Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. Februar 2022

Die Kirche ist etwas Göttliches

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Kirche ist nie, in keinem Zeitpunkt der Geschichte, unangefochten gewesen. Weder in der Urzeit, der Periode der offenen Verfolgungen, noch im Mittelalter, der Epoche der Häresien, noch in der Neuzeit, der Ära der Aufklärung. In der Gegenwart wird die Kirche von allen Seiten mit Kübeln der Häme, mit Tiraden der Missbilligung, mit Kanistern von Anwürfen überschüttet. Wir wollen versuchen, uns einen Weg zur Kirche zu bahnen, sie zu sehen, was sie ist und wie sie ist; wir wollen ihre Wirklichkeit sehen in positivem und negativem Sinn und wollen vor nichts die Augen verschließen. Wir können alles, was man über die Kirche sagen kann, in zwei Worte zusammenfassen: Die Kirche ist etwas Göttliches und sie ist etwas Menschliches. Heute soll das Thema unserer Überlegung sein: Die Kirche ist etwas Göttliches. Das heißt: Sie stammt von Christus, dem Sohne Gottes, und hat bestimmte Einrichtungen und Funktionen, seinen Willen zu erfüllen. Darum und dazu hat sie göttliche Aufträge, göttliche Kräfte und göttliche Wirkungen in sich. Sie stammt von Christus. Er hat sie gegründet. Daran scheitert die Bibelkritik. Alle ihre Aufstellungen und Ausstellungen lassen sich ohne Voreingenommenheit wissenschaftlich zurückweisen. Ich habe sie geprüft. Wenn sie stichhaltig wären, stünde ich nicht vor Ihnen. Christus hat eine Kirche gewollt. Er hat besondere Jünger ausgewählt, denen er bestimmte Kräfte und Vollmachten gegeben hat. Er hat sie ausgesandt mit seinem Auftrag. Die übrigen seiner Anhänger sollten diese Jünger, die Apostel, hören, gerade wie sie ihn selbst hören sollten. Die Apostel sollten auch die Kraft seiner Erlösung spenden, das Geheimnis des Kreuzesopfers gegenwärtig setzen zu seinem Andenken. Es ist kein Zweifel: Christus hat einen Verband, eine Organisation, eine religiöse Organisation, eine hierarchisch gegliederte Organisation gewollt. Sie ist sein Werk, und noch mehr als sein Werk: Sie ist sein Werkzeug. Er selbst will durch sie arbeiten und auf die Menschheit wirken. Sie ist sein lebendiges Werkzeug, wie Paulus sagt: Sie ist sein Leib. Darum ist die Kirche etwas Lebendiges. Ein Zeichen von Leben ist es, wenn ein Körper sich aus sich selbst erhält und erneuert, durch allen Wechsel des Stoffes hindurch, und wieder Leben hervorbringt. Das tut dieser Organismus, dieser Körper der Kirche. Er erhält sich; die Stoffe gehen durch ihn hindurch seit zweitausend Jahren. Die Menschen, die diesen Leib bilden, wechseln, doch es ist immer die gleiche Kirche. Es gab diese Kirche von Rom im Wesentlichen schon, als Konstantin das Toleranzedikt erließ. Es gab die Kirche schon, als im Zirkus von Rom die Gladiatorenspiele stattfanden. Es gab die Kirche schon, als Johannes in Ephesus sein Evangelium verfasste; als Paulus die Briefe nach Korinth schrieb; sie reicht bis an Christus heran: immer das gleiche individuelle Gepräge, das gleiche individuelle Ich, etwas Lebendiges und darum auch Lebenschaffendes, etwas Lebenerzeugendes. Und wie hat diese Kirche trotz allen Anstürmen von Tod und Erstarrung lebenszeugend gewirkt im Lauf der Geschichte! Immer wieder gingen aus ihr Menschen von unglaublicher Lebendigkeit hervor, die lebenzeugend hinauswirkten! Sie ist trotz aller Mängel und Schwächen auch heute lebendig und erzeugt Leben nach dem Willen Christi. Sie erzeugt objektives und subjektives Leben.

Das objektive Leben ist der Anschluss an Christus. Christus nimmt uns auf und mit in seine Kirche. Das Christentum besteht, kurz gefasst, in nichts anderem als der Bitte (und ihrer Erhörung): „Jesus, mein Heiland, nimm mich mit zu deinem Vater!“ und dass Jesus das tut, den Menschen ergreift, an die Hand nimmt, ihn zu einem Kind seines Vaters macht, ihn hinführt zu Gott und sagt: „Siehe, Vater, das sind die, welche an deinen Namen glauben; sie sollen deine Kinder sein.“ Das ist es, was in der Kirche und durch die Kirche geschieht. Sie ist gleichsam der Raum, in dem man Christus trifft, in dem man sich an Christus angliedert, wo er die Seinen um sich sammelt, die er zum Vater führen will. Alle, die überhaupt je zum Vater kommen, gelangen zu ihm durch die Kirche. Das ist der Sinn des Wortes: „alleinseligmachend“. Das soll nicht heißen, dass ohne die äußere Zugehörigkeit zu ihrem Verband keine Seligkeit möglich ist; sondern: alle, die überhaupt je selig werden, werden es in der Kraft dieser Kirche; durch Kräfte, die von dieser Kirche ausgehen, von Christus aus und durch sie hindurch. Irgendwie hat sie gewirkt auf alle Seelen, die je zu Gott kommen; selbst wenn sie vielleicht nichts von der Kirche wussten, sie waren doch von ihr berührt. Jeder Mensch empfängt etwas von ihr, je nach seiner Empfänglichkeit und je nach den Verhältnissen, in denen er geboren wurde. Objektiv gibt sie Anschluss an Christus. Das Wort „Außerhalb der Kirche kein Heil“ ist richtig, stimmt. Man muss es nur richtig verstehen. Es besagt nicht, wer gerettet wird, sondern wodurch man gerettet wird; durch die Kirche.

Die Kirche ist die neue, von Christus auf die Erde gebrachte übernatürliche Wirklichkeit, die in irdischen Hüllen sich bezeugende göttliche Wahrheit und Gnade. Die übernatürliche Wesenheit der Kirche wirkt sich in erster Linie in ihren ursprünglichsten Schöpfungen aus, in Dogmen, Sitte und Kult. Das Dogma ist nichts anderes als die von der Kirche in unfehlbarem Lehrentscheid zu glauben vorgestellte Offenbarungswahrheit Christi. Alle Dogmen der Kirche tragen den Namenszug Christi. Sie wollen irgendeine Seite seiner Verkündigung ausprägen. Sie wollen den lebendigen, erlösenden, regierenden und richtenden Christus nach allen Werken seiner geschichtlichen Entfaltung uns vor Augen stellen. Die Dogmen der Christologie beschreiben die Person des Gottmenschen. Die Dogmen von der Erlösung beschreiben sein Heilswirken im Leben, Leiden und Sterben sowie zur Rechten des Vaters. Die Dogmen von der Dreifaltigkeit führen in das Innere des göttlichen Lebens. Die marialogischen Dogmen beschreiben die leiblichen natürlichen Zusammenhänge der Menschheit Jesu und sein Erlöserwirken gegenüber der eigenen gebenedeiten Mutter. Die Dogmen von der Gnade begründen die neue Grundstimmung der Erlösten: Liebe, Friede, Freude im Heiligen Geist. Die Dogmen von der Kirche und den Sakramenten beleuchten die Vermittlung des neuen Lebens an die Menschen. Die Dogmen von den Letzten Dingen beschreiben Jesus als den Richter und Vollender.

Untrennbar von der Glaubenslehre und gleichberechtigt mit ihr ist die Sittenlehre. Die kirchliche Sittlichkeit hat das Ziel, die Gläubigen christusförmig zu machen. Die Nachfolge Christi steht im Mittelpunkt der kirchlichen Sittenlehre. Die Kirche aller Jahrhunderte ringt um die Verwirklichung des Bildes Christi, um die Umsetzung seines Geistes im einzelnen Menschen. Die christliche Sittenlehre ist genauso Ausdruck der göttlichen Wahrheit wie die Glaubenslehre. Das Konzil von Trient hat ein für allemal festgestellt: Das Evangelium Christi ist die Fundstelle sowohl der Glaubenslehre wie der Sittenlehre. Sie wird allen Menschen und allen Zeiten durch die Heilige Schrift und die mündliche Überlieferung zugänglich gemacht. Der Alte Bund ist abgelöst durch den Neuen Bund, das alte Gesetz durch das neue Gesetz. Das neue Gesetz ist wesentlich ein inneres Gesetz. Es liegt in der heiligmachenden Gnade, in der Gnadengemeinschaft mit Christus und seinem mystischen Leib, sofern dieser (durch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe) zur Norm und Triebkraft des Handelns wird. Das neue Gesetz ist wesentlich nicht ein Gesetz der Worte und der Schrift, sondern eine innere Lebenskraft. Der Christ ist befähigt und von ihm wird erwartet, dass er sein Leben im Heiligen Geiste lebt. Das neue Gesetz ist auch das in Worten verkündete Gesetz Christi. Hierher gehören positive Gesetze z.B. über den Empfang der Sakramente. Außerdem hat Christus die grundsätzliche Vorschrift gegeben, der sichtbaren Kirche (und ihren Gesetzen) Gehorsam zu leisten. Die sittlichen Gebote des Neuen Bundes sind weithin mit dem Naturgesetz identisch. Das Moralgesetz des Alten Bundes ist in seinem Kern die normative Definition des natürlichen Menschen. Weil dieser nicht mit jenem Bunde endet, so gilt sein Moralgesetz für alle Zeiten fort, aber in der Seins- und Lebensordnung Christi in neuer, erfüllter Weise. Die in Schrift und Überlieferung enthaltenen sittlichen Normen sind genauso verbindlich als göttliches Recht wie die Sätze der Dogmatik. Die wichtigste Erkenntnisquelle für die christliche Sittenlehre bilden die unfehlbaren Lehrentscheidungen der Päpste und der Allgemeinen Konzilien. Sie erstrecken sich zunächst auf die geoffenbarten Wahrheiten, können aber auch Wahrheiten der natürlichen Ethik entscheidend festlegen. Auf gleicher Stufe stehen die durch das ordentliche Lehramt der Kirche (z.B. durch die einstimmige Lehre aller Katechismen) als christliche Sittenlehre verkündeten Wahrheiten. Die Kirche kann nur erklären, dass eine Handlung als schwere Sünde verboten ist, wenn sie dieses Verbot in der Offenbarung findet. Dass geschlechtliche Betätigung außerhalb der Ehe eine Sünde ist, das ist ein moralisches Dogma.

Der kirchliche Kult ist christusverwoben und christuserfüllt. Jede gottesdienstliche Handlung ist ein Hinweis auf Christus, ein Erinnern an ihn. Ja, noch mehr. Der kirchliche Kult ist nicht bloß ein Erinnern an Christus, sondern ein Teilhaben an Jesus und seiner Erlöserkraft, ein erquickendes Berühren des Saumes seines Gewandes, ein befreiendes Betasten seiner heiligen Wunden. Das ist der tiefste Sinn der kirchlichen Liturgie, den Erlösersegen Christi als heilige Wirklichkeit gegenwärtig und fruchtbar zu machen. Im Mittelpunkt der gottesdienstlichen Handlungen der Kirche stehen die sieben Sakramente. Die Sakramente sind nichts anderes als die sichtbare, durch das Wort Christi und den apostolischen Gebrauch verbürgte Gewähr, dass Jesus mitten unter uns wirkt. Im Sakrament der Taufe strömt Christi Opferblut in die Seele, reinigt sie von allen Schwächen der Erbschuld und durchtränkt sie mit seinen eigenen heiligen Lebenskräften, auf dass ein neuer Mensch daraus werde, der wiedergeborene Mensch, der Mensch der Gotteskindschaft. Im Altarsakrament teilt Jesus sein Innerstes mit, sein Ich, seine gottmenschliche Persönlichkeit. So sehr liebt Jesus seine Gemeinde, dass er sie nicht nur mit seinem Segen und seiner Kraft erfüllt, sondern dass er sie mit seinem wahrhaften gottmenschlichen Ich durchlebt, dass er sie mit seinem Wesen verbindet. In der Handauflegung der Priesterweihe überträgt Christus seine messianische Vollmacht, seine Sendegewalt an die von ihnen berufenen Jünger, um durch sie (fortzeugend) die neuen Menschen zu erwecken. Dogma, Sitte und Kult offenbaren das Bewusstsein der Kirche, übernatürlichen Geblüts, Christi Leib zu sein. Wir können Jesus nicht vergessen, ob die Jahrhunderte und Jahrtausende dahingehen. Immer ist er in unserer Mitte, in unserem Bewusstsein, in unserem Herzen, der lebendige, der ewige Christus.

Die Form, in der das übernatürliche Leben der Kirche dargeboten wird, ist das Amt. Christus, der Verklärte, ist der Quellgrund der Vollmachten in der Kirche. Alle diese Vollmachten werden in seinem Namen geübt, gehören im eigentlichen, tiefsten Sinn ihm an. Die Autorität der Vollmachten kommt nicht von unten, von der Gemeinde, sondern von oben, von Christus. Sie können also nicht umgekrempelt, umgemodelt werden. Das kirchliche Amt ruht auf der Nachfolge der Apostel, auf der durch Handauflegung erfolgenden Fortleitung jener Sendegewalt, welche die Apostel von Christus empfangen haben. Diese apostolische Sendegewalt ist, nach ihrem inneren Wesen betrachtet, nichts anderes als die messianische Vollmacht Jesu. Hinter dem kirchlichen Amt steht Jesus selbst. Er ist die Hauptursache aller kirchlichen Funktionen, ihr letzter Kraftquell und Wirkungsgrund. Der Mensch ist nur Werkzeug von all dem, was Christus selbst in der Kirche lehrt und heiligt und anordnet. Das Amt ist wesentlich Dienst Christi, das heißt ein Dienst, der im Namen und Auftrag Christi allein vollzogen wird und von der Autorität Christi her ausschließlich seine Bedeutsamkeit hat. Das heißt im Einzelnen: Das kirchliche Lehramt ist an das Wort des Herrn gebunden: Nur einer sei euer Lehrer, Christus (Mt 23,10). Wenn der katholische Priester das Wort verkündet, so verkündet, wie Christus es gewollt hat, dann predigt Christus selbst durch ihn. Weil die Verkündigung an Christus ausschließlich gebunden ist, darum hält die Kirche unerbittlich an der überkommenen Christusbotschaft fest. Die Geschichte der kirchlichen Lehrverkündigung ist nichts anderes als die Geschichte ihres zähen Festhaltens am Evangelium Jesu. Wenn sie deswegen des Starrsinns geziehen wird, so ist diese Beschimpfung in Wahrheit die Anerkennung ihres göttlichen Wesens. Noch unmittelbarer steht Christus hinter dem sakramentalen Wirken der Kirche. Die sakramentale Gnade wird nicht durch die persönlichen, sittlich-religiösen Bemühungen des Sakramentenspenders oder des Sakramentenempfängers erzeugt, sondern durch den bloßen Vollzug des sakramentalen Zeichens. Der sakramentale Akt vermittelt tatsächlich die Gnade des Erlösers. Die Wirkursache der Gnade ist ausschließlich Christus selbst. Christus ist der einzige und eigentliche Gnadenspender. Nicht das Menschliche an der Kirche heiligt, sondern die Kraft Christi allein. Da gibt es keine menschlichen Mittler. Da ist Christus allein am Werk. Ähnlich ist die Hirtengewalt der Kirche eine Stellvertretungsgewalt. Alle Maßnahmen der menschlichen Hirten sind, wenn sie ihre Stellung richtig verstehen, von dem Bewusstsein der Kirche getragen, im Namen und in der Kraft Christi zu entscheiden. Das leuchtende Ziel, die leitenden Grundsätze und die entscheidenden Mittel der Ordnung in der Kirche sind Geist Christi, in seiner Wahrheit, Liebe und Kraft geborgen. Das Band, das die Kirche und ihre Glieder zusammenhält, ist vom Herrn der Kirche geschlungen, von dem, der unser Leben ist.

Die Kirche erzeugt subjektives Leben, das wir in unserem Bewusstsein fühlen. Sie gibt erstens Führung durch ihre Verkündigung, ihre Glaubens- und Sittenlehre. Diese Führung ist vielen ein Stein des Anstoßes, sie widerspricht dem Prinzip der Autonomie. Aber realistisch ist dieser Einwand nicht. Denn das meiste, was wir geistig haben, beruht nicht auf selbständiger Forschung, sondern ist empfangen von anderen. Wir müssen übernehmen, was andere geschaffen haben. So können wir übernehmen, was Christus geschaffen hat, also die Verkündigung der Kirche und die Folgerungen, die daraus gezogen wurden. Die Kirche führt mehr von innen heraus als durch äußere Proklamationen. Sie führt durch das gesamte Bewusstsein des Glaubens, durch die Luft, die im Bereich des kirchlichen Glaubens herrscht, die wir einatmen, die uns eingeprägt ist. Das Wesentliche ist der gesamte Geist, der in ihr herrscht.

Die Kirche ist zweitens eine Gemeinschaft und bietet Gemeinschaft. Sie wirkt gemeinschaftsbildend. Wo immer eine Vielheit von Seelen unter dem gemeinsamen Gnadeneinfluss Christi steht, da wird aus der Vielheit die Einheit, Christus wird das Haupt, die Glieder wachsen zusammen. Ein einziger nährender Gnadenstrom kreist durch sie, von Seele zu Seele, ein unzerreißbares Gewebe von Bruderliebe schließt sich um alle ihre Glieder. Man kann faktisch in ihr immer Menschen von gleichartiger Gesinnung, von gleichartiger Herzensbildung finden, Menschen, mit denen man zusammen gehen kann. Je mehr die Glieder der Kirche dem Herrn der Kirche treu sind und im Heiligen Geiste wandeln, dero inniger ist ihre gegenseitige Verbundenheit. Die Apostelgeschichte konnte von der Urgemeinde in Jerusalem schreiben: „Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32). Aber auch Einsamkeit kann man in der Kirche finden. Es lässt sich ein Winkel finden, wo man für sich ist, mit Gott allein, so wie man auf dem Höhepunkt der Opferfeier, in der heiligen Wandlung, faktisch immer mit Gott allein ist. Da schweigt der Chor, da verstummt der Volksgesang, da stellen die Menschen das gemeinsame gesprochene Gebet ein, da ist nur noch Jesus und ich. Das ist das Glück der heiligen Messe, die wir feiern. Schon mancher Gläubige hat mir gesagt: In dieser heiligen Messe kann ich beten. Die Kanonstille ist von der Kirche in Schutz genommen worden. Das Konzil von Trient erklärte in seiner 22. Sitzung: Wenn jemand sagt, der Ritus der römischen Kirche, wonach die Konsekrationsworte und ein Teil des Kanons der Messe mit leiser Stimme gesprochen werden, sei zu verwerfen, der sei ausgeschlossen.

Die Kirche gibt uns drittens Innerlichkeit und sichtbaren Ausdruck und umfasst damit unser ganzes Wesen. Sie hat eine innere Welt und baut sie uns auf. Der katholische Christ weiß sich mit Gott verbunden, ja geeint. Er vermag allein und in der Einsamkeit sich Gott zuzuwenden, ihn zu fragen, auf ihn zu hören. In der Innerlichkeit wird er Gottes inne. Selbst die einfachsten katholischen Menschen und vielleicht gerade sie tragen eine innerliche Wirklichkeit in sich. Ein katholischer Christ kann nicht ein ganz oberflächlicher Mensch, ein ganz äußerlicher Mensch werden; er hat immer etwas Inwendiges. Die Innerlichkeit immunisiert gegen die Außenlenkung des Menschen. Die Inwendigkeit des katholischen Menschen ist nicht ins Unsichtbare verbannt; sie sucht sich Ausdruck, sie ist sichtbar geworden im Lauf der Geschichte, in der Kunst der Kirche, in ihren Gottesdienststätten, in ihren Gottesdiensten und Zeremonien, in ihren Festen und Feiern, in allen katholischen Menschen. Wenn man in unserem religiös zerrissenen deutschen Land durch die Städte und Dörfer fährt, erkennt man den katholischen Charakter häufig an den Weg- und Feldkreuzen, an dem Marienbild unter der Linde, an den Kapellen der Heiligen.

Die Kirche ist etwas Göttliches. Man soll an sie glauben, wie man an ein Werk Gottes glaubt. Wir brauchen uns nicht irremachen zu lassen durch das Menschliche an der Kirche. Wir sind in der Kirche und wir bleiben in der Kirche, weil sie etwas Göttliches ist und Göttliches enthält. Vor dieser Kirche gibt es kein Ausweichen, von ihr gibt es keine Flucht, für sie gibt es keinen Ersatz. Glieder können den Leib nicht verlassen. Sie können abgeschnitten werden. Aber dann müssen sie sterben. Christus, der Herr, ist das eigentliche Ich der Kirche. Die Kirche ist der von den Heilandskräften Jesu durchrieselte Leib. Die Wahrheit des Gottesreiches ist in den kirchlichen Glaubenslehren verkörpert, die Gnade des Himmelreiches in den heiligen Kultushandlungen. In beiden lebt Christus fort, um als die Wahrheit und Gnade des Heiles den Gläubigen zuteil zu werden. Die Kirche ist die Menschwerdung des Evangeliums, die mystische Verkörperung Christi. Wir können sie lieben, wie man etwas Göttliches liebt, etwas, was von Gott kommt, etwas, was Jesus Christus gemacht hat; sie ist sein Lebenswerk.

Amen.

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