Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. Oktober 2016

Vom Gebrauch der Zeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Nichts ist kostbarer als die Zeit, denn sie ist der Preis der Ewigkeit. Unsere ganze Seligkeit hängt von der Zeit ab. Haben wir die Zeit übel verwendet, werden wir bestraft, haben wir sie nützlich verwendet, werden wir belohnt werden. Ein jeder wird, je nach dem, was er in seinem Leibe Gutes oder Böses getan hat, empfangen. Gott hat die Zeit nicht um unseretwillen, sondern um seinetwillen, um seiner Ehre willen uns geschenkt. Denn wir sind auf Erden, um Gott zu dienen, ihn zu lieben und dadurch in den Himmel zu kommen. Gott will, dass wir die Zeit anwenden, ihn zu verherrlichen. Wer die Zeit nicht für Gott gebraucht, sondern sie seinem Dienste entzieht, der gleicht einem Knecht, der seinem Herrn die Zeit abstiehlt. Wehe, wenn wir die Zeit, die Gott uns gibt, müßig verstreichen lassen! Was nützte es, das sonstige Leben gut zuzubringen und keine schweren Sünden zu begehen? Der bloße Verlust der Zeit ist ein großes Übel und ein wahrhaft erhebliches Übel. Die Zeit, die einmal verloren ist, kehrt nicht wieder. Wo sind so viele verflossene Jahre hin? Jeder Tag, jede Stunde, jeder Augenblick konnte seine Verdienste haben, konnte hundertfältigen Nutzen bringen. Aber was haben wir damit getan? Was für einen Schatz haben wir gesammelt? Was wird in der Stunde des Todes sein? Wie schrecklich und traurig die zwei Worte: Ich konnte, aber jetzt kann ich nicht mehr. Lernen wir, meine lieben Freunde, jetzt so zu leben, dass die Todesstunde uns mehr Freude als Schrecken bringt. Manche schmeicheln sich mit der Hoffnung, lange zu leben. Aber tatsächlich können wir mit keinem einzigen Tag sicher rechnen. Wie viele haben sich mit einer falschen Hoffnung betrogen, alt zu werden? Und doch hat sie Gott abberufen zu einer Stunde, wo sie nicht bereit waren. Wenn wir jetzt nicht für uns selber sorgen, wer wird in Zukunft für uns besorgt sein? Wir werden vielleicht bald um die Frist eines Tages, ja einer Stunde flehen, um nicht ungebessert dahinzuscheiden, aber wir wissen nicht, ob wir diese Frist erhalten werden. Leben wir so, dass der Tod uns nicht unbereitet findet, nicht überraschend eintritt. Alles, was wir denken und tun, soll so gedacht und getan sein, als wenn wir heute noch sterben müssten. Wenn wir heute nicht bereit sind, wie werden wir es morgen sein? Der morgige Tag ist ein ungewisser Tag. Und wer hat es uns verbürgt, dass wir ihn erleben werden? Selig, wer die Stunde des Todes immer vor Augen hat und sich täglich zum Sterben rüstet. Jetzt, da wir noch Zeit haben, lasset uns Schätze sammeln, die nicht vergehen. Die Sorge für unser Heil, für unser ewiges Heil soll unser liebster, unser einziger Gedanke sein.

Auf den Tod folgt das Gericht, das Gott über uns abhalten wird. Dieses Geschehen sollte uns stets vor Augen stehen. In allem, was wir tun, sollen wir auf das Ende schauen und fragen: Wie werde ich vor dem strengen Richter bestehen? Vor dem strengen Richter, vor dem nichts verborgen ist, den keine Gabe bestechen kann, der keine Ausflüchte gelten lässt, der richtet nach Gerechtigkeit? Man kann die Zeit verschwenden mit geschäftigem Müßiggang, vielfältigem Geschwätz, ganz weltlichen Unterhaltungen, langen und unnützen Besuchen, mit Neugierde, alles zu sehen, zu wissen und zu hören, was draußen vorgeht. Wehe, wenn wir die uns anvertraute Zeit so vergeuden! Andere sind immer geschäftig und in Bewegung; sie sind rührig. Aber was ist die Quelle ihrer Unruhe und Bewegung? Ist es der Geist des Berufes, ist es die Pflicht, ist es der Wille Gottes, oder ist es nur die natürliche Unruhe, der Wissensdrang, die Neugierde, die dazu führt, dass man sich in unzählige Angelegenheiten einmischt, die uns nichts angehen? Das heißt, die Zeit verschwenden, die Zeit unnütz verbringen. Andere verrichten die Arbeiten, die ihnen aufgetragen sind, und doch sind ihre Zeit und ihre Augenblicke verloren. Warum? Weil sie alles nur aus menschlichen Rücksichten tun. Sie haben nicht das große Ziel vor Augen, Gott zu verherrlichen, Gott zu dienen, seine Sache voranzubringen. Kann, was nachlässig und aus zeitlichen Interessen getan wird, kann das vor Gott angenehm sein? Hier auf Erden können wir den Menschen etwas vormachen. Hier gelten wir als tüchtig oder tugendhaft. Aber die Menschen urteilen nach dem Augenschein, Gott schaut ins Herz. Dort fallen die Entscheidungen für oder gegen Gott, im Herzen. Unser Leben muss nicht nur im äußeren Tun einwandfrei und gottgefällig sein, sondern auch in der inneren Gesinnung. Wir müssen aus rechtem Antrieb, aus reinen Motiven, aus lauteren Absichten handeln. Das muss unser Bestreben sein: unsere Motive zu läutern, unsere Absichten zu reinigen. Nicht dafür arbeiten, dass wir von Menschen gelobt und anerkannt werden, sondern dafür arbeiten, dass wir Gottes Ehre mehren. Die Selbstsucht, die Selbstliebe, das Selbstlob, das muss besiegt werden. Werden wir selbstlose, selbstvergessene Menschen.

Aber, meine lieben Freunde, was ist mit der Vergangenheit? Ist sie ganz verloren? Können wir ihr nur Tränen nachschicken? Können wir nichts mehr daran ändern? Gar nichts? Doch, meine lieben Freunde, es gibt einen dreifachen Trost, auch bezüglich unsres vergangenen Lebens, auf das wir mit Sorge und Scham zurückschauen. Welches ist dieser dreifache Trost? Erstens: Wir können und sollen bereuen, was wir gesündigt und verfehlt haben. Reue kommt nie zu spät. Reue ist auch nie überflüssig. Reue wird von Gott immer angenommen, wenn sie echt ist. Reue ist der Schmerz der Seele aus Liebe zu Gott, der Schmerz der Seele ob unserer Verfehlungen. Man hört manchmal höhnische Kommentare zu Männern und Frauen, die in älteren Tagen sich von ihrem sündhaften Leben abgekehrt haben und sich der Religion, der Frömmigkeit zugewandt haben, die ihre Sünden bereuen und Gutes zu tun unermüdlich bemüht sind. Solche Leute werden oft verspottet: Im Alter werden sie fromm! Ja, warum nicht? Wenigstens im Alter. Jetzt, wo sie alt sind, sei es Gott gedankt, dass sie ihr sündhaftes Leben beendet haben, dass sie heimgefunden haben zum Gott der Erbarmung und Vater allen Trostes, Gott sei es gedankt. Was ist daran zu höhnen? Seit wann ist eine Bekehrung tadelnswert? Und wenn sie spät erfolgt, so ist es doch nicht zu spät. Die Arbeiter der elften Stunde im Evangelium gehen nicht leer aus. Sie erhalten denselben Lohn wie die Arbeiter der ersten Stunde. Gott sieht ihre Wende, ihre Reue, ihre Bemühung, gut zu machen, was sie früher unter dem Ansturm der Leidenschaft an Unrecht getan haben. Zweitens: Die Vergangenheit ist nicht völlig unerreichbar für uns, denn wir können Gott bitten, er möge verhüten, dass andere durch uns Schaden genommen haben. Gott kann bewirken, dass unser Fehlverhalten nicht unseren Mitmenschen zum Ruin wird, dass selbst das Ärgernis, das wir gegeben haben, kein Unheil hervorruft; Gott kann es bewirken. Es ist nicht zu spät, für die Menschen zu beten, von denen wir wissen, ahnen oder befürchten, dass wir ihnen ein schlechtes Beispiel gegeben oder mit ihnen gesündigt haben. Wir können flehen: „O Gott, lass keinen, der mir begegnet ist, mit dem ich zu tun hatte, durch mich Schaden genommen haben.“ Gott hat dieses unser Gebet vorausgesehen und um dieses Gebetes willen den Partnern unserer Schwächen und Verfehlungen Gnade erwiesen. Unser Gebet kommt nicht zu spät. Drittens: Schließlich sollten wir für alle beten, denen wir wissentlich oder unwissentlich Unrecht getan oder Schaden zugefügt haben. Und da wir dies ja nicht genau wissen, sollten wir Fürbitte einlegen für alle Menschen, denen wir im Leben begegnet sind: „O Gott, lass keinen von denen verloren gehen, die mir in meinem Leben begegnet sind. Möchten wir uns doch alle im Himmel der Freuden wiederfinden, versöhnt mit Gott und versöhnt miteinander in der seligen Anschauung der göttlichen Herrlichkeit.“ Das ist ein Gebet, das Gott annimmt. Wir sind nicht Herr unserer Zeit, meine lieben Freunde, wir dürfen sie nicht unnütz verbringen. Es gibt kein besonderes Gesetz, das uns eigens vorschreibt, wie wir sie anwenden sollen, aber es gibt das allgemeine Gesetz, das uns vorschreibt, die Zeit gut zu gebrauchen. „Kaufet die Zeit aus, denn die Tage sind böse“, so haben wir heute in der Epistel vernommen. Wie viel Zeit haben wir bis zu dieser Stunde verloren? Können wir uns auch nur auf einen einzigen Tag verlassen, den wir gut und nach Gottes Willen zugebracht haben? Wir müssen so viele böse Tage gutmachen, an denen wir bei Gott nichts verdient, nichts für den Himmel gewonnen haben. Böse Tage sind nicht jene, an denen wir Kreuz zu tragen und Trübsal zu erleiden haben – das sind keine bösen Tage, das sind gute Tage –, böse Tage sind die, die wir in einem trägen, nachlässigen und sündhaften Leben verbracht haben; das sind die bösen Tage. Sehen wir es als Glück an, wenn Gott uns noch Zeit gibt. Es ist dies eine der kostbarsten Gaben. Aber, wir haben keine Zeit zu verlieren. „Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle!“

Amen.

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