Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Juli 2018

Gottes Gebote

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gott ist der Schöpfer Himmels und der Erde. Er hat seiner Schöpfung Gesetze gegeben, die sie einhalten muss, wenn sie einen gedeihlichen Verlauf nehmen will: einerseits die Naturgesetze, andererseits das Sittengesetz, die Gebote. Gebot bedeutet die verpflichtende Willensäußerung eines rechtmäßigen Oberen. Fordert das Gebot eine Unterlassung, spricht man von Verbot. Gott ist Gesetzgeber, der heilige, ewige, universale und höchste Gesetzgeber. Das Sittengesetz ist Ausdruck seines gebietenden Willens. Wenn wir von den Geboten Gottes sprechen, denken wir meistens an das Zehn-Gebote-Gesetz, an den Dekalog. Und das ist richtig, denn das Zehn-Gebote-Gesetz vom Berge Sinai ist grundlegend. Es ist die Summe des natürlichen Sittengesetzes. Es hat verpflichtende Kraft für Menschen aller Zeiten und aller Zonen. Christus hat dieses Gesetz zu dem seinen gemacht und es vertieft. Auch das dritte Gebot ist ein Naturgesetz. Der Mensch ist nämlich verpflichtet, eine bestimmte Spanne der Zeit Gott zu widmen. Im Alten Bund war das der Sabbat, im Neuen ist es der Sonntag. Die Kirche hat die Verfügung darüber, wann dieses Gebot zu erfüllen ist. Die Juden haben ihr Gesetz sehr ernst genommen. Sie haben 365 Verbote und 248 Gebote aufgestellt. Der Mensch ist zum Gehorsam gegen Gottes Gebot verpflichtet. Gehorsam ist die von der Gerechtigkeit geforderte sittliche Tugend, die geneigt macht, den Anordnungen der rechtmäßigen Obrigkeit zu folgen. Wir schulden Gott Gehorsam. Unser Gehorsam ehrt Gott. Er zeigt, dass wir ihm unterworfen sind und dass wir uns ihm unterwerfen. Der Gehorsam zeigt, dass wir ihm die zukommende Anerkennung zollen. Das Geschöpf verhält sich seinsgerecht, wenn es sich seinem Schöpfer unterordnet. Gott ist der Herr; die Menschen sind seine Diener. Die erste Pflicht ist die gewissenhafte Erfüllung des Willens Gottes. Dafür sind wir auf der Welt: seinen Willen zu tun. Wer Gott gehorsam ist und seine Gebote hält, wird gleichsam ein Mitarbeiter Gottes in seinem Vorsehungsplan. Er gliedert sich ein in die Absichten, die Gott über die Welt hat. Das Mittun des Menschen ehrt Gott und zeigt unsere Verehrung seiner Majestät. Der Gehorsam gegen Gott zeigt an, dass der Mensch seinen Schöpfer und Erlöser kennt. Das bloße theoretische Wissen um Gott genügt nicht. Das echte Wissen um Gott, die erste und echte Erkenntnis führt zum Anschluss an ihn mit Herz und Hand. So schreibt der Apostel Johannes: „Daran erkennen wir, dass wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten.“ Also die Erfüllung der Gebote Gottes zeigt, dass wir ihn kennen. Und nicht nur das. Wenn wir seine Gebote halten, zeigen wir auch unsere Liebe zu ihm. „Die Liebe zu Gott besteht darin“, sagt Johannes, „dass wir seine Gebote halten.“ Sie ist also kein Gefühl, sie ist eine Tat. Nicht kalter, sondern liebender Gehorsam soll die Quelle unserer Gebotserfüllung sein.

Die Beobachtung der Gebote Gottes hat zahlreiche wohltätige Wirkungen. Die Gebote machen uns klug. „Es macht mich dein Gebot viel klüger als meine Feinde“, heißt es im Psalm 118, den wir Priester an jedem Sonntag beten. Es macht mich dein Gebot viel klüger als meine Feinde. Die Gebote machen klug, weil sie uns Einblick geben in den Willen Gottes. Sie sagen uns, was Gott von uns erwartet. Sie lassen uns die Skala der Werte erkennen. Die Gebote lehren uns die rechte Einschätzung der irdischen Dinge. Sie zeigen uns, was wichtig und was unwichtig ist. Die Gebote geben uns Orientierung für unser Wollen, Denken und Handeln. Sie lehren uns, wie es in einem Kirchengebet heißt, durch die irdischen Dinge hindurchzugehen, ohne die ewigen zu verlieren. Die Gebote lehren uns, wie wir mit unserer Seele umgehen müssen, was wir tun müssen, damit sie ein würdiger Tempel des Heiligen Geistes ist. Sie lehren uns die Mittel kennen, die wir gebrauchen müssen, um die Tugenden zu erwerben, die unsere Seele schmücken. Die Gebote machen uns auch auf die Gefahren aufmerksam, die den Adel der Seele gefährden. Die Gebote Gottes sind ein Halt, eine Stütze, ein Anker in unserem Leben. Sie sind dem Wechsel enthoben, denn Gott bleibt sich selbst treu. Seine Gebote ändern sich nicht. Solange sich die menschliche Natur nicht ändert, ändern sich auch die Gebote Gottes nicht; das sei all diesen verkehrten Moraltheologen gesagt, die von einem Wandel der Gebote sprechen. Die Gebote, die das sittliche Verhalten des Menschen betreffen, bleiben dieselben, weil die Natur des Menschen dieselbe bleibt. Es ist ein Ausfluss der Treue Gottes, dass seine Gebote Bestand haben. Wer sich an sie hält, irrt sich nicht. Er weiß: Gott ist die ewige Wahrheit; er täuscht nicht und er kann nicht getäuscht werden. Wer sich an die Gebote Gottes hält, findet Halt im Leben und im Sterben. Sie sind ein Schutz gegen die Versuchung. Sie zeigen uns, wie minderwertig das ist, was die Versuchung uns vorstellt. Die Gebote stärken unseren Willen zur Abwehr. In Trübsal und Bedrängnis versichern sie uns der Hilfe und der Nähe Gottes. „Mich trafen Angst und Not, doch deine Vorschriften sind meine Wonne“, haben wir Priester heute morgen im Psalm 118 gebetet. Die Treue zu Gottes Geboten macht den Gläubigen unerschütterlich. Am 16. Oktober 1946 wurde in Nürnberg der ehemalige Generaloberst Alfred Jodl durch den Strang hingerichtet. Seine Frau, eine gläubige Christin, betete angesichts des furchtbaren Schicksals ihres Mannes den Psalm 118. „Wenn dein Gesetz nicht meine Wonne wäre; in meinem Elend wäre ich längst vergangen“, so schreibt sie in ihrer Biographie. Wenn dein Gesetz nicht meine Wonne wäre; in meinem Elend wäre ich längst vergangen.

Alle Gebote Gottes sind verbindlich, denn alle haben die Autorität Gottes für sich. An der Spitze der Gebote steht das Liebesgebot: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit all deinen Gedanken.“ Das ist das erste Gebot; ein zweites ist ihm gleich: „Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst.“ An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz. Christus hat es bekräftigt und vertieft und zum Kennzeichen der Seinigen gemacht: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebet, wie ich euch geliebt habe.“ Im Christentum ist die Liebe zu Gott aufs Innigste mit der Liebe zu den Menschen verknüpft. Wir haben dieses Gebot von ihm. Wer Gott liebt, liebt auch seinen Bruder; und nicht nur seinen Bruder, er liebt auch seinen Feind: „Liebet eure Feinde und betet für eure Verfolger.“ Es gibt keine Religion auf dieser Erde, meine lieben Freunde, die sich zu einer solchen Höhe der Sittlichkeit erhoben hätte wie das katholische Christentum. Unter den übrigen Geboten ist eines, das von besonderer Tiefenwirkung und überragender Bedeutung ist: das Gebot des rechten Gebrauches der menschlichen Geschlechtlichkeit. Der Schöpfer der Natur hat auf die heimlichste und unheimlichste Naturkraft ein Werk der Gnade aufgebaut und damit diese Naturkraft gebändigt und geweiht. Die Gebote Gottes lehren uns den gottgewollten Umgang mit der geschlechtlichen Anlage des Menschen. Sie zeigen uns den rechten Gebrauch der geschlechtlichen Kräfte und wehren dem Missbrauch. Die Gebote entsprechen der Vernunft und der Natur des Menschen. Was ist es ein Gewinn, meine lieben Freunde, die außereheliche und die voreheliche Keuschheit zu bewahren, was ist das ein Gewinn – das Gebot Gottes verlangt es. Was bringt es einen Segen, das Begehren des Fleisches in der Ehe zu zügeln – Gott fordert es. Nicht so, wie mir einmal ein Chefarzt sagte: „Nach dem Essen soll man rauchen oder seine Frau gebrauchen“ – nach diesem Prinzip hat er offenbar gelebt. Wie geeignet und wie gesegnet sind Eheleute, die Kindern, die aus ihrer Gemeinschaft entspringen, das Leben schenken – Gott will es: „Seid fruchtbar und mehret euch.“ Aber kaum ein anderes Gebiet der Ausstattung des Menschen wird so häufig missbraucht wie die Anlage zur Fortpflanzung. Kaum ein Missbrauch ist so gefährlich wie die Verkehrung der Geschlechtskraft. Ich erinnere an den heiligen Augustinus, von dem das Wort stammt: „Die Welt wäre nicht ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre.“ Wie viel Gehässigkeit und Tücke, wie viel Hass und Streit würden vermieden, wenn die Menschen sich auf geschlechtlichem Gebiete dem Willen Gottes unterordnen würden. Wie viel Unglück, Elend und Qualen würden vermieden, wenn die Menschen sich an die Gebote Gottes über die Geschlechtskraft halten würden. Es war bisher ein Kennzeichen aller nichtchristlichen Religionen, aber auch aller Abspaltungen von der katholischen Kirche, dass sie Gottes Willen über dem Geschlechtsleben missachten. Der Protestantismus gibt die Selbstbefriedigung frei, er hat nichts gegen den vorehelichen Geschlechtsverkehr, er gestattet die beliebige Empfängnisverhütung, er ist auch bereit, die Abtreibung zuzugestehen, und hat keine Einwände gegen die homosexuelle Betätigung. Der Protestantismus ist auf der ganzen Linie vom Gesetz Gottes abgefallen. Der so genannte Reformator Martin Luther hat das protestantische Dogma von der Unwiderstehlichkeit des Sexualtriebs aufgebracht. Damit hat er der Menschheit ein willkommenes Alibi für ihre Zügellosigkeit gegeben. Der Trieb ist nicht unwiderstehlich, der Trieb ist so stark, wie man ihn werden lässt. Phantasien, Lektüre, Bilder, Gespräche, Speise und Trank können ihn nähren. Es gibt Mittel, ihn zu bändigen, aber man muss sie anwenden.

Die Erfüllung des Willens Gottes, das Halten seiner Gebote erfüllt den Menschen mit Befriedigung und Freude. Der Gehorsam gegen Gottes Willen verschafft dem Menschen Ruhe. Das Gewissen, das sich Gott unterordnet, ist im Frieden. Wer die Gebote Gottes beobachtet, weiß sich im Einklang mit seinem Willen. Es ist beruhigend und beglückend, das eigene Tun mit dem Willen Gottes in Übereinstimmung zu wissen. „Wer deine Lehre liebt, hat tiefen Frieden“, heißt es in einem Psalm. Wer deine Lehre liebt, hat tiefen Frieden. Die Beobachtung der Gebote bewahrt unsere Würde als Menschen. Die Sünde ist ja nicht nur eine Auflehnung gegen den gesetzgeberischen Willen Gottes, die Sünde ist auch ein Verstoß gegen die Würde des Menschen. Im Ungehorsam stört oder zerstört der Mensch seine Gottebenbildlichkeit. Die Gebote appellieren an die Einsicht und die Vernunft des Menschen, die ihn vom Tier unterscheiden, die Gebote bändigen die Begierde und die Triebhaftigkeit, die den Menschen verschlingen können. Ich höre den Einwand: Die Gebote oder manche Gebote sind schwer, ja zu schwer, sie gehen über die Menschenkraft hinaus. Besonders häufig beklagen sich Menschen über die Normen der geschlechtlichen Sittlichkeit, wie sie die katholische Kirche vorlegt. Nach dem Kriege besuchte mich einer meiner früheren Gymnasiallehrer. Es war die Zeit, in der Papst Paul VI. die Enzyklika „Humanae vitae“ vorlegte. Sie brachte nichts Neues, sie hat nur die immerwährende Lehre der Kirche von Neuem vorgelegt. Mein Lehrer erklärte, die Befolgung dieser Gebote sei unmöglich. Was ist dazu zu sagen, meine lieben Freunde? Gott wäre ungerecht und grausam, wenn er jemanden zu einem Gebote verpflichten wollte, das dieser nicht erfüllen kann. Augustinus hat schon die Antwort auf den Einwand gegeben: „Gott gebietet nicht Unmögliches, sondern Vollkommenes.“ Was ein Mensch leisten, aber auch was er aushalten kann, sieht man, wenn er in eine Zwangslage gestellt wird. Denken wir an schwere Krankheit, Siechtum, an den Krieg, an Unglück. Nicht umsonst schreibt Immanuel Kant: „Du kannst, wenn du willst. Du kannst, weil du musst.“ Beherrschung, Beschränkung, Maßhalten sind auf allen Gebieten des menschlichen Lebens unverzichtbar. Auch ohne Gottes gebietenden Willen vermag der Mensch einzusehen, dass Ordnung und Zucht nützlich und hilfreich, ja unentbehrlich sind. Gott gebietet nicht Unmögliches, sondern Vollkommenes. Christus selbst sagt: „Mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht.“ Und der heilige Johannes, sein Lieblingsjünger, schreibt: „Seine Gebote sind nicht schwer.“

Der Mensch ist also fähig, sich an sie zu halten. Warum? Johannes gibt die Lösung an. „Alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und das ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube.“ Im Glauben ist es möglich, Gottes Gebote zu erfüllen. Der Glaube gibt die Kraft, Schweres zu tragen. Er lehrt uns, dass die Leiden dieser Zeit – und man kann ja an den Geboten leiden – nicht zu vergleichen sind mit der Herrlichkeit, die einst an uns offenbar werden soll. „Alles, was in den Geboten Gottes dir schwer scheint, wird leicht, wenn du die Liebe hast“, hat Antonius von Padua gepredigt. Alles, was in den Geboten Gottes dir schwer erscheint, wird leicht, wenn du die Liebe hast. Wir wissen, was wir, wenn wir die Liebe haben, für einen Menschen leisten können, was die Liebe fertig bringt, welche Opfer sie zu erbringen fähig ist. Die Liebe zu Gott nährt unsere Kraft und stärkt unseren Willen.

Gottes Gebote, meine lieben Freunde, gelten für den Einzelnen, sie gelten auch für die menschlichen Gemeinschaften: für die Gesellschaft, für den Staat. Aber die gesetzgebenden Organe der meisten Staaten setzen sich über den gebietenden Willen Gottes hinweg. Ihre Gesetzgebung vollzieht sich gewissermaßen unter Ausschluss Gottes. Die einzige Begründung, die sie geben: Die Mehrheit will es so. Diese Begründung ist unhaltbar. Keine noch so hohe Mehrheit von Menschen darf sich über den gesetzgebenden Willen Gottes hinwegsetzen. Vor einigen Monaten hat sich eine überwältigende Mehrheit des irischen, einst katholischen Volkes für die Freigabe der Abtreibung ausgesprochen, mit ⅔ Mehrheit. Wohin ist das katholische Irland gekommen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil? Wohin ist es gekommen? Wie soll, meine lieben Freunde, auf einem Land und Volk der Segen Gottes ruhen, dessen Staatsorgane fortwährend das Gesetz Gottes missachten und seine Gebote mit Füßen treten? Es kann einem Volke nicht zum Heile sein, wenn der Staat die Gebote Gottes verwirft. Gott ist kein Schattenkönig. Er lässt seiner nicht spotten. Er hat zwar nicht alle Tage Zahltag, aber wenn er einmal Zahltag hat, dann trifft es den Schuldigen mit dem Unschuldigen. Wir haben Grund, meine lieben Freunde, Gott für seine Gebote zu danken. Sie sind Ausdruck seiner Liebe zu den Geschöpfen. Wir haben Grund, seine Gebote zu schätzen. Sie schützen uns als Geschöpfe und Kinder Gottes. Wir Gläubigen gehen nicht in die Irre. Wir verlaufen uns nicht. Wir verirren uns nicht. Wir schreiten auf der Bahn Gottes, denn wir spüren seine führende Hand. Es ist ein unsagbares Glück, Gottes Willen über unserem Leben zu kennen. In Psalmen heißt es: „Wie habe ich dein Gesetz so liebgewonnen; den ganzen Tag sinne ich darüber nach. Des Herrn Gesetze sind gerecht. Sie machen froh die Herzen.“ Wenn wir am Ende unseres Lebens, meine lieben Freunde, auf unsere irdische Laufbahn zurückschauen und wenn wir uns erinnern, wie die Gebote Gottes durch uns erfüllt worden sind, dann werden wir mit Paulus sprechen können: „Ich weiß, wem ich geglaubt habe.“

Amen.

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