Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. Februar 2007

Die Pflicht zu guten Werken

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unser Leben ist nicht ein Vorbeischreiten an Abgründen, sondern ein Weg in die Höhe. Gewiß, wir sind gefährdet, weil wir die Last der bösen Begierlichkeit in uns tragen. Aber der Kampf gegen das Böse erschöpft unser Leben nicht. Unsere größere Aufgabe ist vielmehr, Gutes zu tun, gute Werke zu vollbringen, ein guter Baum zu sein, der einmal fruchtbeladen am Ende des Lebens dasteht. Da erhebt sich die Frage: Ja, was ist denn gut? Woher wissen wir denn, was gut ist? Wer sagt uns denn, welche Werke gut und welche böse sind? Die Antwort lautet: Allein Gott kann uns sagen, was gut ist und was böse ist. Er ist der Herr des Weltalls; er ist der Herr auch der Moral. Gott selber ist gut, in sich gut, und was er will, das ist gut. Der Wille Gottes belehrt uns, was gut ist.

Diesen Willen hat Gott in einer doppelten Offenbarung ausgesprochen, in der Schöpfungsoffenbarung und in der Erlösungsoffenbarung. In der Schöpfungsoffenbarung hat Gott Strukturen, Gesetze in das Sein, in die Geschöpfe gelegt, die für den Menschen verbindlich sind. Die Seinsordnung ist für uns ein Befehl Gottes. Ebenso ist es mit der Gnadenordnung. Hier hat uns Gott seinen Willen geoffenbart, und was er uns lehrt, das ist von uns zu tun. Was dieser Ordnung entspricht, das ist gut. Was ihr widerspricht, das ist böse. Also: Wir müssen nur ernst machen mit den Wirklichkeiten. Wenn wir Geschöpfe und Kinder Gottes sind, dann müssen wir ihn anbeten, dann müssen wir ihn lieben, dann müssen wir ihm gehorchen. Wenn wir Brüder Christi sind, dann muss ein jeder Mensch, wer immer er auch sei, uns zu Achtung und Liebe bewegen. Wenn wir Tempel des Heiligen Geistes sind, dann müssen wir in Selbstachtung und Keuschheit unser Leben verbringen.

Die Güte einer Handlung bestimmt sich aus drei Elementen: aus der Handlung selbst, aus der Absicht und aus den Umständen. Wir haben in unserem Studium gelernt den schönen Satz: „Bonum ex integra causa – malum ex quolibet defectu.“ Ein wunderbares Prinzip: Bonum ex integra causa – malum ex quolibet defectu. Das heißt, eine Handlung ist nur dann gut, wenn alle drei Elemente vorhanden sind: dass die Handlung in sich gut ist, dass die Absicht gut ist und dass die Umstände gut sind. Eine Handlung wird schlecht, wenn auch nur eines von diesen drei Elementen fehlt.

Wenn wir das einmal näher betrachten: Das, was wir tun, muss in sich einwandfrei, gut und nach Gottes Willen sein. Das ist unerlässlich. Aber wir können diese gute Tat verstärken, indem wir sie auch mit guter Absicht vollbringen. Wenn ich die heilige Messe besuche, mürrisch und unwillig, dann ist zwar die Handlung gut, aber sie wird teilweise entwertet durch meinen schlechten Willen. Es muss also zur guten Handlung auch die gute Absicht kommen. Und eine schlechte Handlung kann niemals durch eine gute Absicht gut werden. Aber eine gute Handlung kann durch die gute Absicht doppelt gut werden. Dazu kommen aber auch die Umstände. Auch die Umstände sind zu beachten, denn sie betreffen die Handlung. Nehmen wir an, es besucht jemand am Werktag die heilige Messe. Eine gute Handlung. Er besucht sie mit guter Absicht, denn er will Gott verherrlichen und für die Menschen flehen. Aber zu Hause ist einer, der dringend seiner Hilfe bedarf, der in diesem Augenblick und in dieser Stunde nicht allein gelassen werden kann. Dann sind die Umstände dieses Gottesdienstes schlecht, und die Handlung ist dadurch in ihrem Werte beträchtlich gemindert. Noch einmal: Bonum ex integra causa – malum ex quolibet defectu.

Wir sollen die Handlungen aber auch im Zustand übernatürlicher Erhebung vollbringen. Das heißt: Wir sollen, wenn wir gute Handlungen setzen, im Gnadenstande sein und die gute Meinung haben. Wir sollen im Gnadenstande sein, also in der heiligmachenden Gnade. Wir sollen im Frieden mit Gott sein, denn wenn wir von Gott getrennt sind durch die schwere Sünde, können wir nichts übernatürlich Gutes tun. Noch einmal diesen wichtigen Satz: In der Todsünde können wir nichts, was Ewigkeitswert besitzt, tun. Wir können natürlich gute Taten setzen, das sollen wir auch. Es ist nicht alles, was der Sünder tut, Sünde. Aber Ewigkeitswert besitzt eine Handlung erst wieder, wenn er sich von der Sünde durch Reue und Buße befreit hat.

Dazu sollen wir die gute Meinung erwecken. Wir sollen also mit unseren Guttaten auch gute Absichten verbinden. Wir sollen gut eingestellt sein. Wir sollen die Tat vollbringen zur Ehre Gottes, zum Heile der eigenen Seele und zum Segen für die anderen Menschen. Diese gute Meinung, meine Freunde, sollten wir jeden Tag am Morgen erwecken und auch tagsüber ermeuern. Laß mich, o Gott, so sollen wir jeden Morgen beten, laß mich, o Gott, den Tag verbringen zu deiner Ehre, zum Heile meiner Seele, zum Segen für die übrigen Menschen. Laßt uns also Gutes tun und nicht müde werden.

Wir sollen aber das Gute nicht nur dann und wann tun. Wir sollen es grundsätzlich und immer tun. Wir sollen es regelmäßig tun. Wenn wir das vollbringen, dann  besitzen wir Tugend. Tugend ist die Fertigkeit im Guten. Wenn wir uns angewöhnt haben, immer und regelmäßig das Gute zu tun, dann erwerben wir eine Tugend. Diese Tugend ist eine Fertigkeit im Guten. Wo jemand dauernd und beharrlich das Gute tut, da besitzt er die Tugend.

Unser Tugendleben ist ein Zusammenwirken von Gott und Mensch. Schon bei unserer Erschaffung wurde die natürliche Tugendanlage in unser Herz gelegt. Der Mensch besitzt von Natur aus eine Anlage zur Tugend, und er bekommt eine weitere Anlage zur Tugend in der Taufe. Durch die Taufe wird eine übernatürliche Tugendanlage, eine Anlage zu übernatürlicher Tugend, in die Seele gelegt. Diese Anlage aber will entfaltet werden. Wir müssen die Tugend üben, damit wir das Pfand, das Gott in uns gelegt hat, auch benutzen. Wir müssen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Guten erwerben, damit wir das Gute leicht und wie von selbst tun. Das Gute muss uns gewissermaßen zur zweiten Natur werden. Eine gute Gewohnheit müssen wir ausbilden. Aus der eingegossenen Tugend soll die erworbene Tugend werden. Und dann sollen wir die Tugend leben. Wir sollen Tugenden erwerben, die zahlreichen Tugenden, die sich in unserer Seele befinden sollen.

Es gibt ganze Tugendgruppen. An erster Stelle die drei göttlichen Tugenden. Göttliche Tugenden sind jene, die von Gott kommen und uns mit Gott verbinden. Es ist der Glaube, es ist die Liebe, es ist die Hoffnung. Wir müssen glauben, hoffen, lieben, um zu Gott zu kommen und mit ihm verbunden zu werden. Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Aber auch ohne Liebe kann man Gott nicht gefallen, und auch nicht ohne Hoffnung.

Zu den göttlichen Tugenden treten die sittlichen Tugenden. Das sind jene Fertigkeiten im Guten, die sich auf die Mitmenschen und auf die eigene Persönlichkeit richten. Seit alter Zeit, schon von den Griechen her, werden die wesentlichen sittlichen Tugenden zusammengefaßt in den sogenannten Kardinaltugenden, d.h. in den Haupttugenden. Das ist Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit und Starkmut. Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit und Starkmut. Die Klugheit lehrt uns, das rechte Ziel ins Auge zu fassen, nämlich den Himmel, und die rechten Mittel dazu zu gebrauchen. Wer klug ist, schaut auf zu den Sternen und vergisst nicht die Gassen. Die Gerechtigkeit gibt einem jeden das Seine. Sie teilt einem jeden zu, was ihm frommt und was ihm zukommt. Jedem das Seine geben und jedem das Seine lassen, das ist die Sache der Gerechtigkeit. Die Mäßigkeit lehrt uns den Ansturm der Leidenschaften abwehren. Sie ist die ordnende Kraft. Sie lehrt uns das rechte Maß in allen Dingen. Und der Starkmut gibt uns die Kraft, in Widrigkeiten auszuhalten. Starkmütig ist, wer tapfer ist und wer mutig ist, tapfer im Ertragen, mutig im Vorwärtsstürmen, allen Hindernissen zum Trotz. Das sind die Haupttugenden, die wir erwerben sollen.

Daneben gibt es auch Standestugenden. Jeder Stand hat seine eigenen Tugenden: der Vater, die Mutter, der Arbeiter, der Lehrer,  der Priester – sie alle haben ihre eigenen und eigentlichen Tugenden, die sie vor anderen bewähren und bewahren müssen. Es gab einmal eine Zeit, da hat man auch dem deutschen Volk Tugenden zugeschrieben. Man sagte, der Deutsche ist fleißig, er ist ordnungsliebend, er ist zuverlässig, er ist pünktlich. Ich weiß nicht, ob das heute noch gilt. Aber wenn es gälte, wäre es sehr erfreulich. Auch unser Volk sollte Tugenden beweisen, die es vor anderen Völkern auszeichnet. Fleiß, Zuverlässigkeit, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, das sollten völkische Tugenden der Deutschen sein.

Jede Tugend hat ihre eigene Aufgabe, und keine Tugend kann die andere ersetzen; sie hängen alle zusammen. Wenn man eine Tugend schwächt, schwächt man auch eine andere. Ich werde nie vergessen, meine lieben Freunde, wie uns der Leiter des Münchner Priesterseminars im Jahre 1948 sagte: „Man ist nicht nur auf einem Gebiete unenthaltsam.“ Man ist nicht nur auf einem Gebiete unenthaltsam, d.h. wenn man unenthaltsam ist im Essen und Trinken, dann ist man es auch im Reden oder in der geschlechtlichen Sittlichkeit. Man ist nicht nur auf einem Gebiete unenthaltsam. Das ist wunderbar ausgedrückt und gilt auch für die anderen Tugenden. Auch die anderen Tugenden brauchen den Beistand, brauchen die Hilfe der benachbarten und der dazugehörigen Fertigkeiten im Guten.

Freilich gibt es eine Tugend, meine lieben Freunde, die über allem steht und die vor allem gepflegt werden muss, und diese Tugend ist die Liebe. Das Größte von allem, so werden wir am nächsten Sonntag hören, das Größte von allem ist die Liebe. „Wenn ich meinen Leib zum Verbrennen gäbe, und wenn ich die Gabe der Weissagung hätte, und wenn ich allen Glauben hätte, so dass ich Berge versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, ich wäre nichts.“

Pflegen wir also die Liebe, die Liebe zu Gott, die Liebe zum Nächsten, die Liebe auch zu unserem eigenen, besseren Ich. „Gedenke daran, welchen Hauptes Glied du bist“, mahnt einmal der heilige Augustinus. Denke daran, welchen Hauptes Glied du bist!

Amen.

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