Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Dezember 1995

Die Ordnung der Leidenschaft und der Trauer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit geraumer Zeit beschäftigen wir uns mit der Ordnung des inneren Lebens. Wir haben besondere Aufmerksamkeit der Regelung der Leidenschaften zugewendet. Am vergangenen Sonntag suchten wir in das Geheimnis der Ordnung der Leidenschaft der Freude einzudringen. Wir haben heute die Aufgabe, die Ordnung der Leidenschaft der Trauer zu bedenken.

Die Trauer ist das schmerzliche Innewerden eines Verlustes von Personen oder Sachen, zu denen eine innere Sinnbeziehung besteht. Die Trauer trifft den sinnlichen Menschen als die Leidenschaft der Traurigkeit. Immer wenn die Phantasie dem sinnlichen Menschen ein Übel vorstellt, von dem er betroffen wird, stellt sich die Traurigkeit ein. Da aber die Übel auf dieser Erde zahllos sind, kann auch die Traurigkeit sehr verschieden aussehen. Wir alle haben die Erfahrung der Traurigkeit in unserem Leben schon mehr als einmal gemacht. Wir kennen ihre Auswirkungen, wir wissen, daß sie den Körper schädigt. Die Traurigkeit bewirkt eine Störung des körperlichen Lebens. Sie senkt die Antriebskraft, die aus dem Körper kommt. Sie ist aber auch eine Störung des seelischen Lebens. Die Traurigkeit macht uns mutlos, niedergeschlagen; es fehlt uns der Aufschwung. Die Traurigkeit erzeugt leicht Überdruß am Berufsleben, ja Unzufriedenheit mit dem Stande und, wenn es ganz schlimm wird, sogar Ekel vor dem religiösen Leben. Die schlimmste Stufe erreicht die Traurigkeit, wenn sie zur Verzweiflung wird, wo dann bloß noch das stoische „exitus patet“ – es bleibt bloß der Tod – als einzige Hoffnung zur Verfügung steht.

Es gibt natürliche Ursachen der Traurigkeit, es gibt aber auch eine gottgefällige Betrübnis. Natürliche Ursachen der Traurigkeit sind eigene Unglücke, Verlust von lieben Menschen, Versuchungen. Es ist ganz natürlich, daß sich Schmerz einstellt, wenn wir Verluste erleiden, seien es materielle, seien es immaterielle Verluste. Es wäre unmenschlich, wenn man einen Wert, der verlorengeht, nicht betrauern würde. Das ist ganz normal und von der Natur so geordnet. Auch und gerade der Verlust von Menschen muß uns traurig machen. Ich habe immer ein ungutes Gefühl, wenn in Beerdigungen der nachkonziliaren Kirche der Jubel aufflammt und Hoffnungslieder gesungen werden. Selbstverständlich, wir haben Hoffnung, daß Gott dem Verstorbenen gnädig sei, aber zunächst ist doch die Trauer das Naturgegebene, weil ein Verlust uns getroffen hat, ein Mensch uns entrissen wurde. Da ist Trauer am Platze. Der Herr hat doch auch getrauert über den Tod des Lazarus. Und so meine ich, ist es berechtigt, daß wir Trauergewänder anziehen, wenn uns einer unserer Lieben entrissen worden ist. Trauer ist auch angebracht bei Versuchungen; denn wir wissen, wie gefährlich die Versuchung ist. Wir spüren dann, wie weit wir noch von der Vollkommenheit entfernt sind. Die Versuchung macht uns offenbar, daß wir keineswegs die guten Menschen sind, als die wir uns vielleicht manchmal vorkommen. Es ist also berechtigt, traurig zu sein, wenn die Versuchung uns überfällt und uns unsere Erdgebundenheit zum Bewußtsein bringt.

Es gibt auch eine gottgefällige Betrübnis. Die wichtigste Ursache für sie ist unsere Sündhaftigkeit. Über unsere Sünden müssen wir betrübt sein, und das ist eine Betrübnis, die von Gott kommt. Sie ist ein Bestandteil der heiligen Reue. Reue ist Schmerz über die Sünde und Abscheu vor der Sünde; und je tiefer der Schmerz ist, um so gründlicher die Reue, um so tiefer auch der Vorsatz, um so nachhaltiger die Bekehrung. Wir dürfen, ja wir sollen traurig sein über unsere Sünden, und es ist manchmal, vor allem für oberflächliche und leichtfertige Menschen, sehr nützlich, sich an vergangene Sünden zu erinnern, die sie vielleicht überwunden haben, aber die ihnen zeigen, woher sie gekommen sind. Gottgefällige Betrübnis liegt auch vor, wenn wir trauern über die Lage unserer Mutter, der Kirche. Wir haben nur eine Kirche, wir besitzen keine Alternative. Es gibt keine zweite Kirche. Und wenn diese Kirche darniederliegt und wenn sie aus tausend Wunden blutet, dann muß uns das mit Schmerz und Traurigkeit erfüllen. Man kann nicht gleichgültig bleiben, wenn Bischöfe ernannt werden, die suspekt sind – wie jetzt in der Schweiz geschehen. Man kann nicht gleichgültig sein, wenn Tausende von Priestern ihren heiligen Beruf verlassen. Man kann nicht gleichgültig sein, wenn Prediger Sonntag für Sonntag die Gläubigen, statt sie zu erbauen, niederziehen. Man kann nicht gleichgültig sein, wenn Hunderttausende sich durch den bürgerlichen Kirchenaustritt von der Kirche zu trennen vorgeben. Es muß ein heiliger Schmerz in uns sein, wenn unsere Kirche leidet und wenn sie verfolgt wird. Die Verfolgung der Kirche, bei uns durch die Massenmedien, kann uns nicht gleichgültig bleiben; sie muß uns mit Trauer erfüllen. Es ist das eine gottgefällige Betrübnis.

Dennoch muß jede Trauer, die uns überfällt, geordnet sein. Die Trauer muß geregelt werden; denn die Traurigkeit ist ja eine Leidenschaft, etwas, was den sinnlichen Menschen betrifft. Und deswegen ist es notwendig, diese Leidenschaft zu regulieren. Wenn die Traurigkeit aus unserem ungeordneten Herzen kommt, dann müssen die Unordnungen unseres Herzens bekämpft und beseitigt werden. Die häufigste Ursache der Traurigkeit ist der Hochmut, der Geltungsdrang, der Stolz. Wir werden nicht als die anerkannt, als die wir gelten möchten. Es wird uns nicht das Lob gezollt, auf das wir einen Anspruch zu haben meinen. Dann sind wir traurig wegen dieses Mangels, der uns schmerzlich berührt. Das ist keine gottgewollte Trauer; hier heißt es die Unordnung bekämpfen, nämlich die mangelnde Demut, den Hochmut, den Geltungsdrang, das übertriebene Selbstwertgefühl.

Andere Leiden, die von Gott gefügt oder geschickt sind, können wir ordnen mit verschiedenen Mitteln. Ein ganz einfaches und durchaus berechtigtes Mittel, den Schmerz zu lindern, sind die Tränen. Die Tränen tragen den Schmerz nach außen, sie befreien die Seele. Es gibt heilsame Tränen. Wer im Leid weinen kann, der ist glücklich daran, weil ihm auf diese Weise eine Erleichterung wird. Das zusammengepreßte Herz wird dadurch von dem Druck befreit. „Die Tränen des Büßenden sind glücklicher als die Freuden der Schauspiele“, hat einmal der heilige Augustinus geschrieben. Eine weitere Quelle zur Ordnung der Trauer ist die Teilnahme. Wir sollen mit den Freudigen uns freuen, wir sollen aber auch mit den Weinenden weinen. Gott hat uns Menschen zu einer Familie zusammengeschaffen, damit der eine dem anderen helfe, den Schmerz zu tragen, mit dem Schmerz fertigzuwerden, den  Schmerz zu überwinden. Wir sollen uns also hineinversetzen in den trauernden Bruder, in die trauernde Schwester. Wir sollen uns in ihre Lage hineinversetzen und ihren Schmerz zu unserem Teile übernehmen. Damit wird es dem anderen leichter. Das Kondolieren, also das Bezeugen des Mitleides bei Todesfällen, ist durchaus berechtigt. Es tröstet die Überlebenden bei einem Todesfalle, wenn sie spüren, wie viele Menschen an ihrem Leid teilnehmen. Wenn der Wurzelgrund der Traurigkeit Überarbeitung oder Überreizung der Nerven ist, dann ist ein Mittel, die Trauer zu ordnen, die Erholung. Es kann manchmal notwendig sein, einfach die übermäßige Arbeit liegenzulassen, um sich durch Ausspannen wieder in einen gleichmäßigen Seelenzustand zu versetzen. Die Rast hat ihr Recht im Leben des Menschen und des Christen.

Es gibt aber auch eine Reihe von übernatürlichen Mitteln, die uns helfen, die Trauer zu ordnen. An erster Stelle die Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes. Hiob hat seine große Trauer dadurch zu tragen verstanden, daß er sagte: „Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen, der Name des Herrn sei gepriesen!“ Wer es versteht, in seinem Leid den Willen Gottes anzubeten, der findet wahrhaftig Kraft, den Schmerz zu tragen. Die Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes ist ein ganz wichtiges übernatürliches Mittel, die Trauer zu regeln. Und mit ihr zusammen hängt die Demut, nämlich das Sich-Beugen unter den Willen Gottes. Gott ist nicht nur weise und gütig, Gott ist auch gerecht und heilig, und wenn er uns Leid und Kummer schickt, dann weiß er, wozu das nötig ist. „Trifft dich ein Schmerz, dann halte still und frag dich, was er von dir will! Der liebe Gott, der schickt dir keinen nur darum, daß du solltest weinen.“ Dazu kommt der Gedanke, daß Leiden von Gott verordnete Heilungs- und Heiligungsmittel sind. Sie sollen unsere Seele heilen. Jeder Schmerz hat irgendeine Funktion in den Augen Gottes, und wenn wir fragen: Warum? Warum ich? Warum das?, so müssen wir uns gleichsam mit den Augen Gottes anschauen und fragen: Was hat sich Gott dabei gedacht? Und er hat sich etwas dabei gedacht. Die Leiden sind Heilungs- und Heiligungsmittel. Wir sollen daran wachsen. „Weil du angenehm warst vor Gott, mußte die Prüfung dich erproben“, heißt es im Buche Tobias. Weil du angenehm warst vor Gott! Also nicht, weil Tobias Gott unangenehm gewesen wäre, sondern weil er ihm wohlgefällig war, hat er die Prüfung über ihn kommen lassen, um ihn eben noch weiter zu läutern, zu schmieden, zu meißeln, auf daß er ein wirklicher Bekenner und ein wirklicher Herold Gottes werden könne.

Über allem aber, meine lieben Christen, bleibt die Hoffnung auf das ewige Leben. Wir wissen, daß es einmal eine Stunde geben wird, wo die Zeltwohnung abgebrochen wird und eine ewige Wohnung im Himmel bereitet ist. Es gibt eine Stunde, wo Gott alle Tränen abwischen wird, wo der Tod nicht mehr sein wird und auch die Trauer nicht mehr sein wird. Der Apostel Paulus schreibt einmal: „Ich halte dafür, daß die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der Herrlichkeit, die einst an uns offenbar werden soll.“

Amen.

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