Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Juni 2001

Der Anteil der Getauften am dreifachen Amte Christi

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Christus ist Priester, Prophet und König. Die Theologie spricht mit Recht vom priesterlichen, prophetischen und königlichen Amte Christi. Wer zu Christus durch Taufe und Glaube in Beziehung tritt, gewinnt Anteil an dem dreifachen Amte Christi. Er wird in seiner Weise am priesterlichen, am prophetischen und am königlichen Amte Christi beteiligt. Wir hatten am vergangenen Sonntag die Teilnahme am priesterlichen Amte Christi besprochen. Heute bleibt uns übrig, die Teilnahme am prophetischen und am königlichen Amte Christi zu bedenken.

Erstens also: Die Teilnahme der Getauften am prophetischen, am Lehramte Christi. Der Getaufte ist ein Zeuge, ein Zeuge für Christus. Was ist die Aufgabe eines Zeugen? Nun, ein Zeuge erscheint vor Gericht, um Zeugnis abzulegen, d. h. eine Aussage zu machen, um einen Sachverhalt zu erhellen, um jemanden der Schuld zu überführen oder von der Schuld freizusprechen. Auch der Christ, der Getaufte ist als Zeuge aufgerufen durch seine Taufe. Er soll Zeugnis ablegen von Gott, von Christus, von der Wahrheit und von der Gnade. Er soll Zeugnis ablegen durch sein Leben und durch seinen Mund. Beides ist zum Zeugnis aufgerufen, das Wort und die Tat.

Das Zeugnis, das der Christ für die Wahrheit Gottes ablegt, dient dazu, die Menschen zum rechten Verhältnis zu Gott zu führen, damit sie begreifen, wer Gott ist, daß sie ihm verpflichtet sind, daß sie ihm dienen müssen, daß sie ihr Leben nicht fern von Gott und unter Mißachtung Gottes vollziehen dürfen. Das soll ihr Leben den Menschen nahebringen. Gleichzeitig soll ihr Zeugnis Gott gewissermaßen entlasten. Angesichts der Ungerechtigkeit, der Katastrophen und der Laster in der Welt scheint die Gerechtigkeit Gottes verdunkelt zu werden. Da hat nun der Christ die Aufgabe, durch sein Zeugnis dieses Dunkel wegzuwischen und zu zeigen, daß Gott doch die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Liebe, die Treue und die Heiligkeit ist. Das ist seine Aufgabe als Zeuge. Dieses Zeugnis gründet in der Taufe. Er braucht dazu keine Beauftragung, er braucht keine Sendung durch die Kirche; die Taufe ist genug. Sie macht ihn geeignet und befähigt, sie berechtigt und verpflichtet ihn, Zeugnis für Gott abzulegen. Dieses Zeugnis ist auch nicht eine bloß private Angelegenheit. Nein, das Zeugnis des Getauften hat einen gewissen amtlichen Charakter. Deswegen muß sich auch die Kirche das Zeugnis, aber auch selbstverständlich das Nicht-Zeugnis der Getauften zurechnen lassen.

Das Zeugnis des Christen in Wort und Tat hat mannigfache Gestalt. In dem einfachen Lehren, das Eltern gegenüber den Kindern ausüben, vollzieht sich ein Stück dieses Zeugnisses. Das Wort ist mächtig, und das Wort besitzt Kraft. Man muß bedenken, daß sich das Wort des christlichen Zeugen in dem Bereich bewegt, in dem der Heilige Geist anwesend ist. Ja, der Heilige Geist legt im begnadeten Christen durch ihn Zeugnis ab. Jawohl, genau so ist es. Der Geist legt durch den begnadeten Christen Zeugnis ab. Da sehen wir die große Verantwortung, die wir für dieses Zeugnis haben, daß wir den Geist wirken lassen, daß wir ihn nicht hemmen, daß wir ihn nicht hindern, durch uns Zeugnis zu geben. Also muß auch unser Leben ein glaubwürdiges Zeugnis für Christus sein – glaubwürdig, d. h. die Menschen müssen es unserem Leben ansehen, daß wir von Gott erfüllt sind, daß wir zu Gott gehören, daß wir Gott dienen und daß wir in seinem Auftrag unentwegt tätig sind. Da kann man nicht diese törichte Unterscheidung anbringen von privatem Leben und amtlichem Leben, die unsere Herren Politiker so gerne in Anspruch nehmen. Man ist kein anderer im amtlichen Leben als im privaten Leben. Man ist entweder ein Begnadeter, oder man ist ein in der Todsünde Lebender. Und wenn der Herr CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer sich in Mallorca mit seiner Freundin vergnügt, nachdem er seine Familie verlassen hat, dann ist das kein Zeugnis für Christus. Und wenn der Herr Wowereit, der neue Bürgermeister von Berlin, sich als Schwulen bekennt, dann ist das kein Zeugnis für Christus, und wir nehmen ihm nicht ab, daß sein Privatleben keine Auswirkungen haben wird auf sein amtliches Wirken. Das nehmen wir ihm nicht ab.

Das Zeugnis des Lebens spricht lauter als das Zeugnis des Wortes. Wer durch sein bescheidenes, einfaches, Gott hingegebenes und den Menschen dienendes Leben Zeugnis ablegt, der ist ein glaubwürdiger Zeuge für Gott. Mir ist von mehreren Seiten berichtet worden, daß in den katholischen Gemeinden Frankreichs, in denen die Tradition hochgehalten wird, eine Fülle von Familien sind mit mehreren Kindern, eine Fülle von kinderreichen Familien in diesen Gemeinden, in denen die Tradition beachtet wird. Das ist ein Zeugnis, denn heute gilt ja der Slogan: „Bloß keinen dicken Bauch!“ Das ist ein Gegenzeugnis.

Das Zeugnis für Christus ist eine Auswirkung des prophetischen Amtes, das dem Getauften durch die Taufe übertragen worden ist. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diesen Sachverhalt sehr wohl ausgesprochen, wenn es erklärt: „Christus, der große Prophet, erfüllt sein prophetisches Amt nicht nur durch die Hierarchie, sondern auch durch die Laien. Sie bestellt er deshalb zu Zeugen und rüstet sie mit dem Glaubenssinn und der Gnade des Wortes aus, damit die Kraft des Evangeliums im alltäglichen Familien- und Gesellschaftsleben aufleuchte. Diese Hoffnung sollen sie nicht nur im Inneren der Seele bergen, sondern in ständiger Bekehrung und im Kampf gegen die Weltherrscher dieser Finsternis, gegen die Geister des Bösen, auch durch die Strukturen des Weltlebens ausdrücken. Sie sollen gültige Verkündiger des Glaubens an die zu erhoffenden Dinge werden, und das sind sie, wenn sie mit dem Leben aus dem Glauben ohne Zögern das Bekenntnis des Glaubens verbinden.“

Neben die prophetische Aufgabe des Christen tritt seine königliche Aufgabe. Zweitens müssen wir nämlich sagen: Der Christ, der Getaufte gewinnt Anteil am königlichen Amte Christi. Das königliche Amt Christi besagt Herrschaft, aber Herrschaft nicht über Menschen, sondern Herrschaft über Tod, Sünde, Leidenschaften, kurz gesagt: über die abgetanen Mächte dieser Welt. Das ist die Herrschaft, die Christus vom Christen verwirklicht sehen will: Herrschaft über die Sünde, über den Tod, über die Leidenschaften, Herrschaft über die vergänglichen und vorübergehenden Formen dieser Welt. Der Christ ist ein Herrscher, aber anders als manche meinen, indem sie z. B. Funktionen in der Kirche zu übernehmen sich anmaßen. Das ist nicht die Herrschaft, die Christus meint, wenn er vom königlichen Amte spricht, sondern dieses königliche Amt vollzieht sich in der Herrschaft über das Böse. Es hat seine Auswirkungen in mehrfacher Weise. Zunächst einmal sind diejenigen, die am königlichen Amte Christi Anteil haben, zur Weltgestaltung bestellt. Sie sollen die Welt nach dem Sinne Christi, nach den Forderungen Christi, nach den Normen Christi gestalten.

Die Weltgestaltung nach den Normen Christi setzt zwei Dinge voraus: ein subjektives und ein objektives Moment. Wer die Welt nach Christus gestalten will, der muß selbst christusförmig sein, sonst kann er die Welt nicht nach Christus gestalten. Er muß also von Liebe, Dienstwilligkeit, Gemeinschaftsgeist erfüllt sein; er muß Augenlust, Fleischeslust, Hoffart des Lebens dahinten lassen. Das ist das subjektive Moment, das notwendig ist, wenn man die Welt nach Christus gestalten will. Das objektive Moment besteht darin, daß man die Strukturen der Dinge und der Erscheinungen dieser Welt begreift und ihren ihnen von Gott eingeschaffenen Sinn erkennt und verwirklicht. Man muß die Dinge so betrachten, wie Gott sie betrachtet; man muß nach dem Schöpfungssinn fragen, und dann kann man an die Weltgestaltung herangehen. Die Schöpfung ist dem Menschen von Gott anvertraut; er ist für die Schöpfung verantwortlich. Er muß also auch einen entsprechenden Umgang mit der Schöpfung üben. Er muß die Schöpfung verwalten als ein Verwalter Gottes. Die Schöpfung ist ihm anvertraut, damit er sie bewahrt, nicht damit er sie zerstört. Er muß der Schöpfung in gewisser Hinsicht dienen. Er ist wohl bis zu einem gewissen Grade der Herr der Schöpfung, aber eben so, wie die Herrschaft Gottes gemeint ist, die eben im Letzten ein Dienst ist. Er muß die Schöpfung zu ihrer eigenen Wesenheit führen; er muß das Wesen der Dinge beachten und danach handeln und sie verwalten.

Zu dem königlichen Amt gehört auch die Teilnahme an der Heiligung der Welt. Die Heiligung der Welt ist der Kirche aufgetragen. Sie vollzieht sie durch Gebet und Opfer, durch Wortverkündigung und Sakramentenspendung, und darin ist ja nun jeder Priester und jeder Laie eingebunden. Alle Getauften nehmen an dieser Sendung der Kirche teil, die Welt zu heiligen, die Welt zu Gott zu führen. Bei dieser Heiligung der Welt werden die Menschen um so mehr wirken, je heiliger sie selbst sind. Man kann die Menschen nur zu etwas bekehren, wovon man selbst erfüllt und überzeugt ist. Man muß das leben, was man verkündet, dann kann man auch die Menschen zu dem führen, was man nach Gottes Auftrag ausrichtet.

Wenn wir also hingegeben sind an Gottes Herrschaft, an Gottes Willen, an Gottes Wahrheit, dann sind wir geeignet, an der Heiligung der Welt teilzunehmen. Auch hier hat das Zweite Vatikanische Konzil deutlich gesprochen, indem es zur Teilnahme der Getauften am Königtum Christi sagt: „Christus ist ja der König der Herrlichkeit, und er hat seine Jünger dazu berufen, daß sie in königlicher Freiheit stehen und durch Selbstverleugnung und ein heiliges Leben das Reich der Sünde in sich selbst besiegen.“ Da sehen Sie, meine lieben Freunde, das sind Worte, die die nachkonziliaren Christen nicht gern hören, daß man nämlich die königliche Freiheit dadurch gewinnt, daß man sich selbst verleugnet und ein heiliges Leben führt und dadurch das Reich der Sünde in sich besiegt. Diese königliche Herrschaft hat aber auch noch eine andere Seite, nämlich daß man Christus in den anderen dient und die Brüder in Demut und Geduld zum König hinführt. Auch das ist königliche Aufgabe: den Brüdern dienen. Ich habe einmal gelesen, wie in Paris in der Kirche Saint Nicholas du Chardonnet sich eine große Schar von Frauen und Mädchen zusammengeschlossen hat, die je zwei zu zwei in die Häuser gehen und dort Verlassene, Kranke, Bresthafte betreuen. Das ist Dienst in Christus, das ist Ausübung des königlichen Amtes. Die Gläubigen sollen durch ihr Wirken der Welt zur Heiligung verhelfen, indem sie sich gegenseitig zu einem heiligeren Leben aneifern, indem sie die Welt mit dem Geiste Christi erfüllen und in Gerechtigkeit, Liebe und Frieden ihr Ziel wirksamer erreichen.

Dieses königliche Amt der Laien wird vom Zweiten Vatikanischen Konzil auch als „Weltcharakter“ der Laien beschrieben. Die Laien haben den Weltcharakter. Ihnen ist der Weltcharakter in besonderer Weise eigen. Das heißt, sie sollen von Berufs wegen Zeugnis ablegen in der Welt durch die Verwaltung und die gottgemäße Ordnung der zeitlichen Dinge – durch die Verwaltung und die gottgemäße Ordnung der zeitlichen Dinge. Das sind sehr nüchterne Wahrheiten, aber die Wahrheit ist eben nüchtern. Die Wahrheit schmeichelt nicht; die Wahrheit ist manchmal schmerzhaft, aber dieser Schmerz ist der Schmerz einer Wunde, die heilt.

So wollen wir also, meine lieben Freunde, das prophetische und königliche Amt, das Christus uns übertragen hat, ernst nehmen, darin verharren und nicht müde werden. Zum heiligen Pfarrer von Ars kam einmal ein Herr und sagte: „Wenn Gott Sie vor die Wahl stellen würde, gleich in den Himmel einzugehen oder weiter auf Erden zu arbeiten, was würden Sie wählen?“ Da antwortete Johannes Vianney: „Ich glaube, ich würde wählen, hier zu bleiben.“ „Ja was“, sagte der andere, „wollten Sie nicht in die Freude des Himmels eingehen, wo keine Versuchung und keine Mühe mehr ist?“ Da gab Johannes Vianney zur Antwort: „Die Heiligen des Himmels sind Rentner. Sie empfangen den Lohn für das, was sie auf Erden getan haben. Aber wir sind Arbeiter, und wir wollen arbeiten, solange wir es vermögen, wir wollen Gott dienen, solange wir Kraft haben, wir wollen unseren Dienst vollziehen, solange ein Hauch in uns ist.“

Amen.

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