Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. Oktober 2013

Vernunft und Glaube

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Glaube verschafft Erkenntnisse, die über die Reichweite unserer menschlichen Vernunft hinausgehen. Der Glaube ist keine natürliche Vernunfterkenntnis, aber er setzt die natürliche Betätigung der Vernunft voraus. Es gibt ein Wissen, das dem Glauben vorhergeht, ihn als berechtigt und heilbringend darstellt. Wir katholischen Christen hängen nicht einem Köhlerglauben an. Wir ersetzen nicht das Denken durch Glauben, sondern wir denken, bevor wir glauben, und wir denken, wenn wir glauben. Der Glaube ist nicht blinde Zustimmung, sondern ein durch Vernunft und Gewissensgründe gestütztes Verhalten, Fürwahrhalten. Die Kirche bezeichnet den Glauben als ein obsequium rationabile. Der Glaube ist ein Gehorsam, der mit der Vernunft übereinstimmt, der vernunftgemäß ist. Die rechtgeleitete Vernunft vermag die Grundlagen des Glaubens aufzuweisen.

Diese Lehre gründet in der Heiligen Schrift. Moses beglaubigte seine Sendung von Gott durch Wunder, die er wirkte: Er schlug mit dem Stab an den Felsen, und es brach Wasser heraus. Die Propheten rechtfertigten ihre Autorität durch Wunder und triftige Beweisgründe. Christus selbst beruft sich auf das Zeugnis des Moses und auf das Zeugnis, das der Vater ihm gibt in wunderbaren Werken: „Wegen des Volkes, das herumsteht“, sagt er einmal, „wegen des Volkes, das herumsteht, sage ich, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.“ Das ist der Zweck der Wunder, sie sollen seine Sendung beglaubigen. „Wenn ich die Werke nicht unter ihnen getan hätte, die ich getan habe, dann hätten sie keine Sünde.“ Aber jetzt haben sie keine Entschuldigung. Die Apostel haben ihre Zuhörer durch Schriftbeweise und wunderbaren Taten auf den Glauben vorbereitet.

Eine vernunftgemäße Begründung des Glaubens ist möglich und notwendig. Sie ist in allen Jahrhunderten durch die christlichen Theologen versucht worden. Der heilige Augustinus hat einmal das schöne Wort, das bedenkenswerte Wort, geschrieben: „Niemand nimmt etwas im Glauben an, wenn er nicht zuvor zu der Überzeugung gekommen ist, es sei zu glauben“, es sei pflichtmäßig zu glauben. Niemand nimmt etwas im Glauben an, wenn er nicht zuvor, zuvor, zu der Überzeugung gekommen ist, es sei, eben aus Verstandesgründen, zu glauben. Die Theologen sprechen hier von praeambula fidei, also Dingen, die dem Glauben vorausgehen. Praeambula fidei sind Erkenntnisse, die logisch dem Glauben vorausgehen und ihn ermöglichen. Die menschliche Vernunft vermag Wahrheiten wie Gottes Dasein, Gottes Wahrhaftigkeit, Gottes Geistigkeit aus der Betrachtung der äußeren und inneren Welt zu gewinnen. „Gottes unsichtbares Wesen“, schreibt Paulus „das ist seine ewige Gottheit und Kraft, wird ersehen aus der Schöpfung und wahrgenommen an seinen Werken.“ Die Welträtsel lösen sich am einfachsten durch den Glauben an den unendlichen transzendenten Schöpfer. Wer nicht an Gott als den universalen und persönlichen Grund der geschaffenen Wirklichkeit glaubt, muss viele Verrenkungen der Vernunft in Kauf nehmen, um sich eine einigermaßen plausible Weltsicht, eine scheinbar plausible Weltsicht, zu verschaffen. Es gibt Glaubensmotive oder besser Glaubwürdigkeitsmotive; es gibt Gründe, die uns nahelegen: Gott hat gesprochen, Gott hat gehandelt. Es gibt eine übernatürliche Offenbarung. Glaubensmotive oder Glaubwürdigkeitsmotive sind die objektiven, wirksamen Beweggründe, die der Glaubende innerhalb seines Glaubensaktes als dessen tragenden Grund erfasst. Sie werden uns vermittelt durch äußere Tatsachen. Man liest die Schriften des Alten und des Neuen Bundes zunächst als bloße Erzeugnisse der Literatur. Die Vernunft aber vermag aufzuzeigen, dass es eine Heilsgeschichte gibt, die von der Profangeschichte unterschieden ist. Es gibt einen Gang der Ereignisse, der nicht allein durch innerweltliche Ursachen erfasst werden kann. Es gibt Geschehnisse, die nur durch Annahme einer Macht zu erklären sind, die außerhalb der Welt und ihr überlegen ist.

Denken Sie an die Person Jesu Christi. Der geschichtliche Nachweis, dass Jesus von Nazareth der Christus, der Sohn Gottes ist, ein solcher geschichtlicher Nachweis ist durchaus zulänglich. Am Leben und Wirken Jesu lässt sich, zunächst ohne jeden Rückgriff auf den Glauben, zeigen, dass seine Erscheinung Menschenmaß überschreitet. Seine Persönlichkeit ist einzigartig. Soeben hat Gerhard Lohfink ein Buch mit dem Titel „Gegen die Verharmlosung Jesu“ geschrieben. Ein notwendiges Buch, denn seit Jahrhunderten wird durch protestantische Theologen Jesus verharmlost, zu einem Wanderprediger gemacht, zu einem Propheten. Der Königsmantel der Gotteswürde wird ihm von den Schultern gerissen! – „ Gegen die Verharmlosung Jesu.“ – Seine Persönlichkeit ist einzigartig, seine Geschicke sind einzigartig. Als einmal jemand die Absicht äußerte eine neue Religion zu gründen, da antwortete ein französischer Philosoph: „Das ist ganz einfach: Sie brauchen nur zu sterben und wieder aufzustehen.“ Die Geschicke Jesu sind einzigartig, und seine Lehre ist einzigartig. Sie ist von einer Gewalt, von einer Kraft, von einer Schönheit, die ihresgleichen sucht.

Ein Glaubwürdigkeitsmotiv, vielleicht staunen Sie, ein Glaubwürdigkeitsmotiv ist auch die katholische Kirche, ein großes, beständiges Glaubwürdigkeitsmotiv. Dass diese Kirche existiert, dass sie sich behauptet, dass sie allen Verfolgungen trotzt, das ist natürlich nicht zu erklären. Selbst die Erscheinungen der Fäulnis in dieser Kirche zeugen von ihrem göttlichen Ursprung und ihrer göttlichen Leitung. Wir wissen, was Menschen der Kirche zufügen können, eitle, gewissenlose, eigennützige und gottvergessene Menschen. Die gibt es, Gott sei es geklagt, in der Kirche. Wir wissen, wie Menschen imstande sind, das Antlitz der Kirche zu verunstalten. Aber diese Kirche, diese geschändete und diese geschmähte Kirche, hat sich stets aus dem Niedergang erhoben, durch richtige und rechte Reformen sich erneuert. Das ist das Wunder dieser Kirche! Diese Kirche ist ein Wunder Gottes. Welche religiöse Organisation kann es mit den Heiligen der katholischen Kirche aufnehmen? Die Wahrheit des christlichen Glaubens erweist sich in den Menschen, die sich, belehrt von der Kirche, dieser Wahrheit beugen und sie zum Prinzip ihres Lebens machen. Durch ihr Dasein strahlen sie die Wahrheit der Lehre der Kirche aus. Die Kirche hat immer unzählige Menschen gebildet, die ihre Existenz durch die Höhe ihrer sittlichen Bewährung schmücken. In der französischen Revolution wurde die Kirche verfolgt, die Priester, Tausende von Priestern, wurden eingesperrt, misshandelt, getötet. Man versenkte sie in die Loire; Hunderte von Priestern wurden in der Loire ertränkt. Aber diese katholische Kirche behauptete sich, sie bestand weiter in der Öffentlichkeit und im Verborgenen. In Scheunen und Wäldern wurde das Messopfer dargebracht. Priester und Laien eilten durch die Nacht, um Kranken und Sterbenden den Heiland zu bringen. Bischöfe spendeten Weihen in privaten Wohnungen und hielten die Verbindung mit dem Nachfolger Petri aufrecht. Anders die französischen Protestanten: Sie verschwanden, sie hatten keine Märtyrer, die lösten sich auf. Die Pastoren nahmen andere Berufe an. Das ist der Unterschied. Welcher religiöse Verband, meine lieben Freunde, hat einen Heiligen wie Damian de Veuster? Im blühenden Jugendalter ging dieser flämische Priester nach Molokai, auf die Insel der Aussätzigen. Aussatz war damals eine unheilbare Krankheit und eine ansteckende Krankheit. Er nahm sich der Kranken leiblich und seelisch an, er zog sich selbst die furchtbare Krankheit zu. Er wurde aussätzig, aber er blieb bei den Kranken. Er ging nicht nach Brüssel in die Universitätsklinik, er blieb bei den Kranken. Er opferte sein Leben für seine geringsten Brüder im Glauben an den geopferten Gottessohn und in Liebe zu seinen Geschöpfen. Auf protestantischer Seite pflegt man Albert Schweitzer als einen „quasi Heiligen“ aufzustellen. Wir wissen, er war ein Theologe, der eine Reihe von Büchern verfasst hat. Er hat dann auch noch Medizin studiert und ging als Arzt nach Afrika, nach Lambarene, baute dort ein Krankenhaus auf. Sein Ruhm verbreitete sich über ganz Europa. Hilfe von allen Seiten floss ihm zu. Er selbst kehrte immer wieder in seine elsässische Heimat zurück, blieb körperlich unversehrt und erreichte ein hohes Alter. Wie kam Albert Schweitzer dazu, die Theologie und das Pfarramt aufzugeben? Die Antwort lautet: Schweitzer hatte den christlichen Glauben verloren! Nicht mehr und nicht weniger! Für ihn war Christus ein Mensch wie jeder andere. Ein bloßer Mensch, ein futurischer Messias, also nicht ein Messias in der Gegenwart, sondern in der Zukunft. Nach der Vorstellung, die Schweitzer von Jesus hat, nach dieser Vorstellung bricht das Reich Gottes durch eine kosmische Katastrophe noch zu den Lebzeiten Jesu an, spätestens aber nach seinem Tode. Jesus hat seine Wiederkunft nach seinem Tode vorausgesagt. Aber er hat sich geirrt! Das ist die Theologie von Albert Schweitzer! Das ist es, was für Schweitzer vom Christentum übriggeblieben ist. Kann er mit Damian de Veuster verglichen werden?

Die erwähnten natürlichen Erkenntnisse über Möglichkeit und Wirklichkeit der Offenbarung haben gewiss nicht die zwingende Evidenz wie mathematische oder experimentelle Beweise. Aber sie haben eine moralische Gewissheit, d.h. die erwähnten Erkenntnisse schließen jeden vernünftigen Zweifel aus. Sie geben uns das Recht zu sagen: Wir dürfen, ja wir sollen die Offenbarung annehmen. Freilich gehört zur Würdigung der Glaubensgründe auch eine Empfänglichkeit. Man muss wollen. Wer nicht will, dem kann man nichts beweisen. Es ist genug Licht da, um zu erkennen, aber es fehlt das Dunkel nicht, um diejenigen zu beruhigen, die nicht glauben wollen.

Zur philosophisch-historischen Erkenntnis gesellt sich bei der Vorbereitung des Glaubensaktes ein natürlicher Glaube, also das Vertrauen, das man normalerweise zu einem anderen Menschen hat. Das spielt ja in unserem Leben eine große Rolle: Wir nehmen üblicherweise an, was uns ein anderer berichtet, erzählt, mitteilt. Und die Bekenner und Lehrer des Glaubens verdienen ernst genommen zu werden. Man muss es ihnen abnehmen, dass sie von der Wahrheit des Glaubens überzeugt sind und dass sie die Wahrheit geprüft haben und dass sie durch die Bewährung der Wahrheit in ihrem Leben gefestigt worden sind. Sie konnten die Wahrheit sagen, und sie wollten die Wahrheit sagen. Vertrauen in ihre Wahrhaftigkeit verdienen zumal die Zeitgenossen und Zeugen des Christusgeschehens, also die Jünger Christi, die Urgemeinde, die Berichterstatter, die Autoren der biblischen Bücher. Es gibt Erklärer der Heiligen Schrift, die an die Bibel mit der Absicht herantreten, ihre Verfasser als Schwindler und Täuscher zu entlarven. Was sie suchen, das finden sie. Sie erklären die Schrift so, dass sie sich widerspricht und unglaubwürdig wird. Das ist die Hermeneutik des Verdachts, das ist die Interpretation der Widersprüchlichkeit. Es ist absurd und gegen jede wissenschaftliche Methodik, auch gegen jede psychologische Erfahrung, die Jünger Jesu, die Apostel und die Evangelisten als Fantasten und Spinner darzustellen. Sie haben Anspruch, ernst genommen zu werden. Erst recht gilt dies von Jesus. Meine Freunde, der Mann aus Nazareth war eine gesunde, normale, hochstehende geistige Persönlichkeit. Er hat nichts Fantastisches, Vernunftwidriges an sich. Jesus war kein Spinner; man kann ihm vertrauen. Und die Kirche, die jetzt sein Zeugnis weiterträgt, weiß sich der Wahrheit verpflichtet. Sie setzt jedes andere Interesse hinter die Wahrheit zurück, sie bringt die herbsten Opfer, wenn es die Wahrheit gilt. Die Kirche verdient Vertrauen.

Meine lieben Freunde, worum es mir heute geht, ist der Versuch nachzuweisen, dass unser Glaube der Vernunft nicht widerspricht, sondern vernunftgemäß ist. Ein obsequium rationabile, ein Gehorsam gegen Gott, der der Vernunft entspricht. Unsere katholische Religion vereint Vernunft und Glauben. Sie stellt sie nicht gegeneinander, sondern verbindet sie miteinander. Sie bewahrt die Eigenart von Vernunft und Glauben. Die Vernunft arbeitet mit natürlichen Mitteln, der Glaube empfängt eine übernatürliche Mitteilung. Die Kirche arbeitet die gegenseitige Verwiesenheit von Vernunft und Glauben heraus: Nicht Vernunft gegen Glauben, aber auch nicht Glauben ohne Vernunft, sondern Glaube, der auf die Vernunft verweist, und Vernunft, die zum Glauben führt.

Amen.

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