Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. Mai 2022

Tapferkeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Tapferkeit ist besonnener, furchtloser oder durch Selbstüberwindung und Einsicht erlangter Mut sowohl in einer gefahrvollen Bewährungssituation als auch als grundsätzliche Haltung. Mut ist der über der Norm liegende Einsatz zur Überwindung drohender Gefahr. Er kann sich in aktivem oder defensivem Verhalten äußern. Tapferkeit bezeichnet eher die Unerschrockenheit und Stärke im Bestehen von Gefahren. Primäre Funktion der Tapferkeit ist geduldiges Standhalten, erst in zweiter Linie kommt der Angriff.

Tapferkeit ist allen Menschen nötig. Kämpfen muss ein jeder gegen sich selbst, gegen das Fleisch, die Welt und den bösen Geist. Wir haben einen Feind im eigenen Herzen. Täglich empfinden wir die Lockung zur Bequemlichkeit und zur Sinnlichkeit. Täglich stacheln Ehrsucht und Neid zur Verletzung der Nächstenliebe. Mit vollem Recht wird es als Starkmut bezeichnet, wenn jemand sich selbst besiegt, wenn er seinen Zorn bezwingt, keinen Lockungen der Weichlichkeit nachgibt, wenn er durch widrige Geschicke sich nicht erschrecken, durch Glücksfälle sich nicht übermütig machen lässt. Der Stärkung bedürfen wir besonders im Kampf gegen die Versuchungen und im Streben nach Tugend. Die Versuchung ist noch nicht die Sünde, sondern ihr Vorstadium. Der Anreiz treibt von der Versuchung zur Tat. Der Starkmütige lehnt die Versuchung ab und, wenn sie nicht sogleich weicht, leistet ihr beharrlichen Widerstand. Er lenkt das Denken ab von dem lockenden Reiz und wendet es anderen Gegenständen zu. Den Starkmütigen schrecken nicht Mühe und Opfer. Er ist entschlossen, seinem Gott treu zu bleiben. Er meidet die nächste Gelegenheit zur Sünde oder wendet alle nötigen Mittel an, um die Gefahr der Sünde unwirksam zu machen.

Die Erde ist das Feld der Arbeit, das wir bebauen müssen. Die Arbeit bringt Anstrengung, Ermüdung, Misslingen und Erfolglosigkeit mit sich. Es stellen sich Trägheit, Unlust, Überdruss und Mutlosigkeit ein. Es braucht Tapferkeit, um gegen die aufsteigenden Gefühle des Unbehagens, der Missstimmung, der Entmutigung und des Widerwillens ankämpfen zu können. Wer tapfer ist, reißt sich zusammen; erinnert sich an Notwendigkeit und Pflicht, zu arbeiten, seinen Beitrag zu leisten für seinen Unterhalt und für die Gesamtheit.

Das Leben, das tägliche, das alltägliche Leben ist schwer. Es wird wenige Menschen geben, die nicht zuweilen oder längere Zeit am Leben, an diesem, ihrem Leben, leiden. Kein Leben lässt sich vollständig planen. Jeder Mensch muss mit unvorhersehbaren Ereignissen rechnen. Niemand ist gegen Niederlagen, Misserfolge, Fehlschläge und Verluste gefeit. Tapferkeit braucht es, um das Leben zu bestehen. Um nach Erfolglosigkeit, Schaden, Enttäuschungen und Blamagen weiter zu machen. Die Tapferkeit verleiht uns die Kraft zum geduldigen Ertragen all der Übel, denen wir nicht ausweichen können, sowie den Mut, den Schwierigkeiten Trotz zu bieten, sie anzugreifen und zu überwinden. Sittlichen Mut und Charakterstärke beweist nicht derjenige, der in einer verzweifelten Lage durch Selbstmord den Schwierigkeiten des Lebens zu entfliehen sucht. Sondern derjenige, der aus sittlichen Motiven sich nicht von dem Posten verdrängen lässt, auf den ihn Gott gestellt hat, mag auch Unglück und Schande auf ihn hereinbrechen. Darum erscheinen uns die Helden des geistigen Martyriums so groß, die in allen ihren Seelenkämpfen und Körperleiden den Gleichmut bewahren, die nicht jammern und murren noch auch die göttliche Vorsehung anklagen.

Die Erde ist auch die Stätte des Kampfes, dem wir nicht ausweichen können. Das Gebiet, auf dem sich der Starkmut zu bewähren hat, sind die Gefahren für Leib und Leben, die man um des Guten willen zu bestehen hat. Der Anblick der Schwierigkeiten und Gefahren kann Furcht hervorrufen, der die Kraft lähmt. Da ist es der Starkmut, der unseren Geist stärkt. Er verleiht uns die Kraft, die Übel, denen wir nicht ausweichen können, zu ertragen, und er gibt uns den Mut, den Schwierigkeiten Trotz zu bieten, sie anzugreifen und zu überwinden. Tapfer ist nicht, wer keine Furcht hat. Tapfer ist, wer von seiner Furcht keine Notiz nimmt (George Patton).Wer den Tod nicht fürchtet, ist mächtig in einer Welt der Angst. Die Furchtlosigkeit ist der Lohn der Wahrheit. Ihr Preis ist der Tod. Einer der Helden des 20. Juli 1944, der General Henning von Tresckow, schrieb kurz vor seinem Tod: „Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben.“

Tapferkeit ist vonnöten, wenn es gilt, sich zu seinem katholischen Glauben zu bekennen. Denn die Welt ist weithin unserer Kirche feind. Viele ducken sich, sehen weg oder gehen fort, wenn ein Bekenntnis zum Glauben gefordert ist. Tapfere Menschen stehen zu ihrem Glauben. In ihrer vollen Kraft zeigt sich der Starkmut im Martyrium. Hier handelt es sich nicht bloß um die Gefahr des Todes, sondern um den Tod selbst. „Dich preise ich“, ruft der hochbetagte hl. Polykarp auf dem Scheiterhaufen, „dass du mich heute gewürdigt hast, unter die Zahl deiner Martyrer aufgenommen zu werden und teilzuhaben an dem Kelch deines Gesalbten.“ Der heilige Pankratius, der Patron unserer Pfarrei, besiegelte mit vierzehn Jahren in Rom mutig seinen Glauben und seinen Taufschwur mit dem eigenen Blute. Der heilige Bischof John Fisher von Rochester stimmte beim Anblick des Blutgerüstes das Te Deum an. Tapferkeit macht uns tüchtig, auch den größten Gefahren gegenüber standhaft zu bleiben, vor den schwersten Opfern nicht zurückzuschrecken, selbst den Tod nicht zu fürchten, wenn es gilt, Gott die Treue zu bewahren. Jeder Christ ist verpflichtet zum Einsatz des Lebens für die Ewigkeit. Heroismus und Blutzeugnis sind höchste Akte der Tapferkeit. Sie sind der Kirche Christi unentbehrlich. Denn eine Gemeinschaft, für die niemand zu sterben bereit ist, ist eine sterbende Gemeinschaft.

Eine besondere Form der Tapferkeit ist die Zivilcourage. Sie beweist jener, der im Dienst seiner Überzeugung eigene wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile riskiert. Mein Mathematiklehrer war ein gläubiger Katholik. Er erhielt in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts von dem Direktor der Oberschule das Angebot, die Stelle des (einzigen) Oberstudienrats der Anstalt zu erhalten; allerdings müsse er dazu in die NSDAP eintreten. Der Lehrer brauchte keine lange Überlegung; er war nicht gewillt, Parteimitglied zu werden. Folglich bekam ein anderer Lehrer die Stelle. Der Berliner Martyrer Bernhard Lichtenberg ging zu Kranken und Sterbenden in priesterlicher Kleidung, ausgestattet mit einer Laterne und einem Glöckchen. Er wurde ausgelacht und verspottet. Ein Kutscher schlug mit der Peitsche auf ihn ein. Lichtenberg verzog keine Miene. In der Straßenbahn rempelte ihn ein Kommunist an, als er das Brevier betete. Lichtenberg antwortete ihm: „Sie lesen die Rote Fahne, ich lese mein Brevier. So sind wir quitt.“ Zivilcourage ist häufig bei offenen, nicht geheimen Abstimmungen in Gremien, Räten und Parlamenten gefragt. In der Mainzer katholisch-theologischen Fakultät stand eine Abstimmung zur Verleihung der Würde eines Ehrendoktors zur Debatte. Ich hatte unüberwindliche Bedenken gegen die Personen, die vorgeschlagen wurden, und stimmte folgerichtig mit Nein; alle anderen stimmten mit Ja. Nach der Sitzung kam einer der Kollegen zu mir und bekannte, auch er habe Bedenken gegen die Ehrung der genannten Personen gehabt, aber es habe ihm an Mut gefehlt, mit Nein zu stimmen. Es gebrach ihm an Zivilcourage.

In vielen Ländern braucht es Mut, um sich als katholischer Christ zu bekennen. Schauen Sie nur hinüber in unser westliches Nachbarland. In Frankreich wurde seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das gesamte öffentliche Leben systematisch von jedem religiösen Element ausgefegt. Der Laizismus verbot jeden religiösen Einfluss auf staatliche Einrichtungen. Der Religionsunterricht wurde vom Lehrplan gestrichen. Religiöse Bilder und das Kreuz verschwanden aus Schulen und Spitälern. Die französischen Katholiken lebten fortan in scheuer Defensive. „Vielleicht war das größte Übel für Frankreich, dass kein Mensch mehr wagte, seinen Glauben öffentlich zu bekunden“ (Bruce Marshall).

Wir werden nicht als tapfere und furchtlose Menschen geboren. Wir müssen die Tapferkeit lernen, die Tugend der Tapferkeit erwerben. Ich wage das Urteil: Von Natur aus sind die meisten Menschen feige, gehen Gefahren aus dem Weg, fliehen vor Unannehmlichkeiten und Gefahren. Sie müssen also danach trachten, Menschen zu werden, die Gefahren trotzen, Widerstände überwinden. Tapferkeit ist erwerbbar. Es ist möglich, Kinder und Jugendliche zur Tapferkeit zu erziehen. Aufgaben der religiösen Erziehung zur sittlichen Tapferkeit sind: Erkenntnis der Übermacht des Bösen in der Welt, klarer Blick auf die Gefahren des Lebens, Glaube an Sieg, Hoffnung auf den Siegespreis, Mut, Gewöhnung des Willens an Anstrengung und Schmerz, Abhärtung, Geduld, Standhaftigkeit.

Unser Herr will, dass wir tapfere Menschen seien. Seinen Jüngern gebietet Christus Starkmut (Mt 10,28): „Ihr sollt vor denen keine Furcht haben, die nur den Leib töten, die Seele aber nicht töten können.“ Er verweist also auf das ewige Leben, das keinem entrissen werden kann, der um Jesu willen das irdische Leben verliert. Der Brief an die Hebräer erinnert an die Leiden und Kämpfe, welche die Christen um des Glaubens willen zu bestehen haben. „Gedenket der früheren Tage, in denen ihr so manchen Leidenskampf bestanden habt, bald wart ihr selbst in Beschimpfungen und Trübsalen ein Schauspiel, bald wurdet ihr Genossen derer, die solches erfuhren. Ihr habt mit den Gefangenen gelitten und den Raub eures Vermögens mit Freude ertragen, weil ihr wusstet, dass ihr einen besseren und bleibenden Besitz habt“ (Hebr 10,32-35). Der Verfasser des Briefes zeigt seinen Adressaten, was nötig ist: „Was ihr braucht, ist Geduld, damit ihr in Erfüllung des Willens Gottes die Verheißung davontragt“ (10,36). Von der Glut der Liebe Christi entflammt, ruft der hl. Paulus: „Wer wird uns scheiden von der Liebe Christi? Drangsal oder Angst oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Verfolgung oder Schwert? In all dem überwinden wir um dessentwillen, der uns geliebt hat“ (Röm 8,35-37). Den Kolossern ruft er zu: „Möget ihr gestärkt werden mit aller Kraft, wie es seiner machtvollen Herrlichkeit entspricht“ (Kol 1,11).

Tapferkeit ist besonnener, furchtloser oder durch Selbstüberwindung und Einsicht erlangter Mut sowohl in einer gefahrvollen Bewährungssituation als auch als grundsätzliche Haltung. Tapferkeit ist jedem Menschen nötig. Denn jeder kommt in Lagen, die nur mit Starkmut gemeistert werden können. Eine Zeitlang verbreiteten linke Ideologen den Slogan: Glücklich das Volk, das keine Helden braucht. Diese Parole ist falsch. Jedes Volk braucht Helden. Denn über jedes Volk kommen Ereignisse, Heimsuchungen, Schicksalsschläge, die nach heroischen Menschen rufen in Feuerwehr, Polizei, Unfallhilfe und beherzten Privatpersonen. Glücklich das Volk, das über Helden verfügt. Mediziner und Chemiker forschen nach Medikamenten für schwere Krankheiten. Dazu sind Erprobungen an Menschen erforderlich. Um nicht andere in Gefahr zu bringen, machen sie den Versuch an sich selbst und riskieren auf diese Weise Gesundheit und Leben. Ich erwähne Max Josef Pettenkofer in München. Eine katholische Familie in Bayern nahm in der Zeit des Hitlerregimes ein jüdisches Mädchen auf und gab es als eigenes Kind aus, Charlotte Knobloch, die heutige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Diese Familie setzte das Leben ihrer Mitglieder aufs Spiel, um das verfolgte Kind zu retten. Glücklich das Volk, das über Helden verfügt. Der schwer verwundete und verletzte Claus Graf Stauffenberg unternahm den Versuch, Deutschland und Europa von dem Verbrecher Adolf Hitler zu befreien. Er sagte, wenn er nicht alles tue, um Hitler zu beseitigen, könne er nach dem Krieg den Witwen und Kindern der Gefallenen nicht in die Augen sehen. „Als Mensch glaube ich, dass der Himmel denen gnädig ist, die in der Erfüllung ihrer Aufgabe alles opfern.“

Amen.

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