Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Heilige Messe (Teil 2)

9. Oktober 1988

Die Opferung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn man in Italien alte Kirchen besucht, kann man oft feststellen, daß vor dem eigentlichen Kirchenschiff ein Vorraum ist, eine Vorhalle, die man erst durchschreiten muß, bevor man ins eigentliche Kirchenschiff eintritt. Diese Gliederung ist wohlberechnet und wohlberechtigt. Man soll erst seine Gedanken ablegen, sich sammeln, auf Gott einstellen, bevor man das Heiligtum betritt. Es ist noch einmal ein weiterer Schritt der Vorbereitung, der Überlegung und der Zurüstung notwendig, bevor man ins Allerheiligste eingeht, wo das Brot des Lebens ausgeteilt wird.

Und so ist es auch, meine lieben Freunde, in der heiligen Messe. Wir haben uns vorgenommen, den Aufbau der heiligen Messe zu bedenken. Am vergangenen Sonntag sprachen wir von der Vormesse. Sie ist die Vorbereitung für die Opfermesse; denn das sind die beiden großen Teile der Messe, Vormesse (Gebetsgottesdienst, Wortgottesdienst) und Opfergottesdient. Heute wollen wir die erste Phase dieses Opfergottesdienstes miteinander bedenken. Sie können zu diesem Zweck die Nummer 112 des Gesangbuches aufschlagen, denn da ist sie ja ganz wiedergegeben. In dieser Nummer 112 sehen wir, daß der Teil, der jetzt beginnt, Opferung genannt wird. Gegen diesen Begriff ist man in den letzten Jahrzehnten Sturm gelaufen. Es müsse heißen „Opfervorbereitung“, nicht „Opferung“, so sagt man. Meine lieben Christen, was unsere Väter gelernt haben und was viele von uns in der Schule gelernt haben, nämlich daß die drei Hauptteile „Opferung“, „Wandlung“, „Kommunion“ heißen, das ist nach wie vor richtig, wenn man es nur recht versteht.

Das, was jetzt geschieht, ist tatsächlich eine Opferung. Wir opfern wirklich in dieser ersten Phase der Opfermesse etwas auf, und deswegen ist es berechtigt, zu sagen: Jetzt beginnt die Opferung. Wir opfern nämlich auf die Gaben, die wir Gott anbieten, damit er sie verwandle. Wir opfern ihm auf Brot und Wein, wir opfern ihm auf unsere Gaben, die wir in das Körbchen oder in den Klingelbeutel werfen bei der Kollekte, wir opfern ihm auf vor allen Dingen uns selbst persönlich. Man kann nicht alles auf einmal tun, nämlich dann, wenn der Heiland (nach der Wandlung) auf dem Altare liegt. Dann opfern wir ihn auf. Wir wissen, das ist das höchste und größte Opfer. Aber daß Christus das höchste und größte, ja das eigentliche Opfer der Messe ist, das ändert nichts daran, daß auch wir uns opfern müssen und daß wir unsere Opfergaben zum Altar bringen. Ja, ohne Brot und Wein gibt es überhaupt keine Wandlung, und Brot und Wein müssen eben geopfert werden, damit sie am Opfer Christi teilnehmen, und wir müssen uns opfern, damit nicht das Opfer Christi umsonst ist. Es nützt überhaupt nichts, wenn Christus sich opfert, aber wir uns nicht mit ihm opfern.

Deswegen ist das schönste und wichtigste Gebet bei der Opferung, jenes, das am Anfang steht: „Heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott, nimm diese makellose Opfergabe gnädig an!“ Diese makellose Opfergabe ist Brot und Wein, die in das Fleisch und in das Blut unseres Heilandes verwandelt werden. Natürlich schaut dieser Text über Brot und Wein hinaus schon auf die verwandelten Gaben hin, aber es werden eben jetzt gewissermaßen Generalintentionen, allgemeine Absichten für die ganze Opfermesse ausgesprochen. Und deswegen ist dieses Gebet am Anfang der Opfermesse so wichtig.

Es sagte einmal der Pater Hönisch, um dieses Gebetes willen vor allem möchte er wieder die alte Messe feiern. So schön ist dieses Gebet, so wichtig ist es, ja so unentbehrlich ist es. Dieses erste Gebet ist voll von Inhalt: „Ich opfere sie dir auf – diese Gabe – für meine unzähligen Sünden,“ spricht der Priester, „Fehler und Nachlässigkeiten. Ich opfere sie auf für alle Umstehenden,“ das seid ihr, meine lieben Freunde, „und alle Christgläubigen“. Ein ungeheuerer Kreis, eine unermeßliche Schar, und zwar „für die Lebenden und für die Verstorbenen“. Also auch die leidende Kirche im Fegefeuer wird in dieses Opfer einbezogen. Ja, wer möchte dieses Gebet drangeben? In diesem Opferungsgebet wird gewissermaßen die sakramentale Intention der ganzen heiligen Messe ausgesprochen, hier bei der Opferung des Brotes.

Dann vollzieht der Priester an der rechten Seite des Altares die Mischung von Wasser und Wein. In ein bißchen Wein wird ein Tropfen Wasser eingelassen. Was bedeutet das? Das erinnert einmal an Kalvaria, den Hügel von Golgotha. Da floß aus der Seite des Herrn Blut und Wasser heraus. Und zweitens bedeutet das, daß wir – wir sind das Wasser – in den Wein – das ist der Heiland – gleichsam eingehen und untergehen. Wir vereinigen uns mit ihm, so wie dieses Tröpfchen Wasser sich mit dem Wein vereinigt. Also eine doppelte Symbolik: Kreuzesgedächtnis und mystische Vereinigung.

Danach opfert der Priester den Kelch auf, genauer das, was in den Kelch hineingetan wurde, und spricht auch hier dazu: „Laß ihn zum Segen für uns und die ganze Welt werden!“ Also weltweit sind alle unsere Lieben, Anvertrauten, Angehörigen, aber auch alle unsere Feinde, Gegner, Kritiker, Tadler eingeschlossen. Wir opfern für sie alle diesen Kelch des Heiles auf. Und dann kommt noch einmal ein Mitaufopferungsgebet: „Laß uns im Geiste der Demut und mit zerknirschtem Herzen bei dir Aufnahme finden!“ Ja, wir sind auch Opfergabe! Wir selbst sind Opfergabe, nicht nur Brot und Wein, auch wir selbst opfern uns auf. Wir liegen vor ihm wie ein Opfer, wir liegen vor ihm wie eine Opfergabe. Wie diese Opfergabe vor ihm liegt, so auch wir.

Nun wird der Heilige Geist angerufen, damit er diese Opfergaben heilige und segne, damit sie Gott wohlgefällig und uns zum Heile, letztlich damit sie verwandelt werden in das kostbare Blut und in den kostbaren Leib unseres Heilandes.

Nach der Darbringung dieser beiden Gaben wäscht der Priester die Hände. Die Waschung ist klar von der Symbolik. Waschen bedeutet Sehnsucht nach Reinheit. „In Unschuld will ich meine Hände waschen und den Altar umschreiten, Herr.“ Es ist das Verlangen nach letzter innerer Reinigung. Wir können gar nicht rein genug sein, um an diesem wunderbaren Geschehen teilzunehmen. Deswegen fleht der Priester noch einmal: „Laß mich nicht zugrunde gehen mit den Sündern, mein Leben nicht verlieren mit den Menschen voll von Blutschuld!“ Es ist ein Sehnsuchtsgebet nach vollkommener Reinigung, symbolisch ausgedrückt durch die Waschung der Hände. Und dann kommt noch einmal ein ganz wunderbares Gebet, nämlich an die Dreifaltigkeit: „Heilige Dreifaltigkeit, nimm diese Opfergabe an!“ Hier wird der dreifaltige Gott angefleht, diese Opfergabe, also erstens Brot und Wein, zweitens uns selbst und natürlich erst recht drittens nach der Wandlung seinen Sohn, anzunehmen. Christus ist ja in einer doppelten Weise am Opfer beteiligt, nämlich als Opfergabe und als Opferempfänger. Als Mensch ist er Opfergabe, als Gott ist er Opferempfänger, und deswegen können wir sehr gut an den dreifaltigen Gott die Bitte richten: „Nimm diese Opfergabe an!“ Das ist kein Widerspruch. Und es wird auch gesagt, wie dieses Opfer zu verstehen ist. Das Gebet „Suscipe, sancta Trinitas“ – Nimm an, heiligste Dreifaltigkeit – gibt uns gewissermaßen eine Wesensumschreibung des Meßopfers, nämlich es heißt da: „Nimm sie an, die Opfergabe, die wir dir darbringen zum Andenken an das Leiden, die Auferstehung und die Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus!“ Das ist ja das Wesen des Meßopfers, daß eine geheimnisvolle Vergegenwärtigung des Erlösungswerkes erfolgt, und davon sind eben die drei wesentlichen Phasen Leiden, Auferstehung und Himmelfahrt. Das ist das Erlösungswerk, wie wir vor einigen Wochen gesehen haben. Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt – sie bewirken in eminentem Sinne die Erlösung.  Das sind die Hauptstationen der Erlösung, und sie werden hier genannt, weil sie            im Meßopfer gegenwärtig werden sollen durch den, der sie durchschritten hat. Noch einmal erfolgt diese Erwähnung bei der Wandlung. Wenn die Wandlung geschehen ist, wird noch einmal gesagt: „Wir erinnern uns an das Kreuzesleiden, die Auferstehung und die Himmelfahrt.“ Und dann wird uns auch in diesem Gebet, das an die Trinität gerichtete ist, gelehrt: Das Opfer wird Gott allein dargebracht. Opfern kann man nur Gott, denn Opfer ist höchster Anbetungsakt, und Anbetung geziemt nur Gott. Aber das Meßopfer wird auch dargebracht, um die Heiligen zu ehren. Sie sind ja diejenigen, die aus dem Meßopfer die Kraft für ihr heiliges Leben geschöpft haben. Warum soll man sie nicht dann anläßlich der Meßopferfeier ehren? Also, auch um die Heiligen zu ehren, wird das Meßopfer dargebracht. Was ihnen zur Ehre gereicht, soll den Gläubigen zum Heil gereichen. Für diejenigen, die daran teilnehmen, aber auch für diejenigen, für die wir flehen, vermag das Meßopfer Heil zu bewirken.

Dann wendet sich der Priester an das Volk und sagt: „Betet, Brüder, daß mein und euer Opfer wohlgefällig werde bei Gott, dem allmächtigen Vater!“ Die Gläubigen werden eingeladen, sich an der gemeinsamen Opferfeier zu beteiligen. Der Priester opfert, und die Gläubigen opfern. Mit ihm und durch ihn opfern die Gläubigen das heilige Meßopfer auf. Priester und Volk sind eine Opfergemeinschaft in inniger Verbindung und opfern gemeinsam das Opfer auf. Deswegen antworten ja auch die Gläubigen: „Der Herr nehme das Opfer an – unser gemeinsames Opfer – aus deiner Hand, zum Lob und Ruhme seines Namens, zum Segen für uns und seine ganze heilige Kirche!“

Nach diesem Gebet wird noch einmal ein Opfergebet gesprochen, ein Weihegebet über die Opfergaben, ein letztes Segensgebet vor dem Eintritt in den großen Kanon, der mit der Präfation beginnt. Es fleht um eine besondere Opfergnade; um eine Opfergnade, die regelmäßig mit dem Geheimnis des Tages – 20. Sonntag nach Pfingsten heute – verknüpft ist. Und da wird noch einmal darum gefleht, daß Gott aus dieser Opfergabe, aus diesem Opfer uns Opferfrüchte zugänglich machen möge.

Bis dahin, meine lieben Freunde, reicht das, was wir in unserer Kindheit zu Recht als Opferung kennengelernt haben. Das ist unsere Opferung. Danach opfert der Heiland sich selber. Wir schließen uns ihm an und bringen ihn dem Vater im Himmel dar. Bis dahin haben wir aus unserem Eigenen etwas Gott dargebracht, um es für das Opfer Christi zu bereiten und mit dem Opfer Christi zu vereinigen. Wir haben uns bereitet, das große Opfer Christi selbst, den sich opfernden Christus dem Vater darzubringen. Aber wir mußten erst diese Phase, diese unerläßliche Phase durchschreiten, bevor wir würdig werden, den vom Himmel herabgestiegenen Heiland dem Vater aufzuopfern.

Amen.

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