Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. Mai 2011

Den Vater bitten im Namen Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am heutigen Sonntag beginnt die Bittwoche. Es sind Tage, an denen die Gläubigen Gott ihre großen und kleinen Anliegen vortragen. In besonderer Weise sind die Bittage dafür eingesetzt, um das Wachsen und Gedeihen der Feldfrüchte zu erbitten, das tägliche Brot. „Dass du uns die Früchte der Erde geben und erhalten wollest, wir bitten dich, o Herr, erhöre uns!“

Diese Bitte ist in unseren Tagen besonders dringlich. Seit Februar hat es in unserem Land keinen ausreichenden Regen mehr gegeben. Die Felder und die Gärten dürsten. In früheren Zeiten haben die Mainzer Bischöfe in ihrer Diözese Gebete um günstige Witterung, also um Regen oder um Sonnenschein, angeordnet. Der gegenwärtige Oberhirt hat meines Wissens in seiner jahrzehntelangen Amtszeit niemals um das Wachsen und Gedeihen der Feldfrüchte beten lassen. Warum nicht?

Hat es noch einen Sinn, darum zu beten? Sollen wir noch mit dem Zeichen des Kreuzes flehend und bittend durch die Felder ziehen? Macht Gott den Ertrag der Erde von unserem Beten und Frommsein abhängig? Heißt es nicht: „Er läßt Regen fallen über Gute und Böse, er läßt Sonne scheinen über Gerechte und Ungerechte“? Ist es vielleicht lächerlich, wenn man Gott um das tägliche Brot anbettelt, so wie die Bettler an den Kathedralen in Italien uns anbetteln?

Jedes Beten, meine lieben Freunde, ist ein Verbeugen vor der Allmacht und der Barmherzigkeit Gottes. Wer die Hände bittend zu Gott erhebt, der sagt damit aller Gottlosigkeit und aller Glaubenslosigkeit ab. Jedes Gebet ist ein Bekenntnis zu Gott, dem Vater allen Geschehens. Mit der Vaterunserbitte „Unser tägliches Brot gib uns heute“ widersagt der Betende dem Zufallsglauben, als ob alles so komme, wie es eben kommen solle, als ob keine Macht, keine überirdische Macht einen Einfluss auf dieses Geschehen ausüben könnte. Wer betet, bekennt sich zu dem Schöpfer und Erhalter allen Seins. Wer betet, der wendet sich an den, der „das Nichtseiende ins Sein ruft“, wie Paulus im 4. Kapitel des Römerbriefes schreibt. Er wendet sich an den Herrn, der das Nichtseiende ins Dasein ruft. Wer betet, bekennt seine Geschöpflichkeit und seine Abhängigkeit von Gott. Im Kirchengebet der heutigen heiligen Messe heißt es: „O Gott, von dir kommt alles Gute.“ So ist es: „Von dir kommt alles Gute.“ Da sagt mancher: Wir verlassen uns auf die Natur, auf Sonnenschein und Regen. Wer das sagt, der übersieht, dass Gott der Herr der Natur ist. Er gebietet der Sonne und den Tiefdruckgebieten. Die Naturgesetze sind in Gottes Hand. Er hat sie geschaffen, ihm sind sie unterworfen. In den Naturgesetzen und mit den Naturgesetzen und über den Naturgesetzen handelt Gott. Er ist der Herr der Naturgesetze. Die Zuverlässigkeit der Naturgesetze ist ein Ausdruck der Treue Gottes. Er steht zu dem Werk, das er geschaffen. Wer sagt: Wir vertrauen auf den Kunstdünger und die Züchtung, der vergißt, dass die Kraft des Kunstdüngers von Gott geschaffen ist und dass der Erfolg der Züchtung von den Gesetzen abhängt, die Gott in das Lebendige hineingelegt hat. Wir schaffen diese Gesetze nicht, wir suchen sie zu erkennen und uns ihrer zu bedienen.

Die irdischen Mittel zum Arbeiten und Erwerben, die Berechnungen, die wir durchführen, die Geräte, die wir benutzen, die Maschinen, die wir einsetzen, sind nicht losgelöst von Gott, sie sind in der Hand Gottes. Ihre Eignung und ihre Fähigkeit, etwas zu schaffen und zu erreichen, stammen von Gott, dem Schöpfer und Erhalter aller Wesen. Die Anwendung aller irdischen Mittel, um einen Erfolg herbeizuführen, und das Gebet zu Gott, er möge unsere Absichten gelingen lassen, sind kein Gegensatz, kein Entweder – oder, sondern ein Sowohl – als auch. Wir benutzen alle Mittel und vertrauen gerade deswegen auf Gott, der uns diese Mittel in die Hand gibt und ihre Wirksamkeit garantiert. Die Natur, meine lieben Freunde, ist in Gottes Hand. Wenn wir auf die Natur angewiesen sind, dann sind wir auf Gott, den Herrn der Natur, angewiesen.

Wer betet, ist nie allein. Er reiht sich ein in den Strom der Beter, der durch alle Jahrtausende geht. Er ist denen weit überlegen, die nicht mehr beten. Diese Menschen sind zutiefst zu bedauern, die nicht wissen, dass wir beten sollen, dass wir beten dürfen. Die Menschen aller Zeiten haben sich an Gott oder an die Götter gewandt. Sie haben das Numinose in der Natur gespürt, sie haben eine Ahnung gehabt, dass hinter dem irdischen Geschehen eine Macht steht, an die sie sich wenden müssen. Die Menschen der Vergangenheit haben die Macht des Transzendenten gespürt und sich vor ihr verneigt. Nicht Unkenntnis der Naturgesetze hat sie zur Anbetung geführt, sondern die Ahnung des Schöpfers der Natur. Es mag das alte Heidentum in vielen Dingen in die Irre gegangen sein. Man hat ja auch die Naturgewalt vergötzt, die Sonne etwa. Man glaubte an einen Sonnengott. Es ist viel Irrtum, es ist viel Aberglaube gewesen, und doch werden diese Menschen als Ankläger gegen diejenigen aufstehen, die an nichts glauben. Der Knabe, der mit der Prozession durch die Felder zieht und stolz das Kreuz trägt vor der Prozession, dieser Knabe triumphiert über diese Anbeter des Nichts. Es ist nicht richtig, wenn man sagt: Die Sonne scheint. Es regnet. Wir müßten eigentlich sagen: Gott läßt die Sonne scheinen. Gott läßt Regen fallen.

Uns ist befohlen zu beten. Der Herr hat uns den Befehl gegeben, den himmlischen Vater auch um die alltäglichen Dinge des Lebens zu bitten, auch um das tägliche Brot. Wer betet, ist also Gott gehorsam. Das Gebet ist Dienst, ist Pflicht. Wer nicht betet, versäumt seine erste und oberste Pflicht gegenüber Gott. Warum sollen wir beten? Gott will geben, aber er will gebeten sein. Der Mensch soll seine Abhängigkeit von Gott bekennen, er soll sein Angewiesensein auf Gott aussprechen, er soll sich seinsgerecht verhalten, und seinsgerecht verhält man sich nur, wenn man sich an den Geber aller Gaben wendet. „O Gott, von dir kommt alles Gute“, so haben wir heute im Kirchengebet gebetet. „O Gott, von dir kommt alles Gute.“ Seinsgerecht verhält sich der Mensch, wenn er sich als Geschöpf gegenüber seinem Schöpfer versteht. Der Herr hat uns befohlen zu beten. Er hat aber auch seinen Namen verpfändet, dass wir bei unseren Gebeten erhört werden. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bitten werdet, so wird er es euch geben.“ Hier haben wir jetzt den entscheidenden Satz gehört: „Wenn ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, wird er es euch geben.“ Wir müssen unsere Gebete im Namen Jesu zu Gott richten. Was heißt das? Das heißt ein Sechsfaches.

Erstens, dass wir uns bei unserem Beten auf Jesus berufen. Wir sind seine Brüder, seine Schwestern. Wir gehören zu ihm. Wir sind die Schäflein seiner Weide, und wir müssen also mit ihm und durch ihn den Vater im Himmel bitten. Deswegen, achten Sie bitte darauf, werden so viele Gebete in der heiligen Messe beendet mit „durch unseren Herrn Jesus Christus“. Er trägt sie zum Vater. Wir beten nicht allein, wir beten in Vereinigung mit Jesus Christus. Wir gehen an der Hand Christi zum himmlischen Vater. Wir gehen also nicht allein, denn wir sind seine Jünger und seine Jüngerinnen.

Was bedeutet im Namen Jesu beten zweitens? Wir müssen in der Gesinnung Jesu beten. Das bedeutet, wir dürfen nur solche Gebete vorbringen, die würdig sind, vor Gott gebracht zu werden. Am 4. Sonntag nach Ostern flehen wir im Kirchengebet: „O Gott, laß uns lieben, was du befiehlst, und ersehnen, was du versprichst.“ Das sind die richtigen Gebete. Lieben, was du befiehlst, und ersehnen, was du versprichst. Wer so betet, wird sicher erhört. Wir dürfen also nur solche Bitten vorbringen, die Jesus gewillt ist, dem himmlischen Vater vorzutragen. Wir kennen seine Gesinnung. Er hat uns in seinem Leben und in seinem Reden seine Gesinnung geoffenbart. Nicht in dieser Gesinnung gebetet oder gebeten haben die beiden Apostel Johannes und Jakobus. Der Herr befand sich auf dem Marsch nach Jerusalem, auf dem Todesmarsch. Da schickten sie ihre Mutter vor, die Salome, und sie bittet für ihre beiden Kinder, sie sollen die Ehrenplätze im Reiche Jesu einnehmen, der eine rechts, der andere links. Sie sollen Minister werden, Importzigarren rauchen, eine Dienerschaft haben. Der Heiland sagt ihnen: „Ihr wißt nicht, worum ihr bittet.“ Das war die schärfste Abweisung, die man sich denken kann: „Ihr wißt nicht, worum ihr bittet.“

Im Namen Jesu beten heißt drittens so beten, wie Jesus gebetet hat. Und wie hat er gebetet? Nun, in Ergebung, in Ergebung gegen Gottes Willen. Sein Maßstab des Gebetes, seine Norm des Gebetes hat er uns am Ölberg geoffenbart in der Stunde, wo die Qual vor ihm stand und wo er betete, es möge dieser Leidensbecher an ihm vorübergehen, „doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Das muss bei jedem Gebet dabei sein: Nicht wie ich will, sondern wie du willst. Die Zeitgenossen Jesu haben das begriffen. Einmal kam ein Aussätziger zu ihm. Er bat ihn, fiel auf die Knie und sagte: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ „Wenn du willst“, sagte er. Es kommt also auf das Wollen an. „Wenn du willst, kannst du mich gesund machen.“ „Wenn du willst, kannst du mich arbeitsfähig erhalten – wenn du willst!“

Eine meiner Studentinnen betete jahrelang, sie möge einen guten, katholischen Mann kennenlernen. Ihr Gebet wurde erhört. Sie lernte einen guten, katholischen Mann kennen, einen Doktor der Chemie aus Ludwigshafen. Die beiden heirateten, bekamen Kinder. Sie waren anwesend am 3. April bei meinem Jubiläum.

Im Namen Jesu beten, das verlangt, dass wir viertens einstimmen in die Pläne und Absichten Gottes. Wir kennen nicht jeden Entschluß Gottes, aber wir wissen um seine Konzeption der Welt. Er will die Welt, er will die Menschen zum Heile führen. Und deswegen müssen wir beten in der Ordnung des Heils, d.h. wir müssen uns einfügen in den Plan, den Gott mit der Welt und mit uns hat. Dieser Plan zielt letztlich und endlich auf das Eingehen in den Himmel. Deswegen stehen auch im Vaterunser die drei ersten Bitten voran. Denn wann kommt das Heil? Wenn der Name Gottes verherrlicht wird, wenn sein Wille geschieht, wenn sein Reich erscheint, dann kommt das Heil.

Im Namen Jesu beten bedeutet fünftens beharrlich beten. Wir müssen im Gebet ausharren, nicht bloß hin und wieder, sondern immer und allezeit. Der Herr hat einmal ein merkwürdiges Gleichnis erzählt von einem gottlosen Richter, der ungerecht richtete. Aber weil ein Klient, weil ein vor dem Gericht Erscheinender ihm keine Ruhe ließ, hat er ihm dann doch Recht verschafft. Damit will er ausdrücken: Wir müssen allezeit beten und dürfen nicht nachlassen. In seiner Rede vom Ende der Welt hat der Herr noch einmal eingeschärft: „Betet allezeit! Wachet allezeit, damit ihr imstande seid, all dem, was bevorsteht, zu entgehen und vor den Menschensohn zu treten.“ Die christliche Gemeinde hat sich an diese Weisung des Herrn gehalten. Als Petrus im Gefängnis war, betete die Gemeinde in Jerusalem „ohne Unterlaß“, ohne Unterlaß. Und der Apostel Jakobus schreibt in seinem Briefe: „Viel vermag das beharrliche Gebet des Gerechten.“ Das beharrliche Gebet des Gerechten.

Und schließlich sechstens verlangt das Gebet im Namen Jesu, dass wir vertrauensvoll beten. Unser Vertrauen richtet sich auf die Allmacht und die Barmherzigkeit Gottes. Weil er allmächtig ist, kann er helfen; weil er barmherzig ist, will er helfen. Wer vertrauensvoll betet, nimmt Gott ernst. Der Herr hat uns zu vertrauensvollem Gebete aufgerufen. Einmal sagte er einen Satz, vor dem wir fast erschrecken: „Wer zu diesem Berge sagt: Hebe dich hinweg und stürze dich ins Meer, wenn er nur glaubt, dass es geschehen wird, wird dieser Berg sich wegheben und sich ins Meer stürzen.“ Ich glaube, dass das Wort nicht wörtlich zu verstehen ist. Es ist nur ein sehr starker Ausdruck für die Aufforderung, an Gottes Macht und Güte zu glauben und darauf zu vertrauen. An anderer Stelle heißt es: „Alles, was ihr im Gebet begehrt, glaubet nur, dass ihr es erhalten werdet, so wird es euch werden.“

Das sind die sechs Erfordernisse, meine lieben Freunde, für ein menschliches Gebet im Namen Jesu. Jetzt wollen wir noch einmal ganz kurz zum Schluß die andere Seite betrachten, nämlich die Seite Gottes. Wie ist es um die Erhörungswilligkeit Gottes bestellt? Das möchte ich in drei Sätzen zusammenfassen.

Erstens: Gott erhört, wenn er will. Er ist bei seiner Erhörungswilligkeit nur an sein eigenes Wesen gebunden. Er ist und bleibt der souveräne Herr. Souveränität heißt, dass er frei ist in seinen Entschlüssen und sich von niemandem bestimmen läßt. Der Mensch darf und soll Gott bitten. Aber er kann ihn nicht zwingen. Gott läßt sich vieles erbitten, aber er läßt sich nichts abzwingen. Es gibt keinen Automatismus der Erhörung.

Zweitens: Gott erhört, wie er will. Das heißt, er bestimmt Weg und Ziel der Erhörung. Wir müssen Gott die Weise der Erhörung überlassen. Er läßt sich die Wege seiner Vorsehung nicht von den Menschen vorschreiben. So hoch der Himmel erhaben ist über die Erde, so erhaben sind Gottes Gedanken über die Gedanken der Menschen. Gott hat Gesichtspunkte bei der Regierung der Welt, die uns unbekannt sind.

Drittens: Gott erhört, wann er will. Manches wird nicht verweigert, aber aufgeschoben, so dass es zu gebührender Zeit gegeben wird. Gottes Uhren ticken anders als die unsrigen. Der bayerische Dichter Waggerl hat einmal den schönen Satz geschrieben: „Gott kommt mit seiner Erhörung häufig eine Viertelstunde später, als wir meinen, um unseren Glauben zu erproben.“

Gott, der für das Wachsen und Gedeihen der Feldfrüchte den Schweiß und den Fleiß der Menschen will, Gott will auch unser demütiges Flehen. Gott selbst hat den Menschen am Anfang und von Anfang an aufgerufen, dass er im Chor der sichtbaren Schöpfung als Wortführer seine Stimme erhebt. „O Gott, laß uns lieben, was du gebietest, und ersehnen, was du versprichst“, so haben wir vorigen Sonntag gebetet. Lieben, was du gebietest, ersehen, was du versprichst, „auf dass unsere Herzen inmitten des Wechsels der irdischen Dinge dort verankert sind, wo die wahren Freuden sind“.

Amen.

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