Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. April 1988

Wir sind erlöst

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Getröst', getröst', wir sind erlöst, die Hölle ward zuschanden. Erstanden ist Gott Jesus Christ von Todesbanden.“ So singt ein altes Kirchenlied. „Getröst', getröst', wir sind erlöst.“ Der Begriff der Erlösung ist der zentrale Begriff unseres ganzen Christentums. Wir müssen uns immer wieder bewußt machen – wegen der Angriffe von außen und der Zweifel in der eigenen Brust –, was es heißt, wenn wir singen: „Getröst', getröst', wir sind erlöst.“

Wir wollen also heute und an den folgenden Sonntagen über die Erlösung nachdenken und uns Rechenschaft geben von unserem Glauben. Was besagt die Erlösung? Was bewirkt die Erlösung? Wieso können wir in Wahrheit sagen: „Getröst', getröst', wir sind erlöst“?

Im nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis, das wir in der heiligen Messe beten, heißt es von Jesus: „Für uns Menschen und um unserer Sünden willen ist er vom Himmel herabgestiegen und hat Fleisch angenommen.“ Hier werden die Menschwerdung und alles, was auf sie folgt, als der Inbegriff der Erlösung bezeichnet. „Für uns Menschen und um unserer Sünden willen ist er vom Himmel herabgestiegen und hat Fleisch angenommen.“ Die Heilige Schrift weist an vielen Stellen darauf hin, daß Jesus gekommen ist, uns zu erlösen. Im Alten Testamente heißt es beim Propheten Isaias: „Gott selbst wird kommen und euch erlösen.“ Als der Name für den Sohn Mariens festgelegt wird, da wird ihm der Name Jesus gegeben, „denn er wird sein Volk erlösen von seinen Sünden.“ Und den Hirten auf den Fluren von Bethlehem wird die Botschaft zuteil: „Heute ist euch der Heiland – was soviel bedeutet wie Erlöser – geboren.“ Jesus selber hat sich als den bezeichnet, der gekommen ist, „zu suchen und zu retten, was verloren war.“ Der greise Simeon im Tempel preist den Herrn als das Heil, das heißt ja doch wohl als den Erlöser „aller Völker“. Auch beim Evangelisten Johannes sagt Jesus: „Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, nicht damit er die Welt richte, sondern damit die Welt duch ihn gerettet werde,“ d. h. eben erlöst werde.

Die Heilige Schrift ist also eindeutig, wenn sie Jesus als den Erlöser bezeichnet, wenn sie sein Werk als Erlösung ansieht. Große gläubige Theologen haben sich die Frage gestellt, ob die Erlösung von den Sünden der ausschlaggebende Beweggrund für das Kommen des Logos war oder ob Christus auch gekommen wäre, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte. Diese Frage scheint uns zunächst merkwürdig, denn wir wissen natürlich, und das ist ja auch der Glaube beider Gruppen von Theologen, daß in der gegenwärtigen Heilsordnung der Herr gekommen ist, um die Menschen von den Sünden zu erlösen. Aber einmal gesetzt den Fall, daß der Mensch nicht gesündigt hätte, wäre dann der Erlöser auch gekommen? Da sagen die Skotisten, die man nach dem großen Theologen Duns Scotus nennt: Ja, er wäre auch dann gekommen. Er wäre in diesem Falle in einem leidensunfähigen Leibe erschienen, denn es war Gottes Absicht, in Christus alles zusammenzufassen. Er sollte das Ziel der Schöpfung sein, und in jedem Falle, auch ohne den Sündenfall, wäre diese Absicht Gottes verwirklicht worden.

Gegen diese Meinung, die von der Kirche nicht verurteilt ist, sagen die Thomisten, also die Anhänger des heiligen Thomas von Aquin: Nein, wenn der Mensch nicht gefallen wäre, dann wäre Christus nicht gekommen. Die Erlösung war das einzige und das ausschlaggebende Motiv für die Menschwerdung. Die Thomisten können sich natürlich auf viele Bibelstellen berufen, von denen ich einige eben genannt habe. Sie können sich auch auf die Lehre der Kirchenväter stützen, die ja dem Erlösungsereignis besonders nahe waren, in den ersten Jahrhunderten lebten und über das Heilsgeheimnis nachgedacht haben, z.B. auf den heiligen Augustinus, der sagte: „Wenn der Mensch nicht zugrunde gegangen wäre, wäre der Erlöser nicht gekommen.“ Warum kam er? Um die Menschen zu retten, sonst wäre er nicht gekommen. Und so kann man viele Zeugnisse von Kirchenvätern anführen, die sagen, das ausschlaggebende Motiv für die Menschwerdung war die Erlösung.

Die andere Vorstellung hat etwas Faszinierendes an sich, nicht wahr, daß nach Gottes Willen in jedem Falle Christus, der Gottmensch, das Ziel der Schöpfung sein sollte. Aber diese Ansicht scheint weniger begründet zu sein als die der Thomisten. Wie immer es auch sein mag, einig sind sich beide Gruppen von Theologen in der Zustimmung zu dem Satze des Glaubensbekenntnisses: „Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen und hat Fleisch angenommen.“

In diesem Fleische hat er die Erlösung bewirkt. Die Erlösung ist geschehen, ist vollendet, ist abgeschlossen. Da fragte mich einmal ein alter Mann: „Ja, wenn uns Christus erlöst hat, warum muß ich dann noch beichten?“ Diese Frage zeugt von Nachdenken. Man muß eben bei der Erlösung unterscheiden zwischen der objektiven und der subjektiven Erlösung. Die objektive Erlösung ist das Erlösungswerk Jesu, die subjektive Erlösung ist die Verwirklichung des Erlösungswerkes an dem einzelnen Menschen. Die Erlösung ist kein naturhaftes Ereignis wie der Regen. Der trifft jeden. Oder wie der Sonnenschein. Die Sonne scheint über Gerechte und Ungerechte. Nicht so die Erlösung. Das Erlösungswerk ist von der Verwirklichung der Erlösung am einzelnen Menschen zu unterscheiden. Diese geschieht nicht naturhaft, sondern nur mit freiem Willen und mit freier Zustimmung. Das Erlösungswerk ist die objektive Erlösung, die Verwirklichung des Erlösungswerkes in der sogenannten Rechtfertigung oder Begnadigung des Einzelmenschen ist die subjektive Erlösung.

Das Erlösungswerk mußte das aufarbeiten, was der Mensch verschuldet hat. Was hat er verschuldet? Die Trennung von Gott! Die Sünde ist nämlich ihrem Wesen nach Abwendung von Gott und falsche, unzulässige, übertriebene, verkehrte Hinwendung zum Geschöpf. Also mußte der Erlöser die Abwendung von Gott und die falsche Hinwendung zum Geschöpf rückgängig machen, mußte er also Hinwendung zu Gott und Abwendung vom Geschöpf vollziehen. Und eben das hat der Erlöser in seinem Erlösungswerk getan. Das ganze Leben Jesu war von erlöserischer Qualität. Seine Geburt, seine heilige Kindheit, sein Lehren und Wirken sowie erst recht sein Leiden und Sterben, das alles war von erlöserischer Bedeutung. Er hat uns durch sein ganzes Leben erlöst.

Deswegen beten wir beispielsweise in der Litanei vom Namen Jesu: „Durch deine heilige Geburt erlöse uns, o Herr!“ Jawohl, schon die Ankunft, schon die Geburt im Stalle, auch das Leben als Knabe und das verborgene Arbeiten als Werkmann zusammen mit dem Pflegevater Josef, all das war von erlöserischer Kraft. Aber selbstverständlich gipfelte die Erlösung in seinem Erlösungsleiden, in seinem Sterben am Kreuze. Das Siegel über die vollbrachte Erlösung war dann die Auferstehung.

Das erlöserische Leben Jesu ist Genugtuung und Verdienst. Es ist Genugtuung, d.h. das Leben und Leiden Jesu bringt einen Ausgleich für das, was der Mensch versäumt und verfehlt hat. Das Leben und Leiden Jesu ist Verdienst, d.h. es beschafft die Gnaden, die dann in der subjektiven Erlösung ausgeteilt werden.

Weil Jesus der Erlöser ist, trägt er im Neuen Testament den Namen Mittler. Er vermittelt zwischen der schuldigen Menschheit und Gott. Ja, kann er denn vermitteln? Ist er nicht selber Gott? Vermittelt er nicht zwischen sich selbst? Die Antwort auf diese Fragen lautet wie folgt: Jesus Christus hat eine gottmenschliche Konstitution, und deswegen ist er geeignet als Mittler. Er setzt die mittlerischen Akte – also Lehren, Leiden, Sterben – kraft seiner menschlichen Natur. Der Mensch Jesus Christus ist also der Mittler. Aber diese menschliche Natur ist eben das Werkzeug, das mit der göttlichen Person verbunden ist, und diese göttliche Person ist der Empfänger der Vermittlung. Als Mensch wirkt er die Vermittlung, als Gott nimmt er die Vermittlung an. So ist es kein Widerspruch, zu sagen: Christus Jesus ist der Mittler, der erlöserische Mittler zwischen Gott und den Menschen.

Wieso es dieser Vermittlung bedurfte, warum der Mensch seine Erlösung nicht in die eigene Hand nehmen konnte und die vertane Freundschaft mit Gott wieder knüpfen konnte, darüber wollen wir am kommenden Sonntag uns Gedanken machen.

Amen.

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