Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. August 2008

Das Hirtenamt der Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag haben wir uns Gedanken gemacht über das Lehramt Christi und seiner Kirche, und wir haben erkannt, dass durch die Garantie des Heiligen Geistes dieses Lehramt bei den höchsten und letzten und endgültigen Entscheidungen mit der Gabe der Unfehlbarkeit ausgestattet ist. Nun ist es recht und gut, die Wahrheit zu wissen. Aber das genügt nicht. Man muss auch die Wahrheit tun. Man muss nach dem leben, was man glaubt, und dazu braucht es eine Führung. Diese Führung gewährt uns der Herr, und diese Führung hat er seinen Aposteln vermacht.

Gott ist ein Gott der Ordnung. In der Dreifaltigkeit sind drei Personen zu einer einzigen Natur verbunden, eine einzige Natur in drei Personen. In der Dreifaltigkeit herrscht eine wunderbare Ordnung. Als Gott daran ging, eine Welt zu schaffen, hat er einen Kosmos hervorgebracht, d.h. ein Gebilde, das in sich eine heilige Ordnung trägt. Die Sterne ziehen nach festliegenden Gesetzen ihre Bahnen. Ich erinnere mich, wie es uns in der Schule heiß aufging, als uns der Physiklehrer die Kepler’schen Gesetze erklärte, die Gesetze, die abgelesen sind von den Bahnen der Gestirne. Und in der ganzen übrigen Welt herrschen die Gesetze, die die Chemie und die Biologie zu entschlüsseln versuchen. Gott ist ein Gott der Ordnung.

Er will auch, dass der Mensch einer Ordnung folge, und so hat er in ihn ein Gesetz hineingelegt, das wir das Gewissen nennen. Mit dem Gewissen soll der Mensch Ordnung in sein Leben bringen, dass er also die Dinge recht gebrauche mit Maß und Ziel, dass er in seiner Familie und in der Gemeinschaft des Staates Frieden und Eintracht halte, dass er seinen Gott verehre und auf diese Weise zum ewigen Leben gelange. Die Menschheit ist freilich durch Leidenschaft und Gottvergessenheit immer wieder abgeirrt vom Wege Gottes, und so hat Gott ihr die Gebote gegeben, die Gebote vom Berge Sinai, die auf steinerne Tafeln geschrieben waren, die aber noch viel mehr ins Herz des Menschen eingebrannt sein sollen.

Schließlich erschien Gottes Sohn selbst auf dieser Erde. Von ihm gilt das Wort des Vaters: „Dieser ist mein geliebter Sohn. Ihn sollt ihr hören.“ Christus ist der von Gott gesandte Führer der Menschheit. Und es ist wie ein Echo dieses Auftrages, wenn er selbst sagt: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.“ Er hat den Menschen das Gesetz des Neuen Bundes gegeben, das Gesetz der Liebe. Er hat auch das natürliche Sittengesetz wiederhergestellt. „Am Anfang war es nicht so“, sagt er den Juden, als sie ihm mit der Ehescheidung kommen. Der Herr ist Richtschnur durch sein Wort, aber auch durch sein Beispiel. „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, dass ihr tun sollt, wie ich euch getan habe.“ Wahrhaftig, der Herr ist der Weg, der die Menschheit emporführen soll zu ihrem ewigen Glücke.

Nach seiner Himmelfahrt hat er andere bestellt, die in seinem Namen die Menschen führen sollen. Wir nennen sie Apostel. Sie sind die Menschheitserzieher. „Gehet hin und lehret alle Völker und macht sie zu meinen Schülern.“ So heißt nämlich die wörtliche Übersetzung des griechischen Ausdrucks: „Macht sie zu meinen Schülern.“ „Und lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe.“ So ist die Kirche von Christus ausgestattet worden mit einer Regierung, mit einer Führung. Jede Gemeinschaft, die geordnet sein soll, benötigt eine Führung. Wenn wir die Briefe der Apostel aufschlagen, so sehen wir, dass es in der Urkirche Autoritäten gab, erst die Apostel, dann die Apostelschüler, die von ihnen eingesetzt wurden. Und so ist es bis heute geblieben. Es gibt in der Kirche eine Hierarchie, eine Führergemeinschaft, die vom Priester über den Bischof zum Heiligen Vater geht. Auch für diese Führung, auch für die Regierung der Kirche gilt das Wort: „Ich bin bei euch alle Zeit bis ans Ende der Welt.“

Aber im Unterschied zum Lehramt ist ein bedeutender Unterschied festzustellen, nämlich der Herr hat der Regierung der Kirche keine Unfehlbarkeit verheißen. Die Unfehlbarkeit bezieht sich auf die Lehre, in der Regierung müssen sich die Hirten der Kirche selbst den Weg suchen. Sie müssen lernen, wie man regiert. Allerdings frage ich mich, wo haben unsere Bischöfe das Regieren gelernt? Der Herr hat auch das Ideal des rechten Führers aufgestellt, nämlich es ist der Hirt, es ist der gute Hirt. Die Führer des christlichen Volkes werden von ihm als Hirten bezeichnet. Wir alle kennen das Bild des Hirten, wie er seiner Herde von Schafen oder Rindern voranzieht, wie er sie geleitet, wie er sie auf die Weide bringt, wie er sie schützt und wie er sie verteidigt. So sollen die Hirten der Kirche Lenker ihrer Gemeinden sein, Lenker des christlichen Volkes, die für ihre Gläubigen sorgen. Ja, der Herr hat den höchsten Anspruch an seine Hirten gestellt: „Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe.“ Das ist im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder erfolgt, meine lieben Freunde. Als die Rote Armee im Frühjahr 1945 nach Schlesien eindrang, da haben viele, allzu viele nichtkatholische Geistliche das Feld geräumt. Die katholischen Priester sind bei ihrer Herde geblieben. 60 von ihnen – 60! – haben diesen Schutz mit dem Leben bezahlt. Das Gegenteil vom guten Hirten ist der Mietling. Der Mietling flieht, wenn der Wolf kommt. Der Mietling hat Mangel an Verantwortung. Der Mietling ist auf seine eigene Sicherheit bedacht und nicht auf das Wohl seiner Herde. Deswegen flieht er.

 Zur regierenden Gewalt gehört die Gesetzgebung. Eine Gemeinschaft braucht Gesetze. „Was ihr auf Erden binden werdet, das ist auch im Himmel gebunden, und was ihr auf Erden löst, das ist auch im Himmel gelöst.“ Hier wird den Aposteln die Gesetzgebungsgewalt übertragen. Sie haben sie ausgeübt von Anfang an. Eine der schwersten Fragen in der Urkirche war, ob die Christen die jüdischen Zeremonialgesetze beobachten müssten. Die einen sagten ja, die anderen sagten nein. Die Apostel kamen zusammen zum Apostelkonzil in Jerusalem, und dort wurde die Entscheidung gefällt: „Es hat dem Heiligen Geist und uns gefallen, euch weiter keine Lasten aufzuerlegen.“ Solche Gebote hat die Kirche im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erlassen. Sie hat veraltete abgeschafft, sie hat neue gegeben. Sie hat ein eigenes Gesetzbuch hervorgebracht, das von Juristen als „Ausbund der Weisheit und der Klarheit“ gerühmt wurde.

Als wir Kinder waren, lernten wir die fünf Kirchengebote, also: Du sollst die gebotenen Feiertage halten! Du sollst an Sonn- und Feiertagen eine heilige Messe mit Andacht hören! Du sollst die gebotenen Fast- und Abstinenztage halten! Du sollst wenigstens einmal im Jahre deine Sünden beichten! Du sollst wenigstens einmal die heilige Kommunion empfangen! Das sind wichtige, grundlegende Gebote des religiösen Lebens des katholischen Christen. Aber darüber hinaus gibt es noch viele andere Gebote. Die Sakramente, der Gottesdienst sind mit Geboten umgeben, um dafür zu sorgen, dass das Heilige heilig gehalten wird. Es hat immer Leute gegeben, welche die kirchlichen Gebote geringschätzen. Im 18. Jahrhundert – und das ist beglaubigt – hat einmal ein Höfling, ein Hofmann, zu König Ludwig XVI. von Frankreich, der ein guter Christ war, gesagt, man brauche die Fastengebote der Kirche nicht zu beachten, das seien ja rein menschliche Gesetze. Darauf erwiderte der König: „Ich habe noch nie gesehen, dass einer, der sich über die Gebote der Kirche hinwegsetzt, die Gebote Gottes heilig gehalten hätte.“

Der Gesetzgeber muss auch über die Einhaltung seiner Gebote wachen. Und so gibt es in der Kirche auch eine Zuchtgewalt, eine Ordnungsgewalt, eine Strafgewalt, eine Gerichtsbarkeit. Das ist schon in der Urkirche bezeugt. In Korinth war ein Mann, ein Christ, der mit seiner Schwiegermutter geschlechtlich zusammenlebte. Das galt als Blutschande. Die Oberen in Korinth scheinen nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben; da meldet sich Paulus zu Wort und sagt: „Der Täter muss ausgestoßen werden aus der Gemeinde.“ So hat die Urkirche eine strenge Bußpraxis eingerichtet. Der öffentliche Sünder wurde ausgeschlossen, oft für lange Jahre, und es wurde nur eine einmalige Wiederzulassung gewährt. Diese strenge Zucht hat dafür gesorgt, dass die Christen von ihrer Umgebung bewundert wurden, dass die Verteidiger des Christentums in ihren Verteidigungsschriften auf das makellose Leben der Christen hinweisen konnten. Weichheit und Nachgiebigkeit haben der Kirche noch nie gedient, meine lieben Freunde, und wir hören mit Freude, dass der Bischof von Limburg den Bezirksdekan von Wetzlar abgesetzt hat, weil er etwas getan hat, was kein katholischer Priester tun darf, nämlich homosexuelle Gemeinschaften segnen. Wir danken ihm für diesen Dienst, den er dem Volke Gottes erwiesen hat. Wer alles durchgehen lässt, der dient nicht der Gemeinschaft, sondern der dient dem Gesetzesbrecher.

Eine andere Frage ist, wie weit die Kirche sich in irdische Sachgebiete mit ihrer Gewalt, mit ihrer Hirtenautorität einmischen darf. Natürlich, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Staat sind zunächst einmal in einem bestimmten Bereich autonom, d.h. sie folgen ihren eigenen Gesetzen. Aber darüber hinaus hat die Kirche ein Wächteramt, ein öffentliches Wächteramt. Sie hat dafür zu sorgen, dass die Gebote Gottes, die Gebote der gottentstammten Natur in diesen Sachbereichen beobachtet werden. Früher sprach man von der potestas indirecta, von der mittelbaren Gewalt der Kirche über die zeitlichen Angelegenheiten. Der Ausdruck ist nicht mehr üblich, aber die Sache ist geblieben. Auch diese Sachgebiete unterstehen der Hirtenaufgabe der Kirche. Denken wir etwa, wenn die Kirche ihre Stimme erhebt gegen den Verbrauch von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen. Da hat die Kirche ihr Wächteramt ausgeübt, und unsere Kirche wiederum allein. Alle anderen beugen ihre Knie vor dem Götzen Baal, nämlich Genuß und Konfliktvermeidung auf dieser Erde. Die Kirche allein ist ungebeugt.

Darüber hinaus hat die Kirche die Gläubigen mit dem rechten Geiste zu erfüllen. Sie muss dafür sorgen, dass die Menschen wissen, was zu tun ist, und dass sie fähig sind, es auch zu verwirklichen. Der rechte Geist ist es, auf den es ankommt. Das hat die Kirche immer getan. Sie ist, als sie entstand, nicht hingegangen und hat gesagt: „Die Sklaverei muss abgeschafft werden. Es ist ein Unrecht, Menschen als Sachen zu behandeln.“ Nein, das hat sie nicht gesagt, sondern sie hat ihre Gläubigen mit einem neuen Geiste erfüllt, mit dem die Sklaverei unverträglich war. Die Nächstenliebe, die in jedem den Bruder sieht, hat dafür gesorgt, dass die Sklaverei abgeschafft wurde. Der große deutsche Rechtslehrer Rudolf von Ihering hat einmal das schöne Urteil abgegeben: „Der eine Satz, dass der Mensch als solcher Rechtssubjekt ist, zu dem das heidnische Recht sich nie erhoben hat, wiegt für die Menschheit mehr als alle Triumphe der Industrie. Ihn hat das Christentum zuerst ausgesprochen und ins Leben eingeführt.“ Ein wahres Ruhmesblatt für unsere heilige Religion.

Das alles, meine Freunde, sind Einzelaufgaben, die dem Hirtenamt der Kirche obliegen. Da fragt freilich der eine oder andere: Warum hat die Kirche nicht mehr erreicht? Zweitausend Jahre wirkt sie ja. Die erste Antwort lautet: Weil die Kirche in jeder Generation, ja bei jedem Menschen neu anheben muss. Gesinnungen und Tugenden vererben sich nicht. Sie müssen neu erworben werden von jedem einzelnen. Jeder muss selbst beginnen, sie zu erwerben. Die zweite Antwort lautet: Weil der Widerstand gegen das Wirken der Kirche viele ihrer Anstrengungen zunichte macht; weil immer wieder zerstört wird, was sie aufbaut. Schauen Sie in die Zeitungen, hören Sie den Rundfunk, blicken Sie in den Fernseher: Dort wird mit allen Kräften versucht, die Botschaft der Kirche zunichte zu machen. Wo die Kirche ein Nein spricht, da sagen diese Medien ein Ja.

Lassen wir uns, meine lieben Freunde, von diesen irrigen Anschauungen nicht anstecken. Lassen Sie uns mit entschiedenem Willen sprechen: Wir wollen an der Hand der Kirche den Weg Christi gehen. Kirche, so wollen wir sagen, du bist die große Führerin, die emporführt über die Niederungen des Lebens. Kirche, du bist die große Führerin aller Zeiten, du bist die große Mutter und Erzieherin. Auf dir schreiten die Jahrhunderte zu Gott.

Amen.

 

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