Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Februar 2012

Leiden für Christus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

                        

Geliebte im Herrn!

Bald steht die Leidenszeit unseres Heilandes an, und heute ist auch schon in der ersten Lesung vom Leiden die Rede, nämlich von den Leiden des Apostels Paulus, des Völkerapostels; von seinen seelischen und von seinen körperlichen Leiden. Die Leiden, die Paulus zu erdulden hatte, sind dreifacher Art. Erstens: Leiden, die aus seinem Apostelamt stammen. Damit sind die täglichen Berufsarbeiten gemeint, der tägliche Andrang zu ihm, die Sorge um alle Gemeinden. Paulus war rastlos tätig für das Evangelium, reiste umher, empfing die Menschen, arbeitete Tag und Nacht. Bei Tag verkündete er das Evangelium; in der Nacht machte er Teppiche. Er war ja gelernter Teppichweber. Gewiss hatte er Mitarbeiter und Helfer. Aber er war der unermüdliche und unentbehrliche Planer und Anreger. Alle kamen zu ihm, alle wollten ihn hören, wollten ihn sprechen, wollten von ihm belehrt werden. Und er hat sich den Menschen nicht verweigert. Er hat ihnen gedient bei Tag und Nacht. Und so konnte er schreiben: „Ich habe mehr gearbeitet als sie alle.“ Die Apostel unserer Tage, ob sie nun im geistlichen Stande sind oder außerhalb dieses Standes, die Apostel unserer Tage können es nicht besser haben wollen als Paulus. Die geweihten apostolischen Männer, die Priester, und apostolischen Männer und Frauen, die Nichtgeweihten, müssen Paulus nachahmen, müssen für seine Kirche, für seine Gemeinde verfügbar sein, nicht bloß an bestimmten Sprechstunden. Sie müssen auch des Nachts erreichbar sein, Verunglückten, Sterbenden zu Hilfe zu eilen. Für den Priester kann es keinen Achtstundentag geben. Der Seelsorger gehört nicht sich selbst, er gehört den Menschen, für die er bestellt ist.

Zu der äußeren kommt die innere Seite des apostolischen Berufes. Paulus war kein kalter Funktionär, der seine Geschäfte wie ein Automat verrichtet. Er war ein empfindsamer Hirt, dem an seiner Herde etwas liegt. „Wer wird schwach und ich nicht auch? Wer brennt und ich werde nicht entzündet?“ Das heißt, Paulus war ein mitleidiger Mensch. Er spielt auf sein Mitleid mit seiner Herde an. Das Mitleid kostet Kraft, ist kräftezehrend, denn man belädt sich ja durch das Mitleid mit der Last des anderen. Paulus hat diese Last nicht gescheut, sondern auf sich genommen. Der Gemeinde in Rom ruft er zu: „Freut euch mit den Fröhlichen, weinet mit den Weinenden.“ Er hat es zuerst getan. Der Gemeinde in Saloniki ruft er zu: „Tröstet die Kleinmütigen, nehmt euch der Schwachen an.“ Genau das hat er getan. Die Kleinmütigen hat er getröstet, der Schwachen hat er sich angenommen. So wie Paulus, meine lieben Freunde, muss ein Seelsorger mit seiner Gemeinde empfinden. Er muss ihre Leiden tragen. Die Menschen müssen spüren, wie viel dem Priester an ihnen liegt. Sie müssen den Schlag eines warmen Apostelherzens spüren. Der wahre Apostel lebt nicht sich selbst, er lebt für andere. Er fragt nicht nach seinen Wünschen, nicht nach seinem Behagen, sondern er dient den ihm Anvertrauten. Und ein Stück dieses apostolischen Berufes tragen Sie alle, meine lieben Freunde. Taufe und Firmung verpflichten Sie, über das eigene Befinden hinauszuschauen, auf die Menschen der Umgebung; um ihnen Christus zu bringen, um sie für den Glauben zu werben, um sie für die Kirche zu gewinnen. Aber natürlich auch, um mit ihnen zu leiden und zu tragen. „Einer trage des anderen Last“, schreibt Paulus an die Gemeinde in Galatien, „auf dass ihr das Gesetz Christi erfüllt. Einer trage des anderen Last, auf dass ihr das Gesetz Christi erfüllt.

Auch Entbehrungen und Opfer sind zu tragen, wie sie der Beruf mit sich bringt. „In vielen Mühen und Beschwerden,“ schreibt Paulus, „in mannigfachen Nachtwachen, in Hunger und Durst, in häufigem Fasten, in Kälte und Blöße, bis zu dieser Stunde sind wir hungrig und durstig, nackt, werden geschlagen, irren unstet umher und haben keine bleibende Stätte. Wir mühen uns ab, mit unserer Hände Arbeit als Teppichwirker.“ Wahrhaftig, seit dem Tage von Damaskus hat Paulus keine ruhige Stunde mehr gehabt. Der Katalog seiner Leiden ist lang, und wir haben ihn ja soeben gehört: Dreimal mit Ruten gepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal Schiffbruch erlitten, auf dem Meere herumgetrieben, auf Reisen unter Räubern, Gefahren in Städten, Gefahren in der Wüste. „Ich sterbe jeden Tag“, schreibt er im ersten Brief an die Korinther. Ich sterbe jeden Tag. Das heißt, seine Leiden sind so, dass er umkommen könnte.

Noch, meine lieben Freunde, ist es bei uns nicht soweit, dass wir verfolgt werden, weil wir Christen sind und bleiben wollen. Noch brauchen wir nur Geringschätzung, Verachtung, Beschimpfung und Verdächtigungen zu leiden. Noch haben wir Priester in unserem Land keine körperlichen Peinen auszuhalten, weil wir unserem Herrn treu sind und treu bleiben wollen. Noch werden wir nur abgelehnt, für überflüssig gehalten: Was will denn der noch? Aber der Boden unter unseren Füßen wankt. Deutschland ist kein christliches Land mehr. Unsere Religion ist keine Volksreligion mehr, unsere Kirche ist keine Volkskirche mehr. Sehen Sie die dürftigen Reihen an, in den Kirchen und Kapellen. Die meisten Christen, und erst recht die Bischöfe, schließen die Augen und wollen nicht wahrhaben, wie viel Ablehnung, Misstrauen und Hass gegen die katholischen Christen und gegen die katholische Kirche in unserem Volke bestehen. Man ist tolerant gegen die Muslime, aber man ist nicht tolerant gegen die Katholiken. Es bedarf nur eines geringen Anlasses, um das glimmende Feuer zu einer hellen Flamme zu entfachen. Die erste Gruppe der Leiden, die Paulus zu ertragen hat, sind die Leiden des Apostelberufes.

Die zweite Gruppe sind die Leiden, die ihm von eigenen Brüdern angetan wurden, von falschen Brüdern, vom eigenen Volke. Paulus hatte Gegner, Feinde, Widersacher in den eigenen Reihen. Sie suchten das von ihm verkündigte Evangelium zu verwässern. Sie suchten die Rettung durch den Glauben aus Gnade abzuschwächen. Sie wollten diese Weise der Rettung ersetzen durch die Bindung an das alttestamentliche Gesetz, und das war ein Abfall von der christlichen Botschaft. „Wenn ein Engel vom Himmel käme, und ein anderes Evangelium predigte, er sei verflucht!“, so scharf spricht Paulus zu der Gemeinde in Galatien. „Oh ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert? Im Geiste habt ihr angefangen, und im Fleische wollt ihr beenden?“

Die Menschen haben Paulus viel Schlimmes zugefügt. Falsche Brüder! Und diese Erfahrung bleibt ja auch uns nicht erspart, meine lieben Freunde. Wir erleben, dass Familienangehörige, Hausgenossen, Arbeitskollegen uns hintergehen, täuschen, betrügen; im privaten und öffentlichen Leben, vor allem im beruflichen Leben kann man erfahren, dass Falschheit und Verstellung nicht selten sind. Es gibt Menschen, die ins Gesicht freundlich sind, hintenherum aber ihre feindliche Gesinnung betätigen. Von Bismarck stammt das furchtbare Wort: „Ein Kollege ist ein Wesen, vor dem man sich vorsehen muss.“ Dem Seelsorger bleiben schlimme Erfahrungen der Treulosigkeit, des Verrates nicht erspart. In der Stunde der Gefahr werden viele schwach und verleugnen ihre heiligsten Überzeugungen.

Es gab einmal einen schlesischen Priester, Andreas Faulhaber. Er war Feldgeistlicher im Heer Friedrichs II. von Preußen im Siebenjährigen Kriege, 1756-63. Ein Soldat war fahnenflüchtig geworden. Fahnenflucht ist das schlimmste Vergehen für einen Soldaten. Um sich nun reinzuwaschen, bezichtigte er den Feldseelsorger Faulhaber, er habe ihm in der Beicht geraten, die Fahnenflucht zu ergreifen. Faulhaber konnte sich nicht wehren, denn er durfte nicht von dem sprechen, was in der Beicht vor sich gegangen war; er durfte nicht darüber reden. Was geschah? Am 29. Dezember 1758 wurde er gehängt, ein Martyrer des Beichtgeheimnisses, den sein eigener Glaubensbruder verraten hatte. Es war in der Geschichte immer so, dass die eigenen Brüder, die Mitchristen, den Bekennern des Glaubens die tiefsten Wunden schlugen. Im neunzehnten Jahrhundert galten die katholischen Christen als beschränkt, unaufgeklärt, zurückgeblieben, bigott, weil sie sich nicht den glaubensfeindlichen Parolen, die von protestantischen Theologen vorgebracht wurden, anschlossen. Man bezeichnete sie als „ultramontan“, das heißt, als solche, die jenseits der Berge, also über den Alpen, einen Vorgesetzten anerkennen, den Heiligen Vater. „Ultramontan“ war ein Schimpfwort. Und da gab es Katholiken, die sich der protestantischen Regierung empfehlen und Vorteile für sich erlangen wollten, die sich weigerten, sich zum Heiligen Vater zu bekennen, die nicht „ultramontan“ sein wollten. Es gab damals eine Partei, es bildete sich eine Partei, die Zentrumspartei, wo sich die Katholiken vereinigten, um endlich gegen die Zurücksetzung und Verkennung aufzutreten. Aber diese feigen Katholiken weigerten sich, dieser Partei anzugehören, ja machten sie schlecht, verdächtigten sie. Die falschen Brüder sind immer schlimmer als die Feinde von außen.

In der Zeit des Dritten Reiches, meine lieben Freunde, gab es in Greifswald, also in Pommern, einen katholischen Pfarrer namens Alfons Wachsmann. Wachsmann war ein vorbildlicher, seeleneifriger Priester; er versammelte abends im Pfarrhaus Männer, die dort in den Werften und Fabriken arbeiteten, und suchte sie religiös zu erbauen. Natürlich kamen auch die Verhältnisse, also die Kirchenfeindschaft des Nationalsozialismus zur Sprache. Ein österreichischer Ingenieur tat sich hervor mit besonderer Schärfe der Vorwürfe gegen die Nationalsozialisten. Auch Wachsmann schwieg nicht, hat auch die Verfehlungen der Nazis den Männern unterbreitet. Der Ingenieur zeichnete alle diese Äußerungen auf, und übergab sie der Geheimen Staatspolizei. Wachsmann wurde verhaftet und hingerichtet. Ein falscher Bruder hatte ihn ans Messer geliefert.

Ich selbst habe in der Zeit meiner Wirksamkeit in der DDR etwas Ähnliches erlebt. Ich hatte in meiner Jugend einen Jugendlichen, der alle Vorgänge in den Gruppenstunden an den Staatssicherheitsdienst meldete. Ein Verräter in den eigenen Reihen. Er war ein Informeller Mitarbeiter, IM, Informeller Mitarbeiter.

Nun, meine lieben Freunde, in der jüngsten Zeit hat es einen merkwürdigen Katholiken gegeben, den Parlamentspräsidenten Norbert Lammert. Dieser Bundestagspräsident sagt von sich, er sei ein „protestantisch veranlagter Katholik“, ein protestantisch veranlagter Katholik. Was ist das? Das ist ein Zwitter. Das ist ein Mischmasch, das ist eine unmögliche Konstruktion. Denn das eine schließt das andere aus. Man kann Protestant sein; und wir haben Achtung vor den Protestanten. Aber wenn man Katholik ist, kann man nicht gleichzeitig Protestant sein. Das ist ein Mischmasch. Ich fürchte, auf den Herrn Lammert kann man sich als Katholiken nicht verlassen. Das ist die zweite Gruppe von Leiden, die Paulus zu erdulden hatte: die falschen Brüder.

Die dritte Gruppe sind die Leiden, die aus der eigenen Schwäche kamen. Paulus rühmt sich dieser Schwäche. „Meiner selbst will ich mich nicht rühmen, als nur meiner eigenen Schwachheiten.“ Und solche Schwachheiten haben ihm ja nicht gefehlt. „Ich habe es gelernt“, schreibt er einmal im Brief an die Philipper, „ich habe es gelernt, mich mit den Verhältnissen, in denen ich bin, abzufinden. In allem und in alles bin ich eingeweiht, satt sein und hungern, Überfluss haben und darben, alles vermag ich in dem, der mich stärkt.“ Das ist das Wort: Alles vermag ich in dem, der mich stärkt. Ich bin schwach. Aber alles vermag ich in dem, der mich stärkt. Paulus musste auch lernen, mit seinen körperlichen Leiden umzugehen. Er spricht von einem Satansboten, der ihn mit Fäusten schlägt. Viele Erklärer der Heiligen Schrift sind der Ansicht, dass Paulus Epileptiker war. Er hatte epileptische Anfälle. Das war der Engel, der Bote Satans, der ihn mit Fäusten schlägt. Er wollte davon frei werden. Er bat Christus, er möge ihn doch befreien davon, damit er noch besser für ihn wirken kann. „Es genügt dir meine Gnade, denn Kraft wird in der Schwachheit vollendet“, so hat ihm Christus geantwortet. Es genügt dir meine Gnade! Denn Gottes Kraft wird in der menschlichen Schwachheit vollendet. Gottes Kraft spürt der, der selbst seine eigene Schwäche spürt. Es ist ja uns in gleicher Weise gegeben, unsere Schwächen zu kennen, unsere Fehler und Armseligkeiten, unsere Gewissensnot, unsere Seelenangst, den Druck, die Trauer, unter denen wir stehen, wir kennen unser Ungenügen vor Gott, unsere Müdigkeit, unsere Bequemlichkeit, unsere Leidensscheu. Wir wissen, dass wir den Forderungen Gottes nicht entsprechen. Und das auch in der Religion.

Im Buch „Von der Nachfolge Christi“ steht der bedenkenswerte Satz: „Könnte ich doch nur einen einzigen Tag Dir würdig und gebührend dienen!“ Könnte ich doch nur einen einzigen Tag Dir würdig und gebührend dienen! Ich meine, das können wir nachempfinden. Besonders betrüblich ist unser Zurückbleiben vor den Forderungen Gottes im religiösen Bereich. Vor jeder Heiligen Kommunion bekennen wir unsere Unwürdigkeit. Dreimal! Um die Tiefe unserer Unwürdigkeit und die Dringlichkeit der göttlichen Erbarmung hervorzuheben und unsere ungenügende Zurüstung für die Heilige Speise. Der Priester spricht in jeder Heiligen Messe wiederholt seine Unwürdigkeit aus, das Messopfer darzubringen. Vor dem Evangelium, vor der Predigt bittet er Gott, sein Herz und seine Lippen zu reinigen, damit er das Wort Gottes würdig verkünde. Bei der Darbringung des Brotes bekennt er sich als unwürdigen Diener, der um Annahme der Opfergabe fleht. Mit zerknirschtem Herzen fleht er, dass die Opfergabe angenommen werde. Und im Schlussgebet, ja noch im Schlussgebet, vor dem Segen, bekennt er noch einmal, dass er, ein Unwürdiger, Gott das Opfer dargebracht habe, und bittet um Annahme.

 Wir kennen unsere Schwachheit, meine lieben Freunde, aber wir wissen auch, dass Gottes Kraft uns zur Seite steht. Wenn im Reiche Gottes, trotz unserer Schwäche, etwas vollbracht wird, dann ist die Gnade Gottes im Spiele gewesen. Dass Gott uns berufen hat, zum Glauben, zur Heiligen Religion, in seine Kirche, das ist eine Tat seines Erbarmens. „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad' in seine Kirch' berufen hat.“ Dass Gott sich unser bedient, dass er uns als brauchbar und tauglich erachtet, ihm zu dienen: das ist ein Wunder der Gnade. Das ist ein Sieg seiner Macht. Dass Christus sich uns anvertraut, dass er sein Werk in unsere Hände legt, das ist ein Beweis seines Vertrauens. Dass Christus sich uns schenkt in der Heiligen Kommunion, das ist ein Wagnis ohne Maß. Oh, dass wir doch seiner würdig werden möchten, dass wir doch fähig wären, mit ihm das Kreuz zu tragen, den Kreuzweg zu gehen, die Kreuzigung zu erleiden. „Mit Christus bin ich ans Kreuz genagelt“, sagt der Apostel Paulus. Oh möchten wir ihm doch darin gleichen, dass auch wir ans Kreuz genagelt sind, und die Hände nicht lösen, von diesem Kreuz.

Amen.

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