Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Dezember 2017

Christus, der gottmenschliche Mittler

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Märchen sind eine schöne Gattung der Literatur. Man kann aus ihnen vieles lernen. Und zumal den Kindern werden in der Gestalt der Märchen manche Lebensweisheiten vermittelt. Aber wenn die Märchen von Schneewittchen, von Hänsel und Gretel und vom Froschkönig in der Weihnachtszeit aufgeführt werden, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Ich fürchte, dass manche die Unwirklichkeit der Märchen auf die Geschichte von Jesus Christus übertragen, und das wäre ein kapitaler Irrtum. Christus ist geschichtliche Wirklichkeit. Er lebte in einer angebbaren Zeit innerhalb der Geschichte. Sein Leben ist wie jedes geschichtliche Ereignis einmalig und unwiederholbar. Aber dieses Leben sprengt auch wieder jede Geschichte, denn in seinem Verlauf vollzog sich das Geheimnis unseres Heiles. Durch das Leben Christi verwirklicht Gott seinen Heilsplan. Bis dahin war er ein verheißenes Gottesgeheimnis, in Christus Jesus ist er offenbar geworden. In Christus ist das Geheimnis unseres Heiles verwirklicht, weil und insofern er der menschgewordene Sohn Gottes ist. Der menschgewordene Sohn ist das Werkzeug, ja, geradezu die Verwirklichung des göttlichen Heilsplanes. Er selbst ist unser Heil. Wer zum Heil kommen will, muss Anteil an ihm gewinnen. Er muss Anteil an der Lebensform gewinnen, die durch ihn in die Welt gekommen ist, an der unvergänglichen Existenzweise, die wir in seiner Auferstehung erfahren haben. Er ist Mittler und Bürge jener unvergänglichen Existenzweise, die wir erhoffen und der wir entgegengehen. Er ist es, weil er Gott und Mensch ist, weil in ihm die menschliche Natur heimgeholt ist zu Gott. In ihm ist das Leben Gottes selbst in die menschliche Natur eingeströmt. Damit wurde eine neue, bis zur Menschwerdung des Sohnes Gottes nicht vorhandene Daseinsweise begründet. Niemand anders verwirklicht sie als Christus. Wer ihrer teilhaftig werden will, muss deswegen in Gemeinschaft treten mit ihm. Christus schlägt die Brücke zwischen Mensch und Gott, nein, er ist die Brücke. Er ist nicht nur der Brückenbauer, er ist die Brücke. Diese Brücke muss betreten, wer über den Abgrund, der Gott und Welt trennt, hinüberkommen will. Er ist es, weil er göttliche und menschliche Natur in sich vereint. Jesus Christus ist der Mittler, und zwar der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen. Der Mensch kann nur in der Gemeinschaft mit Christus des Heiles teilhaftig werden. Die Taufe verleiht Teilnahme am Tode und an der Auferstehung Christi. Wir sind auf seinen Tod und seine Auferstehung getauft. Die Macht dieses Geschehens ist auf uns übertragen. Und so wird die Verbindung mit dem entscheidenden mittlerischen Tun Jesu gewährt. Adam war der Mittler des Unheils, Christus ist der Mittler des göttlichen Lebens. Die Erlösung geschieht nicht – wie der Mythos behauptet – dadurch, dass der Mensch an das Göttliche in seiner eigenen Brust appelliert, nein, sie besteht darin, dass der von der Welt verschiedene persönliche Gott aus seiner Verborgenheit heraustritt, den Menschen ergreift und ihn aus seiner Verlorenheit rettet. Nicht ein zeitloses Himmelswesen ist der Mittler, sondern der in die Geschichte eingegangene Jesus von Nazareth. Auch Johannes stellt in seinem Evangelium allen, die sich als Führer zu Gott anbieten, den einen entgegen, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Niemand kommt zum Vater als durch ihn. Er ist die Tür, die in die Unzugänglichkeit Gottes führt. Denjenigen, die nicht durch sie eingehen, bleibt der Zugang versagt. Das mittlerische Eintreten Jesu gipfelt in der Fürbitte und in seinem Sterben. Das Sterben hat sühnende Bedeutung für uns. Christus vollzieht sein Mittleramt als der Auferstandene und Verherrlichte im Himmel.

Der Sohn Gottes ist Mittler geworden durch die Menschwerdung. Da wurde er innerhalb der Menschheit die Mitte zwischen Gott und der Schöpfung, die Mitte, in der Gott und Mensch zusammenkommen. Da wurde er der Stammvater eines neuen Geschlechtes, der zweite Adam, Anfang einer neuen Zeit. Dadurch dass Christus eine menschliche Natur annahm, ist er mit der gesamten Menschheit verbunden. Er ist das Haupt der Schöpfung. Die Schöpfung hat in ihm seinen Bestand. Ja, die Schöpfung ist auf ihn hin erschaffen worden. In der Menschwerdung wurde das göttliche Leben in menschliche, also leiblich-geistige Formen gebunden. Die menschliche Natur Christi wird dadurch hinaufgehoben zur personalen Einheit mit dem göttlichen LOGOS. Infolge des Zusammenhanges mit dem ganzen Weltall wird auch dieses erhöht. In Christus fällt ein Strahl auf die ganze Schöpfung. Sie wird geweiht und gesegnet. Die Kirche drückt diese Tatsache aus im Martyrologium von Weihnachten. In dem Martyrologium heißt es nämlich: Jesus Christus, ewiger Gott und Sohn des ewigen Vaters, wollte die Welt durch seine geheimnisvolle Ankunft heiligen. Die Welt ist anders geworden, seitdem Christus erschienen ist, ob sie es wahrhaben will oder nicht, ob sie sich dagegen sträubt oder nicht; die Welt ist anders geworden, seitdem Christus erschienen ist. Es ist ein Lebenskeim in sie eingesenkt worden, der freilich erst am Ende der Zeiten voll aufgehen wird, dann, wenn das Weltall umgewandelt wird in den neuen Himmel und die neue Erde. Die Erde aber ist durch Christus geweiht, auch wenn sie es selbst nicht weiß oder wenn sie es gar ablehnt.

Die Menschwerdung, die der Sohn Gottes aus unermesslicher Liebe vollzog, begreift die Entschlossenheit in sich, das menschliche unter der Sünde stehende Schicksal auf sich zu nehmen und aufzuarbeiten. Dazu gehört auch die Bereitschaft zum Sterben. Die Menschwerdung ist die Einleitung, aber noch nicht die Ausführung. In ihr ist der Weg zur Erlösung eingeschlagen, aber noch nicht durchschritten, sondern Jesu ganzes Leben ist Vollzug seines Mittlertums. Was immer er tut, ob er geht oder steht, ob er isst, ob er leidet, ob er trauert: er tut es als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Immer ist es das göttliche Ich, das in der menschlichen Natur existierende göttliche Ich, das geht oder schläft, leidet oder spricht, schweigt oder droht. Das ganze Leben Jesu von der Geburt bis zum Tode bildet die Verwirklichung des göttlichen Heilsplanes. Das Christusmysterium, welches das Heilsmysterium für uns ist, erfüllt das ganze geschichtliche Leben Jesu. Es entfaltet sich im Nacheinander des Lebensvollzug. Die Erlösung geschah also nicht durch einen einzelnen Akt, auch nicht nur durch das Kreuzesopfer, sondern durch das ganze menschliche Leben Jesu. Dieses Leben brachte in seiner Gesamtheit die Erlösung. Dadurch, dass Gott in die Schwäche der menschlichen Natur einging und in ihr über die Erde schritt, wurde die Möglichkeit geschaffen, dass der Mensch Gott wieder begegnet und ihn ergreift. Im Tode wird der Sinn dieses Lebens nochmals in deutlicher Weise zusammengefasst. Er bildet deswegen den Höhepunkt des Pilgerlebens Jesu. Und in der Auferstehung zeigt sich der Erfolg solchen Sterbens. Nach der Verfügung des Vaters im Himmel gehören zur Verwirklichung des Heilsgeheimnisses vor allem Tod, Auferstehung und Himmelfahrt. Der Tod gehört nicht dazu aufgrund einer Willkürbestimmung Gottes, sondern weil der Sohn in freiem Entschluss das menschliche Leben auf sich nahm, das auch unter dem Gesetze des Todes steht. Das Wort Gottes, der um unserer Sünden willen über die Menschen den Tod verhängte, ist Wahrheit. Und dieser Wahrheit musste sich auch der menschgewordene LOGOS beugen. Die Kirche weiß, warum sie neben die Krippe die Steinigung des Stephanus stellt. Mit der Himmelfahrt ist das Mittlertum Christi noch nicht vollendet, es setzt sich im Himmel fort, denn der erhöhte Herr tritt immerfort für uns ein, er zeigt dem Vater seine Wunden. Sein Mittlertum findet seine Vollendung erst in jenem Akt, wenn er die ganze Welt dem Vater übergibt, damit dieser alles in allem sei, und das ist ein nie vergehender Akt, und deswegen wird das Mittlertum Christi ewig bleiben. Christus ist freilich dem Tod anders unterworfen als wir. Er ist ihm unterworfen, weil er ihn in freiem Gehorsam bereitwillig auf sich nimmt. Alle anderen sind dem Tod wider Willen unterworfen, sie müssen sterben. Sein Tod ist jedoch nicht losgelöst von Auferstehung und Himmelfahrt. Das Todesgeschehen erfährt erst in Auferstehung und Himmelfahrt seine Erfüllung. In diesen drei Vorgängen vollzieht sich in vorzüglicher Weise das heilschaffende Tun Jesu. Und wir müssen sehen, dass das ganze Leben Jesu vom ersten Augenblick an auf Tod, Auferstehung und Himmelfahrt ausgerichtet ist. Das Heilsgeschehen musste durch den Tod des Heilsmittlers hindurchgehen. Christi Leben stand von der Geburt an unter dem Gesetz des Todes. Er wird geboren in der Fremde. Die nächtlichen Stunde der Geburt, die Unterkunft in einem zugigen Stalle, die Abweisung in den Herbergen, die Verfolgung des Herrschers, die Flucht in ein fremdes Land, diese Umstände und Ereignisse bei der Ankunft des Erlösers zeigen an, wie es weitergehen wird in diesem Leben. Es war eine Hinbewegung auf den Tod. Christus hatte den Sinn seines Pilgerlebens erst erfüllt, als er am Kreuze sprechen konnte: „Es ist vollbracht.“

Die Person und das Leben Jesu, meine lieben Freunde, sind unvergleichlich und beispiellos. Sie leiden keinen Vergleich und kein Nebeneinanderstellen mit anderen Menschen. Eine göttliche Person, die mit einer menschlichen Natur, also mit Seele und Leib, verbunden ist, hat es nur einmal gegeben und kann es nur einmal geben. Ein Leben, das in der Wiege vom Engelglanz erfüllt ist, und bei dessen Ende sich die Sonne verfinstert, ein solches Leben ist absolut einmalig und unerhört. Die Entstehung des Christentums wäre völlig unerklärlich, wenn das Erdenleben Jesu von dem Leben eines beliebigen Lehrers oder Propheten sich nicht grundsätzlich unterscheiden würde. Eine Herrschernatur, eine Königsgestalt ist Jesus, und doch wäscht er den Seinen die Füße. Streng ist sein Wille, herb bis zur Schroffheit, und doch kann er lieben so zart und weich, wie es nur eine Mutter kann. Ganz Gottes ist er, durchweiht vom Gebet langer Nächte, und doch verweilt er gern bei Zöllnern und Sündern. Den Unendlichkeiten des Überirdischen, dem Blick in himmlische Weiten hat er sich ergeben, doch sieht sein Auge das Kleine und Kleinste auf Erden und sein Herz erfreut sich an den Blumen des Feldes. Ein Feuerbrand ist er, aufkochend in prophetischem Zorn, und doch trägt er schweigend den größten Schimpf. Ein Einziger und Einsamer ist er, und doch liebt er die Menschen, wie sie nie jemand geliebt hat und stirbt für sie. Das ist Jesus, der Mann des klaren Wollens, der Mann der zielsicheren Tat. In seinem ganzen Leben ist kein Augenblick auffindbar, wo er überlegt, wo er unschlüssig ist, wo er schwankt oder wo er ein Wort oder eine Tat zurücknimmt. Der Gottessohn betritt diese niedere Welt vom Himmelsthron herabsteigend und doch von der Herrlichkeit des Vaters nicht weichend auf neue Art, in neuer Geburt geboren. Auf neue Art, weil er unsichtbar in seiner göttlichen Natur sichtbar geworden ist in unserer menschlichen Natur. Der Unbegreifliche wollte begriffen werden. Der vor den Zeiten Dauernde begann da zu sein in der Zeit. Der Herr des Weltalls nahm Knechtsgestalt an, indem er die Unermesslichkeit seiner Majestät überschattete. Der leidensunfähige Gott verschmähte es nicht, ein leidensfähiger Mensch zu werden. Der Unsterbliche hielt es nicht unter seiner Würde, sich dem Gesetz des Todes zu fügen. Er, der allen Nahrung gibt, hungerte. Er, der allen Trunk geschaffen hat, dürstete. Er, der uns den Weg zum Himmel weist, wurde auf seiner Erdenwanderung müde und ruhte am Jakobsbrunnen aus. Er wollte nicht lehren, was er selbst nicht war. Er wollte nichts fordern, was er selbst nicht tat. Wäre er nicht wahrer Gott, so brächte er keine Erlösung. Wäre er nicht wahrer Mensch, so böte er uns kein Beispiel. Hätte er nicht die menschliche Natur angenommen, hätte er uns nicht erlösen können. Wir könnten seiner Gottheit nicht teilhaftig werden, wenn er nicht teilhaft geworden wäre unserer Sterblichkeit. Das größte, meine lieben Freunde, alles andere überragende Ereignis der Geschichte ist die Ankunft des Erlösers. Der Geburtstag Christi ist jedem sonstigen Geschehen in dieser Welt unendlich überlegen. „Darum ihr Christen, erhebet eure Häupter, denn es naht eure Erlösung.“

Amen.

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