Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
30. Mai 1993

Vom Heiligen Geist

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Freude über die Geistausgießung Versammelte!

Pfingsten ist die Vollendung von Ostern. Der Herr, der durch Tod und Auferstehung zum Vater zurückkehrt, sendet, aus seiner verklärten menschlichen Natur hervorströmend, den Heiligen Geist herab. An Pfingsten tritt das erste Geschöpf des Heiligen Geistes an die Öffentlichkeit, die Kirche, denn das ist die Kirche: ein Geschöpf des Heiligen Geistes. „Wo die Kirche ist, da ist der Heilige Geist, und wo der Geist ist, da ist die Kirche,“ sagt der heilige Irenäus. Die Kirche ist die Gegenwart des Heiligen Geistes, die Verlängerung von Pfingsten.

Wir erheben heute die Frage: Aber wo ist denn der Heilige Geist in der Kirche? Wo ist der Heilige Geist in einer Kirche, in der in jedem Jahr 150.000 deutsche Katholiken den Kirchenaustritt erklären? Wo ist der Heilige Geist in einer Kirche, wo in den letzten Jahrzehnten 80.000 bis 100.000 Priester ihren heiligen Beruf aufgegeben haben? Wo ist der Heilige Geist in einer Kirche, wo Hunderttausende von Ordensfrauen und Ordensmännern ihr Kloster verlassen haben?

Diese Frage bewegt uns, meine lieben Freunde: Wo ist der Heilige Geist in einer Kirche, in der Irrlehrer den Ton anzugeben scheinen und die Massen entchristlicht werden, wo der Besuch des Sonntagsgottesdienstes von Jahr zu Jahr zurückgeht? Wo ist der Heilige Geist in seiner Kirche? – Ich gebe auf diese Frage eine dreifache Antwort:

1. Der Heilige Geist ist die Kraft der Verkündigung.

2. Der Heilige Geist ist der Brunnquell der Sakramente.

3. Der Heilige Geist ist die Lebenskraft seiner Gläubigen.

Der Heilige Geist ist erstens die Kraft der Verkündigung. Wo immer ein Priester lauteren Herzens unverfälscht die Wahrheit Gottes predigt, da ist der Geist Gottes am Werk. Und wo immer Menschen bereiten Herzens diese Verkündigung aufnehmen, sie sich zu eigen machen und nach ihr zu leben sich bemühen, da ist der Geist Gottes am Werk. Wäre der Geist Gottes nicht die Kraft der Verkündigung, dann wäre das Evangelium von Jesus Christus längst vergessen, dann hätte sich seine Gestalt im Wirrwarr menschlicher Deutungsmöglichkeiten aufgelöst. Aber er hat Instrumente geschaffen, die dieser Auflösung widerstreben. Eines dieser Instrumente ist seine Assistenz, sein Beistand. Dieser Beistand zeigt sich in der Formulierung von Glaubenswahrheiten, die untrüglich sicher sind. Wir nennen sie Dogmen. Dogmen sind Geschöpfe des Heiligen Geistes. In ihnen hat er unumstößlich die Wahrheit Gottes, die Wahrheit der Offenbarung in menschlicher Form, in von Menschen zu begreifender Form niedergelegt. Es hat in der Kirchengeschichte Zeiten gegeben, in denen Hirten und Herde versagt haben. Im Jahre 359 haben in Rimini, einer Stadt in Italien, 400 Bischöfe ein Glaubensbekenntnis angenommen, das nicht das katholische ist; damals ging das Wort um, der Erdkreis wunderte sich, weil er arianisch geworden war. Aber das ist es ja eben, daß es nicht dabei geblieben ist, sondern daß der Geist für eine Korrektur gesorgt hat, daß die Wahrheit zwar zeitweise verdunkelt werden, aber nicht völlig verloren gehen konnte.

Wir haben in unseren Tagen erlebt, meine lieben Freunde, wie ein schwacher Papst – und Paul VI. war ein schwacher Papst – zu einem Riesen wurde, als es darum ging, das eucharistische Opfersakrament und die Normen der geschlechtlichen Sittlichkeit zu verteidigen. Da stand er auf gegen die Irrlehrer, die das eucharistische Opfersakrament seines vollen Inhalts entkleiden wollten, und gegen diejenigen, die aus der Geschlechtskraft ein bloßes Genußmittel machen wollten.

Ist es nicht ein Zeichen des Wirkens des Heiligen Geistes, meine lieben Freunde, daß diese Kirche, die aus tausend Wunden blutet, die ihr die eigenen Glieder geschlagen haben, einen Weltkatechismus hervorbringen konnte, der im wesentlichen zuverlässig und getreu die Wahrheit lehrt? Ist das nicht ein Zeichen des Heiligen Geistes? Ja, so ist es! Die englische Sozialministerin Anne Whitcomb ist am 21. April dieses Jahres zur katholischen Kirche übergetreten. Und was hat sie zur Begründung angegeben? „Ich suche eine Kirche, die den Glauben lehrt, und nicht eine, die es den Menschen recht macht.“ Das ist es eben: Die katholische Kirche lehrt den Glauben, und die von ihr abgefallenen Gemeinschaften suchen es den Menschen recht zu machen. Wir haben die Gewißheit: Über alle Verwirrung und über alle Irrung hinweg ist der Heilige Geist in der Kirche am Werke als Kraft der Verkündigung. Daß die Kirche sich dem Diktat der Massen nicht beugt, das ist die Wirkung der Kraft des Heiligen Geistes. Daß diese schwache Kirche auch heute noch am Glauben, am unverfälschten Glauben festhält, das ist das Werk des Heiligen Geistes. „Wenn ich eine Kirche suche, die den Glauben lehrt, und nicht eine, die es den Menschen recht machen will, dann schaue ich nach Rom,“ hat Anne Whitcomb gesagt.

Der Heilige Geist ist aber auch zweitens der Brunnquell der Sakramente. Die Sakramente sind Wirkungen des Heiligen Geistes. In allen Sakramenten ist seine Macht wirksam. Im Taufsakrament ergreift er den Täufling und stattet ihn mit der heiligmachenden Gnade als Angeld des Heilserbes aus, verähnlicht ihn mit Christus und führt ihn in die Gemeinschaft der Kirche. In der Firmung stärkt er ihn zur Bewältigung des Lebens, der Kämpfe, Arbeiten und Leiden des Pilgerdaseins. In der Priesterweihe ermächtigt er ihn, auf daß er im Namen Jesu und in der Person Jesu, in der mystischen Identität mit Jesus das heilige Opfer feiern kann. Im eucharistischen Opfersakrament wandelt der Geist die Gaben von Brot und Wein in Fleisch und Blut des Herrn. Der Priester ist nur sein Werkzeug, die Kraft der Wandlung kommt vom Heiligen Geist.

Und was tut er im Bußsakrament? Es ist mir immer als das ergreifendste Sakrament erschienen, meine lieben Freunde, und ich zähle zu den wertvollsten Stunden meines Lebens diejenigen, die ich im Beichtstuhl verbracht habe. Was geschieht da Beglückendes, wenn Christus einem Sünder durch seinen Geist die Sünden nachläßt, wenn er ihn erneuert und wenn er kostbare Tränen als Dank für diese Erneuerung empfängt! In der Krankensalbung weiht der Heilige Geist den Menschen ein zur Übernahme von Leid und Tod als Weisen des Einganges in das ewige Leben. Im Ehesakrament stärkt der Heilige Geist zwei Menschen, um in Zweisamkeit das Leben bewältigen zu können und ihre Familien zu einer Keimzelle der Kirche zu machen.

Die Sakramente sind Brunnen des Heiligen Geistes, und sie wirken von seiten Gottes mit unfehlbarer Sicherheit. Das ist unser Trost, meine lieben Christen, in einer Zeit, wo Gläubige, zu recht oder zu unrecht, an manchen Spendern zu zweifeln beginnen. Wenn immer das sakramentale Zeichen richtig gesetzt wird, wenn immer ein Priester mit der Sakramentenspendung das tun will, was die Kirche tut, dann ist unfehlbar der Heilige Geist am Werke, dann füllt er die sieben Kelche mit dem Blute Christi.

Freilich erhebt sich die bange Frage: Wo sind denn die Wirkungen des Sakramentenempfanges in uns? So viele Kommunionen, jeden Tag, jeden Sonntag, verglichen mit unserem Leben – ist da nicht ein Mißverhältnis? Gewiß, doch dieses Mißverhältnis läßt sich erklären, nämlich: Was den Empfänger angeht, so wirken die Sakramente nach dem Maß der Empfänglichkeit. Die Disposition, die Vorbereitung ist also entscheidend dafür, was die Sakramente aus uns armen Menschen machen. Wenn wir mit Sehnsucht, mit Ergriffenheit, mit heiligen Vorsätzen, mit festen Entschlüssen die Sakramente empfangen, dann werden sie auch das wirken, was sie in jenen gewirkt haben, die wir Heilige nennen, dann werden sie uns über die Klippen unserer schwachen Persönlichkeit hinwegtragen, dann werden sie uns erheben über die Niedrigkeit unserer armen Natur. Wir müssen empfänglich sein, wir müssen bereitet sein. Der Geist wirkt nicht wie eine Naturkraft, sondern der Geist wirkt nach dem Maße der Verantwortung und der Empfänglichkeit.

Der Heilige Geist ist die Kraft der Verkündigung, er ist der Brunnquell der Sakramente. Er ist auch die Lebenskraft derer, die sich ihm überlassen. Wenn wir den Geist haben, wenn wir Geistträger sind, wenn wir mit dem Geiste gesalbt sind, dann müssen wir auch nach dem Geiste wandeln. Alle, die sich vom Geiste treiben lassen, das sind Kinder Gottes. Er muß unser Handeln bestimmen. Also nicht der Nutzen und nicht der Vorteil, nicht die Furcht und nicht der Kleinmut dürfen unser Handeln bestimmen, nicht das Ansehen und die Ehre oder die Karriere, sondern was uns bestimmen muß, das ist die Führung des Heiligen Geistes.

Dieser Heilige Geist zeugt in uns seine Früchte. Es gibt Wirkungen des Heiligen Geistes, an denen man erkennen kann, ob ein Mensch im Geiste lebt und im Geiste wandelt. Es sind Liebe, Freude, Friede, Langmut, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit. Wir haben es also in der Hand nachzuprüfen, ob der Heilige Geist in uns lebt und wirkt. Bringen wir die Früchte des Heiligen Geistes!

Und man muß immer wieder sagen: Wenn ich mir die Menschen ansehe, von denen ich weiß, daß sie durch das Bußsakrament gereinigt sind und mit Sehnsucht den Heiland in der Kommunion empfangen, dann erkenne ich in ihnen die Früchte des Heiligen Geistes.

Machen Sie mal eine Kriminalstatistik auf und fragen Sie einmal unter denen, die wegen gemeiner Verbrechen verurteilt werden und in die Haftanstalt wandern, wie viele von ihnen gebeichtet haben, wie viele mit Sehnsucht die Kommunion empfangen haben! Da werden Sie sehen, daß diese Kriminalstatistik ausschlägt zugunsten derer, die sich in den Sakramenten vom Heiligen Geist bereichern und erfüllen lassen. Und das haben wir doch allezeit erfahren, meine lieben Freunde. Viele von uns haben das sogenannte Dritte Reich miterlebt. Da waren Unterschiede im Verhalten der Katholiken und der Nichtkatholiken. Ich kenne keine Bevölkerungsgruppe, die sich, aufs ganze gesehen, so gut geschlagen hat wie die gläubigen Katholiken. Ich kenne keinen Stand, der, aufs ganze gesehen, so viel tapferen Widerstand geleistet hat wie der katholische Priesterstand.

Im Konzentrationslager Dachau befanden sich 2.500 Geistliche, davon waren vielleicht 25 Protestanten, alle anderen Katholiken. Das sind Zahlen, und diese Zahlen reden! Sie reden von der Kraft und von der Wirksamkeit des Geistes. In der sogenannten DDR war es nicht anders. Auch da hat sich die katholische Kirche als Geschöpf des Geistes gezeigt. Ich selbst, meine lieben Freunde, habe 5 Jahre als Seelsorger in der DDR zugebracht, und ich habe es erlebt, wie die katholischen Priester sich anders verhalten haben als die evangelischen Geistlichen, von denen sich so manche in der SED betätigt haben. Ich erinnere mich, wie an einem Wahltag – die Wahlen in der DDR waren ja Scheinwahlen – der Bischof in unserer Pfarrei erschien. Er hielt eine Predigt mit dem Thema: „Fürchtet euch nicht!“ Dann ging er in das Wahllokal, ließ sich den Wahlzettel geben, verzichtete darauf, in eine Kabine zu gehen, nahm den Wahlzettel, strich ihn von oben bis unten durch, reichte ihn zurück und verließ hocherhobenen Hauptes das Wahllokal. Ich habe nicht gehört, daß ein protestantischer Kirchenführer jemals desgleichen getan hätte. Wir wissen vielmehr, daß der Herr Konsistorialpräsident Stolpe mit einem Orden der Staatssicherheit ausgezeichnet wurde. Wir müssen diese Unterschiede sehen, weil wir auf das Wirken des Heiligen Geistes achten müssen. Wir müssen davon reden, auch wenn es manchen unangenehm ist, davon zu hören. Wir können nicht schweigen von der Kraft und von der Macht des Heiligen Geistes.

So wollen wir, meine lieben Freunde, an diesem Pfingsttage voll Dankbarkeit des Wirkens des Heiligen Geistes gedenken. Er hat nicht nur Stephanus ermannt, das herrliche Zeugnis abzugeben, er ist auch heute wirksam im Leben und im Leiden derer, die sich ihm öffnen. Er wird auch die gegenwärtige Krise der Kirche überwinden.

Wann wird das sein? Das wird sein, meine lieben Freunde, wenn die Zahl unserer Gebete und Leiden, unserer Arbeiten und unserer Opfer voll ist. Das wird sein, wenn wir die Glaubenskraft der Apostel, den Leidensmut der Martyrer und den Bekennermut der Heiligen in uns erweckt haben. Das wird sein, wenn der Heilige Geist uns schwache Menschen stark macht zum Zeugnis. Dann wird er durch uns das Antlitz der Erde erneuern und alles neu schaffen.

Amen.

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