Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Juli 1998

Die Pflicht zur Heiligenverehrung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit vielen Sonntagen beschäftigen wir uns mit den Pflichten des Menschen gegen Gott. Es gibt eine unmittelbare und eine mittelbare Gottesverehrung. Heute wollen wir von der mittelbaren Gottesverehrung sprechen. Gemeint ist die Verehrung der Heiligen. Die Verehrung der Heiligen ist mittelbare Gottesverehrung. Heilig nennen wir jene Menschen, die auf Erden heilig gelebt haben und das himmlische Ziel erreicht haben. In besonderer Weise verehren wir Heilige, die von der Kirche heiliggesprochen sind. Die Heiligsprechung bewirkt nicht, daß jemand in den Himmel eingelassen wird, sondern die Heiligsprechung ist nur die Feststellung, daß jemand im Himmel ist, und zwar die unfehlbare Feststellung. Die Kirche besitzt die Gewißheit, daß, wenn der Heilige Vater als Oberhaupt der Kirche einen Menschen heiligspricht, dieser Mensch tatsächlich das himmlische Ziel erreicht hat. Wir wollen uns, um die Heiligenverehrung zu verstehen, drei Fragen stellen, nämlich

1. Warum sollen wir die Heiligen verehren?

2. Wie sollen wir sie verehren?

3. Wieso tritt die Heiligenverehrung der Verehrung Gottes nicht zu nahe?

Die erste Frage lautet: Warum sollen wir die Heiligen verehren? Die Antwort: Wir sollen die Heiligen verehren, weil sie Gottes Freunde, Fürsten des Himmels und unsere Wohltäter sind und weil wir durch ihre Verehrung viele Gnaden erlangen. Die Heiligen sind Freunde Gottes. Nicht umsonst singen wir im Kirchenlied: „Ihr Freunde Gottes allzugleich.“ Die Heiligen sind deswegen Freunde Gottes, weil sie alles für ihn getan haben. Sie haben auch alles für ihn gelitten, und auf diese Weise sind sie zu Freunden Gottes geworden. Sie stehen Gott nahe, Gott selbst liebt sie, und zwischen ihnen und Gott besteht ein inniges Verhältnis der Freundschaft. Wenn wir einen Hochgestellten ehren wollen, dann dehnt sich diese Ehrung auch auf die Diener und Angestellten dieses hochgestellten Menschen aus. Ähnlich ist es bei Gott. Wir könnten Gott nicht vollständig ehren, wenn wir nicht diejenigen, die ihm treu gedient haben, in diese Ehrung einbezögen. Wir sollen die Heiligen ehren, weil sie Freunde Gottes sind.

Wir sollen sie ehren, weil sie Fürsten des Himmels sind. Sie haben eine hohe Stellung im Himmel. Nicht jeder im Himmel ist ja gleich. Es gibt Unterschiede unter den Himmelsbewohnern und in der Seligkeit, die ihnen zuteil geworden ist.  Die Heiligen nehmen eine besondere Stellung ein, sie herrschen nämlich mit Christus. Sie herrschen mit Christus über Völker und Menschen und die Kirche. Gott bedient sich ihrer zur Leitung der Welt und zur Führung seiner Kirche. Sie haben eine Ehrenstellung im Himmel, und deswegen sollen wir sie verehren.

Wir sollen die Heiligen auch verehren, weil sie unsere Wohltäter sind. Schon in ihrem irdischen Leben haben sie uns Gutes getan. Denken wir an die Heiligen, die uns den Glauben gebracht und erhalten haben. Auf dem Platz vor dem Mainzer Dom steht das Standbild des heiligen Bonifatius, des Apostels der Deutschen. Bonifatius ist ein Fürst nicht nur im Himmel, sondern auch ein Fürst seiner Kirche gewesen. Er hat uns als Bischof von Mainz den Glauben gebracht oder gereinigt und die Menschen im Glauben gefestigt. Und so kann man viele andere aufzählen, die uns Wohltäter während ihres irdischen Lebens waren. Vor wenigen Tagen feierten wir das Fest des heiligen Willibald. Er war der Gefährte des heiligen Bonifatius und hat den Glauben in Bayern aufgerichtet und gefördert. Er war Bischof von Eichstätt. Die Heiligen haben uns aber nicht nur in der Vergangenheit Wohltaten erwiesen; sie tun es fortlaufend, indem sie nämlich bei Gott für uns eintreten. Sie wachen über uns, und sie machen unsere Angelegenheiten zu den ihren, und dadurch, daß sie Gott anrufen, für uns anrufen, sind sie unsere Wohltäter. Wir haben durch die Heiligen manche Gnaden erlangt. Indem wir sie nämlich baten, mit uns zu bitten, haben sie wirksam dazu beigetragen, daß Gott uns zahllose Gnaden erwiesen hat. Viele Gnaden, die in unserem Leben fruchtbar geworden sind, verdanken wir der Mithilfe, dem Fürbittgebet der Heiligen. Das war die erste Frage: Warum sollen wir die Heiligen verehren?

Die zweite Frage lautet: Wie sollen wir sie verehren? Nun, in mannigfacher Weise. An erster Stelle verehren wir die Heiligen, indem wir ihre Fürbitte anrufen. Ihre Fürbitte anrufen, besagt, sie bitten, daß sie am Throne Gottes für uns eintreten. Das ist eine der Hauptaufgaben der Heiligen: Sie bitten für uns. Wir haben so viele Heilige, die wir in den Nöten und Beschwerden unseres Lebens anrufen können. Wir haben Heilige, die ein besonderes Interesse an uns haben, nämlich vor allem die Heiligen, deren Namen wir tragen. Wir dürfen annehmen, daß die Heiligen, denen wir geweiht sind durch die Namengebung, auch im Himmel für uns eintreten. Wir bitten die Heiligen um ihr Fürbittgebet und ehren sie dadurch. Wir feiern weiter ihr Gedächtnis. Das ganze Jahr über werden Gedenktage der Heiligen begangen. Den Anfang haben diese Gedenktage genommen mit den Martyrergedächtnissen. Die Christen der Urzeit haben den Tag, an dem ihre Brüder und Schwestern durch die Henker um des Glaubens willen zum Tode befördert wurden, aufgezeichnet, und sie haben diesen Tag jedes Jahr immer wieder begangen durch Gebet, durch Anrufung, durch die Feier der heiligen Messe zu Ehren dieses Martyrers, der ihnen im Zeichen des Glaubens vorangegangen war. Wir sollen also ihre Fest feiern und nicht ihre Feste übergehen, sie nicht vergessen, sie nicht geringschätzen. Wir ehren die Heiligen auch damit. daß wir ihre Bilder und Reliquien in Ehren halten. Schon mit großen Persönlichkeiten des irdischen Lebens machen wir es ja so, daß wir ihre Bilder aufstellen, daß wir uns Andenken an sie bewahren. Auf dem Bischofsplatz in Mainz steht eine Statue des Bischofs Ketteler. Gewiß kein Heiliger, aber ein bedeutender Kirchenfürst. In der Staatskanzlei in Mainz ist eine Büste von Stresemann aufgestellt. Stresemann, der Reichsaußenminister der Weimarer Republik, hat sich Verdienste erworben durch die Versöhnung mit unseren Nachbarn. In Bingen gibt es ein Stephan-George-Museum, denn Stephan George war ein Binger, und die Binger halten sein Gedächtnis und seine Leistungen in Ehren. Wenn das alles schon von Menschen gilt, die nicht heilig waren, um wieviel mehr muß es dann auf die zutreffen, die das himmlische Ziel erreicht haben! Wir halten ihre Bilder und Reliquien in Ehren. Wir stellen den heiligen Pankratius, den Patron von Budenheim, hier in der Pfarrkirche auf. Dahinten steht der heilige Wendelin; er ist der Patron der Bauern und Schäfer sowie der Hirten. Diese Heiligen haben je ihr besonderes Interesse und ihre besondere Aufgabe. Wir dürfen sicher sein, daß sie dieser Aufgabe gerecht werden.

Wir ehren die Heiligen, indem wir ihre Namen tragen. Jeder von uns hat bei der Taufe einen Heiligennamen bekommen. Dieser Name ist eine Verpflichtung; er soll uns nicht nur Schützer sein, er soll uns auch Vorbild sein. Wir sollen ihm nacheifern, und dadurch, daß wir ihm nacheifern, werden wir ihm ähnlich. Der Name, den wir tragen, ist ein Bekenntnis zu dem Heiligen und bringt gleichzeitig eine Zuordnung zu ihm. Alle Träger dieses Namens bilden eine Gemeinschaft, und wir sollten also auch für alle Träger dieses Namens beten. Der Heilige, dessen Namen wir tragen, soll uns voranleuchten als Tugendbeispiel, und wir sollten uns schämen, wenn wir diesem Beispiel nicht entsprechen. Er soll eine stetige Mahnung sein, uns über die Niedrigkeiten unserer Natur zu erheben und himmlisch gesinnt zu sein, damit wir in seine Fußstapfen treten können.

Viele Unternehmungen stellen wir unter den Schutz der Heiligen. Wir rufen sie bei bestimmten Geschäften und bei bestimmten Anliegen an. Wir ernennen sie zu Patronen. Die Kirche hat z.B. den heiligen Aloisius zum Patron der studierenden Jugend ernannt, den heiligen Franz von Sales zum Patron der Schriftsteller. Schon früher hat das gläubige Volk sich Patrone erwählt, und zwar meistens aus den Lebensschicksalen der Heiligen entnommen. So war z.B. der heilige Veit (der heilige Vitus) Patron der Kupferschmiede, weil er in einem Kessel gemartert wurde. Wegen seines Martyriums in einem Kessel, in dem er verbrannt wurde, haben die Kupferschmiede ihn zum Patron erwählt. So kann man viele Patrone nennen, Patrone, vor denen wir uns schämen müssen wegen unserer Erbärmlichkeit und Kleinheit. Der heilige Johannes Vianney, der Pfarrer von Ars, ist Patron der Pfarrer. O wenn doch alle Pfarrer ihn zum Patrone ihres Lebens machten, o wenn sie doch seine Weisungen hörten, o wenn sie doch seinen Fußspuren nachfolgten! Es sähe anders aus in unserer Kirche. Die Heiligen haben ein besonders Interesse für die Berufe, die sie ausgeübt haben und für die Menschen, die sich ihnen anvertrauen. Der Schutz, den wir von ihnen erwarten, ist also durchaus real. Viele Orte werden nach Heiligen benannt. In unserer Gegend St. Goar, er war ein irischer Mönch; St. Johann, St. Wendel. Sie müssen einmal in das Postleitzahlenbuch hineinschauen, wie viele Orte es gibt, die vor dem Namen eine „St.“ haben; St. Trudbert, St. Bernhard, St. Gotthard, und die vielen, vielen Orte in Bayern, die einen Heiligen als Patron erwählt haben: St. Mang. St. Oswald, St. Ottilien, St. Georgen. Das zeigt das Vertrauen des gläubigen Volkes auf den Schutz dieser Heiligen.

Wir sollen aber auch ihre Verdienste rühmen. Meine lieben Freunde, seit geraumer Zeit ist eine Kampagne im Gange, den Katholiken, den katholischen Christen die Freude an ihrem Glauben zu nehmen, indem man ihre Mutter, die Kirche, madig macht, indem man auf angebliche oder wirkliche Verfehlungen und Verbrechen von Gliedern dieser Kirche hinweist. Wir haben ein Gegenargument: Wir verweisen auf die endlose Schar der Heiligen und sagen: Das sind die legitimen Glieder der Kirche, das sind diejenigen, um derentwillen wir in dieser Kirche bleiben. Wir lassen uns die Überzeugung von der Heiligkeit der Kirche nicht nehmen, sondern wir preisen diejenigen, die uns vorangegangen sind im Zeichen des Glaubens. Die Heiligenverehrung hat apologetische Bedeutung. Sie zeigt uns, wie viele unserer Brüder und Schwestern das ewige Ziel erreicht haben, weil sie heldisch gelebt haben und heilig gestorben sind.

Die wichtigste Form freilich, wie wir die Heiligen verehren, ist ihre Nachahmung. Wir sollen uns ihr Beispiel zu Gemüte führen und sollen sie nachahmen. Dazu müssen wir sie freilich kennen, ihre Lebensgeschichte lesen. Wir müssen uns mit ihnen beschäftigen. Wir müssen uns fragen: Was von ihrem Leben ist auf mein Leben anwendbar? Wo habe ich dem Beispiel dieses oder jenes Heiligen nachzufolgen? Denken Sie etwa, meine lieben Freunde, an den britischen Lordkanzler Thomas More. Wahrhaftig einer der liebenswertesten Heiligen der Neuzeit. Der gesamte englische Episkopat – mit einer Ausnahme – hat sich dem Diktat des Königs Heinrich VIII. gebeugt; der gesamte englische Episkopat. Alle Bischöfe – mit einer Ausnahme – haben dem Papst ihre Treue aufgekündigt. Aber ein Laie blieb treu, nämlich der Lordkanzler Thomas Morus. Er verlor alles; er verlor sein Amt, er verlor seine Freiheit, er verlor sein Haus, er verlor sein Leben. Aber er hat die Treue bewahrt und ist ein leuchtendes Beispiel dafür, daß in Zeiten, in denen der Episkopat versagt, Laien die Kirche zu retten gesandt sind. Vielleicht ist heute wieder eine solche Situation. Dann schauen wir auf Thomas Morus, auf sein Beispiel, und wanken nicht und weichen nicht.

Die dritte Frage lautete:  Wieso tritt die Heiligenverehrung der Verehrung Gottes nicht zu nahe? Die Heiligenverehrung beeinträchtigt die Verehrung Gottes deswegen nicht, weil wir die Heiligen wegen Gottes verehren, weil wir sie nicht wie Gott verehren, sondern weil wir sie verehren wie Diener Gottes. Wir verehren die Heiligen wegen Gottes, d.h. wegen dessen, das Gott an ihnen getan hat. Maria sagt nicht: „Seligpreisen werden mich alle Geschlechter“ wegen dessen, was ich getan habe, sondern was Gott an mir getan hat. Und so ist es mit allen Heiligen. Wir preisen sie, und wir verehren sie, weil Gott mächtig in ihnen war. Wie sagt unser Breviergebet jeden Tag: „Gott ist wunderbar in seinen Heiligen.“ Seine Wunder verehren wir in den Heiligen, seine Macht preisen wir in den Heiligen, seine Liebe verehren wir in den Heiligen. Wir verehren die Heiligen Gottes wegen. Es ist das ein mittelbarer Gottesdienst. Es wäre eine Schande für uns, und wir würden Gott nicht richtig verehren, wenn wir auf die Heiligenverehrung verzichten wollten. Wir müssen die Gnade, die sich mächtig erwiesen hat, preisen, und wir preisen sie in menschlichen Werkzeugen. Denn das waren die Heiligen: Sie waren Werkzeuge Gottes. Gott hat sich ihrer bedient, um Großes zu wirken, und er tut es immer noch. Gott will, daß die Zweitursachen (causae secundae) mitwirken bei seinen Werken, und deswegen bedient er sich der Heiligen bei der Ausspendung seiner Gaben und Gnaden und Wohltaten. Sie sind seine Werkzeuge, und zwar gefügige, taugliche, brauchbare Werkzeuge, nicht wie wir. Daß wir solche Werkzeuge werden, dazu soll auch die Heiligenverehrung dienen.

Wir beten die Heiligen nicht an, sondern wir zeigen ihnen Hochachtung. Wir bringen die Messe nicht den Heiligen dar. „Niemals ist in der Kirche gesagt worden:“, schreibt der heilige Augustinus, „Offerimus tibi Paule et Petre – wir opfern dir, Petrus und Paulus –, nein, wir opfern Gott, aber in Verehrung von Paulus und Petrus.“ „In deo laudandi sunt, non in se ipsis“, schreibt wiederum der heilige Augustinus. Sie sind in Gott zu preisen, nicht in sich selbst. Wir feiern nicht den menschlichen Heroismus, sondern wir feiern die Kraft der Gnade, die sich in ihnen mächtig erwiesen hat.

Wenn Sie einmal, meine lieben Freunde, nach Magdeburg kommen, diese große Stadt an der Elbe, die jetzt wieder Bischofsstadt ist, dann besuchen Sie den Dom, ein herrliches Kunstwerk. Im oberen Chor sechs Standbilder – Mauritius, Innocentius, Johannes der Täufer, Petrus, Paulus, Andreas. Wuchtige Standbilder, über zwei Meter hoch. Unter diesen Gestalten geduckte Gestalten, gebückt. Ihr Fuß tritt auf sie. Man sagt, das seien die Cäsaren, die Kaiser, die sie zu Tode gebracht haben. Was ein wunderbarer Gedanke in dieser Bildergalerie! Die Heiligen stehen über den Cäsaren. Ist das nicht auch heute so, daß die Menschheit nicht lebt von den Machtmenschen, von den Parteimännern, von den Demagogen, sondern daß sie lebt von den Heiligen, von den Männern und Frauen der Idee, des Glaubens, der Aszese und des heldischen Vertrauens auf Gott?

Amen.

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