Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Oktober 1988

Der Kanon der heiligen Messe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Dem Willen der Kirche gemäß sind wir dabei, die heilige Messe auszulegen. Wir sagten, daß die heilige Messe aus zwei großen, deutlich unterschiedenen Teilen besteht, der Vormesse (Wort- und Gebetsgottesdienst) und der Opfermesse, wo eben das Opfer dem himmlischen Vater dargebracht wird.

Bei der Opfermesse hatten wir uns am vergangenen Sonntag den ersten Teil vor Augen geführt, nämlich die Gebete und Handlungen, die wir herkömmlich als Opferung bezeichnen. Ich sagte, diese Bezeichnung ist nicht falsch. Wir opfern tatsächlich etwas. Wir opfern unsere Gaben von Brot und Wein und alles, was dem Meßopfer zuzuordnen ist, z.B. das Meßstipendium, aber auch alles, was in den Klingelbeutel fließt. Wir opfern uns selber, wenn wir sagen: So wie das, was auf dem Altare liegt, dir, o Gott, dargebracht wird, so sind auch wir bereit, unser Leben, unseren Willen zum Opfer zu bringen. Das ist unser Opfer: Der Wille, Gottes Gebote zu erfüllen. Schließlich blicken wir schon in diesem Abschnitt der Meßfeier auf das Opfer Christi aus, in das wir eingehen und das wir dem himmlischen Vater darbringen wollen.

Nach dieser Phase beginnt derjenige Teil der heiligen Messe, den wir den Kanon nennen. Kanon heißt soviel wie Richtschnur, Richtmaß. Der Kanon ist nun tatsächlich der Höhepunkt der heiligen Messe; denn hier wird nun nicht bloß ein menschliches Opfer dargebracht, hier wird das göttliche Opfer Jesu Christi gegenwärtig. In diesem Teil der heiligen Messe schenkt uns der Vater im Himmel seinen sich opfernden Sohn, damit wir in sein Opfer eingehen und vereint mit ihm dieses Opfer dem himmlischen Vater zurückschenken. Das ist der Sinn des Kanons.

Er beginnt mit der Präfation, diesem Lobgesang, wo wir bitten, Gott danken zu dürfen. Gott danken und ein Opfer darbringen ist kein Widerspruch. Der Dank geschieht nämlich in der heiligen Messe durch die Darbringung des Opfers. Der Dank vollzieht sich durch eine Handlung, die spricht. Und in der Präfation klingt dieses Geschehen an. Die Präfation ist ein Lobpreis auf den Gott, dem wir jetzt das Opfer seines Sohnes darbringen,ein Dank- und Loblied für die Gabe, die wir jetzt gleich empfangen werden vom Himmel, nämlich seinen geopferten, verklärten Sohn.

Die Präfation klingt aus im Sanktus, wo wir Gott ob seiner Heiligkeit preisen. Wir rufen dreimal heilig, wie Isaias in seiner Vision die Engel hat singen hören. Das Sanktus klingt aus im Benediktus: „Hochgelobt sei, der da kommt!“ Diese Worte kennen wir. Das ist ja der Ruf des Palmsonntags. Das ist die Begrüßung des Herrn, als er zum Opfer, das die Welt erlöst, in Jerusalem einzog. Und tatsächlich, jetzt kommt unser Palmsonntag. Benedictus qui venit in nomine domini – gepriesen sei, der da kommt im Namen den Herrn! Ja, er kommt, wenn auch verhüllt, aber er kommt, er kommt wirklich!

Und dann beginnt die Reihe von Gebeten, die das Opfer des Herrn begleiten, vorbereiten, ausdeuten. Es beginnt die Ausführung des Beschlusses, die Danksagung durch die Darbringung des eucharistischen Opfers vollziehen zu wollen. „Dich, gütiger Vater, bitten wir, nimm wohlgefällig an diese Gaben, diese Geschenke, diese heiligen, makellosen Opfergaben!“ Dieses Gebet schaut natürlich zunächst noch auf die unverwandelten Gaben, verliert aber auch nicht die verwandelten Gaben aus dem Blick. Man darf das nicht trennen. Man darf nicht sagen: Bis hierher gilt das Gebet den unverwandelten Gaben und ab da den verwandelten. Nein, nein, die Kirche schaut von Anfang an auf den vollen Opferinhalt, das ist eben unser sich opfernder Herr und Heiland Jesus Christus. Denn nur er ist doch eigentlich gemeint, wenn es heißt: Diese heiligen, makellosen Opfergaben. Das ist unser Herr und Heiland Jesus Christus. Und bei diesen Opfergaben werden jetzt die Opferzwecke genannt. Wozu bringen wir diese Opfergaben dar? „Für deine heilige katholische Kirche, für den Papst, für den Bischof, für die Rechtgläubigen und alle, die den katholischen Glauben fördern“ – Opferzweck.

Wir beten für die Lebenden. Der Priester hält an und betet im Herzen für die ihm anvertrauten Anliegen, für die Menschen, die durch das Darbringen des Meßstipendiums ihm ans Herz gelegt worden sind, aber auch für alle anderen Menschen, die ihm lieb und wert sind, für die Anwesenden – jawohl, für die Anwesenden. „Für sie bringen wir dieses Lobopfer dar, und sie selbst opfern es dir auf, damit ihre Seele gerettet und ihre Hoffnung auf Heil und Wohlfahrt gesichert werde.“ Und um nun ganz sicher zu sein, daß diese Opferzwecke erfüllt werden, verbinden wir uns mit den Heiligen. Sie können ja viel besser bitten als wir. Sie haben Verdienste erworben, sie sind gerettet, sie sind die Freunde Gottes. Und deswegen vereinigen wir uns mit ihnen in heiliger Gemeinschaft, vor allem mit der Muttergottes, aber auch mit allen anderen Heiligen. Die Apostel, die Martyrer und alle Heiligen werden in unser Gebet aufgenommen ob ihrer Verdienste und Fürbitten. „Gewähre uns in allem hilfreich deinen Schutz und Beistand!“

Und dann breitet der Priester die Hände über die Opfergaben aus. Das erinnert an den Hohenpriester, der die Hände auf den Sündenbock legte, symbolisch. Der wurde dann in die Wüste gejagt, und auf diese Weise suchte man im Alten Bunde – natürlich ganz unvollkommen – Erlösung von der Sünde. So legt jetzt, ähnlich-unähnlich der Priester die Hände auf die Gaben, damit Gott sie annehme und damit der Segen dieses Opfers auf uns herabkomme. „So nimm denn diese Opfergaben an, die wir, deine Diener und deine ganze Gemeinde dir darbringen!“ Und noch einmal die Opferzwecke: „Leite unsere Tage in deinem Frieden, bewahre uns vor der ewigen Verdammnis, reihe uns in die Herde deiner Auserwählten ein!“ Bewahre uns vor der Verdammnis! In diesem heiligen Augenblick bitten wir noch einmal darum, nicht verlorenzugehen. Das ist unsere tägliche Höllenbetrachtung. Sie wissen, meine lieben Freunde, daß sie in der neuen Messe weggefallen ist. Uns ist in dieser schönen Messe, die wir hier feiern dürfen, diese tägliche Höllenbetrachtung erhalten. Und wie heilsam ist es, zu flehen: „Erbarme dich unser, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle, führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen!“ Und dann bittet der Priester noch einmal um Segnung und um das Verwandlungswunder. „Mache diese Gaben huldvoll in jeder Hinsicht zu einer gesegneten, eingetragenen, gültigen, geistigen, genehmen, damit sie uns werden Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus!“

Das ist also das Ziel der Segnung: Die Gaben sollen verwandelt werden in Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus. Und dann spricht der Priester die Worte, die er nur mit bebenden Lippen sprechen darf, nämlich die Worte, welche das Opfer Christi geschehen lassen. Der Heilige Geist bewirkt durch das Instrument, das der Priester ist, die Verwandlung der Gaben. Er spricht so, wie Jesus im Abendmahlssaal gesprochen hat. Er handelt jetzt in real-mystischer Identität mit Jesus. Er ist jetzt wahrhaft ein zweiter Christus, denn er spricht nicht in der dritten Person von Jesus, sondern er spricht so, als wenn er Jesus selbst wäre, indem er eben sagt: „Das ist mein Leib! Das ist mein Blut,“ als ob er Jesus selbst wäre. Und das ist also der heiligste Augenblick der heiligen Messe, wo der Vater im Himmel uns seinen Sohn schenkt, seinen geopferten, seinen verklärten, seinen in der Herrlichkeit des Himmels weilenden Sohn. Das Opfer Christi vollzieht sich in der zweifachen Wandlung der beiden Opferelemente Brot und Wein. Das ist der Augenblick, in dem das Kreuzesopfer in sakramentaler Weise gegenwärtig wird. Die Trennung der beiden Gestalten ist ein Hinweis auf das blutige Opfer am Kreuze.

Wenn die verwandelten Gaben auf dem Altare liegen, dann sind sie unser Opfer. Jetzt ist tatsächlich das Opfer vollkommen. Jetzt haben wir etwas, was wir opfern können, was viel besser ist als Brot und Wein und sogar noch besser als unsere Willenshingabe. Jetzt haben wir seinen eingeborenen Sohn, den wir dem Vater im Himmel darbringen. Und das spricht auch das erste Gebet nach der Wandlung aus. Es sagt nicht nur, daß wir eingedenk sind des Erlösungswerkes Christi, also des Leidens, der Auferstehung und der Himmelfahrt, sondern es sagt auch: „Wir bringen deiner erhabenen Majestät ein Opfer dar, ein reines Opfer, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer, das heilige Brot des ewigen Lebens und den Kelch des immerwährenden Heiles.“ Jetzt, wo das Opfer auf dem Altare liegt und unser Opfer geworden ist, jetzt haben wir endlich ein Opfer, mit dem wir Gott zuversichtlich nahen und das wir ihm dankbar darbringen können. Wir nehmen das Opfer Christi beglückt entgegen und bieten es dem himmlischen Vater dar. Jetzt können und müssen wir aber auch um Annahme des Opfers bitten. Natürlich nicht, insofern es das Opfer Christi ist, das ist ja angenommen, aber insofern es unser Opfer ist, aus unseren unreinen Händen dargeboten, insofern müssen wir bitten, daß es angenommen wird.

Und das geschieht dann auch. „Schau huldvoll nieder und nimm es wohlgefällig an!“ Wir berufen uns dabei auf die alttestamentlichen Opferdarbringer, den Abel, den Abraham, den Melchisedech, die ihre vorbildhaften Opfer in vorbildlicher Gesinnung dargebracht haben. Dieses Opfer, das jetzt von uns dem Vater im Himmel dargebracht wird, soll von den heiligen Engeln emporgetragen werden vor das Angesicht der göttlichen Majestät, damit alle, die von diesem Altare – und jetzt kommt der Ausblick auf die Kommunion – „das hochheilige Fleisch und Blut des göttlichen Sohnes empfangen, mit allem Gnadensegen des Himmels erfüllt werden.“ Also Bitte um Aufnahme, Bitte um Annahme, damit der Segen dieses Opfers sich an uns erfülle.

Und noch einmal ein rührender Opferzweck, nämlich wir blicken ins Fegfeuer. Wir denken an die Verstorbenen, wir halten unser tägliches Allerseelen.

Es gibt Protestanten, meine lieben Freunde, die deswegen katholisch geworden sind, weil sie gesagt haben: Hier, in dieser Religion, kann ich für meine Verstorbenen beten. Ja wahrhaftig, was ist das segensvoll, daß wir in das Fegfeuer das Blut unseres Heilandes herabfließen lassen können im Opfer der heiligen Messe! „Lieber Heiland, sei so gut, lasse doch dein teures Blut in das Fegefeuer fließen, wo die Armen Seelen büßen!“ Wir haben Zeit, dieses Gebet zu beten, denn der Priester macht ja jetzt eine Pause, und dabei betet er für bestimmte Abgeschiedene, aber auch für alle Verstorbenen, daß sie den Ort der Erquickung, des Lichtes und des Friedens finden. In der neuen Messe ist vom Fegfeuer überhaupt nicht mehr die Rede. Wir aber beten, daß die Verstorbenen Erquickung, Licht und Frieden finden.

Und dann noch einmal ein Opferzweck, nämlich daß auch wir Sünder eine Dauerwohnung von Gott erhalten, wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, daß er uns in die Gemeinschaft der Heiligen – es werden noch einmal sieben männliche und sieben weibliche Heilige genannt – aufnimmt, nicht weil er auf unsere schwachen Verdienste schaut, sondern weil er uns um seines Erbarmens willen Verzeihung gewährt.

Und dann kommt der Abschluß dieses Hauptteiles der heiligen Messe durch zwei Doxologien, d.h. eben Preisungen, Lobpreisungen. Wie Sie gemerkt haben, wenden wir uns ja immer an den Vater im Himmel, aber wir wenden uns an ihn durch seinen Sohn, denn Christus ist der Mittler, und das ist ganz deutlich bei diesen Lobpreisungen. „Durch ihn – nämlich Christus – erschaffst du, Herr, immerfort alle diese Gaben, heiligst, belebst, segnest und gewährst sie uns.“ Alle diese Verben haben ihre Bedeutung. Schaffst – der Schöpfer bringt die gesamte Schöpfung hervor, Heiligst – sie werden ausgesondert. Belebst – keine toten Gaben sind es, sondern lebendige. Segnest sie – sie werden mit Wohlkraft erfüllt, denn das heißt ja segnen: mit Kraft, mit Heilskraft erfüllen, und dann werden sie uns geschenkt.

Endlich als Schluß noch die große Doxologie: „Durch ihn und mit ihm und in ihm wird dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Ehre und Verherrlichung.“ Durch ihn, weil Christus der Mittler ist, mit ihm, weil er Gott von Gott ist, in ihm, weil sich die göttlichen Personen gleichsam durchdringen, eine Einigkeit, eine Dreieinigkeit sind. Durch ihn und mit ihm und in ihm – immer näher kommt man dem Geheimnis, vom „durch ihn“, wo es am weitesten entfernt scheint, bis zu „in ihm“. „Durch ihn und mit ihm und in ihm ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes“ – der ja dieses Wunder bewirkt hat – „alle Ehre und Verherrlichung.“

Ach, meine lieben Freunde, ich glaube, wenn wir begreifen würden, welches Glück die heilige Messe ist, wir würden nicht mehr aufhören, uns nach diesem Opfer zu sehnen. Wir würden alles hingeben für dieses Opfer, wir würden nichts ihm vorziehen, wir würden dieses Opfer über alles stellen; denn es gibt nichts Größeres, nichts Erhabeneres, nichts Beglückenderes auf Erden als das Opfer Jesu Christi auf den Altären der katholischen Kirche.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt