Diese sandte er nach Jerusalem, damit ein Sühnopfer dargebracht werde.“ Dieser Text bezeugt, daß es schon im Alten Bunde die Überzeugung gab: Man kann für die Verstorbenen beten. Dieses Gebet ist wirksam, es hilft ihnen, von den Sünden befreit zu werden.

Der Herr hat diese Lehre in seiner Verkündigung aufgenommen. Er spricht von der Sünde wider den Heiligen Geist, das ist die bewußte Ablehnung Christi und seines Werkes. Und von dieser Sünde sagt er, daß sie weder in dieser Welt noch in jener vergeben wird. Es gibt also eine Vergebung nicht nur in dieser Welt, sondern auch in jener, also im Jenseits. Ähnlich scheint der Herr auch auf diese Reinigungswirklichkeit hinzudeuten, wenn er von einem Gefängnis spricht, aus dem niemand herauskommt, bis er nicht den letzten Heller bezahlt hat.

Auch der Apostel Paulus scheint den Reinigungszustand zu meinen, wenn er schreibt: „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, nämlich Jesus Christus. Ob aber jemand auf diesem Grunde Gold, Silber, Edelsteine oder Holz, Heu, Stoppeln aufbaut, das wird sich bei dem Werke eines jeden herausstellen. Der Tag des Herrn wird es kundmachen, weil er sich im Feuer offenbaren wird. Wie das Werk eines jeden ist, wird das Feuer erproben. Besteht das Werk, das er gebaut, so wird er Lohn empfangen, verbrennt sein Werk, wird er Schaden leiden. Zwar wird er selbst selig werden, jedoch so wie durch Feuer.“ Dieser nicht leicht zu erklärende Text scheint folgendes zu beinhalten: Wer auf dem Grunde Jesus sein Leben aufbaut, der ist natürlich voller Hoffnung, im Jenseits gerettet zu werden. Aber es kommt eben darauf an, wie er baut, ob er kostbar aufbaut (Gold, Silber, Edelsteine), oder ob er lässig ist (Heu, Holz, Stoppeln). Wer lässig ist, wird durch das Feuer erprobt und wird auch wie jemand, der durch eine Feuersbrunst hindurchgeht, gerettet, aber eben so, daß ihm alles andere verbrennt, daß er nur mit knapper Not selbst sich retten kann. Das scheint der Sinn dieses Textes des Apostels Paulus zu sein. Also ein Hinweis auf eine Läuterungsmöglichkeit im Jenseits.

Die Kirche lebt nicht nur aus der Heiligen Schrift, sie lebt auch aus der Tradition. Die Kirche schöpft ihr Wissen um Gottes Willen nicht nur aus der Heiligen Schrift, sie schöpft es auch und ebenso aus der Tradition. Deswegen sind die Kirchenväter so wichtig. Die Kirchenväter sind nämlich die Träger der Tradition. Die Kirchenväter bezeugen nun eindeutig den Läuterungszustand. Dabei muß man unterscheiden zwischen ihrer Funktion als Offenbarungsträger und ihrer Funktion als Theologen. Als Offenbarungsträger sind sie diejenigen, die uns die Tradition, also Gottes Offenbarung, übermitteln. Als Theologen hat ihre Ansicht so viel Wert, wie sie beweisen können. Und da muß man sagen, die Kirchenväter bezeugen ausnahmslos die Tatsache des Reinigungszustandes. Wenn die dagegen das Bild zu erklären suchen, wie die Reinigung vor sich geht, dann greifen sie zu Darstellungsmitteln, die nicht zum Dogma gehören. Also man muß nicht annehmen, daß die Reinigung durch einen Feuerbrand geschieht. Das ist ein Darstellungsmittel, dessen sich die Väter bedienen. Um einige Beispiele zu erwähnen: Tertullian, der schon im 2. und 3. Jahrhundert gelebt hat, spricht von einem Sühneleiden nach dem Tode, das alle über sich ergehen lassen müssen, ausgenommen die Martyrer, die durch ihr Blutvergießen sich sofort den Himmel verdient haben; und in diesem Sühneleiden mit Drangsalen können die Lebenden den Verstorbenen zu Hilfe kommen. Der heilige Ambrosius spricht von einem Feuer, durch das alle hindurchgehen müssen, ähnlich wie die Israeliten durch das Rote Meer zogen. Die Ungläubigen verbrennen, die Gerechten werden, wie die Israeliten, gerettet. Bei den Gläubigen unterscheidet der heilige Ambrosius zwei Gruppen, die einen, bei denen die guten Werke überwiegen und die anderen, bei denen die schlechten Werke überwiegen. Die Guten, bei denen die guten Werke überwiegen, werden durch das Feuer gereinigt. Die Schlechten, bei denen die schlechten Werke überwiegen, werden durch das Feuer verbrannt. So sucht er auszudrücken, was ein undurchdringliches Geheimnis für uns ist. Der heilige Gregor von Nyssa, der im 4. Jahrhundert lebte, sagt: Jeder bestimmt sich selbst sein eigenes jenseitiges Los. Er kann sich hier auf Erden schon reinigen von seinen Sünden, er kann es aber auch auf das Jenseits verschieben, was nicht zu empfehlen ist.

Ein weiteres Zeugnis für den Reinigungszustand sind die alten Liturgien. Die Kirche hat schon im 2. Jahrhundert begonnen, für die Verstorbenen zu beten. Seit dem 3. Jahrhundert betete man für sie im Meßopfer, und bald begann man das Meßopfer für die Verstorbenen darzubringen. Ein ergreifendes Zeugnis dafür sind die Bekenntnisse des heiligen Augustinus, wo er vom Meßopfer für seine verstorbene Mutter Monika spricht. In den alten Liturgien wird deutlich ausgesagt, daß die Gläubigen aufgefordert werden, für die Verstorbenen zu beten, damit sie Ruhe finden und von ihren Verfehlungen gereinigt werden. Schrift und Tradition bieten also, meine lieben Freunde, genügend Hinweise, um gewiß zu sein. Die katholische Kirche lehrt mit Recht: Es gibt einen Reinigungszustand, in dem die abgeschiedenen Seelen von ihren Fehlern, Schwächen, schlechten Neigungen bis in die Tiefe gereinigt werden.

Auch die theologische Überlegung zeigt, daß ein solcher Zustand notwendig existieren muß. Wir sollen ja in der Ewigkeit am unverhüllten dreifaltigen Gottesleben teilnehmen. An diesem Leben kann aber niemand teilnehmen, der nicht ganz rein ist, denn dem Allerreinsten kann man sich nur nahen, wenn man rein ist. Da aber die Befürchtung oder sogar Wahrscheinlichkeit besteht, daß wir beim Abscheiden noch nicht völlig rein sind, muß eine Reinigung im Jenseits vor sich gehen, wenn anders überhaupt jemand gerettet werden soll. Diese Reinigung hat uns Gott geoffenbart. Eine solche Reinigung, eine solche Läuterung existiert. Auch andere Überlegungen führen zum selben Ergebnis. Wir tragen in uns die böse Begierlichkeit. Sie bleibt auch zurück, nachdem die Erbsünde vergeben ist. Die böse Begierlichkeit ist dafür verantwortlich, daß sich in alle unsere Entscheidungen schlechte Gedanken, unedle Absichten einmischen, daß unsere Motive nicht rein sind. Man gibt sich als sparsam aus und ist geizig. Man behauptet, man sei vorsichtig, und in Wirklichkeit ist man feige. Man sagt: Ich bin freigebig, in Wirklichkeit ist man ein Verschwender. So ist es also, daß wir uns täuschen über unsere eigenen Motive, daß wir, wie der heilige Pfarrer von Ars einmal sagt, unsere Selbstsucht in alle unsere Handlungen einstreuen wie das Salz in die Suppe. So ist es tatsächlich. Wenn man sich richtig erkennt, dann sieht man, wie man von Ichsucht und von Eigennutz erfüllt ist und wie dies in die besten und heiligsten Handlungen sich einmischen kann.

Wenn wir dann vor Gott hintreten sollen, muß aber die Selbstsucht ausgerottet werden; sie muß ausgebrannt werden. Und deswegen muß es einen Reinigungsvorgang geben. Außerdem gibt es neben dem bewußten Leben noch ein unbewußtes und unterbewußtes. Natürlich ist entscheidend das bewußte Leben. Aber im Unbewußten und Unterbewußten leben schlechte Neigungen, verkehrte Absichten. Die Sünde wird zwar durch die Vergebung getilgt, aber durch die Vergebung wird etwas nicht getilgt, was mit der Sünde zusammenhängt, nämlich die Neigung zur Sünde. Die Sünde schleift Bahnen ein, und diese Bahnen bleiben, auch wenn die Sünde im Bußsakrament oder durch vollkommene Reue nachgelassen wird. Wer aber zu Gott treten will, der muß ganz, auch im innersten und im innerlichsten Bereich gereinigt sein. Infolgedessen ist es notwendig, daß wir in einem Reinigungsvorgang von unseren unbewußten, unterbewußten verkehrten Neigungen und falschen Richtungen befreit werden.

Außerdem verdient jede Sünde Strafe. Wenn uns die Todsünden vergeben werden, wird uns die ewige Strafe ebenfalls nachgelassen, aber es werden nicht immer alle zeitlichen Strafen, also in der Zeit abzubüßenden Strafen, vergeben. Diese zeitlichen Strafen müssen wir hier durch Leiden und Schmerzen und Enttäuschungen und Bitterkeiten oder dort im Jenseits abbüßen. Das ist ein weiterer Grund, warum es einen solchen Läuterungszustand geben muß.

Weil wir also mit Schwachheiten behaftet sind, weil wir viele Mängel mit uns herumtragen, läßliche Sünden, verkehrte Neigungen, falsche Motive, schiefe Absichten, deswegen ist es notwendig, daß Gott diejenigen, die er erretten will, die er gerettet hat, durch ein Läuterungsgeschehen reinigt und für sich bereit macht. Wie dieses Läuterungsgeschehen vor sich geht, das wollen wir uns am nächsten Sonntag vor Augen führen. Aber in jedem Falle ist es sicher: Ein solcher Läuterungsvorgang ist eine geoffenbarte Wahrheit, und wir können uns nur an die Nachfolge Christi halten, die einmal schreibt: „Es ist besser, sich hier von seinen Sünden zu reinigen und die Fehler auszurotten, als diese Reinigung auf das Jenseits zu verschieben.“

Amen.

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