Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Mai 1999

Das Fegfeuer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt unseres Herrn Versammelte!

In der Zeit des spanischen Bürgerkrieges fanden sich zwei Priester in der Zelle eines rotspanischen Gefängnisses wieder, ein jüngerer und ein älterer. Der jüngere sprach zu dem älteren: „Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Ich habe meinen Glauben aufgegeben und habe mit der Kirche nichts mehr zu tun.“ Da entgegnete ihm der ältere: „Sie Glücklicher! Sie Glücklicher! Ich wünschte, ich könnte meinen Glauben aufgeben. Morgen früh erschossen zu werden, wäre mir viel leichter, wenn ich überzeugt wäre, danach in einen ewigen Schlaf zu fallen.“ Der Glaube ist ein Trost, aber der Glaube ist auch ein Mittel, um uns zum Guten anzutreiben. Wir sehen, was nach dem Tode kommt, mit Zuversicht entgegen, aber auch mit Sorge; denn wir hoffen zwar, daß der Richter uns gnädig sein wird, aber wir wissen nicht, ob wir tauglich sind, in das Reich der Himmel aufgenommen zu werden.

Nun sind die Menschen selten ganz schlecht und ganz gut. Die meisten haben Gutes und Schlechtes in sich vereint. Deswegen ist es so tröstlich, zu wissen, daß es auch nach dem Tode, nach dem Gerichte noch eine Möglichkeit gibt, von Unreinheit gereinigt zu werden. Diese Möglichkeit nennen wir den Reinigungszustand oder das Fegfeuer. Die Kirche hat sich in ihren Urkunden der Lehrverkündigung zu der Wahrheit vom Fegfeuer bekannt. Als im Jahre 1274 die Griechen eine kurzfristige Vereinigung mit der katholischen Kirche vollzogen, da legte der Kaiser Michael Palaeologus ein Bekenntnis ab, in dem es heißt: „Sind die Seelen in wahrer Bußgesinnung in der Liebe aus dem Leben geschieden, bevor sie durch würdige Früchte der Buße genuggetan haben für Begangenes und Unterlassenes, so werden ihre Seelen nach dem Tode durch Reinigungs- und Läuterungsstrafen gereinigt. Zur Milderung dieser Strafen nützen ihnen die Fürbitten der lebenden Gläubigen, nämlich Meßopfer, Gebete, Almosen und andere fromme Werke.“ Als dann im 16. Jahrhundert die sogenannten Reformatoren auftraten, also Luther und Calvin, und den Reinigungszustand leugneten, hat die Kirche sich wiederum in aller Deutlichkeit zu dieser Wahrheit bekannt auf dem Konzil von Trient im Jahre 1563. „Erleuchtet vom Heiligen Geist, schöpfend aus der Heiligen Schrift und der alten Überlieferung der Väter hat die katholische Kirche auf den heiligen Konzilien und zuletzt auf dieser allgemeinen Versammlung gelehrt: Es gibt einen Reinigungsort, und die dort festgehaltenen Seelen finden eine Hilfe in den Fürbitten der Gläubigen, vor allem aber in dem Gott wohlgefälligen Opfer des Altares. So ergeht die Vorschrift an die Bischöfe, sie sollen eifrig dafür sorgen, daß die gesunde Lehre vom Reinigungsort von den Christgläubigen geglaubt, festgehalten, gelehrt und überall gepredigt werde.“

Was die Kirche in ihren Bekenntnissen den Gläubigen vorlegt, das ist ein Widerhall der Lehre der Heiligen Schrift und der Kirchenväter. Die Heilige Schrift enthält zwar nicht formell und ausdrücklich ein Zeugnis über den Reinigungszustand, aber sie bietet Andeutungen und Wahrheiten, die als Voraussetzung für diesen Zustand anzusehen sind. Schon im Alten Testament werden wir darüber belehrt, daß es eine Möglichkeit zur Sündenvergebung auch nach dem Tode noch gibt. Das war in der Zeit, als der Heerführer Judas der Makkabäer einen Feldzug gegen die Bedrücker führte. Er errang einen Sieg über Gorgias, den Statthalter. Nach dem Siege wurde das Schlachtfeld abgesucht, und da fand man Leute von Judas, die gefallen waren, und entdeckte unter ihren Leibröcken Amulette von Götzen. Sie hatten Götzenbilder bei sich geführt, die sie vor der Gefahr und vor dem Verletzt- oder Getötetwerden schützen sollten. Nun, um diesen Menschen, die mit einer Sünde in den Tod gegangen waren, Hilfe zu verschaffen, geschah folgendes: „Alsdann wandten sie sich zum Gebet und flehten, daß die begangene Sünde gänzlich vergeben werden möchte. Der edle Judas ermahnte das Volk, sich vor der Sünde zu hüten, weil sie mit eigenen Augen die Folgen der Übertretung an den Gefallenen sähen. Dann veranstaltete er eine Sammlung und brachte zweitausend Drachmen Silber zusammen. Diese sandte er nach Jerusalem, damit dort ein Sühnopfer dargebracht würde.“ Das war eine sehr schöne und edle Haltung, ein heiliger und frommer Gedanke; darum ließ er für die Verstorbenen ein Sühnopfer darbringen, damit sie von ihrer Sünde erlöst würden. Hier ist offensichtlich der Zustand angesprochen, den wir das Fegfeuer nennen. Die im Kampfe Gefallenen waren offensichtlich keine so schweren Sünder, daß sie mit ihrer Verdammnis rechnen mußten. Sie hatten mehr aus Unklugheit oder aus Torheit diese Götzenbilder bei sich getragen, und so bestand die Hoffnung, daß ihnen diese Sünde vergeben werden könnte. Dazu konnte man ihnen helfen durch Opfer und Gebet.

Der Herr hat die Lehre von der Möglichkeit der jenseitigen Reinigung bestätigt. Er spricht einmal davon, daß es eine Sünde wider den Heiligen Geist gibt. Die Sünde wider den Heiligen Geist besteht darin, daß man sich der erkannten Wahrheit widersetzt. Von dieser Sünde wider den Heiligen Geist sagt der Herr: „Sie wird weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden.“ Danach gibt es also eine Vergebung in dieser Welt und eine in der jenseitigen Welt. Das ist genau das, was wir als Fegfeuer oder Reinigungszustand bezeichnen. An einer anderen Stelle mahnt der Herr zur Versöhnung mit dem Widersacher: „Versöhne dich mit deinem Widersacher ohne Verzug, solange du mit ihm auf dem Wege bist, damit dich nicht der Widersacher dem Richter übergebe und der Richter dem Gerichtsdiener, und du in den Kerker geworfen werdest. Wahrlich, ich sage dir: Du wirst von da nicht herauskommen, bis du den letzten Heller bezahlt hast.“ Das könnte eine Andeutung der jenseitigen Bußzeit, der jenseitigen Strafzeit sein, die wir das Fegfeuer oder den Reinigungszustand nennen.

Auch der Apostel Paulus scheint von diesem Reinigungszustand zu wissen. Er erklärt: „Es gibt keinen anderen Grund als den, der gelegt ist, nämlich Jesus Christus.“ Aber auf diesem Grunde kann man verschieden bauen. „Ob jemand auf diesem Grunde Gold, Silber, Edelsteine oder Holz, Heu, Stoppeln aufbaut, das wird sich bei dem Werke eines jeden herausstellen. Der Tag des Herrn wird es kundmachen, weil er sich im Feuer offenbaren wird. Wie das Werk eines jeden ist, wird das Feuer erproben. Besteht das Werk, das er gebaut hat, so wird er Lohn empfangen; verbrennt sein Werk, so wird er Schaden leiden. Zwar wird er selbst selig werden, jedoch so wie durch Feuer.“ Diese letzte Wendung ist die entscheidende: „Zwar wird er selbst selig werden, jedoch so wie durch Feuer.“ Das heißt: Wer noch mit Befleckung in die Ewigkeit gegangen ist, der kann, wenn er in der rechten Gesinnung gelebt hat, auf Rettung hoffen. Aber diese Rettung vollzieht sich wie bei jemandem, dem das Haus abgebrannt ist und der nur notdürftig sein Leben gerettet hat. Er wird gerettet, aber eben so wie durch Feuer, wie einer, der aus der Feuersbrunst gerade noch mit dem Leben davongekommen ist.

Das sind die Stellen der Heiligen Schrift, die anzuführen sind, wenn man vom Fegfeuer, vom Reinigungszustand spricht. Auch die Kirchenväter haben den Reinigungszustand gelehrt. Sie vergleichen ihn mit einem Feuer, und das Feuer ist ja nicht ungeeignet, den Reinigungszustand zu bezeichnen, weil Feuer eine reinigende Wirkung hat; es verbrennt, was schlecht und schlimm ist. Freilich, das lateinische Wort für das Fegfeuer weiß nichts von einem Feuer. Das lateinische Wort heißt nämlich Purgatorium, und Purgatorium heißt Reinigung oder Läuterung. Was also uns im Fegfeuer erwartet, ist eine Reinigung, eine Läuterung, die freilich schmerzlich ist, ähnlich wie Feuer Schmerzen bereitet. Die Kirchenväter haben diese Lehre vom Reinigungszustand deutlich ausgesprochen, schon im 3. Jahrhundert der Bischof Cyprian von Karthago: „Etwas anderes ist es, in die Glorie einzugehen, etwas anderes, noch auf Vergebung harren zu müssen; etwas anderes, den Lohn des Glaubens und der Tugend sofort in Empfang zu nehmen, etwas anderes, in den Kerker geworfen zu werden und nicht herauszukommen, bis der letzte Heller bezahlt ist. Etwas anderes ist es, alle seine Sünden schon hinieden durch die Marter getilgt zu haben, etwas anderes, der Sünden wegen in langwährendem Schmerz gepeinigt und durch Feuer geläutert zu werden.“ Hier ist ganz eindeutig die Lehre vom Läuterungszustand ausgesprochen, in einer sehr frühen Zeit, im 3. Jahrhundert. Noch deutlicher spricht der heilige Kirchenlehrer Gregor von Nyssa in seiner Predigt über die Verstorbenen: „Gottes Weisheit hat es so gefügt, daß den Menschen jenes Los trifft, das er sich selbst wählt. Er kann nämlich schon in diesem Leben durch Gebete und weises Handeln sich reinigen. Er kann auch erst nach dem Tode im reinigenden Feuer Läuterung von Gott empfangen. Nach dem Auszug aus dem Leibe wird er erkennen, welch ein Gegensatz die Tugend von der Sünde trennt. Er wird nicht an dem göttlichen Sein teilnehmen können, außer wenn das Reinigungsfeuer die seiner Seele zugefügte Makel tilgt.“

Ich gebe nur zwei Zeugnisse von Kirchenvätern. Es gibt viele andere, die Ähnliches lehren. Vor allem hat der große Papst Gregor die Lehre vom Fegfeuer einläßlich dargestellt und auch mit vielen Einzelheiten uns übermittelt. Wir müssen freilich unterscheiden die Väter, die Kirchenväter als Zeugen der Offenbarung und die Kirchenväter als Theologen. Als Zeugen der Offenbarung lehren sie: Es gibt einen Reinigungszustand; als Theologen denken sie darüber nach, wie er aussehen könnte. Das sind private Ansichten, die nicht zum Glaubensgut gehören.

Die Kirche hat auch von Anfang an für die Verstorbenen Gebete und Opfer dargebracht. Man betete für die Verstorbenen. Man betete für sie vor allem im Meßopfer, ja, man brachte das Meßopfer für sie dar, und man wußte, daß ihnen dadurch Hilfe und Erleichterung geschehen. Auch die vernünftige Überlegung, die vom Glauben erleuchtete Vernunft kann erkennen, daß es einen solchen Reinigungszustand geben muß. Der Mensch, der in den Tod hineingeht, ist gewöhnlich kein Vollendeter, wie er sein sollte. Nur wenige sind so geartet, daß sie als Vollendete den Tod erleben. Vor allem gilt das natürlich von denen, die aus reiner Gesinnung das Martyrium erleiden. Von ihnen dürfen wir annehmen, daß ihnen das Fegfeuer erspart bleibt. Aber viele, vielleicht die meisten anderen sind nicht vollendet. Es haften ihnen noch läßliche Sünden an, auch wenn sie die schweren Sünden gemieden haben. Sie haben noch die ungeordnete Begierlichkeit in sich, und sie haben noch zeitliche Sündenstrafen zu verbüßen. Um dem allem abzuhelfen, ist das Fegfeuer von Gott eingerichtet.

Die böse Begierlichkeit glimmt ja in uns allen, meine lieben Freunde. Es ist jenes Überbleibsel der Erbsünde, das zur Sünde neigt und uns zur Sünde hintreibt. Wir alle wissen, wie sich in unsere Handlungen unlautere Motive einschleichen, wie sich selbst beim Bemühen, Tugenden zu erringen, Fehler bemerkbar machen. Man neigt dazu, seine Handlungen vor sich selbst und vor anderen zu kaschieren, zu verstellen, schönzufärben. Man spricht von Sparsamkeit und ist in Wirklichkeit geizig; man redet von Vorsichtigkeit, und in Wahrheit ist man feige. So ist es doch unter uns Menschen. Diese Verkleidungen müssen einmal abgelegt werden, müssen einmal abgestoßen werden. Außerdem gibt es im Menschen nicht nur das bewußte Leben, sondern auch ein unbewußtes und unterbewußtes. Dieses unbewußte und unterbewußte Leben ist ein Hindernis dafür, daß wir als Vollendete in das Himmelreich eingehen. Der Mensch muß bis in die letzten Schichten geläutert sein, wenn er Gott schauen soll, wenn er am dreipersönlichen Leben Gottes teilnehmen will. Und diese Läuterung kann eben nur im Fegefeuer geschehen.

Manche Theologen nehmen an, daß vor allen Dingen die Letzte Ölung, die Krankensalbung, zu dieser Läuterung verhilft. Gewiß mag das in manchen Fällen so sein, vor allem, wenn sie mit voller Erkenntnis, mit klarem Bewußtsein und mit großer Gottesliebe empfangen wird. Aber bei den meisten dürfte auch die Letzte Ölung diese Bahnen, die der Mensch durch seine Sünden in seine Seele eingeritzt hat, nicht tilgen. Denn wenn auch die Schuld vergeben wird, meine lieben Freunde, so bleibt doch durch die wiederholten Sünden die Neigung zur Sünde, es bleibt die Lust an der Sünde, es bleibt der Geschmack an der Sünde. Diese Überbleibsel der Sünde, diese Reste der Sünde müssen getilgt werden, wenn immer wir als Vollendete in das Himmelreich eingehen wollen.

So lehrt auch das vom Glauben erleuchtete Nachdenken, daß es ein Fegfeuer, einen Reinigungszustand geben muß. Wie dieser Reinigungszustand aussieht, welche Dauer er hat und wie dieser Reinigungszustand auf den Menschen wirkt, das wollen wir am kommenden Sonntag bedenken.

Amen.

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