Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
5. Mai 1996

Das besondere Verhältnis Mariens zu Gott

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gott hat Maria zu einem einzigartigen Dienst berufen. Sie sollte dem Erlöser den Weg in die Welt bahnen. Maria wurde zu diesem Zweck ausgesondert aus der ganzen Menschheit; eine Aufgabe wie sie hat kein zweiter Mensch zu erfüllen gehabt. Die Kirche ist gewiß die Kirche der Propheten und der Apostel, aber in gewisser Hinsicht überragt Mariens Dienst den der Propheten und der Apostel, denn sie war es, in die Gott das Geheimnis seiner Erlösung, den Logos, gelegt hat, auf daß er, Mensch geworden, die Menschheit und die ganze Welt von den Sünden erlöse.

Die einzigartige Berufung Mariens bedingt auch ihre einzigartige Gestalt. Weil sie eine solche Aufgabe hatte, deswegen wurde sie auch in besonderer Weise für diese Aufgabe ausgerüstet. Sie ist von ihrer Aufgabe völlig beansprucht. Die Mutterschaft ist ja immer eine ungeheure Beanspruchung für eine Frau. Die Tatsache, daß sie Mutter wird, prägt sie für das ganze Leben. Aber in Maria ist die Mutterschaft noch gesteigert dadurch, daß ihr Kind der Sohn Gottes war. Sie ist so von dieser Aufgabe beansprucht, daß sie für keine andere mehr auf dieser Erde in Frage kommt. Für diese Aufgabe wurde sie geweiht und konsekriert. Sie ist durch Gott für diese Aufgabe in besonderer Weise geheiligt worden, und deswegen heißt sie im Lukasevangelium die Gesegnete oder Gebenedeite über alle anderen Frauen, die auf ihre Weise ja auch gesegnet und gebenedeit sind.

Die besondere Weihung hat Maria in eine einzigartige Beziehung zum Heiligen Geist gebracht. Denn es war der Heilige Geist, der in ihrem Schoße die menschliche Natur Jesu bereitet hat. Wenngleich alle Werke Gottes nach außen der Trinität gemeinsam sind, so wird doch die Menschwerdung in besonderer Weise dem Heiligen Geist zugeschrieben, weil er die personhafte Liebe von Vater und Sohn ist. Wegen ihrer besonderen Beziehung zum Heiligen Geiste heißt Maria „Braut des Heiligen Geistes“. Diese Bezeichnung will nicht irgendwie in geschlechtlicher Weise verstanden werden. Nein, das Wort „Braut des Heiligen Geistes“ besagt nichts anderes, als daß der Heilige Geist in freiem Schöpfertum nach dem Ja Mariens in ihrem Schoße die menschliche Natur Jesu gebildet hat. Es ist dabei keine Seinsverwandlung des göttlichen Logos geschehen, sondern der Logos hat eine menschliche Natur angenommen. Er blieb, was er war, aber er nahm an, was er noch nicht hatte. Der Mythos spricht von Seinsverwandlung, aber zwischen Offenbarung und Mythos besteht ein unüberbrückbarer Unterschied, so wie zwischen Wirklichkeit und Sehnsucht.

Durch die Begabung mit dem Heiligen Geiste wurde Maria in einzigartiger Weise geheiligt. Der Heilige Geist kam nicht nur auf sie herab, um die menschliche Natur Jesu zu bilden, sondern sie trug in ihrem Schoße den, der die Fülle des Geistes in sich barg. Es war ja vom Messias verheißen beim Propheten Isaias, daß der Geist in Fülle auf ihm ruhen werde, der Geist der Weisheit und der Wissenschaft, des Verstandes und des Rates, der Stärke, der Frömmigkeit und der Furcht des Herrn. Diesen Geistesträger trug Maria in ihrem Schoße. Die letzte Erfüllung mit dem Heiligen Geiste freilich wurde ihr erst zuteil am Pfingstfest. Da befand sie sich mit den Jüngern in einem Obergemach, und der Heilige Geist erfüllte alle, die darin waren; ohne Zweifel Maria in anderer und gesteigerter Weise gegenüber den anderen Anwesenden.

Maria blieb freilich trotz dieser Erfüllung mit dem Heiligen Geiste ein Geschöpf. Als Geschöpf blieb sie in die Geschlechterreihe, die von Adam herkommt, eingezogen. Maria blieb ein Glied der erlösungsbedürftigen Menschheit. Maria war erlösungsbedürftig wie alle anderen Menschen auch. Diese Erlösungsbedürftigkeit hängt damit zusammen, daß es nur einen einzigen göttlichen Heilsplan gibt. Es gibt nicht verschiedene göttliche Heilspläne, es gibt nur einen. Und in diesen einen göttlichen Heilsplan ist Maria einbezogen.

Die Erlösung geschah durch den Logos, durch den menschgewordenen Gottessohn. Er ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen. Er ist also auch der Mittler zwischen Maria und Gott. Auch Maria wird durch ihren Sohn erlöst. Die Erlösung, die Maria zuteil wird, ist die Aufnahme in das Sein in Christus. Maria wird ihrem Sohne gleichgestaltet. Sie trägt das Bild ihres Sohnes – in geistlicher Weise – an sich. Irdisch und menschlich gesehen, trägt natürlich Jesus die Züge seiner Mutter, aber geistlich und übernatürlich betrachtet, trägt Maria die Züge ihres Sohnes. Sie ist in Christus; sie ist ein neues Geschöpf, weil sie einbezogen ist in die Erlösung Jesu Christi. Und in diesem Sinne können wir Maria auch als unsere Schwester bezeichnen; denn alle, die durch das Blut Jesu erlöst sind, sind Brüder und Schwestern. So ist also auch Maria unsere und damit auch – geistlich verstanden – Jesu Schwester.

Die Erlösung, die Maria zuteil wurde, ist in einer besonderen Weise geschehen. Die Struktur ist dieselbe wie bei anderen, aber die Vollzugsweise ist verschieden. Maria wurde in anderer Weise erlöst als die anderen Menschen. Kein anderer Mensch wurde allein dadurch erlöst, daß Jesus Christus ein Mensch geworden ist, daß er gelitten hat, gestorben und auferstanden ist. Maria allein wurde durch die Tatsache der Menschwerdung, der Kreuzigung und der Auferstehung Jesu erlöst. Ihr Leben ist so innig mit dem menschgewordenen Gottessohn verknüpft, daß allein schon die Menschwerdung der hinreichende Grund war, um sie zu einem erlösten Geschöpf zu bilden. Maria ist die Ersterlöste, und sie ist die Vollerlöste.

Maria steht in einer besonderen Beziehung zum Heiligen Geist, auch in einer besonderen Beziehung zu dem Erlöser Jesus Christus, schließlich auch in einer besonderen Beziehung zum Vater im Himmel. Sie ist die Tochter des himmlischen Vaters. Alle Erlösten sind ja Kinder Gottes, sind Söhne und Töchter Gottes; auch Maria ist deswegen ein Kind Gottes und eine erlöste Tochter Gottes. In diesen Maitagen verehren wir in besonderer Weise Maria. Wir sollten in den Wochen des Mai jeden Tag die Litanei von der Muttergottes beten, die Lauretanische Litanei. Da lesen wir all die herrlichen Anrufungen, die Maria preisen, die Bezug nehmen auf ihre Funktion, die ihr von Gott übertragen wurde, und auf die Auszeichnung, die ihr zuteil ward. Wir können, wenn wir wollen, diesen Anrufungen drei weitere hinzufügen. Wir können sie anrufen als die Braut des Heiligen Geistes, als unsere Schwester und als die Tochter des himmlischen Vaters. Wir können also zu ihr sagen:

Du Braut des Heiligen Geistes,

bitte für uns!

Du unsere Schwester im Himmel,

bitte für uns!

Du Tochter des himmlischen Vaters,

bitte für uns!

Amen.

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