Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
30. Mai 1999

Die Verbindung mit den Armen Seelen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Legationsrat Hans Bernd von Haeften war einer der mutigen Männer, die sich zusammengeschlossen hatten, um das Hitlerregime zu stürzen. Er wurde nach dem 20. Juli 1944 entdeckt, verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Das Ehepaar von Haeften hatte eine katholische Haushälterin, und diese Haushälterin gestand ihrer Herrin, Frau Barbara von Haeften, in den Bombennächten in Berlin habe sie öfters gerufen: „Lieber Herr von Haeften, bitte für uns!“ Sie hatte also einen Abgeschiedenen, einen Verstorbenen, einen im Dienste von Recht und Wahrheit Gefallenen um seine Fürbitte angerufen. Damit sind wir bei unserem Thema, nämlich: Welche Verbindung besteht zwischen den Abgeschiedenen und den Pilgernden auf Erden? Wir haben bereits an zwei vergangenen Sonntagen über den Läuterungszustand, den wir Fegfeuer nennen, gesprochen. Heute bleibt uns die Frage, welche Verbindung besteht zwischen den im Läuterungszustand befindlichen Seelen und den auf Erden pilgernden Menschen.

Darauf gibt der katholische Glaube eine klare Antwort. Sie lautet: Wir können den abgeschiedenen Seelen wirksam helfen. Durch die Konzilien von Lyon, Florenz und von Trient ist diese Wahrheit über jeden Zweifel erhaben festgestellt worden. Die Kirche weiß sich dabei in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift. Wir haben gesehen, daß im zweiten Makkabäerbuch der Glaube an den Läuterungszustand nach dem Tode enthalten ist. Die Kirche weiß sich auch in Übereinstimmung mit den Kirchenvätern, die fest davon überzeugt waren, daß es eine Möglichkeit der jenseitigen Läuterung gibt.

Die vernünftige gläubige Überlegung kann die Überzeugung, daß wir den Verstorbenen wirksam helfen können, einleuchtend erklären. Denn es gibt das Dogma, den Glaubenssatz von der Gemeinschaft der Heiligen. Alle in Christus Verbundenen sind auch untereinander verbunden. Sie bilden eine Gemeinschaft im Guten wie im Bösen. Alles, was ein Mensch Gutes tut, kommt der Gemeinschaft der Heiligen zugute; aber auch was ein Mensch an Gutem unterläßt oder Böses tut, fügt der Gemeinschaft Schaden zu. Die Sünde hat, wie man sagt, eine „soziale Komponente“. Ja, jede Sünde schadet nicht nur dem Sünder, sie schadet der ganzen Gemeinschaft der Heiligen, also der Christgläubigen. Die Menschen sind nach Gottes Willen miteinander verbunden. Sie sollen und können einander Heilsträger sein. Sie sind voneinander abhängig, und sie sind imstande, einander zum Heil zu verhelfen. Das gilt schon für diese irdische Zeit. In der alten Kirche wurden die Sünder einer öffentlichen Kirchenbuße unterworfen. Die Kirchenbuße war öffentlich, weil dadurch zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß die Sünde alle angeht, daß die Sünde nicht nur eine private Sache ist, sondern daß sie der ganzen Gemeinschaft Schaden zufügt; und so sollte auch die ganze Gemeinschaft dem Sünder zu Hilfe kommen, indem sie mit ihm und für ihn vor Gott eintrat.

Diese Verbindung zwischen den in Christus Zusammengehörigen wird durch den Tod nicht gelöst. Der Tod vernichtet das leibliche Band, aber er zerstört nicht die geistliche und geistige Verbindung zwischen den Lebenden und den Abgeschiedenen. Diese Verbindung wird durch den Tod nicht tangiert, sondern eher intensiviert. Die auf Erden noch Lebenden vermögen mit ihrer Liebe und Treue den Abgeschiedenen zu Hilfe zu kommen. Jeder Gang zum Friedhof, jedes Schmücken des Grabes bereitet den Abgeschiedenen Freude. Jedes Gebet, das wir für sie verrichten, ist ihnen eine Hilfe. In ihrem Läuterungs- und Strafzustand, in dem sie befinden, vermögen wir ihnen wirksam Unterstützung zu leihen.

Die Menschen bilden untereinander eine Sühnegemeinschaft, und so vermögen wir für die Verstorbenen stellvertretend Genugtuung zu leisten. Wir können Gott bitten, daß er unsere Drangsale und Leiden annimmt als Sühne für unsere Verstorbenen. Wir können stellvertretend für sie Genugtuung leisten. Dadurch wird ihnen die Last der Läuterung nicht abgenommen; diese müssen sie durchstehen. Aber wir vermögen ihnen Erleichterung zu bringen, entweder indem ihre Strafleiden abgekürzt werden oder indem die Macht des Feuers, von dem wir ja bildlich sprechen, gemindert wird. Wir vermögen ihnen Linderung und Trost zu bringen.

Eine besonders wirksame Hilfe für die Verstorbenen, für die im Fegfeuer Befindlichen ist der Ablaß. Der Ablaß ist die Nachlassung zeitlicher Sündenstrafen, die nach der Vergebung der Schuld für die Sünden noch bleiben. Es wird, wenn die Sünde nachgelassen wird, nicht immer die ganze Strafe nachgelassen; diese muß entweder auf Erden abgebüßt werden oder im Jenseits. Durch den Ablaß ist die Kirche imstande, Straferlaß zu gewähren, für die auf Erden Lebenden in der Weise eines wirksamen, an Gott gerichteten Bittens, daß Gott den Betreffenden zeitliche Strafen erlassen möge. Für die Ewigkeit gilt Ähnliches. Wir vermögen die Ablässe den Verstorbenen zuzuwenden. Das heißt: Wenn wir einen Ablaß gewinnen, der für uns fruchtbar sein kann, dann können wir auch Gott bitten, daß er diesen Ablaß einem Verstorbenen oder mehreren Verstorbenen zuwende, das allerdings in der Form der Fürbitte, denn über die Verstorbenen hat die Kirche keine Gewalt mehr. Wir dürfen aber mit der Annahme unserer Bitte rechnen, weil Gott das Dogma, den Glaubenssatz von der Gemeinschaft der Heiligen uns geschenkt hat und sich damit verbürgt hat, das Eintreten des einen für den anderen gnädig anzuschauen. Wir wissen nicht, wieviel von der Strafe dem Verstorbenen erlassen wird, aber wir wissen, daß der Ablaß ihm wirksame Hilfe bringt, daß seine Strafleiden gemindert werden, daß die Bereitschaft, diese Leiden willig und mit Freuden auf sich zu nehmen, in ihm verstärkt wird. Diese beiden Wirkungen hat der Ablaß, den wir Verstorbenen zuwenden, für ihre Seele.

Noch wirksamer als der Ablaß ist die Feier des heiligen Meßopfers für Verstorbene. Das Meßopfer ist die Erneuerung des Kreuzesopfers. Im Meßopfer wird die Sühne, die Christus am Kreuze für die Menschheit geleistet hat, Gegenwart, und wir können diese Sühne den Verstorbenen zuwenden. Eine wirksamere Sühne als die im Meßopfer geschehene gibt es nicht. Warum nicht? Weil darin die Unermeßlichkeit der Liebe Christi wirksam ist und weil das Meßopfer nicht abhängig ist vom Seelenzustand dessen, dar es darbringt. Das Meßopfer wirkt auch, wenn der, welcher das Meßopfer feiert oder der es feiern läßt, nicht in dem Zustand ist, in dem Gott ihn gnädig anschauen kann. Wir wissen, daß die Feier des Meßopfers für die Verstorbenen immer in der Kirche in hoher Ehre gestanden hat. Als Monika, die Mutter des Augustinus, starb, da war sie noch nicht in ihrer Heimat, nämlich in Afrika; sie starb in Ostia, also in dem Hafen von Rom. Der Bruder des Augustinus machte sich Sorgen, daß die Mutter eben hier sterbe und nicht in der Heimat in Afrika. Monika gab zur Antwort: „Macht euch keine Sorgen um meinen Leib, wo ihr ihn begrabt. Nur um das eine bitte ich euch, daß ihr meiner eingedenk seid am Altare.“ Monika bat also darum, daß das Meßopfer für sie dargebracht würde.

Eine besondere Höhe erstieg die Überzeugung von der Wirkkraft des Meßopfers in der Zeit des großen Papstes Gregor I. Dieser Papst hat uns die sogenannten „gregorianischen Messen“ hinterlassen. Das sind Messen, die an dreißig Tagen hintereinander gefeiert werden. Wie kam Papst Gregor der Große dazu, dreißig heilige Messen hintereinander feiern zu lassen? Ein Mönch namens Justus hatte sich gegen sein Mönchsgelübde verfehlt und entgegen dem Gelübde der Armut sich Goldstücke verschafft. Als er starb, kam das heraus, und da man annahm, daß er für dieses Vergehen Fegfeuerstrafen erleiden müsse, wurden für ihn dreißig heilige Messen gelesen. Am Ende dieser heiligen Messen erschien Justus seinem Abt und sagte ihm: „Jetzt bin ich aus dem Fegefeuer erlöst.“ Seitdem werden die sogenannten „gregorianischen Messen“ gefeiert. Man hat sie dann auch teilweise vermindert auf zwölf heilige Messen oder sechs heilige Messen, Geheimnismessen, wie man sie nennt. In jedem Falle ist darin der unerschütterliche Glaube ausgedrückt, daß wir durch die Feier des Meßopfers den Verstorbenen zu Hilfe kommen können.

Ein anderes Beispiel trug sich in Portugal zu. Die heilige Elisabeth von Portugal, die Königin, hatte eine Tochter, Constanzia. Sie starb in jungen Jahren. Nach dem Tode kam ein Einsiedler zur Königin und sagte, die Tochter sei ihm erschienen und habe gebeten, daß man ihr helfe in ihrem Läuterungs- und Strafzustand. Die Königin ließ daraufhin einen Priester, der als heiligmäßiger Mann bekannt war, ein ganzes Jahr lang täglich das Meßopfer für die Tochter Constanzia darbringen. Nach einem Jahre erschien Constanzia wieder und belehrte den Einsiedler, daß sie aus dem Fegfeuer erlöst sei.

Wir können durch unsere Hilfe für die Verstorbenen ihnen das Strafleiden nicht ersparen. Sie müssen da hindurch. Aber wir können ihnen dabei wirksam helfen. Wir richten damit auch nicht, wie der Wittenberger meinte, eine Sühne neben der Sühne Christi auf; wir treten der Sühne Christi damit nicht zu nahe, sondern wir bieten Gott die Sühne Christi im Gewand unserer Gebete, Bitten und Leiden an. Die Kraft unserer Gebete, Bitten und Leiden entstammt dem Sühneopfer Christi. Nur in der Verbindung mit ihm kann unsere Sühne den Abgeschiedenen wirksam helfen. Wir haben auch keine Gewißheit, wieviel Wirkung unsere Gebete und die Aufopferung unserer Drangsale für die Verstorbenen haben. Deswegen kann man wiederholt einen Anlauf machen, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Man kann wiederholt einen vollkommenen Ablaß für sie gewinnen, um ihnen in ihrer Not zu Hilfe zu kommen. Es ist uns verborgen, wie Gott unsere Gebete und Opfer aufnimmt und zum Nutzen derer, die in dem Fegfeuer leiden, verwendet.

Wir versuchen durch unsere Gebete auch nicht etwa, Gott umzustimmen. Gott kann man nicht umstimmen, denn Gott ist unwandelbar. Nicht Gottes Wille wird durch unsere Gebete und Opfer bestimmt, sondern Gott hat in seiner grundlosen Barmherzigkeit angeordnet, daß unsere Gebete und Opfer für die Verstorbenen heilskräftig sein sollen. Er hat unsere Gebete und Opfer vorausgesehen, als er das Schicksal des Verstorbenen bestimmte. Er sieht ja die künftigen freien Handlungen voraus, und er hat also unsere Gebete und Opfer einbezogen, als er das Schicksal des Verstorbenen festlegte. Wir kommen daher nicht zu spät mit unseren Gebeten und Opfern, wir kommen immer zurecht, denn Gott hat sie von Ewigkeit her vorausgesehen und als heilskräftig bestimmt.

Um noch einmal auf das Begebnis am Beginn meiner Predigt zurückzukommen: Die katholische Haushälterin der Familie von Haeften rief den hingerichteten Bernd von Haeften ums seine Fürbitte an. Ja, es ist die Überzeugung der Kirche, daß auch die Verstorbenen, im Fegfeuer Befindlichen, uns zu Hilfe kommen können. Sie leben ja in der Liebe Gottes; sie haben ja triumphiert; sie haben ja die Gewißheit, daß sie gerettet sind. Deswegen, weil sie in der Liebe Gottes ruhen, können sie auch denen, die ihnen verbunden sind, zu Hilfe kommen. Die Verstorbenen können für uns beten, und wir dürfen die Verstorbenen anrufen. Wir dürfen sie um ihre Fürbitte anrufen, und sie können auch uns Pilgernden helfen. Besondere Gelegenheiten, für die Verstorbenen zu beten und Ablässe zu gewinnen, sind der Tag Portiunkula, also der 2. August, und der Tag Allerseelen am 2. November. Da können wir einen vollkommenen Ablaß, der den Armen Seelen zugewandt werden kann, gewinnen. Wir sollten diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen.

Es ist mir, meine lieben Freunde, als hörte ich eine Stimme aus dem Fegfeuer, die an unser Ohr dringt: „Erbarmt euch meiner, erbarmt euch unser, ihr, meine Freunde, unsere Freunde, erbarmet euch unser, wenigstens ihr!“

Amen.

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