Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
4. Dezember 2005

Das allgemeine Weltgericht

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommen wird und alle Engel mit ihm, dann werden alle Völker vor ihm versammelt werden, und sie werden voneinander geschieden werden, wie der Hirte die Schafe von den Böcken scheidet. Die Schafe wird er zu seiner Rechten stellen, die Böcke zu seiner Linken. Alsdann wird der König zu denen auf der Rechten sprechen: Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters. Nehmt in Besitz das Reich, das euch bereitet ward von Anbeginn der Welt. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt. Ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet. Ich war krank, und ihr habt mich besucht. Ich war gefangen, und ihr seid zu mir gekommen. Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Dann wird er zu denen auf der Linken sagen: Hinweg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist. Denn ich war hungrig, und ihr gabt mir nicht zu essen. Ich war durstig, und ihr gabt mir nicht zu trinken. Ich war fremd, und ihr habt mich nicht beherbergt. Ich war nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich war krank und im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht. Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan. Diese werden eingehen in die ewige Pein, die Gerechten aber in das ewige Leben.

So, meine lieben Freunde, hat der Herr selbst das Weltgericht beschrieben. Es ist ein Gericht nach den Werken. Es ist ein Gericht, das in völliger Gerechtigkeit endlich den Ausgleich schafft. Wir wollen diese Wahrheit über das Weltgericht in drei Sätze fassen.

1. Es gibt ein allgemeines Gericht am Jüngsten Tage.

2. Alles wird offenbar werden.

3. Christus wird scheiden und entscheiden.

Der Herr selber hat schon in der Bergpredigt auf jenen Tag hingewiesen, da er Gericht halten wird, und immer wieder davon gesprochen. Er hat das Gleichnis vom Unkraut im Weizen und von den guten und von den schlechten Fischen den Jüngern erzählt, und immer hinzugefügt: So wird es am Ende der Welt sein. Die Engel werden ausziehen und die Bösen aus der Mitte der Gerechten absondern und sie in den Feuerofen werfen. In dem Gleichnis von den Talenten hat der Herr von der Rechenschaft gesprochen, die wir ablegen müssen. Ja, von jedem unnützen Wort, das die Menschen reden, werden sie, wie er sagt, Rechenschaft legen müssen.

Was der Herr gepredigt hat, das haben seine Jünger aufgenommen. Paulus verkündete in Athen auf dem Areopag: „Gott hat einen Mann bestellt und ihn durch die Auferstehung beglaubigt, dem er das Gericht übertragen hat, der die Welt richten wird.“ Petrus hat ähnlich gesprochen: „Sie werden Rechenschaft geben müssen vor dem, der bereit steht, die Lebendigen und die Toten zu richten.“ Und auch Johannes sah in der Apokalypse die Toten auferstehen und Groß und Klein vor dem Throne Gottes stehen. „Das Meer gab die Toten heraus, die es barg, und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus, und jeder ward gerichtet nach seinen Werken.“ Es ist eine unaufgebbare Lehre der Kirche, dass es ein Weltgericht gibt. In jedem Glaubensbekenntnis sprechen wir davon, dass Christus der Richter sein wird, dass er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. Das Weltgericht ist also sicher. Es war für die Kirche immer ein großer Trost, denn beim Weltgericht wird endlich Gerechtigkeit geschaffen werden. Wenn man die Gerechten knechtete und die Heiligen mordete, wenn Lüge und Unrecht und Gewalt triumphierten, dann hat die Kirche ihre Gläubigen daran erinnert: Es kommt eine Stunde der Gerechtigkeit. Da wird Gottes Ehre und auch eure eigene geschmähte Ehre endlich wiederhergestellt werden. Es ist aber freilich auch ein sehr ernster Gedanke, denn wir alle sind bei dem Gericht dabei. Und wer von uns weiß sich frei von Schuld? Wer weiß sich gerechtfertigt? Da werden wir nicht an die anderen zuerst denken, sondern an uns selbst, und jeder muss jetzt selbst antworten. „Weh, was werd’ ich Armer sagen, wenn Gerechte selbst verzagen, welchen Anwalt mir erfragen?“ So heißt es im Hymnus „Dies irae“, den wir in jeder Totenmesse beten. Es gibt ein Gericht, und es kommt mit absoluter Sicherheit.

Der zweite Satz lautet: Es wird alles offenbar werden. Wir haben ja schon auf Erden ein Sprichwort: „Die Sonne bringt es an den Tag“, da eben von der geschaffenen Sonne manches erhellt wird, was im Dunkel der Nacht verborgen war. Und es wird vieles aufgedeckt schon auf Erden, das die Menschen gern verbergen möchten. Aber von der unerschaffenen Sonne, von Christus, gilt noch viel mehr, dass sie alles an den Tag bringen wird. Da werden die Bücher aufgeschlagen, in der alle Schuld aus Erdentagen eingetragen ist. Auch unsere geheimsten Gedanken werden dann offenbar werden, in voller Wahrheit. Wie bisher Gott das Menschenleben und die Weltgeschichte gesehen und gelenkt hat, das werden wir nun in allen Einzelheiten erkennen. Wie wir gehandelt und wie wir gedacht haben, das wird nun in aller Wahrheit offenbar werden. Wie ein Riesenfilmdrama wird unser Leben, ja wird die Weltgeschichte vor unseren Augen ablaufen. Aber jetzt wird nicht nur das Äußere sichtbar, jetzt sind die Herzen offenbar. Nun werden alle Pläne geschaut, alle geheimen Motive gesehen, das heuchlerische Wort und das verstellte Antlitz, das wird jetzt offenbar gemacht. Wir werden sehen, wie Menschen- und Teufelskräfte riesenhaft am Werke waren, und wie es doch eine Vorsehung Gottes gab. Ja, meine lieben Freunde, die Fragen, die wir hier auf Erden so oft erheben: Wo ist denn mein Gott?` Wo ist denn seine Hilfe? Wo ist denn seine Barmherzigkeit?, diese Fragen werden dann verstummen, denn sie sind beantwortet. Die Rätsel sind gelöst. Es wird nichts bleiben, was uns noch quält und was uns noch ängstigt. Dann wird der Herr in voller Gerechtigkeit über die Menschen richten. In einem Augenblick, in einem Nu, mit Blitzeskraft, mit Blitzesgeschwindigkeit werden wir alles, was wir getan oder nicht getan haben, an uns vorüberziehen sehen. Alle Werke, gute und böse, werden ins Gedächtnis treten und in wunderbarer Schnelligkeit mit einem Geistesblitz an uns vorüberziehen. „Alles verläuft mit Blitzesklarheit und Blitzeskraft“, hat einmal der heilige Chrysostomus geschrieben. Alles wird offenbar werden. Wahrhaftig: „Und ein Buch wird aufgeschlagen, treu darin ist eingetragen alle Schuld aus Erdentagen.“ Alles wird offenbar werden.

Der dritte Satz lautet: Christus wird scheiden und entscheiden. „Der Vater richtet niemand“, hat der Herr einmal gesagt, „er hat das ganze Gericht dem Sohn übertragen.“ Schon in dieser Weltzeit ist Christus in einem gewissen Sinne die Scheidung der Geister. Schon jetzt scheiden sich ja die Menschen; nur ist es nicht immer offenbar. Wir können nicht in das Herz der Menschen schauen. Wir wissen nicht, was der einzelne mit seinen Handlungen beabsichtigt hat. Aber die Scheidung, die jetzt schon da ist, wird dann offenbar werden. Dann wird Christus endgültig der Richter aller Menschen sein. Dann wird sich zeigen, dass das Wort stimmte: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich.“ Dann wird die Scheidung vor aller Augen sichtbar. Die Menschen werden geschieden werden, so wie der Hirte die Böcke von den Schafen scheidet, wie der Herr die Getreuen von den Widersachern scheidet, dann werden alle gerichtet werden nach ihren Werken. Nicht nach schönen Worten, sondern nach ihren Werken! Vor allem nach den Werken der Liebe, wie wir am Anfang gehört haben. Die Werke der Liebe sind das Entscheidende, sie sind das Kennzeichen der Jünger Christi. „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben.“ Oder: „Ich war hungrig, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben.“ „Sitzt der Richter dann, zu richten, wird sich das Verborg’ne lichten. Nichts kann vor der Strafe flüchten.“ Nun kommt die endgültige Gerechtigkeit zum Siege.

Wie sehnt sich doch unser Herz, meine lieben Freunde, nach Gerechtigkeit! Wir sehen viel zu oft, dass die Gerechtigkeit auf Erden am Kreuze hängt. In dieser Weltzeit triumphieren diejenigen, die listig oder mit Gewalt sich einen Platz an der Sonne erobern, und andere, die demütig und bescheiden sind, werden zurückgesetzt, bleiben unbeachtet oder werden gar verfolgt. Man hört manchmal das Wort: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. In dieser Allgemeinheit gilt das nicht so. Wer die Weltgeschichte kennt, der weiß, dass dieser Satz nur zu einem Teil richtig ist. Gewiß, es gibt Lebensgesetze, es gibt Naturgesetze für den Einzelmenschen und für die Völker, und wer sie übertritt, der findet häufig, vielleicht sogar meistens schon auf Erden seine Strafe. Denn es ist die Eigenart der Sünde, dass sie ihre Strafe in sich trägt. Die Sünde schadet schon in dem Augenblick, wo sie geschieht oder bald danach dem, der sie tut. Es ist, wie wenn eine Lokomotive auf dem Bahnhof in ein falsche Gleis fährt. Wie leicht kommt es zu einem Zusammenstoß, wenn sie nicht zurückfährt, wie leicht kommt es zu einer Katastrophe! So korrigieren sich tatsächlich im Laufe der Weltgeschichte häufig die Irrtümer. Aber Hunderttausende, Millionen von Einzelmenschen sind das Opfer dieser Irrtümer, sind das Opfer dieses Unrechts. Sie erleben auf der Welt keine Sühne. Deswegen braucht es ein Weltgericht im Großen und im Kleinen, für den Einzelmenschen und für die Institutionen. Es hat schon einmal jemand gefragt: Ja, werden wir nicht einmal gerichtet beim Tode? Beim Tode findet doch auch schon ein Gericht statt. Nach dem Tode kommen wir doch vor das Gericht Gottes. Wozu dann noch ein Weltgericht? Aus einem doppelten Grunde. Einmal sind wir beim Tode, wenn wir vor Gottes Richterstuhl stehen, einsam. Wir sind allein. Niemand hört zu, sondern wir stehen allein vor Gottes Angesicht. Beim Weltgerichte aber wird über uns gerichtet vor aller Welt. Da sehen wir zu unserer Beschämung oder zu unserem Lobe, was wir getan oder was wir angerichtet haben. Zweitens: Die Einrichtungen, die Institutionen, die Gemeinschaften, der Staat, die Kirche, sie werden erst beim Weltgericht gerichtet. Die Einzelmenschen erleben das besondere Gericht, aber die Institutionen erfahren ihre Gerechtigkeit erst beim Weltgericht. Das Papsttum meinetwegen, das Bischofskollegium, sie werden beim Weltgericht gerichtet werden. Das ist der Unterschied.

Und dann spricht der Richter: Kommt, ihr Gesegneten! Oder: Weichet, ihr Verfluchten! Welch ein Jubel wird sein bei den Gerechten! Jetzt ist das Ziel erreicht, jetzt wird ein millionenfaches Alleluja von ihnen angestimmt werden. Der Osterjubel der Erlösung wird jetzt endgültig und für immer in ihrem Munde sein.

Zugleich aber wird sich auf der anderen Seite die Verwerfung offenbaren. Unsagbarer Schmerz und Verzweiflung packt die dunklen Gestalten der Verdammten. Ein jeder weiß: Ich bin zu Recht verdammt; ich bin es durch eigene Schuld; ich bin es auf ewig! „Und diese werden eingehen in die ewige Pein, die Gerechten aber in das ewige Leben.“ So schließt der Herr seine Gerichtspredigt. Meine lieben Freunde, auf welcher Seite werden wir stehen? „Bei den Schafen gib mir Weide, von der Böcke Schar mich scheide, stell mich auf die rechte Seite. Wird die Hölle ohne Schonung den Verdammten zur Belohnung, ruf mich zu der Sel’gen Wohnung. Schuldgebeugt zu dir ich schreie, tief zerknirscht in Herzensreue. Sel’ges Ende mir verleihe!“

Amen.

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