Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Oktober 2017

Was dünkt euch vom Messias?

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das heutige Evangelium ist von grundlegender Bedeutung für unseren Glauben und für unseren Umgang mit den getrennten Christen. Jesus nimmt auf den Lehrsatz der Schriftgelehrten Bezug, dass der Messias der Sohn Davids sei. Er fragt: „Was dünkt euch vom Messias? Wessen Sohn ist er?“ Sie antworten: „Davids.“ Sohn Davids war geläufiger Name des Messias im Volke und in den Schriften der Rabbinen. Die Davidsohnschaft des Messias wird auch im Alten Testament wiederholt ausgesprochen. Die herrschende jüdische Messiaserwartung knüpfte an die davidische Herkunft des Messias die Vorstellung, der Messias werde das Königtum Davids wiederherstellen, nur in erhöhtem Glanze, aber nicht mehr. Jesus greift die zu niedrige, irdische, politische Messiasidee der Rabbinen an. Er tut es unter Berufung auf David selbst. David ist ja der vom Heiligen Geist inspirierte Verfasser der Psalmen, auch des Psalmes 110, wo es heißt: „Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten.“ Er sagt etwas viel Größeres über den Messias aus, denn er nennt ihn „Herrn“ und lässt ihn zur Rechten Gottes thronen. Jesus stellt nach dem Schriftbeweis seinen Gegnern die rhetorische Frage: „Wie kann der Messias der Sohn Davids sein, wenn David ihn seinen Herrn nennt?“ – den Sohn nennt man doch nicht Herrn. Er will sagen: Wenn David selbst den Messias in solcher Weise neben Gott stellt, dann kann dessen Abstammung von David unmöglich seine eigentliche Bedeutung, sein wahres Wesen aussprechen, dann entspricht auch die landläufige Vorstellung von seinem Reiche nicht der Wirklichkeit.

Nun hat Jesus während seines irdischen Wirkens vermieden, sich als Messias zu bezeichnen. Erst am Ende, bei seinem Einzug in Jerusalem, ist er als Messias aufgetreten. Und vor dem Hohen Rat legte er auf die ausdrückliche Frage des Hohenpriesters hin ein klares Bekenntnis zu seiner Messiaswürde ab und ging dafür in den Tod. Den Dämonen, die ihn als den Heiligen Gottes, den Sohn Gottes bekannten, gebot er Schweigen, ebenso den Jüngern nach dem Bekenntnis ihres Glaubens an seine Messiaswürde, auch ihnen legte er strenges Schweigen auf. Warum? Der Grund für sein Schweigegebot liegt in den falschen Messiasvorstellungen seiner Zeitgenossen. Die einen erwarteten einen Propheten, andere einen Gesetzeslehrer, wieder andere einen Träger engelhafter Kräfte, weitere einen Priesterkönig oder einen politischen Herrscher. Einig waren sie sich darin, dass der Messias der politische Befreier Israels vom Joch der Fremdherrschaft der Römer und der glanzvolle Erneuerer des davidischen Königtums sein werde. Von dieser Vorstellung war Jesu Messianität weit entfernt. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Es ist ein rein geistiges, religiöses Reich und fordert als Bedingung für seinen Zutritt die Umkehr, die Bekehrung, die ständige religiöse Erneuerung, die höchste sittliche Anspannung. Die Knechtschaft, von der er das Volk befreien will, ist nicht die Herrschaft der Römer, es ist die Gewalt Satans, es ist die Gewalt der Sünde, es ist die Gewalt des Sich-Verlierens an die Welt; von diesen Mächten will er befreien. Jesus konnte deshalb überhaupt nicht mit der Botschaft vor die Juden treten, dass er der Messias sei, ohne ein kolossales Missverständnis seiner Sendung und seiner Person zu veranlassen und die Gefahr der Entfesselung einer politischen Bewegung und damit des Eingreifens der römischen Besatzungsmacht. Darum hat er die Selbstbezeichnung Messias in seiner Predigt stets vermieden und sich schlicht als den Menschensohn bezeichnet.

Der Messias der jüdischen Erwartungen war eine bloß menschliche Gestalt. Eine Fülle von Selbstaussagen Jesu führt dagegen über ein rein menschliches oder ein bloß prophetisches Bewusstsein hinaus. Er weiß sich als gottgesandt und in seiner Wirksamkeit vom Willen Gottes abhängig. Das göttliche „Muss“ bestimmt sein ganzes Leben. Der göttliche Wille ist niedergelegt in der Schrift des Alten Bundes. Jesus hat das Bewusstsein, der leidende Gottesknecht zu sein, wie ihn der Prophet Isaias geschildert hat, und er hat gleichzeitig das Bewusstsein, der Menschensohn in Herrlichkeit zu sein, wie ihn der Prophet Daniel geschildert hat. Er verbindet den leidenden Gottesknecht des Isaias mit der Herrlichkeitsgestalt des Daniel. Das Leiden und die Niedrigkeit sind ebenso Teil seines messianischen Amtes wie die Herrlichkeit und die Macht. Infolgedessen ist er nicht erst der kommende Messias, nein, er ist schon während seines irdischen Lebens der Messias, aber der Messias, wie Gott ihn will, und nicht, wie die Menschen ihn sich ausdenken. Dazu gehört vor allem, dass mit seinem Wirken, namentlich mit der Überwindung der Dämonen, die Gottesherrschaft angebrochen ist. „Wenn ich durch den Finger Gottes die bösen Geister austreibe, dann ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ Er ist nicht bloß der Verkünder des Gottesreiches, er ist der Bringer des Gottesreiches. Er ist der Stärkere, der den Satan überwindet. Seine Wundertaten sind nicht Gebetserhörungen, sondern sie werden durch sein eigenes machterfülltes Wort vollbracht. Er ist der Menschensohn und als solcher Herr über den Sabbat, über das heilige Gebot Gottes, den Tag des Sabbats zu heiligen. Er vergibt auf Erden Sünden. Er beansprucht für seine Worte absolute Autorität. „Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte werden nicht vergehen.“ Er erklärt die Schriftauslegung der Schriftgelehrten und die Überlieferung der Alten für wertlos. Er stellt sich über das alttestamentliche Gesetz, das er kraft eigener Vollmacht außer Geltung setzt und überbietet. Er verwirft die Ehescheidung, die im Alten Bund gestattet war, er verwirft die rituellen Reinheitsgebote, auf welche die Rabbinen den größten Wert legen. Und in den Antithesen der Bergpredigt heißt es: „Den Alten ist gesagt worden…, ich aber sage euch…“; da sieht man den Gegensatz. Ihm nachfolgen, ist wichtiger als die Pflichten gegen die Eltern, denn von seiner Nachfolge hängt das Heil ab. „Wer sich meiner Worte schämt vor diesem ehebrecherischen Geschlecht, vor dem wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommt in der Hoheit seines Vaters mit den heiligen Engeln.“ Um seinetwillen muss man alles, auch das Leben preisgeben. „Wer das Leben erhalten will, der wird es verlieren. Wer aber das Leben um meinetwillen verliert, der wird es finden.“ Deshalb ist es eine furchtbare Schuld, andere im Glauben an ihn irre zu machen. „Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, dem wäre besser, es würde ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt.“ Durch sein Blut, das Sühnekraft für die Vielen hat, stiftet er eine neue Heilsordnung. „Das ist mein Blut des Bundes, das für euch und für viele vergossen wird.“ Ihm steht als dem künftigen Richter, der in Herrlichkeit und Macht erscheinen wird, die Sammlung der Auserwählten und das entscheidende Endgericht zu.

Er ist der Sohn Gottes, aber in einem einzigartigen Sinne, in einem Sinne, der sich von den anderen Söhnen Gottes – die Herrscher, die Könige bezeichneten sich auch als Söhne Gottes – unterscheidet. Sooft Jesus von Gott als den Vater spricht, macht er einen Unterschied von meinem Vater und eurem Vater. Er fasst sich niemals zusammen mit den Jüngern. Das Vaterunser ist Jüngergebet und stellt deswegen keine Ausnahme dar. Er ist Gottes einziger Sohn als präexistenter Messias, der Herr seines Stammvaters David; er ist der Sohn ohnegleichen. Er strebt nicht erst nach Vollkommenheit, wie es die anderen sollen, nein, er weist andere auf sein Beispiel hin. Er ist größer als Salomon, größer als die Propheten, größer als der Tempel, ja größer als die Engel des Himmels, die seine Diener sind. Er ist der wesensgleiche Sohn Gottes. Er sitzt zur Rechten der Kraft – mit der Kraft ist Gott gemeint –, d.h. des Vaters. Er ist der Herr neben seinem Herrn. Er kommt in der Herrlichkeit seines Vaters zum Gericht, das der Vater durch ihn vollzieht. Er ist es, der dabei mit göttlicher Macht die Scheidung der Auserwählten und der Verworfenen vornimmt. Sein Richterspruch hat Ewigkeitsgeltung. Das Reich der Vollendung ist sein Reich. In der Messiasanschauung, in dem Messiasbewusstsein Jesu lässt sich keine Entwicklung feststellen, wie es bei Menschen ja üblich ist, nein. Schon der Zwölfjährige weiß sich durch den Willen seines Vaters stärker gebunden als durch elterliche Autorität. Dass Jesus nicht erst im Laufe seiner Wirksamkeit über die nähere Art seiner Aufgabe zur Klarheit gekommen ist, beweist die Versuchungsgeschichte, die ja am Anfang steht. Schon damals hat er das volle Bewusstsein seiner Wesenheit. Und dass er nicht erst als sein Misserfolg beim Volke offenkundig und der Widerstand seiner Feinde immer heftiger wurde, zur Erkenntnis gelangte, dass ihm von seinem Vater der Tod bestimmt sei, ergibt sich aus der Begründung seines Sterben-Müssens. Er ist der leidende Gottesknecht. Er leidet nicht, weil er Unglück gehabt hat, weil es Prophetenschicksal ist – wie der Kardinal Kasper behauptet –, nein, er leidet, weil das Leiden wesensnotwendig zu seiner Sendung gehört. Durch Leiden erlöst er, und nur durch Leiden erlöst er.

Es ist mir schmerzlich, zu sagen, meine lieben Freunde: Die wahre Gottessohnschaft Christi ist im Protestantismus mehrheitlich aufgegeben. Die größten protestantischen Theologen verwerfen die Gottheit Christi. Das muss deutlich ausgesprochen werden wegen des verhängnisvollen Ökumenismus. Die einen beten Jesus an, wir gläubigen katholischen Christen, die anderen sagen: Das ist Götzendienst. Ja, wollen Sie mit solchen Leuten zusammen beten? Ich nenne einige Namen: Für Friedrich Schleiermacher, angeblich den größten Theologen des 19. Jahrhunderts, ist Christus die Vollendung der Schöpfung des Menschen, also Jesus ein idealer Mensch, jawohl, aber nicht mehr, kein Gott. Die Aussage, dass Jesus Christus Gott ist, besagt nach Albrecht Ritschl, dass ihm Bedeutung für die Rechtfertigung zukommt. Das ist keine Aussage über seine Natur, sondern über seinen Wert, ein Werturteil, kein Seinsurteil. Ja aber, meine lieben Freunde, wie soll denn ein Wert existieren, wenn er keine Seinsgrundlage hat? Nach Albert Schweitzer – den Sie ja alle kennen – war Jesus ein eschatologischer Prophet. Er hat das unmittelbar bevorstehende Weltende verkündet, aber er hat sich getäuscht. Nach Adolf von Harnack, dem großen, dem angeblich bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts, ist Jesus der religiöse Genius des Menschengeschlechtes, der auf einzigartiger Weise mit dem himmlischen Vater verbunden ist; aber er ist ein bloßer Mensch, nicht mehr. Der evangelische Theologe Reinhold Seeberg bezeichnet es als Wahn – also als Verirrung –, den Christus des Johannesevangeliums als einen auf Erden wandelnden Gott zu verstehen; das ist nach Seeberg ein Wahn. Und von dem, den man als größten Theologen unserer Zeit bezeichnet, dem Marburger Theologen Rudolf Bultmann, von dem müssen wir sagen: Er lehnt die Gottheit Christi radikal ab. „Indem wir sagen: Jesus ist Gott“, so schreibt er, „bedienen wir uns der mythologischen Ausdrucksweise eines vergangenen Zeitalters. Eine solche Aussage ist überholt und missverständlich. Die Formel ‚Christus ist Gott‘ ist falsch in jedem Sinne.“ Ich wiederhole noch einmal diesen Satz von Bultmann: „Die Formel ‚Christus ist Gott‘ ist falsch in jedem Sinne.“ Wie können wir mit Menschen, die derartige Vorstellungen von unserem Herrn und Heiland haben, gemeinsam bekennen oder gemeinsam beten? Der Gegenstand des Bekenntnisses und das Ziel des Gebetes sind doch wesentlich verschieden, widersprechen sich, schließen sich aus. Ungläubige Theologen, meine lieben Freunde, mögen noch so viel über ihre Vorstellungen von Jesus formulieren, wir wollen uns an sein Wort und an seine Taten halten. Sie bezeugen: Jesus von Nazareth ist der gottgesandte Messias. Er ist der wesensgleiche Sohn Gottes. An diesem Glauben hängt unsere Rettung, hängt unser Heil, hängt unser ewiges Leben.

Amen.

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