Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Juni 1999

Die Hölle als die Ausreifung der Trennung von Gott

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Hölle ist ein Geheimnis. Sie ist das Geheimnis der Sünde. So wie der Himmel die Vollendung der Gottverbundenheit ist, so ist die Hölle die Ausreifung der Trennung von Gott. Alle Aussagen, die wir über die Hölle machen, tragen den Charakter der Analogie, d.h. sie sind den Wirklichkeiten, die wir auf Erden mit den Begriffen und Vorstellungen verbinden, ähnlich, aber sie sind diesen Wirklichkeiten noch mehr unähnlich als ähnlich. Die Hölle bleibt trotz allem, was wir darüber von Gott erfahren haben, ein Geheimnis.

Die Hölle ist die Ausreifung der Sünde. Der Sünder, der ohne Reue von dieser Welt scheidet, lebt ewig in der Hölle. Die Sünde ist die mit Freiheit und klarer Erkenntnis getroffene Übertretung und Verletzung des göttlichen Gesetzes in einer für den Aufbau des Gottesreiches wichtigen Sache. Wer im Zustand der Sünde aus dieser Welt scheidet, dem wird dieser Zustand eine ganze Ewigkeit anhängen. Der Sünder verhärtet sich in seiner Sünde; er verstockt sich in seiner Sünde; er kann nicht mehr los von seiner Sünde. Gott gibt ihm keine Gnade der Bekehrung mehr, und er will sie nicht. Der Sünder bekommt seinen Willen, er darf in der Weise der Gottesferne, der Gottwidrigkeit, der Eigenherrlichkeit leben. Es gibt Theologen, die der Ansicht sind, daß sich die Sünde in der Ewigkeit zum Gotteshaß wandelt. Das ist nicht undenkbar; denn der Mensch, der in der Hölle ist, durchschaut sich viel klarer als während der Pilgerzeit; er besitzt sich viel intensiver als während des irdischen Lebens. So kann es durchaus sein, daß die Sünde ausreift zum Gotteshaß.

Das Wesen der Hölle ist die Gottesferne. Der Verdammte entbehrt der Nähe Gottes, er lebt nicht in der Gemeinschaft mit Gott. Er ist fern vom Lichte, denn Gott ist das Licht; er vegetiert in der Finsternis, im Dunkel. Gott kümmert sich nicht um ihn, er wendet das Antlitz seiner Liebe von ihm ab. Nun ist aber der Mensch wesensgemäß auf Gott hingeordnet. Er stammt ja von Gott, und weil er von Gott stammt, ist er auch auf Gott hingeordnet. Sein ganzes Wesen ruft nach Gott. Wenn er deswegen diese Erfüllung seines Wesens nicht finden kann, dann lebt er im Widerspruch mit sich selbst. Der Verdammte tut sich selbst Gewalt an. Während der irdischen Zeit kann der Mensch sich über die Ferne von Gott hinwegtrösten. Er ergötzt sich an den irdischen Gütern und Schätzen und vermag so diese Gottesferne scheinbar auszuhalten. Aber in der Ewigkeit vermag er sich an keinem irdischen Gut mehr zu erfreuen; denn die Welt ist vor ihm geflohen. Die Welt, die er mißbraucht hat, die Welt, die er vergewaltigt hat, die Welt zieht sich von ihm zurück, und so fehlt ihm der Trost, den er sich auf Erden von den Dingen dieser Welt verschaffen konnte. Er lebt in einer ewigen Nichterfüllung. Er spürt seine Hinordnung auf Gott, er spürt sie deutlicher, als er sie je auf Erden gespürt hat, aber er weiß, er kann sie niemals befriedigen; es ist unmöglich, diese Sehnsucht zu erfüllen. Und so bedeutet diese Zerrissenheit, in der er lebt, eine unsagbare Qual.

Wenn schon auf Erden der Mensch in die Verzweiflung geraten kann und sein Leben beenden kann, wenn er das geliebte Du nicht findet – denken Sie an die „Leiden des jungen Werther“ von Goethe –, so ist es erst recht in der Ewigkeit so, daß der Mensch, der in der ewigen Nichterfüllung lebt, in tiefster Verzweiflung verharren muß. Er lebt ein Leben, das kein Leben mehr ist, weil ihm das fehlt, was zum Leben gehört, nämlich die Liebe, die Freude, die Hoffnung und der Trost. Er hat keine Liebe, weil er von der personhaften Liebe, nämlich Gott, geflohen ist. Er hat keine Hoffnung, weil er von dem, der aller Hoffnung Ziel ist, weggegangen ist. Er hat nicht nur diese oder jene Hoffnung nicht, er hat überhaupt keine Hoffnung mehr. Er hat keine Zukunft, sondern nur eine einzige grauenhafte Gegenwart. Er hat auch keinen Trost von Menschen. Gewiß bilden die Verdammten eine Gemeinschaft, aber es ist eine Gemeinschaft im Haß. Weil sie von Gott geflohen sind, der die Liebe ist, entbrennen sie von Haß gegeneinander. Hier gilt das Wort nicht: „Geteiltes Leid ist halbes Leid“, denn sie teilen ihr Leid nicht; sie empfinden nur Haß gegeneinander. Die Verdammten sind zu einer Liebe, die sich im Gespräch kundtut, nicht mehr fähig. Sie sind stumm. Sie vermögen einander deswegen auch nicht zu trösten.

In dieser grauenhaften Wirklichkeit muß der Verdammte ausharren. Zunächst allein mit dem Geist, mit der Seele, nach der Auferstehung der Leiber auch im Leibe. Während die Leiber der Seligen verklärt sein werden, ähnlich dem Leibe Christi, werden die Leiber der Verdammten unansehnlich, ungeordnet, entstellt und verwundet und häßlich sein. Sie können an dem neuen Himmel und an der neuen Erde keinen Anteil gewinnen, weil sie nicht die Seinsart haben, die notwendig ist, um an diesem Zustand des neuen Himmels und der neuen Erde Anteil zu gewinnen. Das Reich der Werte ist ihnen verschlossen. Sie müssen es in ewiger Einsamkeit und Zerrissenheit und Unerfülltheit aushalten.

Zu der Strafe des Verlustes tritt die Strafe der Empfindung. Es ist immer Lehre der Kirche gewesen, daß die Verdammten auch eine Autoritätsstrafe erleiden müssen, daß Gott die Welt gegen sie aufruft, die Welt, die sie geschändet haben, die sie mißbraucht haben, und daß die Welt ihnen ein Leides antut. Da ist die Rede in der Heiligen Schrift von dem Feuer, das nicht erlischt, von dem Wurm, der nicht stirbt, von der Finsternis und von Heulen und Zähneknirschen. Heulen und Zähneknirschen ist ein Ausdruck der Verzweiflung, der Wut, der Hoffnungslosigkeit, der Trostlosigkeit. Die Theologen haben sich viele Gedanken gemacht, wie das Feuer zu erklären ist, das die Verdammten peinigt. Manche haben gemeint, das Feuer sei ein bildhafter Ausdruck für die Gewissensbisse der Verworfenen, für die ohnmächtige Wut über ihr verfehltes Leben. Aber diese Ansicht ist doch wohl angesichts der vielen Äußerungen Christi über das Feuer nicht richtig. Es muß eine andere Wirklichkeit geben als nur die Gewissensbisse, welche die Verdammten peinigt. Es muß eine irgendwie geartete geschöpfliche Wirklichkeit geben, von der sie gepeinigt werden. Natürlich ist es kein Feuer irdischer Art; es ist ein Feuer eigener Art. Es ist ein Feuer, das von dem Feuer, das wir aus der Erfahrung kennen, verschieden ist, aber es ist etwas, was wie ein Feuer brennt und versengt. Weil die Feuersqual vielleicht die schlimmste ist, die wir kennen, deswegen gebraucht der Herr das Wort vom Feuer, um die Qualen der Verdammten zu beschreiben. Das Feuer hemmt und fesselt den Menschen; es macht ihn bewegungslos, und so muß man es auch bei den Verdammten sich denken. Ihr Geist ist verblendet, ihr Wille ist gelähmt. Sie sind blind. Sie sind deswegen blind, weil sie Gott nicht mit dem Auge der Liebe anschauen können. Sie haben eine Erkenntnis, selbstverständlich. Sie bewahren das Wissen auf, das sie im Leben erworben haben. Sie durchschauen ihre Lage mit völliger Klarheit, aber Gott können sie nur als den Herrn, der ihrer Eigenherrlichkeit entgegensteht, wittern. Sie vermögen ihn nicht mit dem Blick der Liebe anzuschauen, und deswegen muß man sagen: Sie sind blind. Ihr Wille ist gelähmt, weil sie unfähig sind, das Gute zu wollen. Sie können sich nicht bekehren, sie haben keine echte Reue, sie sind der Liebe unfähig. Das ist wahrhaftig eine Fesselung des Willens. Sie bleiben durch ihre Herkunft von Gott geprägt; auch am Verdammten ist noch etwas vom Glanze der Herrlichkeit Gottes zu spüren, weil sie Geschöpfe Gottes bleiben. Sie behalten auch ihre Verähnlichung mit Christus, die sie in der Taufe, in der Firmung oder in der Priesterweihe empfangen haben, aber sie vermögen diese Verähnlichung nicht mehr in ihren Willen aufzunehmen. Ihr Sein und ihre Gesinnung sind in einem unaufhebbaren Gegensatz. Sie verfolgen ihre Herkunft von Gott und ihre Verähnlichung mit Christus mit unauslöschlichem Hasse.

Weil sie im Widerspruch leben, sind sie zutiefst unfrei. Sie vermögen ihr Wesen, das nach Gott ruft, nicht zu erfüllen. Sie vermögen ihr Glück in Gott nicht zu finden. Sie widerstreben dem, was in allen Fasern ihres Wesens nach Gott ruft, und sind deswegen gefesselt und gebunden. Das ist kein menschliches Leben mehr, das ist ein unmenschliches Leben. Sie müssen es in diesem Leben, in diesem Scheinleben in alle Ewigkeit und ohne Aussicht auf eine Änderung aushalten; es gibt keinen Trost, und es gibt keine Hoffnung für sie. Wahrhaftig, da erfüllt sich das Wort: „Geld verloren – viel verloren. Ehre verloren – mehr verloren. Gott verloren – alles verloren. Da wäre es besser, nicht geboren!“

Ein Dichter hat die Empfindungen, welche die Verdammten wohl haben, in Worte zu fassen versucht, und er läßt sie sprechen: „Wir wiesen des Ewigen Ruf zurück und starben als sündige Toren. Wir waren geladen zum Himmelsglück; nun haben wir alles verloren. Vorbei ist die Zeit, und vorbei ist die Gnad‘, vorbei ist der Tag unseres Lebens. O dreh' dich zurück, du schreckliches Rad! Doch jammern wir ewig vergebens.“

Amen.

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