Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
19. Juni 2022

Das Verhältnis von Kreuzesopfer und Messopfer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Messopfer der katholischen Kirche ist die Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers Christi. Gegenwärtig gesetzt wird Jesu Opfertod in der ihm korrespondierenden Gestalt eines kultischen Opfers, nämlich der konsekratorischen Darbringung von Gaben (an Gott) und ihrer Darreichung als Opferspeise an die Menschen. Von daher ist die Messe in der Dimension des Rituellen auch in sich ein „wahres und eigenes Opfer“ (D 948) oder Opfer auch der Christen, der Kirche. Der Imperativ „Tuet dies!“, was Jesus getan (nämlich die Vergegenwärtigung seines Opfertodes in einer kultischen Darbringung), setzt auch die Kirche als opfernde, als die raumzeitliche Erscheinung des eigentlichen Opferpriesters Christus. Ist so die Messe selbst ein Opfer, so doch kein selbständiges, sondern sie bleibt auch als Opfer der Kirche ein relatives. Die Kirche will mit ihrem opfernden Tun von Anfang bis Ende nichts anderes als eine raumzeitliche Präsenz der Kreuzestat Christi heraufführen. Gedächtnis, memoria, wie das Konzil von Trient sagt, Kult-Anamnese, meint also nicht nur das bloß bewusstseinsmäßige Sich-Erinnern an die Person und die Erlösungstat Jesu, sondern das objektive In-Sein der erinnerten Person Jesu in der erinnernden Person des Priesters sowie der erinnerten Heilstat in der erinnernden sakramentalen Handlung. Die sakramentale Handlung hat die eingestiftete Kraft, die vergangene Heilstat versinnbildend zu vergegenwärtigen und heilswirksam zu machen. Wir wollen uns den unlösbaren Zusammenhang von Kreuzesopfer und Messopfer in allen Einzelheiten ins Gedächtnis rufen.

1. Opfergabe

Im Kreuzesopfer und im Messopfer ist Opfergabe der göttliche Erlöser nach seiner menschlichen Natur und in der Wirklichkeit seines Leibes und Blutes. Was hier wie dort dem himmlischen Vater dargebracht wird, ist Christus, am Kreuze der geschichtliche Nazarener, im Messopfer der in den verwandelten Gestalten gegenwärtige verklärte Herr. Die Opfergabe ist Christus als Haupt der Kirche; darum sind mit ihm auch seine Glieder an Gott hingegeben. Von der Gemeinde wird die Bereitschaft erwartet, sich in die Hingabebewegung Jesu an den Vater einbeziehen zu lassen und dadurch selbst zu einer lebendigen Opfergabe zu werden.

2. Opferpriester

Opferpriester ist der eine Christus, der am Kreuze ein für allemal das Opfer dargebracht hat und im Himmel als Hoherpriester zur Rechten des Vaters sitzt, für uns Fürsprache einzulegen (Hebr 7,24; 10,12; Röm 8,34; 1 Petr 3,22). Im Messopfer vertritt seine heilige Person sein berufener Diener. Durch die Priesterweihe dem Hohenpriester angeglichen, besitzt er die Vollmacht, in der Kraft und anstelle der Person Christi selbst zu handeln. Christus bedient sich des Priesters, der Priester schenkt sich in Gehorsam und Liebe Christus, und er vollzieht ein Werk (Worte und Handlung), das der irdisch-objektiven Wirklichkeit angehört und das durch Christi Befehl und mitwirkende Tat zum wirksamen und wirklichkeitsmächtigen Zeichen wird. Die (unblutige) Hinopferung, in der durch die Wandlungsworte Christus im Zustand des Opfers auf dem Altar gegenwärtig wird, ist das Werk des Priesters allein, insofern er die Person Christi vertritt, nicht aber, insofern er die Person der Gläubigen darstellt. Der Priester handelt nur deshalb anstelle des gläubigen Volkes, weil er die Person unseres Herrn Jesus Christus vertritt, insofern dieser das Haupt aller Glieder ist und sich selbst für sie opfert; er tritt folglich an den Altar als Diener Christi, niedriger als Christus stehend, aber höher als das Volk (R. Bellarmin). Es sei noch einmal gesagt: Der Opfernde ist Christus als Haupt der Kirche. In ihm und mit ihm opfert die gesamte Kirche. Auch die Gläubigen bringen also die göttliche Opfergabe dar, aber im Anschluss und in Abhängigkeit vom Priester. Die Darbringung des Opfers geschieht durch den Priester zusammen mit dem Volk. Der zelebrierende Priester ist werkzeugliche Ursache für das Zustandekommen des königlichen Priestertums der Gläubigen. Die mitfeiernden Gläubigen sind selbst ein heiliges Priestertum.

3. Opferhandlung

Das Opfer Christi besteht in der freiwilligen Übernahme seines Leidenstodes und der Hingabe seines Lebens aus dem höchsten Liebesgehorsam gegen den himmlischen Vater und in der heroischen Erlöserliebe zu den Menschen. Er vergießt sein Blut zur Vergebung der Sünden. Er ist der gute Hirt, der seine Leben gibt für seine Schafe. Tötung war Werk der Henker, Sterben war Folge der Tötung, Wesensbestandteil des Kreuzesopfers dadurch, dass Christus es in Gehorsam gegen den Vater und in Liebe zu den Menschen frei hat geschehen lassen, es mitvollzogen hat, soweit man ein Sterben mitvollziehen kann. Der Opfergestus als innerste personale existentielle Grundhaltung und Tat ist die Seele des Opfers. Im Kreuzesopfer war sie als personale Tat des Gottmenschen in Gehorsam und Liebe gegeben. Im Messopfer ist sie mit dem gegenwärtigen Christus im Opfer selbst real gegenwärtig. Diese innere personale Opferhaltung bleibt in Christus dieselbe am Kreuz wie im Himmel, da er sein Opfer vor dem Vater für uns anbietet. Diese innere personale Opferhaltung wird in der Eucharistie mit demselben Christus real gegenwärtig. So können wir im Messopfer in ähnlicher Weise am Opfer Christi teilnehmen, wie Maria und Johannes und die frommen Frauen am historischen einmaligen Opfer Christi teilgenommen haben. In der Identität der Opfergabe und des Opferpriesters ist die Identität der heilstiftenden Opfertat sachlich implizit enthalten. Nur so bleibt die behauptete Einheit von Kreuzesopfer und Messopfer gewahrt. Die Kirche will ja nicht eine neue und eigenwertige, sondern die von Christus einmal dargebrachte Opfergabe darbringen. So ist in der Messe der einmalige geschichtliche, äußere Opferakt Jesu gegenwärtig auf sakramentale, unblutige, bildhafte Weise. Das Kreuzesopfer wird als komplexe Sinnmitte des ganzen Heilswerkes aktual präsent.

4. Opferzwecke

Die Opferzwecke des Kreuzesopfers sind auch die Opferzwecke des Messopfers. Ihre Wirklichkeit und Kraft wird durch die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers im Messopfer gegenwärtig.

Der erste Opferzweck von Kreuzesopfer und Messopfer ist Anbetung und Verherrlichung Gottes. Am Kreuze hat Jesus als der gehorsame Knecht Gottes dem himmlischen Vater die denkbar größte Ehrung erwiesen. Im Messopfer wird mit und durch und in Christus Gott dem Herrn Lob und Preis gesagt. Indem die Kirche die Tat Jesu nachvollzieht, leistet sie dem Vater die gleiche Anbetung und Verherrlichung. Dies wird in der heiligen Messe an mehreren Stellen ausgesagt, am eindrücklichsten im Gloria.

Der zweite Opferzweck von Kreuzesopfer und Messopfer ist die Danksagung. Das Kreuzesopfer war Dank Jesu an den Vater. Er dankte dem Vater, dass er ihn ausersehen hatte als den Gottesknecht, der die Sünden des Volkes auf das Kreuz trägt, dass er ihm Gehorsam leisten durfte bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. Jesus wusste am Kreuze, dass sein Sterben das Gehen zum Vater bedeutete. Er wusste auch, dass der Vater mit ihm ist (Joh 16,32). Dafür war er dankbar. Er wusste: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, trägt es viele Frucht“ (Joh 12,24f.). Er war dankbar, das Weizenkorn Gottes sein zu dürfen. Er wusste um die Fruchtbarkeit seines Opfers. „Wenn ich erhöht sein werde, werde ich alle an mich ziehen“ (Joh 12,32). Er sagt es den Jüngern wiederholt, dass nur dann, wenn er hingeht, d.h. geopfert wird, er den Heiligen Geist senden kann. Sein Dank richtete sich auch darauf, dass sich in seinem Leiden und Sterben die Heilige Schrift, also der Wille Gottes, erfüllte (Lk 22,37). In einer Erscheinung vor den Jüngern erklärte er: „Alles muss erfüllt werden, was im Gesetze des Moses, in den Propheten und Psalmen über mich geschrieben steht“ (Lk 24,44). So begleitet der Dank auch sein Sterben. In ähnlicher Weise ist der zweite Zweck des Messopfers, Gott den schuldigen Dank zu erweisen. An mehreren Stellen der heiligen Messe wird Gott Dank gesagt, vor allem in der Präfation. Der Dank gilt Gottes vergangenem Heilshandeln und dessen je neuer Aktualisierung im Hier und Jetzt der liturgischen Feier. Dass er existiert. Dass er so ist, wie er ist. Dass er sich uns geoffenbart hat. „Wir danken dir für deine große Herrlichkeit“, so beten wir in jeder heiligen Messe. Wir danken Gott, dass er seinen Sohn gesandt hat; dass es licht geworden ist auf der Erde. Wir danken Gott, dass er das Opfer seines Sohnes angenommen und ihn über alle Himmel erhöht hat.

Der dritte Opferzweck des Kreuzesopfers und des Messopfers ist die Sühne. Das Kreuzesopfer war ein Sühnopfer. Jesus gibt dies als Zweck seiner Erscheinung an, wenn er sagt: „Der Menschensohn ist gekommen, um zu dienen und sein Leben hinzugeben für viele“ (Mk 10,45). Das ist stellvertretende Sühne. Christus hat den Sühnewert seines Opfers ausgesprochen, als er sein Blut kennzeichnete als ein „für die Vergebung der Sünden“ zu vergießendes. Das Kreuzesopfer versöhnt die Menschheit mit Gott. Christi Tod war ein Versöhnungstod. Er trug die Sünde an seinem Leibe auf das Holz. Jesu Sterben war ein stellvertretendes und sühnendes Todesleiden. Jesu Blut redet besser als das Blut des Abel (Hebr 12,24). Sein vergossenes Blut fleht zum himmlischen Vater um Erbarmen. In Abhängigkeit vom Kreuzesopfer ist auch das Messopfer ein Sühnopfer. Sein Zweck ist, Gott Sühne, Genugtuung und Ersatzleistung darzubringen. Als die Glaubensneuerer des 16. Jahrhunderts den Sühnewert des Messopfers leugneten, hat das Konzil von Trient mit immerwährender Gültigkeit gelehrt: „Weil in dem Messopfer derselbe Christus enthalten ist und unblutig geopfert wird, der sich selbst am Kreuze einmal blutig dargebracht hat, so lehrt die heilige Kirchenversammlung: Dieses Opfer ist ein wirkliches Sühneopfer; und es bewirkt, dass wir ‚Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfeʻ (Hebr 4,16). Versöhnt durch die Darbringung dieses Opfers, gibt der Herr die Gnade und die Gabe der Buße, und er vergibt die Vergehen und Sünden, mögen sie noch so schwer sein.“

Der vierte Opferzweck des Kreuzesopfers und des Messopfers ist die Bitte. Das Kreuzesopfer war Bittopfer. In ihm flehte der Herr für die sündige Menschheit. Im hohepriesterlichen Gebet, das er vor dem Antritt seines Leidens zum Vater richtete, bat er für alle, die ihm der Vater gegeben hatte, dass er sie vor dem Bösen bewahre und dass er sie heilige in der Wahrheit. Ebenso bat er für alle, die auf das Wort seiner Jünger an ihn glauben werden. Jesus flehte auch für seine Feinde und Henker. Am Kreuze bat er: „Vater, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Noch lauter als seine Stimme rief sein vergossenes Blut um Erbarmen zum himmlischen Vater. Der rechte Schächer war der erste, der den Bittwert des Kreuzesopfers erkannte und ihn durch seine Bitte für sich nutzbar machte. In Abhängigkeit vom Kreuzesopfer hat das Messopfer den vierten Zweck, die Bitten der Menschen vor Gott zu tragen. Das Messopfer ist ein Bittopfer. Alles, was wir Menschen von Gott erbitten, dürfen wir auch im Messopfer vortragen. Die Texte der heiligen Messen enthalten Bitten für alle denkbaren und zulässigen Anliegen der Gläubigen. Dass das Messopfer Sühnopfer für die Menschen und Bittopfer der Kirche ist, kommt in zwei Übungen besonders zum Ausdruck: in den Fürbitten während der Liturgie und in der Darbringung des Messopfers für die Verstorbenen.

Kreuzesopfer und Messopfer kommen auch überein in der Opfergesinnung. Jesus sieht seinen blutigen Tod als sein messianisches Werk an, als Lösepreis, als Versöhnungsopfer. Er erkennt darin den Willen des himmlischen Vaters und ergibt sich diesem. Die Liebe des Vaters zu den Menschen gibt bereitwillig den eingeborenen Sohn hin, und der Sohn opfert ebenso willig sein Leben aus Liebe zu seinen Schafen. Die Gläubigen, die das Messopfer mitfeiern, sind eingeladen und aufgefordert, sich an die Opfergesinnung ihres Hauptes und Hohenpriesters anzuschließen, und das nach allen Seiten, in Lob, Dank, Sühne und Bitte. Am Kreuze opferte Christus allein, in der Messe soll das ganze corpus Christi mysticum sich mit ihm Gott darbringen. Keine bessere Gelegenheit und keine dringendere Einladung zum persönlichen Opfer gibt es als im Messopfer. O meine lieben Freude. Was ist es doch wunderbar, dass Gott uns das heilige Messopfer als lebendiges Denkmal seines heilbringenden Leidens hinterlassen hat. Was geschieht hier? Der fromme Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi sagt es uns: Wenn der Priester das heilige Opfer darbringt, ehrt er Gott, erfreut die Engel, erbaut die Kirche, hilft den Lebenden, erwirbt den Verstorbenen Ruhe und macht sich selbst aller Güter teilhaftig. Den Gläubigen, die an diesem Opfer teilnehmen, empfiehlt er: Opfere dich selbst ganz, willig und ungezwungen dem himmlischen Vater als reines und heiliges Opfer. Empfehle dich ganz in die erbarmende Liebe des Herzens Jesu. Und rufe: Rette meine Seele, die du mit deinem kostbaren Blut erkauft hast.

Amen.

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