Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. April 2012

Die kleine Weile

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Herr spricht im heutigen Evangelium von der kleinen Weile. Er spricht so oft davon, dass es uns fast langweilig wird, so viel von der kleinen Weile zu hören. Wir können fragen: Was bedeutet die kleine Weile für Jesus? Darauf gibt es zwei Antworten. Die einen Erklärer sagen: nun, das ist die Zeit vom Karfreitag bis Ostersonntag. Und das ist ja nun wahrlich eine kleine Weile. Andere wie der hl. Augustinus sind der Meinung: Nein, das bedeutet die Zeit von der Himmelfahrt bis zur Wiederkunft des Herrn. Ist das eine kleine Weile? Für uns Menschen schon, aber nicht für Gott. Er rechnet mit ganz anderen Zeiträumen. Für ihn sind tausend Jahre wie ein Tag. Ich halte diese Erklärung des hl. Augustinus deswegen nicht für abwegig. Aber wir wollen an erster Stelle fragen: was bedeutet die kleine Weile für uns? Ich werde versuchen, darauf eine vierfache Antwort zu geben. Die kleine Weile ist

1. eine ernste Warnung.

2. eine eindringliche Mahnung,

3. ein beglückender Trost und

4. eine selige Hoffnung.

Die kleine Weile ist einmal eine ernste Wahrheit. In der Epistel des heutigen Tages wird diese Wahrheit begründet. „Ihr seid Fremdlinge und Pilger auf Erden.“ Also, ihr habt hier keine bleibende Stätte. Das ist ein Durchgang, das ist ein Übergang. Ihr müsst euch vorbereiten auf jenen Zustand, der ewig bleibt. Wir vergessen manchmal, dass wir nur kurze Zeit auf dieser Erde wandeln.

„Wir sind nur arme Gäste,

Und bauen doch so feste,

Und wo wir sollen ewig sein,

Da bauen wir so wenig ein.“

Wir richten uns zu häuslich auf dieser Erde ein und vergessen, dass wir nur eine kleine Weile hier sind, dass die Jahre so schnell vergehen. Und wenn es achtzig, fünfundachtzig Jahre sind, sie sind wie ein Traum vergangen, wie ein Rauch, der in den Himmel flieht. Das ist im kleinen so, das ist im großen so. Auch die Völker gehen dahin; wo sind die Hethiter, die Sumerer? Wo sind die Westgoten? Die Ostgoten? Sie sind alle von der Bildfläche verschwunden. In meiner Jugend sprachen vermessene Männer vom tausendjährigen Reich. Sie meinten damit die Herrschaft Adolf Hitlers. Das tausendjährige Reich hat zwölf Jahre gedauert. Der Bolschewismus hat es immerhin auf siebzig Jahre gebracht. Aber dann war auch er zu Ende. Im Jahre 361 versuchte Kaiser Julian der Abtrünnige, das Christentum noch einmal zu unterdrücken und das Heidentum wieder herzustellen. Die Tempel wurden wieder geöffnet. Der Sonnenkult wieder eingeführt. Die Christen wurden aus ihren Stellungen verdrängt. Es brach eine neue Christenverfolgung herein, aber die Christen verzagten nicht. Sie waren überzeugt, dass die Reaktion nicht anhalten werde. Und siehe da: nach zwei Jahren starb der Kaiser auf einem Feldzug in Persien. Der hl. Athanasius, ein Zeitgenosse, sprach damals davon: „Ein Wölkchen, das schnell vorüberzieht.“ Ein Wölkchen, das schnell vorüberzieht.

Die Gestalt dieser Welt vergeht. Alles wechselt und wandelt sich wie ein Gewand. Aus der Vergänglichkeit des Lebens gilt es, die rechte Folgerung zu ziehen. Sie kann nur darin bestehen, dass wir das Leben als einen Übergang ansehen, als eine Vorbereitung. „Die Welt ist eine Brücke, geh‘ hinüber, aber baue nicht dein Haus auf ihr.“ So mahnt ein versprengtes Jesuswort, das nicht in den Evangelien steht. Die Welt ist eine Brücke, geh‘ hinüber, aber baue nicht dein Haus auf ihr. Und unser großer katholischer Dichter Joseph von Eichendorff hat es wunderbar mit seinen Worten ausgedrückt:

„Die Welt mit ihrem Gram und Glücke

Will ich, ein Pilger, froh bereit

Betreten nur wie eine Brücke

Zu dir, Herr, übern Strom der Zeit!“

Die Vergänglichkeit des Lebens mahnt uns, das Ende ins Auge zu fassen. Und niemand mahnt uns besser als der Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi: „Sterblicher, denk ans Sterben! Alles, was du denkst und tust, soll so gedacht und getan sein, als wenn du heute noch sterben müsstest. Wenn du heute nicht bereit bist, wie wirst du es morgen sein? Der morgige Tag ist ein ungewisser Tag. Und wer hat es dir verbürgt, dass du ihn erleben wirst? Sei immer bereit und lebe so, dass der Tod dich nicht unvorbereitet findet. Wie glücklich ist der Mensch, der keine andere Sorge kennt, als so zu leben, wie er im Tode wünschen wird, gelebt zu haben.“ Von einem römischen Kardinal wird berichtet, dass er nach dem Grundsatz lebte: Als einer, der sterben wird, lebte er so, der weiß, dass er sterben muss.

Eine kleine Weile ist unser Leben und dann ist es vorbei. Und das ist eine ernste Warnung. Es ist aber auch eine eindringliche Mahnung. Wir wissen, dass vom irdischen Leben unser ewiges Schicksal abhängt. Wir dürfen deswegen nicht träge sein, nicht bequem, sondern müssen die Zeit benutzen. Wir müssen die Zeit „auskaufen“, wie uns der Apostel Paulus auffordert. „Kaufet die Zeit aus, denn die Tage sind böse!“ Der Glaube an Tod und Ewigkeit macht nicht arbeitsscheu, sondern arbeitswillig, denn wir wissen: am Ende des Lebens wird Abrechnung gehalten. „Verwalter, gib Rechnung von deiner Verwaltung! Du kannst nicht länger Verwalter sein.“ Da wird gefragt: was hast du mit deiner Zeit, mit deinem Gelde, mit deinen Kräften gemacht? Hast du deine Talente benutzt oder hast du sie in Bequemlichkeit vergraben?

„Das Leben ist ein leerer Krug, du hast ihn anzufüllen,

Und was du dir gesammelt hast, wird dich im Jenseits stillen.“

Die kleine Weile hält uns an, vor Anstrengung, Beschwerlichkeit und vor Schinderei nicht zu fliehen. In jedem Mensch, auch in uns, ist ja die Neigung, Lästiges zu meiden, ihm aus dem Wege zu gehen. Wir stehen so manchmal vor der Frage: soll ich diese Last, diese Mühe auf mich nehmen, oder soll ich es mir bequem machen? Da ist der Gedanke hilfreich: Gott erwartet unseren Dienst in Anstrengung. Gott hilft dem Schiffer, aber er muss rudern.

Zwei Gefahren bedrohen unsere Aussaat. Die Unterlassung und der Aufschub. Es gibt Unterlassungssünden. Man ist nicht nur verantwortlich für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut. „Wer das Rechte zu tun versteht, und es nicht tut, begeht Sünde“, schreibt der Apostel Jakobus in seinem Briefe. Und der Apostel Paulus mahnt, „lasst uns Gutes tun, solange wir Zeit haben.“ Der Herr hat es ja zu allererst gesagt: „Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann!“ Ich glaube, es ist kein einziger unter uns, der nicht schmerzlich bekennen muss, ich habe den Meinigen, die mir im Tode vorausgegangen sind, nicht das gegeben, was ich ihnen hätte geben sollen. Ich bin ihnen viel, allzu viel schuldig geblieben. Deswegen erinnern wir uns rechtzeitig an das Wort:

„Ach lieb, solang du lieben kannst,

Ach lieb, solang du lieben magst,

Die Stunde kommt, die Stunde kommt,

Wo du an Gräbern stehst und klagst.“

Denken wir immer an das Ende und dass die verlorene Zeit nicht wiederkehrt. Der Augenblick wird kommen, wo du einen einzigen Tag oder eine Stunde dir wünschen würdest, um dich zu bessern. Aber ich weiß nicht, ob du sie erlangen wirst. Der hl. Pfarrer von Ars hat einmal gepredigt: „Hätten die Verdammten die Zeit, die wir manchmal so unnütz vertun, welch heilsamen Gebrauch würden sie davon machen. Hätten sie nur eine halbe Stunde Zeit, diese halbe Stunde würde die Hölle entvölkern.“

Neben der Unterlassung ist auch der Aufschub zu vermeiden. Es ist gefährlich, meine Freunde, Dinge aufzuschieben, die nun einmal getan werden müssen. Selten ist das, was heute zu tun ist, morgen leichter zu bewältigen. Häufig ist es morgen schwerer, das zu erledigen, was heute vollendet werden sollte. Vor allem ist es gefährlich, die Bekehrung aufzuschieben. Die Gnadenstunden Gottes kommen und gehen. Es kann sein, dass sie nicht wiederkehren. Nutzen wir sie. Der hl. Augustinus hat einmal geschrieben: „Du sagst, von morgen an will ich gut leben. Höre: Gott hat dir die Verzeihung versprochen, den morgigen Tag hat er dir nicht versprochen.“ Gott will, dass wir uns ganzes Leben ihm weihen, nicht nur einen Abschnitt, etwa in der Zukunft. Seine Bekehrung auf das Alter verschieben, heißt: laufen wollen, wenn man keinen Atem mehr hat.

In der französischen Revolution gab es in Paris einen Bischof namens Gobel, eigentlich auf Deutsch: Göbel. Er war ja auch ein deutscher Einwohner aus dem Elsass. Also: Gobel wurde Bischof von Paris, weil man den rechtmäßigen Bischof vertrieben hatte. Gobel hatte den Bischofssitz usurpiert, sich angemaßt. Er kannte sein Vergehen; er bereute es. Er fand aber nicht die Kraft, seinen Platz zu räumen. Bekannte, Freunde mahnten ihn. Er vertröstete sie auf später. Als er am 13. April 1794 hingerichtet wurde, da war es zu spät, da hatte er sein Vorhaben noch nicht ausgeführt, sein Vergehen noch nicht endgültig gebüßt. Jetzt war es zu spät für die Reue. Die Bekehrung aufschieben ist gefährlich.

Eine kleine Weile, eine ernste Warnung, eine eindringliche Mahnung, aber auch ein beglückender Trost. Wir wissen es, das Leid ist mit unserem Leben, mit jedem Leben, untrennbar verknüpft. Es gibt keinen Menschen, der nicht Leid zu tragen hätte. Gottes weise Vorsehung hat es so eingerichtet, dass Leid jedes Menschenleben begleitet. Das Leid hat eine unersetzbare Aufgabe in unserem Leben. Jedes Leid, das uns trifft, ist ein Bote Gottes. Es hat uns etwas auszurichten.

„Trifft dich ein Schmerz, so halte still,

Und frag dich, was er von dir will,

Der liebe Gott, der schickt dir keinen,

Nur darum, dass du solltest weinen.“

Durch das Leid will Gott uns gestalten, will er uns formen, will er uns nach seinem Bilde meißeln. Wir sollen Tugenden lernen. Das Leid ist der große Lehrer der Menschen. Unter seinem Hauch entfalten sich die Seelen.

Der König Wenzeslaus von Böhmen, ein Heiliger, wurde im Felde besiegt, gefangengenommen. Man fragte ihn, wie ihm nach diesem Schicksal zumute sei. Da antwortete er: „Niemals besser als jetzt! Als ich noch im Besitz meiner ganzen Macht war, fand ich fast keine Zeit, an Gott zu denken. Jetzt aber, von allem entblößt und von allen verlassen, denk ich nur noch an Gott und setze auf ihn alle meine Hoffnung!“ Im allgemeinen gilt die Regel: Je mehr der Mensch bei Gott ist, umso mehr muss er sich auf Leiden gefasst machen. Gott führt jene, die er lieb hat, auf den Weg der Leiden. Und je größer seine Liebe ist, umso härter sind die Leiden. Warum? – Es muss so sein. Meine Freunde, die Frömmigkeit darf kein Rechenexempel, keine Versicherung gegen Leid, kein Geschäft mit Gott sein. Wir dürfen Gott nicht dienen, damit es uns gut geht. Wir dürfen nicht erwarten, dass uns das Gebet, die Heilige Messe, die Kommunion vor Kummer und Not bewahrt. Nicht Gott ist unser Diener, sondern wir sind seine Diener. Wir sind ihm zum Dienste verpflichtet und dieser Dienst muss lauter geleistet werden. Lauter, d.h. ohne Berechnung des Lohnes. Wir dürfen keinen Lohn für unseren Dienst erwarten. Um der Lauterkeit der Gottesliebe willen, schickt uns Gott – schickt Gott auch dem Frommen – Ungemach, Trübsal, Leid. Er sucht ihn heim mit Widerwärtigkeiten und Missgeschick. Gott prüft die Echtheit unserer Gottesliebe. Er will sehen, ob wir ihn nur lieben, wenn er gibt, oder auch, wenn er nimmt. Gott misst das Leid für einen jeden ab nach seiner unergründlichen Weisheit. Aber es gibt einen Trost, nämlich häufig dauert das Leid nur eine kurze Weile. Es geht vorüber, es kommen auch wieder andere Tage. Die Sonne geht unter, aber sie geht auch wieder auf. Oft spricht Gott zu uns: Noch eine kleine Weile musst du das Kreuz tragen, das dir auferlegt wurde, das ich dir auferlegt habe – noch eine kleine Weile, aber dann wird es dir abgenommen. Allerdings kommt das Leid nicht immer nur für eine kleine Weile. Für viele Menschen ist das Leid von langer Dauer. Eine verkorkste Jugend; eine unglückliche Ehe; eine ungeliebter Beruf; eine nicht behebbare Behinderung; ein unnachgiebiger Feind. Für manche dauert dieses Leid ein ganzes Leben lang. Aber verglichen mit der Ewigkeit ist auch die längste Leidenszeit kurz, ist sie tatsächlich eine kleine Weile. Und einmal ist auch das lange währende Leid zu Ende. Es kommt der Tag, an dem Gott spricht: es ist genug. Du hast genug gearbeitet. Lass den Spaten stehen. Du hast genug gelitten. Der Tag des Todes, die dreizehnte Station im Kreuzweg, wird auch einmal für uns schlagen. Und dann wird das Kreuz abgenommen. Der Tod ist auch eine Befreiungsstunde.

Eine kleine Weile, eine ernste Warnung, eine eindringliche Mahnung, ein beglückender Trost, aber auch eine selige Hoffnung. Denn wir haben die Verheißungen des Herrn, die nicht trügen. „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.“ „Ich gehe hin, euch eine Wohnstätte zu bereiten.“ „Das ist der Wille meines Vaters: Jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, soll das ewige Leben haben.“ „Wenn einer mein Wort hört, wird er in Ewigkeit den Tod nicht schauen.“ „Wenn ich erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen!“ Wir haben hier keine bleibende Stätte. Unsere Heimat ist im Himmel. Bei Gott sind wir zuhause, und dahin sind wir unterwegs. Nach dieser Heimat sehnen wir uns.

Mein alter Lehrer, Friedrich Wilhelm Maier, der uns so viel gegeben hat im Studium, musste vor seinem Tode viel und lange leiden. Da kam es aus seiner gedrückten Seele heraus: Ach wenn ich doch sterben könnte! – Er wusste, das Sterben ist ein Heimgang, Das Sterben bringt uns in die Heimat. Deswegen: Ohne Heimweh dürfte keine christliche Seele sein. Wir sehnen uns nach der Heimat in der Ewigkeit.

Wir brauchen, meine lieben Freunde, nicht an den Verheißungen des Herrn zu zweifeln. Seine Worte haben die höchste Garantie. Er spricht nicht nur die Wahrheit, er ist die Wahrheit. Unser Herr betrügt uns nicht. Er verspricht nicht, was er nicht halten kann. Er hat die Macht, es zu verwirklichen. Er redet aus göttlichem Wissen. Er spricht aus eigener Erfahrung. Er hat den Tod überwunden. Er ist aus dem Grabe erstanden. Er hat sich als lebend erwiesen. Seine Verheißungen sind in Erfüllung gegangen – an ihm. Sie werden auch an uns in Erfüllung gehen. Der ewige unveränderliche Gott steht wie eine leuchtende Sonne über der kleinen Weile unseres Lebens. Wie oft haben wir diesem Leben gebetet: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.“ Wenn die kleine Weile unseres irdischen Daseins zu Ende geht, wollen wir uns noch einmal an sie wenden und ihr mit Joseph von Eichendorff sagen:

„Wenn die Menschen mich verlassen

In der stillen letzten Stund‘,

Lass mich fest das Kreuz umfassen.

Aus dem dunklen Erdengrund

Leite liebreich mich hinaus,

Mutter, in des Vaters Haus!“

Amen.

 

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt